Netzwirtschaft

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Unternehmen tasten sich langsam an das Web 2.0 heran

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Unternehmen in Deutschland tun sich schwer mit dem Web 2.0. Meist haben die Chefs wenig Ahnung und ein engagierter Mitarbeiter fängt einfach mal an. Die Chefs müssen nicht nur lernen, wie getwittert wird, sondern auch zuzulassen, dass ihre Mitarbeiter twittern. Führung statt Kontrolle lautet die Devise.

Was passieren kann, wenn ein prominenter Wirtschaftslenker Twitter ignoriert, musste gerade Telekom-Chef René Obermann erfahren: Ein Twitterer hatte sich als @reneobermann angemeldet und behauptet, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom zu sein. War er aber nicht. Inzwischen hat Obermann den Account zwar zurück, doch twittern will er trotzdem nicht.

So wie Bild zu: Unternehmen tasten sich langsam an das Web 2.0 heran Obermann tut sich die deutsche Wirtschaft insgesamt noch schwer mit Twitter und anderen sozialen Medien im Web 2.0. „Gerade einmal jedes vierte der 110 Unternehmen im Dax, M-Dax und Tec-Dax verfügt über einen identifizierbaren Twitter-Account”, sagt Christian Berens, Geschäftsführer der Kölner Kommunikationsagentur Net Federation, die das Twitter-Verhalten der deutschen Unternehmen untersucht hat. Damit geht die Mehrheit das Risiko ein, ebenso wie Obermann von Trittbrettfahrern mit falscher Identität erwischt zu werden.

Die meisten Unternehmen tun sich schwer, den richtigen Einstieg in das soziale Internet zu finden, wie der Fall Vodafone gezeigt hat. Das Telekommunikationsunternehmen hatte eine Werbekampagne für soziale Medien in Gang gesetzt, dabei aber weder die richtige Ansprache für die Zielgruppe gefunden noch die passenden Produkte im Angebot gehabt und war schon gar nicht auf die ungewohnt harsche Kritik aus dem Web 2.0 vorbereitet.

Chefs haben wenig Ahnung vom Web 2.0

Kein Wunder: In den Chefetagen sind Kenntnisse, wie das Web 2.0 funktioniert, was Unternehmen dort tun und was sie unbedingt lassen sollten, eher gering ausgeprägt. Nach einer Umfrage der Cologne Business School wussten 20 Prozent der befragten 350 Führungskräfte nicht einmal, was sich hinter dem Begriff Web 2.0 verbirgt. Blogs sind die meisten Unternehmen bislang überhaupt kein Thema; 12 Prozent der Befragten wussten gar nicht, was ein Blog ist. Und fast 70 Prozent der Befragten gaben zu, dass sie zu wenig über den Einsatz, die Nutzung und Möglichkeiten des Web 2.0 wissen – was unweigerlich Ablehnung hervorruft (-> Die Angst der Unternehmen vor Twitter)

“Eine Strategie ist oft nicht zu erkennen”

„Vielfach beginnt das Engagement der Unternehmen mit der Eigeninitiative eines Mitarbeiters. Eine Strategie dahinter ist meist nicht zu erkennen”, sagt Mirko Lange von Beratungsunternehmen Talkabout. Das Engagement in den sozialen Medien dürfe sich sowieso nicht auf Twitter beschränken. „Dreh- und Angelpunkt sollte ein Blog sein, denn nur dort lassen sich fundierte Informationen zeigen. Twitter ist dann eher geeignet, ein Netzwerk aufzubauen”, sagte Lange. Denn auf Dauer geht an einer Präsenz in den sozialen Medien für die meisten Unternehmen kaum ein Weg vorbei, wie Emarketer und eine Studie von CMO beschreiben. Denn drei Viertel aller Internetnutzer sind dort aktiv, unterhalten sich auf Twitter, Facebook oder Studi VZ über Unternehmen und deren Produkte. Wer da nicht dabei ist, riskiert, weder einen positiven Ruf aufbauen zu können noch bei negativen Kommentaren, die sich im Echtzeitinternet sehr schnell verbreiten können, korrigierend eingreifen zu können. In Amerika, wo Twitter und Facebook einen weit größeren Stellenwert haben als in Deutschland, sind entsprechend schon etwa zwei Drittel aller Unternehmen im Web 2.0 präsent. Unternehmen wie Google oder Dell haben schon mehr als eine Million Follower auf Twitter und setzen das 140-Zeichen-Medium bereits intensiv für Information, Kommunikation und Vertrieb ein.

