Moskauer Monitor

Moskauer Monitor

Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole

| 0 Lesermeinungen

In Baku, der Hauptstadt des brennstoffreichen Aserbaidschan, liegt das antike Feuerheiligtum direkt am Stadtrand. Der von einer mittelalterlichen Karawanserei...

In Baku, der Hauptstadt des brennstoffreichen Aserbaidschan, liegt das antike Feuerheiligtum direkt am Stadtrand. Der von einer mittelalterlichen Karawanserei umbaute quadratische Flammenofen wird heute, da die Öl- und Gasindustrie die meisten Naturbrandherde hat verlöschen lassen, per Gasleitung betrieben. Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole 

Seit die einst feuergläubigen Aserbaidschaner arabisch erobert und islamisch wurden, kamen die zoroastrischen Priester und Pilger vor allem aus Indien, erklärt die Museumswächterin mit der ausdrucksvollen Charakternase. In den Zellengewölben, über deren Portalen Sanskritweisheiten eingemeißelt sind, vergegenwärtigen heute lebensgroße Plastikpuppen dunkelhäutiger Hindupriester und ausgemergelter Yogis, wie die Eingeweihten sich und ihre kargen Speisen an der Flamme spirituell desinfizierten. In einem Raum verhandelt ein Eremit mit hier absteigenden Karawanenführern um die ihre Geschäfte reinigenden Rituale. Viele Gläubige kamen speziell, um an diesem heiligen Ort zu sterben. Um den Prozess zu befördern, hielten sie manchmal, wie eine Kunststofffigurine es vormacht, ein Körperglied so lange ausgestreckt, bis es durch mangelnde Blutzufuhr abstarb.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole

Im heutigen Aserbaidschan nutzt man die kathartische Kraft der Brennstoffe, um Baku als Kulturmetropole leuchten zu lassen. Die über dem Kaspischen Meer thronende Stadt, wo sich, wie schon im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert wieder die großen Ölkonzerne niedergelassen haben, etabliert sich als Mekka für den anspruchsvollen Kunstpilger. Sie lockt mit luxuriösen Bilderschauen, Tanz- und Theatertreffen, hochkarätigen Musikaufführungen in den Sparten Oper, Jazz, der traditionellen mikrotonalen Improvisationskunst Mugham sowie internationaler, aber auch einheimischer Avantgarde. Befeuert und geschmiert wird diese Pracht durch Ölgeld, das die Administration von Präsident Aliyev in jüngster Zeit vermehrt den Musen zukommen lässt. Sie gedeiht, weil Aserbaidschan, das erst vom zaristischen Russland und dann von Sowjetimperium erobert wurde, eine internationale Kultur geerbt hat. Davon erzählen die eleganten Palais im neumauretanischen und Kolonialstil, die um die vorige Jahrhundertwende vor allem armenische, polnische, aber auch deutsche Architekten an der zentralen Nizami-Straße errichteten, außerdem die berühmte konstruktivistische Druckerei von Semjon Pen.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole

Im frisch renovierten Kunstmuseum hängen inmitten der stattlichen westeuropäischen Sammlung gleich drei Paradebildnisse von Alexandra Fjodorowna, der als Prinzessin Alix von Hessen-Darmstadt gebürtigen letzten russischen Zarin, darunter eines von Friedrich Kaulbach. Freilich, infolge der Pogrome, die 1990 wegen des Konflikts um Berg-Karabach ausbrachen, hat Baku den Hauptteil seiner urbanen Bewohner, Armenier, Juden sowie die meisten Russen verloren. Zuzügler vom Land und aserbaidschanische Flüchtlinge aus Armenien machten die Bevölkerung provinzieller und homogener. Umso illustrer sind heute die Gäste.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole

Die irakisch-britische Architektin Zaha Hadid baut das schneeweiße, an eine geplatzte Riesentüte erinnernde Kulturzentrum zu Ehren von Heydar Aliyev, dem KGB-Zögling, der Aserbaidschan unter der Sowjetmacht und dann nach deren Zerfall feudal konsolidierte, bis er 2003 die Macht an seinen Sohn Ilham weitergab. In diesem Frühjahr leistete sich Baku neben einem Mugham-Festival das Gara Garayev-Festival für zeitgenössische Musik, wo die deutschen Ensembles Ascolta, das Freiburg Percussion Ensemble, das österreichische Reconsil sowie internationale Solisten zusammen mit örtlichen Musikern klarmachten, dass Aserbaidschan ganz oben mitspielt. Hauptveranstaltungsort ist die säulengeschmückte Philharmonie, die infolge des ersten Ölbooms 1912 als Casino errichtet wurde.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als KulturmetropoleZu den Konzertbesuchern gehört auch Gardar Farajev, der das städtische Museum für Uzeyir Hajibayov (1885 bis 1912) leitet, den Begründer der akademischen aserbaidschanischen Musik. Hajibayov, der in Petersburg ausgebildet wurde, komponierte während des Aufschwungs vor dem Ersten Weltkrieg als erster Muslim eine Oper, erklärt Farajev stolz. Hajibayovs Operette „Samt und Seide“ (Arschin mal alan) eroberte mit ihrem feurig italienischen und dabei flackernd orientalisch verzierten Melos in der ganzen Sowjetunion das Publikum.

