Microsoft und das Internet. Zuerst verschlafen, dann falsch reagiert, dann viel investiert, dann Manager ausgetauscht, wieder investiert, wieder ausgetauscht und nun: Richtig, Microsoft investiert wieder in das Internet. Das Unternehmen werde sich den Wettstreit um den Online-Werbemarkt 1,2 Milliarden Dollar im Jahr kosten lassen, kündigte Microsoft-Chef Steve Ballmer auf einer Konferenz in Redmond an. Mittelfristig sieht Ballmer in dem Markt nur Platz für zwei Rivalen: „Ich glaube, dass es nur zwei Unternehmen gibt, die die Fähigkeit und Standfestigkeit dafür haben – Microsoft und Google”, sagte Ballmer. Allerdings verspricht Ballmer abermals nur viel Geld, aber eine echte Strategie ist wieder nicht zu erkennen.
In der Online-Werbung steckten zu große Möglichkeiten, als dass man sie ignorieren könnte, sagte Ballmer. „Wir erhöhen den Einsatz erheblich, um überhaupt in diesem Geschäft zu bleiben.” Zentraler Bestandteil der Strategie Microsofts sei es neben der Akquisition anderer Unternehmen, die Ausgaben für Technologie und Marketing deutlich zu erhöhen. „Die Suche ist einer der Ausgangspunkte im Internet”, sagte Ballmer. „Sie ist der beste Platz, um Kunden neue Internet-Services anzubieten.”
Wenige Stunden zuvor hatte Microsoft einen erneuten Umbau seiner Online-Sparte angekündigt. Die Online-Dienste werden künftig wieder unabhängig vom Geschäft mit Windows geführt, beide Sparten waren erst vor rund drei Jahren zusammen gelegt worden. Kevin Johnson, Chef der bisherigen Geschäftseinheit, hat das Unternehmen verlassen und die Führung des Netzwerk-Ausrüster Juniper Networks übernommen.
Zudem kündigte Microsoft eine erweiterte Zusammenarbeit mit Facebook an. Für amerikanische Nutzer des Netzwerks werde Microsoft von Herbst an exklusiv seine Internet-Suche inklusive Anzeigen integrieren.
Von der neuen Struktur erhofft sich Microsoft mehr Agilität und Konzentration auf zwei sehr wettbewerbsintensive Bereiche. Der ehemalige Microsoft-Manager Johnson gilt als einer der Architekten von Microsofts vorerst auf Eis gelegten Plan, Yahoo zu übernehmen.
Schon in den vergangenen Jahren hatte Microsoft Milliarden Dollar in das Online-Geschäft investiert, war aber auch trotz mehrfachen Umbaus der Sparte im Anzeigen-Geschäft gegenüber Google und Yahoo weiter ins Hintertreffen geraten. Der Markt für Online-Werbung wird nach Schätzungen der New-Yorker Marktforschung EMarketer bis 2012 ein Volumen von 51 Milliarden Dollar erreichen. Nach Erhebungen von ComScore hatte Microsoft im Mai im amerikanischen bei der Internet-Suche einen leicht erhöhten Marktanteil von 9,2 Prozent gegenüber Google mit 61,5 Prozent und Yahoo mit 20,9 Prozent Marktanteil.
Doch die Internet-Welt besteht nicht nur aus Suchmaschinen; das Spiel um die Herrschaft im Internet ist noch nicht entschieden. Dafür ist die Geschwindigkeit, mit der Innovationen im Netz neue Märkte schaffen und etablierte Geschäfte vernichten, viel zu hoch. So wie sich Werbung in Suchmaschinen innerhalb weniger Jahre aus dem Nichts zu einem 30-Milliarden-Dollar-Markt entwickelt hat, entstehen zurzeit neue Geschäftsfelder, auf denen Google wie alle anderen klein anfangen muss. Soziale Netzwerke, Synonym für das Web 2.0, sind nur ein Beispiel dafür. Junge Unternehmen wie Facebook, Myspace, Twitter, Ning oder Friendfeed stehen für die zweite Web-Generation, in der die Giganten der ersten Generation noch nicht wirklich Fuß gefasst haben. Hart umkämpft ist auch das mobile Internet, in das Google, Microsoft und Yahoo große Hoffnungen setzen. Doch auf diesem Feld ist die Konkurrenz zum ersten Mal genauso groß und stark: Nokia, Apple, AT&T oder die Deutsche Telekom wollen natürlich auch das Geschäft mit dem Internet auf dem Handy machen.
Selbst im Entwicklerwettstreit um die beste Suchmaschinentechnik ist Google nicht für alle Zeiten gesetzt. Unter dem Stichwort „Web 3.0″ arbeiten Dutzende Suchmaschinen wie Twine, Hakia oder die gerade von Microsoft aufgekaufte Firma Powerset am sogenannten semantischen Internet, das den Inhalt auf Internetseiten wirklich versteht und nicht nur per Algorithmus sortiert. Dann weiß die Suchmaschine, ob die Bank zum darauf sitzen oder zum Geld einzahlen gemeint ist. Noch hat das semantische Internet die Entwicklungslabors nicht verlassen geschweige denn Geld verdient, doch das Potential, ein Google-Killer zu werden, hat die Technik zweifellos. Denn in einem semantischen Internet wäre Googles komplexer Suchalgorithmus nicht mehr nötig.
Ebenfalls noch am Anfang steht der Wettbewerb um die Frage, wie Computer künftig genutzt werden. Klar ist: Das lange erfolgreiche Microsoft-Modell, in dem Unternehmen wie private Nutzer Softwarelizenzen erwerben und auf ihren eigenen Computern speichern, steht vor der Ablösung. In Zukunft greifen die Anwender per Internet auf Programme und Daten zu, die in Rechenzentren gespeichert sind. Da deren Standort völlig unerheblich ist, wird daher nur noch von der „Wolke” als Synonym für diese riesigen Rechenzentren mit Hunderttausenden Computern gesprochen. Die Größenvorteile machen Speicherplatz „in the cloud” extrem billig; auch der Preis für Software, die nur noch bei Bedarf genutzt und bezahlt wird, tendiert gegen Null. Die „Cloud” könnte also alle etablierten Strukturen in der Informationstechnik zerstören. Wie das gehen könnte, zeigt Google: Das Unternehmen bietet seinen Nutzern kostenlose Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Kalender und E-Mail an und bedroht damit das Stammgeschäft von Microsoft. Nicht zuletzt aus diesem Grund versucht der Softwaregigant mit seiner Initiative „Live Mesh”, das neue Geschäftsfeld schnell zu besetzen – bevor Konkurrenten wie Google, Amazon oder IBM dort Fuß gefasst haben.
Ob Web 2.0, Web 3.0, mobiles Marketing, sematisches Internet oder die Wolke – das Rennen ist offen. Gerade weil das Geschäft von Microsoft vielfach bedroht ist, darf der Softwarekonzern nicht abgeschrieben werden. Das Unternehmen muss sein Transformation ins Internet fortsetzen. Immerhin hat das Unternehmen viel Geld übrig, das nun sehr schnell investiert wird. Die Diskussion über Microsofts nächste Übernahmekandidaten hat schon begonnen: Facebook oder Myspace sind ebenso möglich wie die nutzergenerierte Nachrichtenseite Digg.com. Das Geld wird wohl erst einmal in Web-2.0-Unternehmen fließen, da Microsoft trotz der Beteiligung an Facebook noch Nachholbedarf hat.
Links: