Die gigantische Doppelskulptur des „Arbeiters mit Kolchosbäuerin“, die die sowjetische Bildhauerin Vera Muchina für die Pariser Weltausstellung 1937 entwarf, prangt nach ihrer Demontage 2003 wieder vor dem Haupteingang zum stalinistischen Ausstellungszentrum im Norden Moskaus. Nach sechs Jahren und einer Restauration, die drei Milliarden Rubel (siebzig Millionen Euro) gekostet haben soll, schimmert die gründlich gereinigte und reparierte Stahloberfläche des heroischen Arbeiterpaars authentisch futuristisch wie eine Mensch gewordene Rakete, die in den Himmel abheben will.
Und ein Menschenalter, nachdem es dem staunenden Westen präsentiert wurde, thront es jetzt auch in der Heimat auf einem schanzenförmigen, fünfunddreißig Meter hohen Pavillon, wie ihn der stalinistische Architekt Boris Iofan für die Parade der Staaten entworfen hatte. Der „Junge und das Mädchen“, wie Vera Muchina ihre Titanenkinder nannte, die mit ihren Arbeitswerkzeugen einen kriegerischen Tanzschritt vollführen, war als Einwegstatue konzipiert, die nach dem Pariser Auftritt eingeschmolzen werden sollte. Doch da sie so enthusiastisch aufgenommen wurde und das Moskauer Filmstudio sie sogar zu seinem Markenzeichen machte, baute man das Standbild wieder auf – allerdings auf einem niedrigen Betonpostament, das die Monumentalkünstlerin wegwerfend als „Baumstumpf“ abtat.
Die meisten Moskauer sind stolz auf die Wiedergeburt der proletarischen Antwortgeste auf die amerikanische Freiheitsstatue. Eine Umfrage des Radiosenders „Echo Moskaus“ ergab, dass das Meisterwerk aus der Zeit des Großen Terrors den meisten Betrachtern vor allem die Empfindung von Freiheit einflößt. Ein 41 Jahre alter Offizier lobt außerdem die Wertschätzung der Arbeit, die darin zum Ausdruck komme. Mir teilt die Skulptur eher äußerste Anspannung mit. Statt zu arbeiten stellt das Heldenpaar triumphal seine Wehrbereitschaft zur Schau. Aus der Rückschau wirkt die Plastik auch wie eine Weltkriegsprophetie. Der sowjetische Sieg über Nazideutschland wurde ja von einer Arbeiter- und Bauernarmee errungen, die, zumal in der ersten Phase, oft nur behelfsmäßig ausgerüstet war und mit menschlichen Wellen gegen den Feind anbrandete. Im Unterschied zur Nike von Samothrake, die auch zu ihren Paten gehört, kündet Muchinas Plastik nicht von Mühelosigkeit, sondern, schon durch ihre Zweigeschlechtlichkeit, von der Mobilisierung der letzten Ressourcen. Aus diesem Freiheitsbild spricht erfahrene Unterdrückung, gegen die man nicht mit aufklärender Fackel, sondern gewaltsam vorgehen muss. Man versteht die Sowjetherrscher beinahe, dass sie ihr freiheitsliebendes Volk mitten in der Hauptstadt so nicht auf den hohen Sockel stellen wollten.
Doch das Tandem aus sozialistischer Verheißung und heroischer Armutskultur ist in geradezu antike Ferne gerückt. Der Stalinismus wurde, wie der russische Stil vor hundert Jahren, zur nostalgischen Designmode, die der modernen Zivilisation historische Würde gibt. Das verändert die Botschaft. Der Arbeiter und die Kolchosbäuerin thronen zwar wieder auf einem granitgetäfelten Minihochhaus. Doch nun sind sie Schutzheilige moskowitischen Konsumglücks. Im Innern des Gebäudes wird nächstes Jahr ein Einkaufs- und Vergnügungszentrum eröffnet. Dass die Schlag- und Schneidinstrumente der zwei in abstrakten Höhen entschwinden, wird dessen Besucher beruhigen. Eigentlich konnte man es Muchinas Statue schon damals ansehen: Die Produkte der Arbeit, die das Duo zwischen seinen Kampfeinsätzen leistet, will niemand wirklich haben.