Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Versteinernde Blicke: Moskau im Bann von Berninis Medusa

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Der zweite Moskauer Ehrengast, bei dem die italienische Botschaft aus Anlass des Jahrs der italienischen Kunst in Russland für russische Kunst- und Medienstars...

Der zweite Moskauer Ehrengast, bei dem die italienische Botschaft aus Anlass des Jahrs der italienischen Kunst in Russland für russische Kunst- und Medienstars eine Sonderaudienz ausrichtete, war – nach Raffaels „Dame mit dem Einhorn“ – Berninis Marmorbüste der Medusa aus den Museen des römischen Kapitols. Die schlangenhaarige Göttertochter, deren Blick einst Sterbliche wie Unsterbliche zu Stein erstarren lassen konnte, schaute in der Villa Berg an der Deneschnyj-Gasse schmerzverzerrt auf ihre Bewunderer, die sich an Kaffee, Champagner und Erdbeeren erquicken durften. Gian Lorenzo Bernini (1598 bis 1680), der so großartig den Übergang von einem Aggregatzustand zum anderen in Marmor vergegenwärtigen konnte, drehte den Spieß um und ließ die Medusa ihre eigene Versteinerung erfahren. So schilderte auch der Poet am Hof der Barberini, Giovan Battista Marino, ein Zeitgenosse Berninis, in einem Gedicht die schönste und sterbliche der Gorgonen, die, möglicherweise weil sie unabsichtlich in einen Spiegel geblickt hatte, sich in eine Büste verwandelte. Bernini verlieh dem Medusenkopf, an dem er in der Zeit um 1635 bis 1645 arbeitete, die Züge seiner Geliebten Costanza Piccolomini, die mit einem seiner Bildhauergesellen verheiratet war. Doch dann ließ Costanza sich offenbar auch mit Berninis jüngerem Bruder ein, woraufhin dieser ihn beinahe umbrachte. Der Quelle seiner Freuden und Leiden aber ließ Bernini durch einen Diener mit einer Rasierklinge das schöne Gesicht verunstalten. In seinem Medusenhaupt, das noch bis zum 30. Juni im Puschkin-Museum zu sehen ist, spiegelt sich der Schmerz, den sie empfunden haben muss. Vor allem aber vergegenwärtigt es, wie unvermittelt einem ein reizendes Antlitz als Grimasse, üppige Locken als gruseliges Schlangennest und die Liebste wie ein Monstrum vorkommen können.

Bild zu: Versteinernde Blicke: Moskau im Bann von Berninis Medusa

Den Bezug zur aktuellen Kulturszene stellte diesmal die Rock-Gruppe „Krematorij“ her, die auch ihren zur Perestroikazeit legendären Song von der „Gorgo Medusa“ vortrug. Das Bild der Medusa symbolisiere für die Musiker das Sündhafte in der Kultur, erklärte Band-Chef und Blogger Armen Grigorjan, ihre Mischung aus Schönheit und Horror, Verführungskraft und Kalkül. Und wirklich: Während der Liedtext von „Krematorij“ die Dämonie des attraktiven Ungeheuers beschwört – eine Muse und Hexe mit blutigen, leeren Augen, der „wir“ aber folgen -, klingt die simple, von Gitarrenschrammelakkorden begleitete Chansonweise fast, als habe unter ihrem Bannblick die musikalische Erstarrung schon begonnen.

Bild zu: Versteinernde Blicke: Moskau im Bann von Berninis Medusa

 Fotos: Italienische Botschaft Moskau


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