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Twitter-Tools für Unternehmen

www.monitter.com: Instrument, um Begriffe auf Twitter zu überwachen

www.tweetmeme.com: Zeigt die populärsten Links auf Twitter

www.hashtags.org: Sucht Begriffe, die mit # gekennzeichnet sind.

www.twittertise.com: Tweets zeitlich steuern und die Reaktion darauf messen

www.twi.bz: Link-Verkürzer, mit dem der Unternehmensname erhalten bleibt

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Immerhin setzt aber langsam auch ein Umdenken in den deutschen Chefetagen ein: „Viele Unternehmen steigen jetzt ein; seit dem Frühjahr haben wir einen sprunghaften Anstieg der Twitter-Aktivität registriert”, sagt Berens. Vor allem große Konzerne und eher technikaffine Unternehmen haben Twitter für sich entdeckt. Aktueller Spitzenreiter ist die Lufthansa. Rund 8000 Menschen folgen der Fluggesellschaft auf Twitter. Die Lufthansa weist die Nutzer unter Lufthansa_DE auf Reiseangebote hin; unter Lufthansa_News gibt es in englischer Sprache Informationen zum Unternehmen, die aber bisher nur rund 300 Menschen interessieren. Auch andere Großunternehmen müssen sich erst langsam herantasten. Beliebte Strategie ist das Betreiben mehrerer paralleler Kanäle, wie es SAP praktiziert. Der Softwarehersteller verteilt Unternehmensnachrichten (sapnews) ebenso wie Hinweise auf das Unternehmensfernsehen (saptv) oder Informationen zum Management der Kundenbeziehungen (sapcrm). Oder der Versandhändler Otto, der mit Otto_de und Otto_jobs auf Twitter vertreten ist, dort dort Produkte anbietet und über Personalthemen twittert. Das Otto-Modeblog Twoforfashion ist ebenfalls auf Twitter präsent, aber mit rund 500 Interessenten noch nicht allzu weit in das soziale Internet vorgedrungen. „Eine Hälfte der Unternehmen nutzt Twitter für Information und Kommunikation, die andere Hälfte setzt es für Marketing und Werbung ein”, sagt Berens. Twitter als Instrument des Kundendienstes, wie es zum Beispiel das amerikanische Unternehmen Comcast betreibt, sei in Deutschland aber nicht zu finden. „Die meisten Unternehmen reagieren noch gar nicht auf Kundenkritik”, sagt Berens.

“Kontrolle durch Führung ersetzen”

Vier von fünf Unternehmen verschicken ihre Tweets anonym; im Biographie-Feld finden sich keine Angaben. Dahinter lässt sich ein typisch deutsches Problem vermuten: „Die Zuständigkeiten für Twitter sind in den meisten Unternehmen nicht wirklich geregelt”, folgert Matthias Bonjer von Zucker Kommunikation. „Das häufige Auftreten anonymer Absender, die mangelnde Subjektivierung der Tweets und das Benennen ganzer Abteilungen als Absender, die nicht die Kommunikationsabteilung sind, machen dies deutlich.” Die Frage, wer in einem Unternehmen twittern darf, ist ein Politikum. Denn Twitter bedeutet den Abschied vom Kommunikationsmonopel der Pressestellen, der in vielen Unternehmen gerade eingeleitet wird. „Soziale Medien bedeuten, dass wir uns von der totalen Kontrolle verabschieden müssen. Wir haben kein Problem damit, wenn unsere Mitarbeiter twittern. Wir können und wollen gar nicht verhindern, dass sich unsere Mitarbeiter von im Web 2.0 engagieren”, sagte ein Telekom-Sprecher. Entsprechende Verhaltensmaßregeln, zum Beispiel dass sich Telekom-Mitarbeiter bei Kommentaren in Blogs immer zu erkennen geben, sollen aber den Rahmen setzen. Diese Strategie der Offenheit setzt sich immer durch. „Unternehmen können es nicht kontrollieren. Sie müssen Kontrolle durch Führung ersetzen”, rät Lange.


