Netzwirtschaft

New York Times und die Revolution im Internet


Verleger müssen wie Google denken“, rät Journalismus-Professor Jeff Jarvis den Printhäusern und meint damit die konsequente Vernetzung der Inhalte im Web 2.0 statt Isolation. Die New York Times geht diesen Weg so gradlinig wie bisher kein großes Printhaus (vielleicht mit Ausnahme des britischen Guardian). Die Zeitung stellt einen großen Teil ihrer Inhalte, zum Beispiel alle 2,8 Millionen Artikel, die seit 1981 geschrieben wurden, über eine Programmierschnittstelle (API) zur Verfügung. Alle Internetseiten können sich darüber mit der New York Times verbinden, deren Inhalte kostenlos in ihre eigenen Seiten einbauen und sie mit anderen Inhalten zu so genannten Mashups verknüpfen – genauso wie es Google mit seinen Landkarten oder Videos macht. Die New York Times wird also zu einem Anbieter von Daten, die von Maschinen und nicht nur von Menschen gelesen werden können. Nur dann, so die Strategie, können sich die Inhalte wirklich schnell und flächendeckend im Internet verbreiten. Die Idee dahinter: Je mehr Links aus dem Internet auf die Seite der New York Times weisen, desto mehr Besucher landen schließlich dort. Publizistisch wird damit die größtmögliche Reichweite erzielt, löst aber noch nicht das Problem, wie der Besucherstrom in Erlöse umgewandelt wird. Trotzdem hat die NYT den ambitioniertesten Ansatz eines Medienhauses gewählt, sich im Web 2.0 dauerhaft gegen Powerhäuser wie Google oder Facebook und deren Connect-Strategien (1,2) zu behaupten. Und dies nicht erst, seitdem das Internet die Zeitung als wichtigste Nachrichtenquelle überholt (PDF) hat. 

Angefangen hat alles mit einem Interview, das die NYT-Technologen Marc Frons und Aron Pilhofer im Mai gegenüber Mediabistro gegeben haben. Darin kündigten sie an, die NYT „programmable” zu machen. „Alles, was wir produzieren, sollten organisierte Daten sein. Der Plan lautet, uns zu öffnen. Wie weit, das wissen wir noch nicht”, lautete die Ansage damals. Semantische Verfahren können das Auffinden der geeigneten Daten zusätzlich erleichtern.  

Maschinenlesbare Daten

Was die beiden damit gemeint haben, lässt sich seit dem 14. Oktober im NYT-Blog Open nachlesen. Dort veröffentlicht die NYT Schritt für Schritt die Schnittstellen zu den Inhalten, die sie im Web zu Verfügung stellt. Die bedeutendste Ankündigung stammt vom 4. Februar, die Artikel Such API. Damit öffnet die New York Times ihr Archiv und bietet alle 2,8 Millionen Artikel, die seit 1981 in der Zeitung erschienen sind, den Webentwicklern für ihre Seite an. Diese können dynamische Links auf diese Artikel setzen, die Inhalte in ihre Seiten einbauen oder sie mit ihren eigenen Inhalten verknüpfen. Die „Zeitung wird zur Plattform im Internet“, hat Mathew Ingram auf Twitter treffend formuliert.

Ganz neu ist die TimesPeople API, die am 17. Februar veröffentlicht wurde. Sie zeigen, welche Artikel die New York Times Leser angeschaut haben. Die Best Sellers API eignet sich zum Beispiel für Buchhändler oder Autoren. Sie können zum jedem Buch die Informationen einbinden, wann und wie lange der Titel auf der Bestseller-Liste gestanden hat. Die Congress API zeigt, wie sich die Abgeordneten des amerikanischen Kongresses in Abstimmungen seit 1989 verhalten haben. Die Daten bezieht die NYT selbst aus den Kongress-Datenbanken. Auch Filmkritiken oder Wahlkampagnen sind inzwischen per Schnittstelle zu beziehen. Weitere Schritte sollen folgen. Spannend dürfte daher die Times Open am 20. Februar sein. 

Das Blog ReadWriteWeb beschreibt die Strategie übrigens sehr passend:

„Reporting is no longer a scarce commodity. It’s hard for these huge news organizations to do it faster, cheaper or even as well as a whole web of new media producers around the world. They may be among the top sources for original content still today, but considering the direction technology is moving in – that’s not a safe bet for the future.

One thing that big media still does have a particularly good share of, though, is information processing resources and archival content. The Times’ campaign contribution API is a good example of this. The newspaper is far better prepared to organize that raw information, and perhaps offer complimentary content, than any individual blogger or small news publisher.”

UPDATE: Inzwischen stellt die NYT auch alle Inhalte per API frei, sobald sie auf der Site erscheinen. 

Links:

-> Prototyp der künftigen NYT-Website
-> Jeff Jarvis: Verleger müssen wie Google denken
-> Marissa Mayer über den Ansatz, den Youtube-Player zum Standard im Internet zu machen
-> Guardian: Wir haben uns unsere Nutzer nicht gekauft
-> Britische Verlage wollen mehr Geld von Google
-> Internet setzt sich als Informationsmedium durch
-> Informationsverhalten: Internet nimmt klassischen Medien rapide Marktanteile ab
-> Akademiker informieren sich meist im Internet
-> Intensivleser gehen ins Internet
-> Digg.com oder New York Times?

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