Als der aserbaidschanische Klassiker vor fünf Jahren in Wien gespielt wurde, wirkte die Sopranistin Kaoko Amano. Jetzt singt sie in Baku, konzertierend mit dem Gara Garayev-Kammerensemble, die George-Verse in Schönbergs entrücktem 2. Streichquartett, wo die europäische Harmonie sich krisenhaft chromatisch auflöst. Farajev lädt andertags die zierliche Japanerin in sein Museum, um dort mit Mugham-Opernsängern übermütige Hajibayov-Operettenduette zu intonieren. Am nächsten Abend kredenzt das Freiburg Percussion Ensemble explosive Trommelwerke von Xenakis und Steve Reich, außerdem, als minimalistische Hommage an das Gastgeberland, Emmanuel Sejournes „Vouz avez du feu?“, wobei die Musiker rhythmisch Feuerzeuge an- und ausknipsen. Vor allem die jüngeren Zuschauer strahlen. Dass die Sowjetmacht, die natürlich verstand, dass der Mensch nicht vom Öl allein lebt, den Geldverbrennungstempel zum Konzertsaal umwidmete, war eine weitsichtige Entscheidung. 

Baku, die Insel europäischer Zivilisiertheit zwischen Iran und Russlands unruhiger Südflanke, soll die schönste aller Städte werden. So will es Präsident Ilham Aliyev, der allenthalben von Plakatwänden blickt. Am brandungslosen Meeresufer zieht sich eine breite Betonpromenade mit Palmen und Pavillons hin, die von Putzkolonnen peinlich sauber gehalten wird. Am Prospekt der Ölarbeiter dahinter entstehen Geschäftspaläste und ein neues Luxushotel im historistischen Stil von vor hundert Jahren. Der altsowjetische Parteihotelklotz wirkt in seiner grau schimmernden Fassadenumhüllung beinahe edel. Und auf einer Anhöhe wachsen die drei „Flammentürme“ empor, zipflige Glaspaläste, von deren Residenzen und Büros sich ein herrlicher Blick auf die Bucht eröffnen wird, wo auf ein Inselchen eine gläserne Feuerplastik montiert wurde, die die Nächte wie ein weiß glühender Riesenlotos erhellt. Fürs Fußvolk baut die Regierung die prächtigsten Straßenunterführungen – mit poliertem Marmor und Granit und subtiler indirekter Beleuchtung -, die man je gesehen hat.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole

Die ausgeprägte Liebe seiner Elite zu kosmetischen Verschönerungen bereite ihm oft Schmerzen, gesteht der Architekt Elchin Aliyev. Die zum Musiksaal umfunktionierte deutsche Kirche ist ein Beispiel. Das einst spartanische Gotteshaus hat heute einen edlen Steinboden und bequeme Polsterbänke.

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als KulturmetropoleHier erklingen Kammerwerke aserbaidschanischer Komponisten, darunter Ismayil Hajibayov, einem Neffen des großen Uzeyir. Zwischenspiele auf dem traditionellen Zupfinstrument Tar verknüpfen sie subtil zu einem Gesamtgewebe, das aber auch Komponistenindividualitäten neutralisiert.

Elchin Aliyev, ein ebenso höflicher wie weltläufiger Mann, baut in Moskau das Haus Aserbaidschans.

 

 

 

 

 

 

Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als Kulturmetropole Bild zu: Zeitgenössische Musik im Verbrennungstempel: Die Ölstadt Baku leuchtet auch als KulturmetropoleDessen verglaste Stahlbetonkonstruktion wiederholt die Form des mittelalterlichen „Mädchenturms“ am höchsten Punkt von Bakus Unesco-geschützter Altstadt.

Der auf einem flammenförmigen Grundriss errichtete Ziegelbau diente ursprünglich als Leuchtturm und astronomisches Observatorium. Heute, da schicke Botschaften auf dem Altstadtberg residieren, wachen freundliche Aufpasser in Zivil auch über sozialen Brennstoff. Nahe der Mauer kehren wir in Aliyevs gemütlichem Kellerlokal „Kisch-Misch“ ein, wo der Gast in Architekturbüchern schmökern kann, von denen einige vom Hausherrn selber stammen. Beispielsweise jener neue Fotoband, wo unter dem Bild der Philharmonie der Name ihres Erbauers, Gabriel Ter-Mikaeljan (1874 bis 1949), jedoch fehlt. Mit einem armenischen Namen, erklärt Aliyev, hätte kein aserbaidschanischer Verlag das Buch gedruckt.

