Netzwirtschaft

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"Die Quote überlebender Internet-Start-ups wird sich halbieren"

| 4 Lesermeinungen

Keine Börsengänge, wenige große Investoren: Internetunternehmen lassen sich in Europa zurzeit kaum verkaufen. Die Bewertungen werden noch weiter fallen, erwartet Christian Leybold, Partner bei BV Capital und Eventure Capital Partners. Vor allem Folgefinanzierungen sind kaum noch zu bekommen, wenn noch kein Geld verdient wird.

Bild zu: "Die Quote überlebender Internet-Start-ups wird sich halbieren"Keine Börsengänge, wenige große Investoren: Internetunternehmen lassen sich in Europa zurzeit kaum verkaufen. Die Bewertungen werden daher noch weiter fallen, erwartet Risikokapitalgeber Christian Leybold (Foto), Partner bei BV Capital und eVenture Capital Partners. Wenn ein Unternehmen noch kein Geld verdient, sind Folgefinanzierungen kaum noch zu bekommen.

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Der Risikokapitalmarkt hat natürlich auch unter der Wirtschaftskrise gelitten. Worin investieren Sie überhaupt noch?

Wir investieren weiterhin in Unternehmen, die großes Wachstumspotential haben und idealerweise eine etablierte Industrie oder einen etablierten Prozess umstülpen oder stark verändern. Allerdings muss man sagen, davon gibt es in Europa nur ganz wenige. Davon kann man als Risikokapitalgeber nicht leben. Wir müssen deshalb auch schauen, welche Themen vielleicht das Potential haben, einen Ausstieg in der Größenordnung zwischen 20 und 50 Millionen Euro zu ermöglichen.

Welche Branchen sind noch attraktiv?

Heute investieren wir eher in Themen, mit denen sich direkt Geld verdienen lässt – also zum Beispiel E-Commerce-Modelle -, und weniger in Modelle, die zunächst auf den Aufbau von Reichweite abzielen. Vor zwei Jahren haben viele Risikokapitalgeber noch überwiegend in Reichweitenmodelle investiert.

Ist das Web 2.0 aus Sicht der Risikokapitalgeber schon tot?

Web 2.0 hat es heute viel schwerer als noch vor zwei Jahren. Letztlich hängt es von den Kapitalkosten für Start-ups ab. Wenn diese Kosten hoch sind, muss schnell Umsatz erzielt werden. Bei niedrigen Kosten kann man sich eine längere Wachstumsphase leisten, um Reichweite aufzubauen. Allerdings gibt es in Europa nur sehr wenige Web-2.0-Unternehmen, die Investitionen in mehrstelliger Millionenhöhe gerechtfertigt haben.

Was passiert mit dem Bewertungen der jungen Unternehmen?

Die Bewertungen sind in den vergangenen Monaten massiv gefallen – in Amerika allerdings noch viel stärker als in Europa. Ich erwarte, dass die Bewertungen in Europa daher weiter sinken werden. Das eröffnet natürlich auch Chancen, jetzt wieder einzusteigen. Aber generell gilt: Als Risikokapitalgeber muss ich mich jetzt auf längere Horizonte einstellen, bis man aus einem Unternehmen tatsächlich wieder aussteigen kann. Das drückt natürlich auf die Bewertungen. Ebenso wie das gestiegene Risiko, dass die Folgefinanzierung schwierig wird.

Führt die geringe Ausstiegschance gerade in Europa dazu, dass viele Start-ups heute keine Anschlussfinanzierung mehr bekommen?

Ja, ganz sicher bei den Unternehmen, die noch weit weg von einer nachhaltigen Monetarisierung sind. Ein Geschäft, das schon Umsatz generiert, schafft einfach mehr Zeit, die Firma zu entwickeln. Man läuft nicht gegen die Uhr, bis das Geld ausgeht.

Investieren Sie jetzt noch in Web 2.0 Communitys?

Dort wird es eher zu einer Bereinigung kommen. Interessant wird es, wenn man mehrere Firmen zusammenfassen kann. Ein echtes Neuinvestment in ein Community-Thema ist sehr schwierig.

Und der E-Commerce?

Im E-Commerce-Umfeld haben sich die „Private-Shopping”-Portale als neues Modell etabliert. Diese Unternehmen haben schon relativ viel Geld aufgenommen, so dass es wenig Sinn macht, weitere Unternehmen an den Start zu bringen. Das Umfeld ist aber gut. Die Menschen kaufen heute verstärkt im Internet ein. Viele Segmente, die heute noch vorwiegend offline verkauft werden, wandern jetzt ins Netz. Das schafft Möglichkeiten, insbesondere, wenn man es mit neuen Verkaufskonzepten kombiniert. Zum Beispiel Votings über Produkte. Selbst das Group-Buying, wie es früher Letsbuyit versucht hat, taucht wieder auf. Auch im Kleidungsbereich – zum Beispiel von Designern – sind noch nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Internetunternehmen können in Europa kaum an die Börse gebracht werden. Sind daher die Chancen, ein Unternehmen für mehr als 50 Millionen Euro zu verkaufen, in Europa nahe Null?

Wenn man eine kritische Masse an Ansprechpartnern für den Verkauf einer Firma in dieser Größenordnung sucht, findet man sie meist nur in Amerika. Daher ist die Frage vor dem Einstieg immer, ob die Bewertung beim Ausstieg unter 50 Millionen Dollar liegt. Dann kommen Europäer als Käufer in Frage. Oder ist das Unternehmen paneuropäisch aufgestellt und interessant für Amerikaner, die in Europa den Markteintritt schaffen wollen. Nur dann sind auch Bewertungen über 100 Millionen Dollar möglich. Eine feste, sehr aktive Käufergruppe wie in Amerika – Google, Microsoft, Ebay – gibt es in Europa eben nicht. Das „Buyer-Universe” in Europa ist einfach überschaubar. Aber die Situation kann sich in einigen Jahren wieder verbessern, wenn etablierte Unternehmen merken, dass sie in einigen Bereichen nicht gut aufgestellt sind.

