Das echte Petersburg ist in Leningrad geblieben. Davon überzeugte die Retrospektive des Fotografen Boris Smelow (1951 bis 1998), die die Eremitage dem großen Sohn der Stadt in ihrer Dependance, dem Generalstabsgebäude, ausgerichtet hat, alle meine dort verwurzelten Bekannten. Smelow huldigt wie sie der klassischen Eleganz der Stadtarchitektur. Doch seine Schwarzweißaufnahmen von Russlands zweiter Hauptstadt, die zum größten Teil vor ihrer Rückbenennung 1991 entstanden, zelebrieren die Härte ihrer Schönheit, die noch frei ist vom Make up späterer Renovationen, netter Cafes, Geschäfte und der inzwischen allgegenwärtigen Werbung.
Umgeben von ehrlicher russischer Armut wirken die eleganten Brücken, Kanäle, die pseudoantiken Statuen wie eine Hinterlassenschaft Außerirdischer, aber auch umso anmutiger. Smelows Visionen, auf denen die Grandezza der Bauensembles die traurige Gestalt der wenigen Passanten noch unterstreicht, lassen spüren, dass der Mensch hier nichts und der Raum beinahe allmächtig ist. Das akzentuiert der Fotograf auch durch seine „taumelnde“ Kameraführung, wenn er etwa die wilden Wellen der Newa fixiert, die das Schlossufer beinahe aus dem Bild drängen.
Oder wenn mit einer Taube in einen Innenhof oder mit dem Hund die Granitstufen hinabschaut. Man versteht, dass der Mensch sich auch deshalb gern mit Tieren identifiziert, weil die, im Gegensatz zu ihm selbst, sich ihre kreatürliche Würde bewahren.
Smelow fotografierte mit Vorliebe im Winter, wenn der Schnee das organische Leben zudeckt und die Kontraste verstärkt. Kollegen riet er, bei der Motivsuche im Frost eine Thermoskanne Tee oder Kaffee mitzunehmen. Auf keinen Fall dürfe man Alkohol trinken. Aber Ärzte halten ja die Gesundheitsregeln, die sie Patienten verordnen, oft selbst nicht ein. Im Januar 1998 bekam Smelow von einer deutschen Kunstzeitschrift, die ein Foto des Russischen Museums von ihm abgedruckt hatte, dafür ein moderates Honorar. Zur Feier des Tages betrank er sich und ging auf die Straße, berichtete damals der mit dem Künstler befreundete Schriftsteller Viktor Kriwulin. Auf diesem letzten Spaziergang ist Smelow erfroren.