Moskauer Monitor

Tod in Moskau

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Er gehörte zu den Titanen, den Halbgöttern des Kapitalismus, die dem noch sowjetischen Russland modernes Management beibrachten. Der Amerikaner Paul Tatum (1955 bis 1996), abgebrochener College-Student aus Oklahoma, beeindruckte schon seine Schul- und Universitätslehrer durch einen ungeheuren Erfolgswillen, der ihn in der Heimat zunächst die Geschäftsprojekte wechseln ließ wie die Hemden. Als Tatum, 29 Jahre alter Mittelbeschaffer für die Republikanische Partei, 1985 mit einer amerikanischen Handelsdelegation zum ersten Mal Moskau besuchte, infizierte ihn das Potential des russischen Marktes. Zwei Jahre später kam er wieder und eröffnete, gemeinsam mit einigen Landsleuten, im noch kommunistischen Moskau das erste Sammelbüro für ausländische Firmen, Americom International Corporation. 1990 gründete Tatum mit dem Hotelbetreiber Radisson und dem sowjetischen Staatskomitee für internationalen Tourismus das erste amerikanisch-sowjetische Gemeinschaftsunternehmen, das am Kiewer Bahnhof den Hotelkomplex „Radisson Slawjanskaja“ errichtete. Das zugehörige Geschäftszentrum, wo unter Tatum erstmals in Russland bezugsfertige Büroräume, „Executive Suites“, vermietet wurden, ist, so drückt sich sein heutiger Leiter Gennadi Nikischow aus, ein Monument für das Abenteurertum des Amerikaners – im positiven Sinn.

Tatum, der nie einen eigenen Cent in seine Projekte investiert haben soll, durfte sich auch als politischer Geschichtslenker fühlen. Während des Putsches im August 1991 war es angeblich seiner Satellitentelefonleitung zu verdanken, dass der russische Präsident Jelzin mit Washington in Kontakt blieb. Doch 1992 wurde das Staatskomitee für Tourismus aufgelöst. Die Stadt Moskau übernahm dessen Anteile an Tatums Hotel. Zum geschäftsführenden Direktor des Radisson Slawjanskaja wird der Tschetschene Umar Dschabrailow ernannt, der immer mehr Geschäftspartner Tatums abwirbt. Die Stadtväter versuchen, das Hotel zu privatisieren – für 75 Millionen Dollar. Tatum, der ernsthaft erwägt, mitzubieten, bekommt Besuch vom georgischen Geschäftsmann Giwi Achobadse, der ihm versichert, durch eine siebenstellige Dollarsumme Schmiergeld könne er sich das Radisson Slawjanskaja sichern.

Tatum war gewarnt. Am Valentinstag des Jahres 1995 wurde einer seiner Leibwächter von Messerstechern zusammengeschlagen, die ihrem Opfer auftrugen, er solle Paul ausrichten, es sei Zeit für ihn, nach Hause zurückzukehren. Doch der Amerikaner, der manchmal wie ein Mafioso auftrat und die Gesellschaft russischer Frauen genoss, blieb stur. Er reichte Schadensersatzklage gegen seine russischen Geschäftspartner ein. Er informierte den Sicherheitsdienst von Präsident Jelzin über Achobadses Erpressungsversuch. Tatum wurde jetzt offen bedroht. Botschaftsangestellte rieten ihm dringend, Russland zu verlassen. Tatum kam sich vor wie im Duell. Am 30. September 1996 druckte eine Moskauer Zeitung seinen offenen Brief an Bürgermeister Luschkow, worin der Amerikaner den Russen aufforderte, doch der Welt zu beweisen, dass in Moskau Verträge eingehalten würden. „Wo stehen Sie, Mister Luschkow?“ fragte der Unterzeichner Tatum, „im Schatten oder im Sonnenlicht?“

Einen Monat später, am Nachmittag des 3. November hatte Paul Tatum eine Verabredung in der Metrostation Kiewskaja direkt vor seinem Hotel. Als der Amerikaner mit seinen Leibwächtern eintraf, war der, den er erwartete, nicht da. Dafür trat ein Mann mit Kalaschnikow-Maschinenpistole auf ihn zu und feuerte aus fünf Meter Entfernung elf Schüsse auf ihn ab. Dann ließ er die Waffe fallen und verschwand. Die Leibwächter, die gar nicht versucht hatten, ihren Boss zu schützen, transportierten den Sterbenden ins nächste Krankenhaus. Tatums Leiche wurde verbrannt und im Moskauer Friedhof Kunzewo beigesetzt. Der Direktorsessel des Radisson-Slawjanskaja ging an seinen Gegenspieler Dschabrailow.

Das Grab von Paul Edward Tatum ist leicht zu finden. Es liegt am Verwaltungsgebäude nahe des Haupteingangs, umgeben von russischen Militärs, die im gleichen Jahr starben wie er. Die schwarzen Granitdenkmäler, in die Gesichter mit starrem Totemtierblick eingeätzt sind, umzingeln den schmalen Stein mit der weißen Marmorplatte und dem kleinen Foto eines lachenden Jungengesichts. Tatum hinterließ keine Witwe. Doch ab und zu bringt eine noch jugendliche Russin, erfährt man im Friedhofsbüro, dem Mann einen Kranz, der, wie ein amerikanischer Partner sagte, nie die lichtlosen Netzwerke verstand, denen dieses Land gehört.

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