Inmitten der von Graffiti-, Konzept- und Medienkunst dominierten aktuellen Szene nimmt sich das Werk der Moskauer Malerin Taissia Korotkowa aus wie der donquijoteske Versuch, mit traditionell akademischem Handwerk auf die zeitgenössische Hochtechnologie loszugehen. Die dreißig Jahre alte Korotkowa, die an der Surikow-Hochschule eine solide Ausbildung absolvierte, bannt Nasa-Roboter, einsame Schwerstarbeiter, russische Tempel der Medizin und Wissenschaft in der retrohyperrealistischen Sprache einer Neuen Sachlichkeit mit Eitemperafarben auf Lindenholztafeln. Flugapparate, Schutzanzüge, sterile Schränke und Geräte werden schön komponiert, mit Lasurfarbe in feinsten Grau- und Weißschattierungen pedantisch modelliert und verraten vor allem dadurch die Gegenwart des Menschen. In ihrem Geburtsklinikzyklus „Reproduktion“ nutzt die Malerin das „außerirdische“ Aussehen Neugeborener, um durch eine penibel kontrollierte Umgebung das Mysterium des Lebens zu beschwören. Nachdem sie letzten Herbst für zwei Arbeiten daraus den Kandinsky-Preis für Nachwuchskünstler erhielt, hat jetzt im hundertsiebzig Kilometer südlich von Moskau gelegenen Tula das Kulturzentrum des historischen Friedhofs, Nekropol (Prospekt Lenina 31), mit einem Dutzend Bildern dieser Serie Taissia Korotkowa eine Einzelschau ausgerichtet.
Die Inspirationsquelle des Projekts, das die Künstlerin schon zwei Jahre beschäftigt, ist das Moskauer Klinikum für Geburtshilfe, Frauenheilkunde und Pränatalmedizin, wo sie vor sechs Jahren ihren Sohn Konstantin zur Welt brachte. Auf zwei großformatigen Bildern vergegenwärtigt sie das weitläufige Institut, wo Problemschwangerschaften betreut, In-Vitro-Befruchtungen vorgenommen, Embryos eingepflanzt werden, in mehrstöckigen Durchblicken auf eine idealisierte Architektur wie in der italienischen Renaissance. Medizinerinnen warten altmodische Geräte und puppenhafte Säuglinge, der verantwortliche Arzt blickt würdevoll besorgt. Transparente Bullaugenkreise und Silberschläuche über der ganzen Bildbreite signalisieren, dass Taissia Korotkowa dem Betrachter die Brille eines Neuankömmlings im Brutkasten aufsetzt, den es in diese rückwärtsgewandt futuristische Welt verschlagen hat.
Wie die meisten Kinder sah ihr Sohn in den ersten zwei Wochen aus wie ein müder Greis, der aus einer anderen Existenz ein schicksalhaftes Wissen mitbrachte, erinnert sich die Künstlerin. Sein weise-hilfloses Gesicht blickt aus dem Plexiglasklinikbettchen wie aus einem Glassarkophag.
Schwestern in sowjetischen Schutzkitteln empfingen ihn als irdische Astronauten. Auf dem Gemälde „Kaiserschnitt“ sorgen sich gleich vier um das faltige, schreiende, von einer unsichtbaren Lichtquelle beschienene Menschlein. Eine hält ihn mit mütterlich fürsorglichem Ausdruck in die Bildmitte. Doch auf das Tablett in der Hand ihrer Nachbarin, das ihn ins fabrikartig organisierte Dasein forttragen soll, will er entschieden nicht. Mit verständnisvoll niedergeschlagenen Augen wendet sich die Schwester, die ihren Kolleginnen die Nabelschnurschere hinhält, von dem Armen ab.