Moskauer Monitor

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Seine unlösbaren Probleme sind Russlands wahrer Reichtum. In dem ersten faktisch von den Geheimdiensten gelenkten Staat der Welt ist das

Wenn Edelsteine schreien: Alexej Denissow-Uralskis Kriegspropaganda für die Kaminkonsole

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Im Glockenturm des Moskauer Kremls ist noch bis zum 24. Juli eine exquisite Schau russischer Juwelier- und Steinschneidekunst von Karl Fabergé und seinem...

Im Glockenturm des Moskauer Kremls ist noch bis zum 24. Juli eine exquisite Schau russischer Juwelier- und Steinschneidekunst von Karl Fabergé und seinem Umkreis zu sehen, wovon viele Werke aus abgelegenen Museen in Sibirien und im Ural angereist sind. Eine kleine Sensation stellen die Allegorien der Länder dar, die im Ersten Weltkrieg an der Seite beziehungsweise gegen Russland fochten, wie sie der Meister der Kleinplastik Alexej Denissow-Uralski zwischen 1914 und 1916 aus kostbarem Halbedelstein gestaltete. Der aus Perm stammende Denissow-Uralski (1863 bis 1926), der auch Landschaftsmaler war, belieferte den Zarenhof, wo man ihn insbesondere für seine Tierfigürchen schätzte. An deren Stilistik hält sich beispielsweise die Allegorie Belgiens, wo ein Löwe aus Rauchtopas, das Wappentier des Freundstaates, sich auf einem schwarzen Quarzpostament angriffslustig zum Sprung duckt. Oder auch der Seelöwe aus Obsidian, das Sinnbild Großbritanniens, der einen quarzenen Fisch erbeutet hat, dessen Schweinsgesicht ihn als Symbol des Feindstaates Deutschland zu erkennen gibt.

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Die K.u.K.-Monarchie Österreich-Ungarn, die mit ihrer Kriegserklärung an Serbien den eigenen Sturz beschleunigte, erscheint bei Denissow-Uralski als Fabeltier des möchtegernklugen Äffchens, der den eigenen Futtertrog zerschlagen hat. Die Jaspisfigur hockt auf deren Rand und fixiert, sich ratlos des Nacken kratzend, eine zerborstene Plakette mit dem Habsburger Wappen, die den Quarzsockel schmückt.

Bild zu: Wenn Edelsteine schreien: Alexej Denissow-Uralskis Kriegspropaganda für die KaminkonsoleEbenfalls aus der russischen Fabelwelt stammt die allegorische Figur Serbiens, der Igel, der seine mangelnde Größe und Schnelligkeit durch Klugheit und Widerborstigkeit kompensiert, welche seine Saphiraugen und Zinnstacheln signalisieren.

Denissow-Uralski verwandelte seiner Juwelierkunst jedoch auch die aktuelle Bildsprache der Zeitungskarikatur an, was manche Zeitgenossen geschmacklos fanden. So vergegenwärtigt er Bulgarien, das an der Seite der Mittelmächte kämpfte, als Laus aus schimmerndem Chalcedon, die sich an einem anatomisch genau geformten Menschenherzen aus Purpurit festkrallt. Dem Blut saugenden Kopf des Ungeziefers hat der Künstler die Züge des bulgarischen Königs Ferdinand von Sachsen-Coburg verliehen und ihm eine Offiziersmütze aus Lapislazuli aufgesetzt. 

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Die schwerste satirische Artillerie und zugleich die reichste Edelsteinpalette fuhr der russische Patriot gegen Deutschland auf. Eine Kaiser-Wilhelm-Figur sitzt mit hysterisch verzerrter Jaspisvisage rittlings auf einem mächtigen, rosa marmorierten Rhodonit-Schwein. Der Machthaber trägt eine Militärmontur aus Obsidian, Jaspis und Lapislazuli, sein Reittier hat Perlenaugen und eine Michelmütze aus grünem Chrisopras auf dem monströsen Haupt. Der dicke Eber, das weiße Marmorkissen, auf dem er liegt, der wohlgebaute, dreistufige Labradoritthron suggerieren, Deutschland sei übermütig geworden, weil es ihm materiell zu gut ging. Blutige Stiefelspuren auf den Steinstufen, ein Skelettfries auf glutfarbigem Limonit, verbogene Schieferkreuze auf dem weißen Kissen sollen veranschaulichen, wer der wahre Kriegsschuldige ist. Alexej Denissow-Uralski rechtfertigte seine Bildsprache mit der Stelle im Lukas-Evangelium (19/40), wo Jesus den Pharisäern erklärt, sollten seine Anhänger mit Rücksicht auf die Etikette schweigen, würden die Steine schreien.

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Nach der Oktoberrevolution gelang es Denissow-Uralski noch, seine mehrere tausend Objekte umfassende Stein-Sammlung in seine Heimatstadt Perm überstellen zu lassen, wobei ihm der Permer Kaufmann Nikolai Meschkow behilflich war. Nach einigen Verlusten kam die Kollektion zunächst in den Besitz der Permer Universität, bis sie 1932 dem Permer Kunstmuseum einverleibt wurde.

Bilder: Katalog Kremlmuseum


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