Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Künstlerjagd in Nowosibirsk

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In Nowosibirsk sitzt ein junger Aktionskünstler, Artjom Loskutow, der in der sibirischen Hauptstadt Flash-Mobs und Ausstellungen organisierte, im Gefängnis -...

In Nowosibirsk sitzt ein junger Aktionskünstler, Artjom Loskutow, der in der sibirischen Hauptstadt Flash-Mobs und Ausstellungen organisierte, im Gefängnis – Anlass war ein Päckchen mit elf Gramm Marihuana, das die Polizei ihm offenbar untergeschoben hatte.

Bild zu: Künstlerjagd in Nowosibirsk

Möglicherweise soll an Loskutow ein einschüchterndes Exempel statuiert werden, um Proteststimmungen angesichts der Krise im Voraus abzuwürgen. Die exponierteste Tat des Künstlers, die darin bestand, an jedem ersten Mai Kundgebungen mit Nonsense-Parolen, sogenannte „Monstrationen“, zu veranstalten, wurde jedenfalls von den Ordnungshütern bislang toleriert. Die „Monstranten“, mehrere hundert junge Leute, zogen im Schlepptau der ordentlich demonstrierenden Kommunisten durch die Innenstadt und trugen Plakate mit Aufschriften wie „Is was?“ oder „Wer ist hier Hauptperson?“ vor sich her. Die sibirischen Monstranten vermeiden bewusst jedes politische Programm und daher bei ihrer Selbstzeichnung auch die Vorsilbe „de“, weil die ihnen zu sehr nach Demontage oder Destruktion klingt. Der Sinn ihrer Übung ist vornehmlich, durch Albernheit geschützt, einen Geist von Freiheit zu verbreiten.

Bild zu: Künstlerjagd in Nowosibirsk

 

Doch dieses Jahr schaltete sich die Nowosibirsker Behörde für den Kampf gegen Extremismus und Terrorismus ein. Die Veranstalter wurden verwarnt und sagten die Monstration offiziell ab. Die Kundgebung fand stark ausgedünnt statt – ohne Loskutow, der zu der Zeit im Amt zur Extremismusbekämpfung vorgeladen war. Doch wenig später wurde der Künstler beim abendlichen Spaziergang mit einer Freundin von Uniformierten aufgegriffen, die sich nicht auswiesen. Zuerst verhörte man ihn zwei Stunden lang im Auto, angeblich wegen Verdacht auf Straftaten, die die Beamten jedoch nicht konkretisierten. Dann nahmen sie dem Künstler seinen Rucksack ab, leerten den Inhalt im Kofferraum aus und fanden auf dessen Boden unter den Sachen das Päckchen mit Haschisch. Loskutow streitet kategorisch ab, Drogen besessen zu haben. Seine Begleiterin versichert, sie habe den Rucksack wenige Minuten zuvor untersucht und kein Päckchen gefunden.

Nun wartet Artjom Loskutow auf seinen Prozess. Konstantin Skotnikow, ein Mitglied der Künstlergruppe „Blaue Nasen“, der an der Nowosibirsker Architekturhochschule lehrt, hofft im Fall Loskutow auf eine stille Lösung, bei der es bei einer Demonstration der Machtmittel bleibt. Zwar erregten auch die „Blauen Nasen“ den Zorn der heimischen Ordnungshüter – allerdings in Bezug auf das Ausland. Im Herbst 2007 durfte ein Foto von zwei einander küssenden Milizionären, die zuvor in der Tretjakow-Galerie zu sehen war, nicht zur Ausstellung nach Paris ausreisen. Ein Jahr zuvor ließen Zollbeamte einen Galeristen Fotoarbeiten der „Blauen Nasen“, bei denen eine nackte Männer-Troika mit Bush-, Putin- und Bin Ladin-Masken vor dem Gesicht sich holzknüppelbewehrt auf einem Bett vergnügt, nicht ausreisen. Heute ertragen die Machthaber nicht mal mehr gegenstandslose Heiterkeit der Untertanen. Bei der Vorverhandlung in Nowosibirsk entschied die Richterin, Loskutow müsse hinter Gittern bleiben, weil mit seiner Flucht und fortgesetztem Drogenhandel zu rechnen sei. Dass die Verteidigung Unterstützungsschreiben von zwanzig Nowosibirskern vorlegen konnte, in denen der Universitätsrektor, Loskutows Nachbarn, andere Künstler, Direktoren von Kultureinrichtungen und sogar ein Polizist dem Inhaftierten ein lobendes Zeugnis ausstellten, ist vorerst nur ein symbolischer Erfolg.

 


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