Die Tage kurz vor und nach dem Jahreswechsel sind in Russland die Zeit der Bescherungsfeste für Kinder, die man nach der Neujahrstanne „Jolka“ nennt. Geschenke tauscht man hier zu Silvester aus, weshalb die orthodoxe Weihnachtsfeier ganz der christlichen Besinnung vorbehalten bleibt. Die winterlichen Gaben werden von „Großvater Frost“ gebracht, der sich von der Schneeprinzessin Snegurotschka assistieren lässt und seine rein heidnische Natur schon darin offenbart, dass er unartigen Kindern nicht mit der Rute droht. Stattdessen hat er Märchenfiguren im Schlepptau, die, wie das weiße Kleid der Kälte es ja wirklich tut, die schmuddelige Welt verzaubern.
„Jolka“-Feiern finden in Schulen, Kindergärten und Betrieben mit kinderreichen Belegschaften statt. Die größte Vorführung, die Kreml-Jolka, zieht tausende Kinder aus allen Landesteilen in den riesigen Moskauer Kongresspalast, gerät aber auch so offiziös und anonym, dass frühere Besucher sich vor allem an den Prunk erinnern. Einer von ihnen, Viktor Leontjew, der sich als „Vertrauter von Großvater Frost“ vorstellt, hat deshalb im Schaljapin-Museum, das in der idyllischen ehemaligen Villa des Sängers im Stadtzentrum nistet, eine charmant familiäre, dabei höchst professionell gemachte Alternativveranstaltung aufgezogen.
An den ersten Januartagen sammelten sich die kleinen Festgäste, von Angehörigen begleitet und feierlich herausgeputzt, entweder um halb zwölf oder um halb drei im Galerie-Foyer, das man über den Garteneingang erreicht. Zwei Fabelwesen in Gestalt einer Kuh und eines Katers fordern sie zur Einstimmung schon mal zum Reigentanz auf, worauf sich etwa die Hälfte der Kinder einlässt.
Die übrigen halten sich an Mama oder Papa und folgen in sicherer Entfernung der von der Kuh angeführten Polonäse in den Nebenraum. Dort begrüßt sie Snegurotschka in hellblau-weißer Märchentracht. Das Schneeflockenmädchen stimmt das „Jolotschka“-Lied von der kleinen Tanne an. Dann legt sie mit den mutigen Kindern einen Ententanz hin. Und nachdem die Kinder, gemeinsam mit ihr und dem Clown Rediska (Radieschen) laut nach „Djed moros“ rufen, kommt endlich auch die Hauptfigur.
Der russische Eisgreis ist, wie der hiesige Winter, mit Vorsicht zu genießen. Unvorsichtigen Kindern kann er Hände, Füße und Gesichter einfrieren. Im Schaljapin-Museum erschien ein nobles Exemplar mit kältegerötetem Teint und Silberbart, der allerdings sogleich erklärte, er habe viel zu tun und müsse gleich wieder weg. Da umzingelten ihn die Kinder, auf Snegurotschkas Rat. Großvater Frost gelang es selbst mit Drohungen, gleich werde er jemanden einfrieren, nicht, ihren Kreis zu zerreißen.
Nun steigen alle ins Obergeschoss empor, um dem eigentlichen Neujahrsmysterium beizuwohnen. Snegurotschka bewundert die geschmückte Neujahrstanne, entfernt von ihr aber drei Vorjahresfiguren – das Sparschwein, den Schneemann und ein Kasperle -, weil bei ihnen der Lack abgeht. Die drei, die sogleich in Menschengestalt auftreten, sind natürlich beleidigt. Doch erst als sie an den verzauberten Eiszapfen geleckt haben, die die Hexe Kikimora im Wald aufgehängt hat, werden sie auch böse und sinnen auf Rache. Obwohl die Kinder Snegurotschka mit lautem Geschrei warnen, gelingt es dem Trio, sie zu kidnappen. Dann wird auch Opa Frost in die Irre geführt. Die Spielzeuge melden, sein Rentier mit den Geschenken für die Kinder habe sich im Wald verlaufen.
Das Sparschwein verkleidet sich als bevollmächtigte Geschenkassistentin, um, nach dem Wahlspruch: „Geschenke muss man horten!“, alle Gaben an sich zu reißen. Ein Glück, dass die Kinder dem Alten helfen, die falsche Schneeprinzessin zu entlarven. Am Ende werden die Tannenbaumfiguren wieder gut. Sie befreien das Schneemädchen aus der Haft bei Hexe Kikimora. Snegurotschka und die Kinder aber haben ihre Lektion gelernt: Auch altes, abblätterndes Spielzeug will mit Respekt behandelt werden. Dafür bekommen nach der Vorstellung alle an der Garderobe eine Schachtel mit Süßigkeiten überreicht.