Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Eiserne Ration von Glück: Alexander Dejneka malt den Übermenschen und seinen Untergang

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Alexander Dejneka (1899 bis 1969), dem die Moskauer Tretjakow-Galerie eine Retrospektive mit vielen Werken aus ihrem Magazin, aber auch aus etlichen...

Alexander Dejneka (1899 bis 1969), dem die Moskauer Tretjakow-Galerie eine Retrospektive mit vielen Werken aus ihrem Magazin, aber auch aus etlichen Provinzmuseen ausgerichtet hat, ist unter allen Sowjetkünstlern der authentischste. Der Sohn eines Eisenbahners aus der Steppenstadt Kursk konstruierte aus dem geometrischen Baumaterial der abstrakten Avantgarde ein Bild des neuen sowjetischen Menschen, das bis heute selbst eingefleischte Sozialismusfeinde begeistert. Dejneka, der sich an der revolutionären Künstlerkaderschmiede WChuTeMas zum Graphiker ausbilden ließ, beschwor schon in den zwanziger Jahren jene erhaben persönlichkeitslosen Arbeiter und Rotarmisten, deren wie ein Uhrwerk funktionierende Reihen die zur Zeit der „Neuen Ökonomischen Politik“ real existierenden und von ihm grotesk karikierten Kapitalisten, Popen und Prostituierten ersetzen sollten. Dejnekas herb konkrete, vom Industriedesign inspirierte Bildsprache wird von vielen Russen als „deutsch“ empfunden. Doch sein Mut zur utopischen Vision kündet von jener eisernen Reserve von Glück, findet der Gegenwartskünstler und glühende Dejneka-Verehrer Alexej Kallima, die auch wir Heutigen dringend benötigen, um der Macht des Geldes zu widerstehen.

Bild zu: Eiserne Ration von Glück: Alexander Dejneka malt den Übermenschen und seinen Untergang Die Menschenvernichtungsmaschine des Bürgerkriegs wird von Dejneka als konstruktivistisches Ballett inszeniert. Auf seinem Monumentalbild „Die Verteidigung von Petrograd“ von 1928, das passend zu Kampfgeist fast monochrom schwarzweiß gehalten ist, ziehen vorn frische Soldaten mit identisch entschlossenem Gesichtsausdruck in perfekter Halbkreisformation nach rechts. Die Stahlbrücke darüber befördert Verwundete zur „Reparatur“ in die Gegenrichtung. Wie aus Gesunden Versehrte werden, zeigt der Künstler gnädigerweise nicht.

Als in den dreißiger Jahren die Industriearbeit Wirklichkeit wird, malt Dejneka, was ihr als Training oder als Erholung vorausgeht beziehungsweise folgt, den Sport. Das Lieblingsmodell des Künstlers, der selbst leidenschaftlich boxte, war eine Langstreckenschwimmerin, die er beim Ballspiel, beim Diskuswerfen, aber auch als monumentale Mutterfigur mit einem kleinen Jungen auf dem Arm verewigte – obwohl seine Muse kinderlos blieb. 1935, während die sowjetischen Stachanow-Superarbeiter alle Produktionsnormen sprengen, bereist Dejneka den kapitalistischen Westen. In Paris malt er eine modische Cafe-Besucherin, in New York eine gelangweilte Juristen-Gattin, in Berlin arbeitslose Frauen.

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Nach der Rückkehr entsteht seine müßige Göttin, der Rückenakt aus dem Museum seiner Heimatstadt Kursk, wieder mit den Körpermerkmalen der schönen Schwimmerin. Das Bild ist eine Antwort auf Velazquez‘ Londoner Venus mit dem Spiegel, der ihr maskenhaftes Gesicht reflektiert. Velazquez‘ Heldin mustert ihren Bewunderer. Der naive Dejneka glaubte möglicherweise, sie betrachte sich selbst. Jedenfalls interessiert seine sowjetische Venus sich nur für die Außenwelt. Statt sich vom Betrachter wegzukrümmen, bietet sie sich ihm bereitwillig dar. Und im Gegensatz zur elfenbeinblassen Spanierin scheint sie genügend Wärme zu besitzen, um die russische Winterlandschaft draußen aufzuheizen.

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(das Original von Velasquez)

Im Zweiten Weltkrieg bricht dann über Dejnekas Siegertypen die Nemesis herein. Statt einem Maschinentanz auf weißer Bühne entstehen feldfarbene, von rostigen Panzersperren zerschnittene Stadtlandschaften. Verhärmte Zivilisten schleppen Waffenteile. Den Untergang des Übermenschen malte er, da „pessimistische“ Sujets tabu waren, am Beispiel eines Feindsoldaten, mit dem er sich offensichtlich identifizierte.

Bild zu: Eiserne Ration von Glück: Alexander Dejneka malt den Übermenschen und seinen UntergangAuf seinem Meisterwerk „Abgeschossener Elitepilot“ von 1943, das Kunstfreunde lieber „Fallender Engel“ nennen, stürzt ein schöner blonder Deutscher mit defektem Fallschirm vom Himmel. Eisenschienen, die wie rostige Messer ihm entgegenragen, werden den Faschisten gleich aufspießen. Doch Dejneka scheint den Augenblick, da die Füße dieses Ikarus‘ wie auf leerer Luft stehen, anhalten zu wollen. Die furios gestikulierenden Rotarmee-Giganten seiner „Verteidigung Sewastopols“ von 1942 hingegen sind dem Künstler verräterisch theatralisch und forciert geraten.

Wie viele Künstler der Zeit, auch Schostakowitsch, war Dejneka ein Fußballfan. Auf seinen berühmten Sportgemälden der dreißiger Jahre scheinen die Athleten, wie der über ein extremes Querformat hechtende „Torwart“ oder der seinen Ball über den Kirchturm schießende Kursker Kicker, aus dem Bild herausfliegen zu wollen. Jetzt zeigt die Tretjakow-Galerie aber endlich auch Dejnekas Fußballerreliefs aus der Nachkriegszeit. Die Sportler der neuen Generation haben ihren Ball verloren. Sie springen mit tänzerischer Grazie, doch im Sicherheitsnetz eines Stahlgitters wurden sie auch zum Gartentordekor.

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