Beim Festival für neue Musik „Moscow Forum“ erklangen in diesem Frühjahr Kompositionen für Frauen und von Frauen, die weibliche Besonderheiten bei der akustischen Orientierung in der Welt vorführen. Zu Ehren des Jahres der französischen Kultur in Russland war die phänomenale, auf Avantgarde und alte Musik gleichermaßen spezialisierte Sopranistin Donatienne Michel-Dansac (links) angereist, um die monumentale Lautgesangpartitur „Recitations“ für Solostimme von Georges Aperghis aufzuführen. In der vorsprachlichen Klangartikulation, die mit Stimmungsbildern den Raum auslotet, ertönt, findet der in Frankreich lebende griechische Komponist, die eigentliche Humanität. In seinem legendären Stück von 1978 hat Aperghis eine verschachtelte Struktur aus rhythmisierten, in alle Aggregatzustände der Lautartikulation aufgebrochenen Phonemsilben vorgegeben, Szenen aus dem Leben einer Frau, die jede Interpretin mit individuellem Stimmfiguren füllen muss.
Donatienne Michel-Dansac reißt hin durch den unerschöpflichen, dabei fein abgestuften Register- und Farbenreichtum und die atemberaubende Präzision einer Turbo-Nachtigall. Sie spielt mit einem mädchenhaften Flötenmotiv, wirft impressionistische Tonfetzen in den Saal, setzt nadelscharfe Spitzentöne, die sie mit leisen Lachern und Schluchzern beantwortet, um dann eine Wiederholungsfigur mit sich verschiebenden Akzenten zu intonieren als singe sie zweistimmig. Quecksilbrig changiert der Tonfall von lyrisch, ironisch, fatalistisch. Wortbedeutungsreste – „jeune“, „rien“, „pourquoi“ – verflüssigen sich zu Punkten auf ihrem stimmkünstlerischen Neurogramm.
Die musikalische Widmung einer Frau an eine Frau hingegen war ein kompakter Klanghieroglyph. Das Vokalensemble „Eidos“ intonierte, umrahmt von Strawinskys geistlichen Gesängen und Xenakis‘ furiosen „Nuits“, den knappen a capella-Gesang „Kon“ (Das Ross) aus Sofja Gubaidulinas Kantate für Marina Zwetajewa von 1984. Die zu pointillistischen Tupfern zerrissene Melodie scheint, wie auch der aus einsilbigen Wörtern bestehende Gedichttext der Zwetajewa, ihren Gegenstand in der Stille zu ertasten und durch anschwellende Dehntöne zu definieren. Man fühlt sich an das russische Sprichwort erinnert, wonach Männer mit den Augen lieben, Frauen aber mit den Ohren. Gemeint ist damit wohl, dass Frauen, die eine schlechtere Raumwahrnehmung haben als Männer, sich eher von der Aura oder vom Klang der Stimme eines Menschen anziehen lassen, was auch das Mutterkindverhältnis bestimmt. Sofia Gubaidulina stimmt ihren westlichen Kolleginnen nicht zu, die meinen, es gebe keine weibliche, sondern nur gute und schlechte Musik. Die weibliche Denkweise sei eher dunkel als die männliche, glaubt sie, und dringe weiter in unbewusste Tiefenschichten vor. In dem Punkt gibt die Russin sogar dem Wiener Frauenhasser Otto Weiniger Recht, der gesagt hat, das Bewusstsein der Frauen werde von den Genen regiert – nur dass Sofja Gubaidulina diese Diagnose nicht entsetzlich findet wie er.
Bei einem Schlagzeugabend ergänzten der Altmeister Jean Geoffroy und die in Taiwan geborene Jungbegabung Yi Ping Yang (auf dem Bild unten zu sehen) einander auch durch ihre Männlich- beziehungsweise Weiblichkeit. Geoffroy zelebrierte Martin Matolons drei Jahre altes Marimba-Stück „Trace IV“ und Isabel Urrutias neue Multimediapartitur „Mandala“ mit souveränster Kontrolle des hochkomplexen Materials, wahrte dabei aber, wie sein russischer Kollege Dmitri Schtscholkin anmerkte, stets Distanz zum Text. Ganz im Gegensatz zu Yi Ping Yang, die in Pierre Jaffrenous 2009 für sie geschriebenem „For One“ den leitmotivisch wiederkehrenden Paukenpuls gleichsam ihrem Herzschlag ablauschte und bei ihrer virtuosen Improvisation erst katzenhaft übers Vibraphon strich, um dann plötzlich so rücksichtslos auf die kleine Trommel einzuschlagen wie es nur, aus Lust am Kontrast, jemand tut, der die eigene Kraft nicht fürchtet.