Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Lumpenmilliardäre, nun auch in Öl: das "Gelage des Trimalchio" von AES+F

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Der Hit der vergangenen Moskauer Kunstsaison, der auch bei der Parade der Kandidaten für den diesjährigen Kandinsky-Preis zum Hauptpublikumsmagneten wurde,...

Der Hit der vergangenen Moskauer Kunstsaison, der auch bei der Parade der Kandidaten für den diesjährigen Kandinsky-Preis zum Hauptpublikumsmagneten wurde, war die grandiose Multimedia-Installation „Das Gelage des Trimalchio“ von der Künstlergruppe AES+F. Wie auf der venezianischen Biennale vergangenen Jahres, so war auch im Moskauer Kulturzentrum „Garage“ in diesem Höllensommer die luxuriöse Videovision eines globalisierten Fünfsterneparadieses als klassisch beschallter Erlebnisraum begehbar. Wer den zwanzig Meter großen Zylinder aus gekrümmten Projektionswänden betrat, sah sich umfangen von drei Breitwandfilmen, die dem narzisstischen Schönheitskult huldigen und ihn zugleich enttarnen. Ein Hubschrauber-Raumschiff transportiert fabelhaft aussehende, in priesterliches Weiß gekleidete Menschen auf eine Südseeinsel, wo sie mit ebenso gut aussehenden Dienern, Trainern, Masseuren ein kunstvoll choreographiertes Ballett des guten Lebens aufführen. Das russische Künstlerquartett Tatjana Arsamassowa, Lew, Ewsowitsch, Jewgeni Swjatski und Wladimir Fridkes überträgt den superdekadenten Traum von der Erfüllung aller Wünsche, wie sie sich in Petronius‘ zweitausend Jahre altem Roman „Satyricon“ der reich gewordene Ex-Sklave Trimalchio leistete, in die internationale Bildsprache glamouröser Modejournale. Doch gerade der exklusive Stilmix, die computergenerierten römischen, islamischen, hinduistischen Architekturveduten, die der minimalistische Komponist Pawel Karmanow mit einem Soundtrack aus Beethoven und Mozart unterlegt, vergegenwärtigt auch ein Spezifikum der russischen Elite, für die der Künstler und Schriftsteller Maxim Kantor den Sammelnamen „Lumpenmilliardäre“ erfand. Die Kunstparadiese an der Millionärsmeile Rubljowka, die Roben und Gebärden russischer Schönheiten sind ja perfekt-sterile Reproduktionen importierter Formen und damit auch Ausdruck eines brennenden Minderwertigkeitskomplexes.

Bild zu: Lumpenmilliardäre, nun auch in Öl: das "Gelage des Trimalchio" von AES+F

Die Figuren nehmen makellose Gemälde- oder Yogaposen ein, fahren Standfahrrad, „verführen“ einander – aber alles mit dem gleichen abwesend-melancholischen Gesichtsausdruck. Die Leere dieser Schönheit wird zusätzlich durch Kaskaden von Golfbällen verdeutlicht, die wie kontrollierte Wasserfontänen durch die Raumtiefe fliegen. Als AES+F unseren Planeten aus kosmischer Ferne imaginieren, schwillt die Golfballflut an zu einer Nebelspirale, als könnte daraus ein neuer Stern entstehen. Gerade das jugendliche Kunstpublikum schien von dieser Endzeitvision magnetisiert. Die Leute drängten sich im Videoraum unterm Dach des Zentralen Künstlerhauses bis um acht Uhr abends die Wachleute kamen und alle hinauskomplimentierten.

Für heutige Trimalchios, die ihre Salons gern mit einer edel elegischen Liebeserklärung an sich selbst schmücken möchten, verewigen AES+F ausgewählte Helden des Gelages jetzt auch als Ölgemälde. Auf der jüngsten Kunstmesse für Zeitgenössisches „Art Moscow“ bot die Galerie „Triumph“ das erste von vier geplanten Bildern im Format von zwei mal einem Meter achtzig feil. Es heißt „Standfahrrad“ und zeigt mit fotorealistischer Perfektion einen porzellanhäutigen Jüngling, den giftig bonbonfarbene Allegorie-Vögel des Nachplapperns und der Eitelkeit beschirmen. Wie er in die Glückshormone produzierenden Pedale tritt, findet zumindest eine seiner malaysischen Dienerinnen offenbar sexy. Inzwischen ist auch die feine ältere „Lady mit Indianerhäuptling“ fertig und in der Galerie „Triumph“ zu bewundern. Die zwei weiteren Werke, die „Golfer“ und „Damen mit ihren Dienern“ zeigen, stehen kurz vor der Vollendung. Fotos Galerie Triumph & AES+F

Bild zu: Lumpenmilliardäre, nun auch in Öl: das "Gelage des Trimalchio" von AES+F


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