Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Die klitzekleine Femme fatale

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Die Nahkampftechnik des Überlebens als Frau lernt die Russin so früh wie die Gazelle das Laufen. Die kleine Warwara, die als Kind einer allein erziehenden...

Bild zu: Die klitzekleine Femme fataleDie Nahkampftechnik des Überlebens als Frau lernt die Russin so früh wie die Gazelle das Laufen. Die kleine Warwara, die als Kind einer allein erziehenden Mutter im Moskauer Vorort Krasnogorsk aufwächst, war noch nicht drei Jahre alt, als ihr Kindergarten von einem Fototeam besucht wurde, das die Vorschüler im Standardkostüm – in Luftlandetruppenuniform, als Märchenprinzessin, als Dame im Pelzkragen ablichtete und die Bilder an die Eltern verkaufte. Die erste Verkleidung gefiel Warwaras Opa, letztere ihr selbst am besten.

Ihre Mutter Jelena, eine hübsche, modebewusste Frau, war beeindruckt, mit welch selbstverständlichem, beinahe hochmütigem Aristokratismus sich ihr Töchterlein vor der Kamera in das Fuchsfell schmiegte. In vaterlosen Familien, die in Russland beinahe die Norm sind, ist die Mutterbindung oft symbiotisch wie die eines Zweiges im Verhältnis zum Stamm. Warwara weiß noch nichts von ihrem Vater, doch sie spürt, dass die Außenwelt, vor allem die der Männer, gefährlich ist, aber auch interessant, und dass Schönheit darin den wirksamsten Schutz bietet. Im Gegensatz zu meinen deutschen Nichten, die, wenn sie ein hübsches Kleid anziehen, das beim übermütigen Spielen vergessen, vergisst Warwara nie, wie sie aussieht, und wirft sich für das Kameraauge instinktiv in eine vorteilhafte Pose.

Wie viel Selbstverteidigung darin steckt, merkte man jetzt im Mai an Warwaras viertem Geburtstag, als sie nach einem Grillausflug im Wald heiser geworden war und ihre Mutter ihr heiße Milch einflößen wollte. Warwara verzog nur angewidert das Gesicht. Doch als der von ihr vergötterte Onkel Valeri sagte, ihre Stimme klinge gar nicht mehr wie die eines zarten Mädchens, sondern eher wie eine Ganovin, würgte sie die verhasste Milch herunter – wobei sie nach jedem Schluck fragte, ob ihre Stimme schon besser klinge. Beim anschließenden Kaufmannsladenspiel wollte Onkel Valeri aus Warwaras Puppenküche eine Packung Plastikwürstchen kaufen. Die Besitzerin warf ihm mit misstrauischem Blick die Lebensmittelattrappe hin und verlangte ängstlich: „Geld her, schnell!“ Da musste das Kind vom Onkel hören, er werde jetzt nur noch zum Laden nebenan gehen. Da sei die Verkäuferin viel netter. Zur Versöhnung verwandelte sich Valeri in Warwaras Hoppe-Pferd. Doch plötzlich verkündete das Tier der Reiterin: „Und jetzt kontrolliere ich deinen Laden. Ich bin nämlich von der Steuerinspektion. Dann kommst Du nach Sibirien.“ Das arme Kind war den Tränen nahe. Die Mutter tröstete sie lachend: „Wenn Du groß bist, heiratest Du einen Ausländer und verschwindest von hier.“ 


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