14 Lesermeinungen

  1. Lars Basche sagt:

    Vielen Dank für diesen...
    Vielen Dank für diesen Beitrag, der die verschiedenen Facetten von Social Media für Unternehmen gut abdeckt. Ich würde mir nur wünschen, dass viele Unternehmen sich für Social Media wegen der neuen Chancen entscheiden und weniger um zu verhindern, „von Trittbrettfahrern mit falscher Identität erwischt zu werden“.
    Ich denke, dass das Engagement von Unternehmen in Social Media gerade und zu Anfang nur über das persönliche Engagement einzelner Mitarbeiter funktionieren kann. Wichtig ist dann natürlich, dass dieses Engagement dann auch von (überzeugten) Führungskräften gestützt wird und wirklich Einzug in die Gesamtstrategie findet. Dies kann aber auch ein langsamer öffentlicher (oder auch zunächst interner) Lernprozess sein.
    Wenn Unternehmen uninspiriert und führungslos mit großem Tamtam eine Social Media-Kampagne starten, passiert gerne so etwas wie bei Vodafone. Da ist es allemal sinnvoller, im Kleinen und vielleicht sogar zunächst einigermaßen Verborgenen anzufangen. Die Bereitschaft, mehr Ressourcen einzusetzen, wächst dann nämlich genauso langsam und natürlich wie die öffentliche Aufmerksamkeit. Das verhindert riesengroße und öffentlich breit getretene negative Kritik und damit eventuelles Einigeln.
    Und noch kurz zu der von Ihnen erwähnten Twitterstudie von Zucker: Was meiner Meinung nach dabei etwas zu kurz kommt, sind die individuellen Twitter-Accounts der jeweiligen Mitarbeiter der untersuchten Unternehmen. Dass Unternehmens-Accounts eher anonym twittern und hauptsächlich senden (informieren oder werben) relativiert sich dann ein wenig, wenn die Mitarbeiter dieser Unternehmen aktiv sind und den Dialog mit anderen Twitterern suchen und finden. Ganz wie Scott Monty von Ford sagt: “I believe that people would rather have a conversation with a person than a brand.“ Da wären wir nämlich wieder bei dem persönlichen Engagement… (Hinweis: ich twittere mit einigen IBMern auf dem deutschen IBM Lotus Blog, der auch in der erwähnten Twitter Studie von Zucker Kommunikation untersucht wurde).
    Entschuldigung, ist ein bisschen länger geworden.

  2. Das größte Problem bleibt...
    Das größte Problem bleibt der unerkannte Paradigmenwechsel von ‘Media’ zu ‘Social Networking’, denn da bleibt das geliebte Medium auf der Strecke. Web2.0 braucht kein Medium mehr zwischen Sender und Empfänger, sondern der traditionelle Massen-Monolog wird zu einem interaktiven Echt-Zeit-Dialog mit dem Einzelnen!
    Das haben bisher weder die Werbungtreibenden erkannt noch die Agenturen verstanden, verarbeitet und in ihre Beratung integriert.
    Ohne neue Strategie kein Erfolg mit Twitter & Co. Schlimmer noch: Ohne relevante Geschäftsmodelle, Marken & Produkte kein Erfolg im Web2.0! Denn hier kann den Kunden nichts mehr schöngeredet, vorgemacht oder verheimlicht werden!
    Web2.0 beginnt nicht in der Werbeabteilung des Unternehmens, sondern in der Produktentwicklung!

  3. Twitter hat nicht nur...
    Twitter hat nicht nur erheblich weniger Nutzer als andere Plattformen, sondern bietet auch deutlich weniger Optionen für das Marketing. Das liegt vor allem daran, dass die Nutzer auf Twitter (als vergleichsweise offene Plattform) kaum persönliche Daten veröffentlichen (https://www.facebookbiz.de/?p=61).
    Natürlich ist Twitter ein hype (vor allem in der Web 2.0 Szene selbst) aber die Reichweite in Deutschland im Vergleich zu den großen Plattformen der VZ Gruppe und facebook fast marginal.

  4. Nachtrag zu meinem Kommentar...
    Nachtrag zu meinem Kommentar oben:
    Und idealerweise – muß man hinzufügen, doch da habe ich gar keine Hoffnung, daß dies aus dem Innern des Unternehmens heraus passiert – idealerweise beginnt das Web2.0 im Top Management bzw. in der (Weiter-)Entwicklung des Geschäftsmodells!
    (Web2.0 ist hier keinesfalls mit Twitter gleichzusetzen, falls jemand den Gedanken haben sollte ;-)

  5. Ulrike Mann sagt:

    "Vielfach beginnt das...
    “Vielfach beginnt das Engagement der Unternehmen mit der Eigeninitiative eines Mitarbeiters.” Sehr gut und sehr satirisch setzt sich Gregor Koall in seinem Blog damit auseinander.