In der Philharmonie sieht man deutlich weniger Frauen mit Charakternasen als in der Metro oder im Bus. Bei höheren aserbaidschanischen Töchtern findet die Veränderung mit ungefähr siebzehn Jahren statt, weiß eine weitgereiste Dame. Sie verrät uns auch, dass der Kunstboom davon profitierte, dass die Schwester der First Lady einen Künstler geheiratet hat. Infolgedessen legte sich Baku ein Museum für Moderne Kunst zu mit farbenfroh abstrakten Bildern, die etwas andeuten und gleich wieder überspielen. Doch es finden sich auch Arbeiten des 86 Jahre alten Tair Salachow, der vor fünfzig Jahren den Komponisten Gara Garayev (1918 bis 1982), den Vater der aserbaidschanischen Nachkriegsavantgarde, angespannt grübelnd vor dem geschlossenen Flügel malte, eine Ikone des „Rauen Stils“. Garayev, der bei Hajibayov und Schostakowitsch lernte, bekehrte sich damals zur Zwölftonmusik. Dass man in der Serientechnik Musik machen kann, die zugleich hochexpressiv und streng reserviert ist, beweist Garayevs Violinkonzert, das auf dem Festival die großartige Geigerin Patricia Kopatschinskaja mit dem Staatsorchester bestreitet.

Draußen brausen die Regierungskolonnen vorbei. Der Kinokritiker Ulvi Mehti führt uns von der Nisami-Prachtstraße weg in einen staubigen Hinterhof, wo schon einige Orchestermusiker von vorhin an einem Plastiktisch bitteren Tee nippen und Backgammon spielen. Mehti, der in Petersburg studiert hat, ist stolz darauf, dass Blut von sieben Nationen – Aseris, Armeniern, Russen, Juden, Türken, Griechen und Lesginern – in seinen Adern fließt. Umso mehr bekümmert es ihn, dass sein Land sich die Kulturgeschichte patriotisch zurechtfrisiert. Der mittelalterliche Dichter Nizami von Ganja (1141 bis 1205/9), dessen Denkmal den Platz vor dem Literaturmuseum schmückt, schrieb persisch. Sein Kollege Imadaddin Nasimi (1370 bis 1447), dessen Büste schräg gegenüber steht, arabisch. Aber wir verwandeln beide, sagt Mehti mit feinem Lächeln, in Aserbaidschaner.

Die Aserbaidschaner sind ein schiitisches Turkvolk, dessen größter Teil im Iran lebt. Der verbreitete Name Aliyev leitet sich von Ali her, dem Schwiegersohn des Propheten Mohammed, der für die Schiiten sein legitimer Rechtsnachfolger war. Die islamische Renaissance beginnt erst. In der gedrungenen alten Moschee am Fuß des Mädchenturms ist der Frauenraum vom Hauptgebetssaal durch einen dicken Vorhang getrennt und nur durch eine Hintertür zu betreten. Zur Mittagszeit hält hier eine freundliche junge Frau im biblischen Gewand, die weder russisch noch englisch spricht, Einkehr. Doch auch im Konzertsaal tragen manche Kopftuch. Das ist neu, erklärt Baumeister Aliyev, der unlängst seine Landsleute jenseits der iranischen Grenze besuchte. Danach sei er richtig froh gewesen, bekennt der Glamourkritiker, dass seine First Lady so gern auf den Champs d’Elysées einkaufen geht.

Beim Abschlusskonzert sitzt auch der Schriftsteller Alekper Aliyev – noch ein Nachfahre von Ali-Anhängern! – im Publikum. Der Mann mit den feinen, ernsten Zügen findet, Ehrlichkeit und Offenheit seien eine Frage der Hygiene. Deswegen hat dieser Aliyev einen Roman über ein armenisch-aserbaidschanisches Liebespaar in Baku geschrieben, „Artusch und Zaur“, der in der intellektuellen Szene Furore machte. Als die Pogrome ausbrechen, flieht der Armenier Artusch und hinterlässt in dem zurückbleibenden Zaur einen brennenden kulturellen Phantomschmerz.

Die Kultur kann vielleicht zur Reinigung beitragen. Jedenfalls wurde beim Mugham-Festival Hajibayovs Mugham-Oper „Asli und Karim“, eine armenisch-aserbaidschanische Romeo-und-Julia-Tragödie, die zwanzig Jahre tabu war, erstmals wieder aufgeführt. Darin verflucht der Vater der Armenierin Asli, ein christlicher Priester, ihre Liebe, woraufhin das Paar buchstäblich in Flammen aufgeht. Die Fackel von Gara Garayev wird von seinem Sohn, Faraj Garayev weiter getragen, der zwischen Baku und Moskau pendelt, und dessen Werke oft in Westeuropa erklingen. Das Festival, das Faraj Garayev ebenfalls nach einem Hiatus von zwanzig Jahren wiederbelebte, soll im Zweijahresrhythmus stattfinden. Faraj Garajevs Konzert für Orchester mit Solovioline, das den Abend beschließt, ist für deutsche Standards fast zu schön. Das vor zwei Jahren in der Schweiz uraufgeführte, grandios filigrane, tragisch reflektierte Werk wirkt mit seinen subtilen Reminiszenzen an Brahms, Grieg, Vivaldi wie eine glühende Abschiedshommage an die europäische Kultur, die zugleich ein Neuanfang sein könnte.

Fotos: Elchin Aliyev, Reuters


Hinterlasse eine Lesermeinung