Den Fall der Berliner Mauer vor zwanzig Jahren erlebte der russische Schriftsteller Wladimir Sorokin als deutscher Stipendiat in der idyllischen Villa Waldberta am Starnberger See. Er erinnert sich, wie er das Happy End der deutschen Teilung vor dem Fernseher, mit einem dunklen Weißbier in der Hand, verfolgte. „Ich war froh, dass die Periode der missglückten Sowjetisierung der Deutschen zuende ging“, sagt Sorokin heute. Dennoch habe ihn der historische Augenblick nicht wirklich erschüttert, was er damals auf seine russische Psyche zurückführte. Es fehlte das Heroische. Die deutsche Wiedervereinigung sei durch keine Willensanstrengung erkämpft worden. Sie sei die Folge eines Kommandos aus Moskau gewesen.
Etwas Ähnliches spürte er, so der Schriftsteller, zwei Jahre später in Moskau nach dem August-Putsch. Sorokin gehörte zu der Menschenmenge, die nach dem Sieg über die Putschisten spontan zum Dserschinski-Denkmal vor dem KGB-Hauptquartier zog, um es umzuwerfen. Doch nachdem der demokratische Politiker Sergej Stankewitsch gewarnt hatte, der „Eiserne Felix“ könnte beim Sturz unterirdische Kabel und Leitungen beschädigen, wartete die Menge brav zwei Stunden, bis ein Hebekran kam und die Statue professionell demontierte. Da begriff der Wortkünstler, dass hier keine Revolution stattfand, sondern ein Wechsel der Eliten. Er habe das Ende des Sowjetsystems seit den siebziger Jahren herbeigesehnt, bekennt Sorokin. Aber als es passierte, war der Zeitpunkt eigentlich vorbei. Wie beim Mauerfall 1989. Die Geschichte hatte sich schon vorher verabschiedet. Für ihn passierte die Hauptsache am Abend des dritten Oktober, als die Ostberliner in Westberlin Bier trinken gingen – wie er, der Russe, in Bayern. Die DDR musste sterben, dachte Sorokin damals, weil ihre Bewohner nicht mehr auf gutes Bier verzichten wollten.