Das Moskauer Unternehmermuseum, die wohl am stiefmütterlichsten behandelte Gedenkstätte der Hauptstadt, zeigt was vom Reichtum übrig bleibt. Die Institution, die vor bald achtzehn Jahren, nach dem Ende der Sowjetmacht, gegründet wurde, versammelt Familienfotos, Möbel, Rechnungsbücher berühmter vorrevolutionärer Kaufmannsfamilien – wie der Morosows, Rjabuschinskis, Rukawischnikows -, denen das Land Fabriken, Eisenbahnlinien, Konservatorien und Krankenhäuser verdankt, die aber der russische Staat schon unterm Zaren misstrauisch und eifersüchtig beäugte. Nach der Enteignung durch die Bolschewiki wurde ihr Andenken tabuisiert. Heute drängen sich die Familienreliquien Dutzender stolzer Klane in zwei Sälen des Hauses an der Donskaja-Straße 9 wie tote Seelen in einer Kommunalwohnung. Die Bilder, Briefe, Schreibgeräte wurden von Angehörigen durch Revolution und Krieg gerettet, sagt Museumsdirektorin Jelena Kalmykowa, die Wert darauf legt, Fotos und Dokumente nur als Kopien zu zeigen. Die kostbaren Originale sollen bei den Nachkommen bleiben. Wenn Frau Kalmykowa schulklassengroße Gruppen wissbegieriger Moskauer, die gern ihre Kinder mitbringen, durch die Sammlung führt, empfiehlt sie ihnen die pedantischen Ausgabenlisten der Kaufleute zur Nachahmung. Wer nachrechnet, wie viel Geld für Cola und Kaugummi draufgeht, besinnt sich leicht auf einen sinnvolleren Zweck, doziert sie. Dann mahnt sie die Gäste, unbedingt Familienarchive zu führen. Ihrem eigenen Haus droht im Jahr seiner Volljährigkeit, wie die Direktorin sich ausdrückt, das Aus. Das Unternehmermuseum existiert nur noch, weil es vor vier Jahren mit den staatlichen Diensten für Finanzmärkte ein Partnerabkommen schloss. Die Behörde zwang das Haus, „Museum des Aktionärswesens und der Finanzgeschichte“ auf sein Türschild zu schreiben, hilft ihm aber nicht, die Mietschulden abzutragen.
Das bedrängte Unternehmerasyl wurde indessen schon zur Umschlagbörse für verwaiste Kulturgüter. Insbesondere Bibliotheken, die umziehen und sich verkleinern müssen, wie jetzt das Elektrotechnische College am Pretschistenski-Ufer, bringen kistenweise literarische Klassiker, die auf den zwei Fensterbänken des Treppenhauses ausgelegt werden. Wen ein Buch interessiert, nimmt es an sich. Manche Kunden hinterlassen ihrerseits Bücher, hat Jelena Kalmykowa bemerkt. Auf dem „lebendigen Fensterbrett“ des Unternehmermuseums sind heute unter anderem Romane über die Mongolenfürsten Baty und Dschingis Chan von Wassili Jan (Jantschewetski), eine Biographie des Volksrebellen Jemeljan Pugatschow von Wjatscheslaw Schischkow (1873 bis 1945) und eine Ausgabe von Leo Tolstois „Hadschi Murat“ aus dem Jahr 1936 kostenfrei im Angebot.