Wann rechnen Sie mit einer Besserung im Markt?

2009 erlebt unsere Branche, was traditionelle Branchen wie der Maschinenbau schon im vergangenen Herbst erlebt haben. Die Flaute für Start-ups wird also noch eine Weile anhalten und sicher erst später wieder anspringen als die „Dax-Konjunktur”.

Wie viel Prozent der Start-ups werden diese Phase überleben?

Wenn man den Kreis beschränkt auf die Gründer, die ein Unternehmen gründen mit der Intention, Geld aufzunehmen, und die erste Finanzierung noch nicht haben, dann überleben wahrscheinlich weniger als 10 Prozent diese Phase. Diese Quote ist auch in guten Zeiten sehr gering. Aber jetzt halbiert sich die Quote sicher noch einmal.

Dramatisch ist die Lage, wenn man nur die Firmen anschaut, die bereits eine Finanzierung von einem Business-Angel oder Risikokapitalgeber bekommen haben. Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Schwierigkeit der Folgefinanzierung schon 2008 zum Tragen kommt. Aber es scheint erst in diesem Jahr wirklich der Fall zu sein. Der Wettbewerb der Risikokapitalgeber um die Finanzierungen hat abgenommen, weil nicht zu erwarten ist, dass die Bewertungen alsbald wieder steigen.

 

 


4 Lesermeinungen

  1. Ich habe mit meinem...
    Ich habe mit meinem Unternehmen alle Perioden angeblicher Start-Up-Finanzierungen seit 1999 miterlebt. In keinem einzigen Jahr bekamen alle deutschen Start-Ups je so viel Investitionsmittel, wie allein der Zuschuss des Wirtschaftsministerium zur Steinkohle: 1,7 Milliarden Euro pro Jahr.
    Landesbanken und KfW haben Internet-Start-Ups bis heute grundsätzlich und immer abgelehnt. Sie fanden US-Immobilien (Ztat eines Managers) sicherer.
    Im gleichen Zeitraum haben sich aber die Umsätze mit dem und im Internet vervielfacht.
    Allerdings haben Bundesregierung und deutsche VCs dafür gesorgt, dass von wenigen Ausnahmen abgesehen diese Umsätze von den Konzernen gemacht werden, denen die Konkurrenz erspart wurde: Otto, Amazon, Ebay, Tchibo, Google.
    Im Gründerwettbewerb der KfW sind für den ersten 6.000 Euro vorgesehen. Daran erkennt man, wie deutsche Beamte und Anleger Start-Ups sehen und versteht, warum es in Deutschland keine Internet-Software gibt, sondern man diese bei Adobe und Microsoft einkauft.
    All das hat mit der Finanzkrise nichts zu tun, denn Start-Ups und KMU bekamen vor der Krise nichts und jetzt auch nichts. Sie hatten nicht einmal das Geld, die ihnen von den Landesbanken (LBB Baden Württemberg) noch 2004 angedienten US-Subprimes zur “Verbesserung ihrer Bilanz” (LBB-Chef Sauer damals) zu erwerben und damit für Landesbanken förderwürdig zu werden.

  2. Mario König sagt:

    Herr Dr. Dill,

    danke für ihr...
    Herr Dr. Dill,
    danke für ihr Statement – sehr schöner Beitrag der den Nagel auf denKopf trifft. Es fehlt in Dtl. nicht an Unternehmergeist und Unternehmertum aber an Strukturen die dem förderlich sind.

  3. Der Internet-Standort...
    Der Internet-Standort Deutschland fällt bisher nur durch den Konsum, nicht aber in dem erforderlichen Umfang durch die Weiterentwicklung des Internets auf.
    Wie schlecht Deutschland im weltweiten Wettbewerb um die Weiterentwicklung im Internet aufgestellt ist, macht ein kleiner Vergleich deutlich: Während das Unternehmen facebook.com im Jahre 2008 ca. 200 Millionen US Dollar in die Weiterentwicklung seines Angebots steckte, wurden im selben Jahr in ganz Deutschland bei einer Gesamtinvestitionssumme für deutsche Wirtschaftsunternehmen von 1,32 Milliarden Euro, “nur” ca. 250 Millionen Euro (22,1%) im Segment Internet investiert.
    (Quelle: Majunke Consulting, Venture Capital-Yearbook)
    Lächerlich!

  4. Johannes sagt:

    Nachdem wir mit unserem...
    Nachdem wir mit unserem Start-Up in der Schweiz gerade das im Artikel beschriebene “Tal des Todes” der Erstfinanzierung durchschritten haben (lebend!), kann ich dem Kommentar von Herrn Dill nur zustimmen. Die Deutschen sind viel zu zögerlich in der Unterstützung von jungen Technologie Start-Ups. Wir vertrauen lieber der “Innovation” unserer altgedienten Grossunternehmen, anstatt junge Unternehmen mit klarer Vision zu unterstützen. In der Schweiz ist dies komplett anders und hier geben der Staat, die Kantone und die regionalen Banken (!) jährlich viel Geld für die monetäre und ideelle Förderung von Jungunternehmen aus. Das ist schade, denn in Deutschland gibt es sehr viel Innovationspotenzial, das aufgrund mangelnder Förderung nicht genutzt wird.

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