Moskauer Monitor

Die Russen trinken sich die Krise schön

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Infolge der Krise sparen die Russen an allem – nur nicht am Wodka. Im Verlauf des letzten Jahres sei der Verkauf an Lebensmitteln stark zurückgegangen, russische Frauen leisteten sich weniger Kleider, Restaurants und Bars melden sinkende Besucherzahlen, fand das Marktforschungsinstitut Nielsen heraus. Dafür setzte der Einzelhandel im gleichen Zeitraum fünf Prozent mehr Wodka und harte Getränke um, die dann zuhause oder auf der Straße konsumiert wurden. Aber auch der illegalen Schnapsbrennerei hat die Rezession gut getan. Das Marktvolumen gefälschten Wodkas, das im Jahr 2008 siebenhundert Millionen Liter betragen haben soll, liegt im laufenden Jahr schon bei mindestens siebenhundertfünfzig Millionen Liter, meldet der Direktor des Zentrums für föderale und regionale Alkoholmarktforschung, Vadim Drobis. Unterdessen bekommt der illegale Schnaps auch immer mehr Konkurrenz durch Surrogate, alkoholhaltige Flüssigkeiten vom Toilettenwasser über Arzneitinkturen bis zu Frostschutzmitteln. In jüngster Zeit sei ein deutliches Wachstum dieses Segments zu beobachten, erklärt Drobis.

In schwierigen Zeiten wächst das Bedürfnis nach psychologischer Entspannung, weiß Alkohol-Experte Drobis, der gegenwärtig den Schnapsverbrauch überall auf der Welt zunehmen sieht. Schwache Spirituosen hingegen würden weniger genossen. Der Vize-Präsident der Föderation russischer Hoteliers und Gaststättenbetreiber, Alexander Iwanow, mixt zum Wermut eine Prise Optimismus. Die Stammgäste teurer Restaurants hätten ihr Trinkverhalten nicht geändert, versichert Iwanow, und familiäre Anlässe – Hochzeiten oder Jubiläen – trieben selbst Krisengeschädigte in die Gasthäuser. Freilich sieht auch der Vize-Chef der Hoteliers den Grund für den gestiegenen Wodka-Umsatz des Einzelhandels in der Stressbelastung seiner Landsleute. Wodka ist die russische Leib- und Seelenmedizin, die in selbstmörderischen Dosen geschluckt wird. Die Zahl der Russen, die jedes Jahr an den Folgen des Wodka-Konsums stirbt, und zwar des hochwertigen wie des Billigfusels gleichermaßen, wird auf eine halbe Million geschätzt. Nebenbei treibt die Wirkung von Wodka auch noch die Unfall- und die Mordstatistik in die Höhe. Allerdings höre ich von meinen russischen Bekannten immer wieder, wenn ihnen nicht der gelegentliche Fluchtweg in den Wodkarausch offen stünde, hätte der Druck ihrer Vorgesetzten, die allgegenwärtige Beamtenwillkür und die Aggressivität der Umwelt sie längst ins Grab gebracht.

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