  6. Was der Artikel jetzt mit...
    Was der Artikel jetzt mit Unternehmen und Web 2.0 zu tun haben soll verstehe ich nicht ganz wenn die ganze Zeit nur von Twitter die Rede ist. Es igbt wesentlich mehr online Kommunikationsmöglichkeiten als das gehypte Twitter.

  7. Jan Krcek sagt:

    Der Hinweis, dass Web 2.0 in...
    Der Hinweis, dass Web 2.0 in der Produktentwicklung beginnt, ist sehr gut. An diesem Punkt sollte man dann auch erwähnen, dass es wünschenswert wäre, wenn Studien, Berichte und Agenturen stärker differenzieren würden was die Art des Unternehmens und seine Produkte angeht (z.B. Investitionsgüter vs. Konsumgüter, Produktion vs. Dienstleistung, etc.)

  8. Pedro sagt:

    sind aber nicht nur...
    sind aber nicht nur unternehmen, die nicht tweeten … neuer research von techcrunch: “why dont teens tweet”
    https://www.techcrunch.com/2009/08/30/why-dont-teens-tweet-we-asked-over-10000-of-them/

  9. Ich setze einmal kurz zwei...
    Ich setze einmal kurz zwei Brillen auf:
    Einerseits ist mein Arbeitgeber – die IBM -, mein Bereich in der IBM – Lotus-Software – und mein Job – Marketing Manager für Lotus – prädestiniert für das Thema Web 2.0. Logischerweise nutzen wir deshalb auch Social Media, wie ja auch in der Studie dargelegt wird. In der IBM wird dies gottseidank generell gefördert und das Unternehmen fördert generell das Engagement der Mitarbeiter im Web 2.0.
    Jedoch stelle ich fest, dass wir oft weit voraus sind. Die Realität in vielen Unternehmen, die sich nicht mit HighTech und Web 2.0 befassen, ist ganz anders. Das Web wird oft noch ignoriert. In vielen Unternehmen ist der Zugriff auf das Internet noch immer beschränkt. Es ist noch ein weiter Weg zu gehen.
    Doch unbestreitbar ist für mich: Die Entwicklung ist unaufhaltsam. Davon bin ich fest überzeugt. Eine Mauertaktik bezüglich Web 2.0 wird kein Unternehmen mittelfristig durchhalten können. Man wird sich mit dem Web 2.0 und der Nutzung der neuen Technologien für das Enterprise 2.0 auseinandersetzen müssen, früher oder später. Desöfteren halt später …
    Siehe auch: Web 2.0 im Unternehmen: Mehr als nur den Ausschaltknopf kennen unter https://www-951.ibm.com/blogs/Stefan_Pfeiffer/entry/web_2_0_im_unternehmen_mehr_als_nur_den_ausschaltknopf_kennen

  10. Meine Erfahrungen aus...
    Meine Erfahrungen aus Gesprächen mit Webagenturen zeigen mir häufig das Problem des gegenseitigen Verständnisses zwischen der Agentur und den Auftraggebern. In den allermeisten Fällen haben die Auftraggeber wenig Wissen über die technologischen Entwicklungen des Internets und die Webagenturen wenig Know How über die Branche, die Produkte und die Unternehmensprozesse ihrer Auftraggeber. In diesen Fällen sind die Ergebnisse von Webprojekten wie sie sind, kaum innovativ und regelmäßig konzeptlos kopiert. Hat ein Auftraggeber keine Kenntnisse von Webentwicklung übernehmen Webagentur meistens die Federführung im Projekt. Die Beratung kommt in diesen Fällen einfach zu kurz. Noch ein paar Worte zu Twitter und all den anderen Web 2.0 Instrumenten, es sind eben nur technologische Instrumente. Fragen Sie sich nicht, was Sie bringen sondern fragen Sie sich, wie Sie kombiniert genutzt werden können. Jedes einzelne Instrument für sich schafft nur einen bedingten Mehrwert, erste die strategische Vernetzung der Instrumente in Verbindung mit strategischen Partnerschaften können der Unternehmenskommunikatition Flügel verleihen. Vergessen Sie Twitter und machen Sie sich lieber Gedanken über die Technologie des Microbloggings bezogen auf Ihre Unternehmenspräsenzen im World Wide Web und suchen Sie sich die richtigen Multiplikatoren.

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