Endlich geschafft, Chris Andersons Buch “Free” zu lesen. Hier ein paar Gedanken dazu:
Chris Andersons Botschaft in seinem Buch „Free” ist genauso simpel wie explosiv: Weil es nichts kostet, ein digitales Gut zu kopieren, sinkt – in einem Wettbewerbsmarkt – der Preis auf Null. Diese Regel, die alle Ökonomen als „Preis gleich Grenzkosten” kennen, ist schon sehr alt.
Aber im Internet-Zeitalter, in dem Datenübertragung oder Bandbreite stets billiger werden, ist die Regel für viele Unternehmen plötzlich so relevant wie nie: Einmal digitalisiert sinken die Preise für Nachrichten, Musikstücke, Software oder Bücher, die vergleichbare Konkurrenzprodukte haben, früher oder später unweigerlich auf Null. Diese Beobachtung ist nicht neu; viele Unternehmen in digitalen Märkten wissen nur zu gut, was gemeint ist. Neu könnte für viele Akteure dagegen Andersons Aussage sein, dass es gar keinen Sinn macht, sich gegen diese ökonomische Gesetzmäßigkeit zu stemmen. Im Gegenteil: „Free”, also das Verschenken des digitalen Produktes, sei für viele Akteure eine erfolgversprechende Strategie und oft genug sogar die einzige Möglichkeit, sich im Wettbewerb zu behaupten, bevor ein Konkurrent das Verschenken beginnt.
Nun ist Anderson kein Phantast, sondern weiß als Chefredakteur der renommierten Computerzeitschrift Wired, dass „Free” auch Werte vernichtet, ja zerstörerisch sein kann. „Free wandelt milliardenschwere Branchen in millionenschwere um” – und dieser Satz beschönigt noch die Folgen, wie sich am Schicksal der Encyclopadia Britannica gut zeigen lässt. Das gedruckte Lexikon wurden zunächst vom digitalen, aber noch kostenpflichtigen Lexikon Encarta verdrängt, was den Markt schon auf einen Bruchteil seines Ursprungswertes schrumpfen ließ. Dann kam das kostenlose Internetlexikon Wikipedia, das Encarta vom Markt fegte, aber keinerlei Umsatz mehr generiert. Aus „analogen Dollar werden digitale Pennies”, hat ein Medienmanager die Folgen der Digitalisierung den auf den Punkt gebracht.
„Free” bedeutet aber keinesw egs, dass sich damit kein Geld verdienen lässt. Im Gegenteil: Die gesamte Free-Industrie ist nach Schätzung von Anderson 300 Milliarden Dollar schwer. Das Geld stammt im Wesentlichen aus zwei Geschäftsmodelle: Der Werbung und „Freemium”, der Kombination aus kostenlosen Basisangeboten und kostenpflichtigen Premiumdiensten. Bestes Beispiel für das Werbemodell ist Google. Das Unternehmen verschenkt fast alle Dienste wie die Suche, E-Mail-Speicherplatz, Landkarten, Handy-Betriebssysteme und jüngst sogar eine Million elektronischer Bücher. All dies macht Google immer größer und attraktiver für Werbekunden, die im vergangenen Jahr 20 Milliarden Dollar für die Anzeigenplätze auf Google gezahlt haben. Das Google-Modell zerstört aber auch Märkte: Seitdem Google mit seinem kostenlosen E-Mail-Postfach sieben Gigabyte Speicherplatz verschenkt, bucht kaum noch ein Internetnutzer kostenpflichtige E-Mail-Dienste. Konkurrenten wie Yahoo mussten schnell nachziehen und schenken ihren Nutzern inzwischen unbegrenzten Speicherplatz.
Diese Entwicklung steht anderen Branchen noch bevor; dagegen wehren können – und sollten – sie sich nach Andersons Meinung aber nicht. „Der Feind des Autors ist nicht die Piratrie, sondern die Unkenntnis über Neuerscheinungen. Free ist die kostengünstigste Möglichkeit, die größtmögliche Leserzahl zu erreichen – und wenn die Leseprobe hält, was sie verspricht, verkauft sich das gedruckte Buch später auch”, zitiert Anderson den Verleger Tim O’Reilly, einen der Pioniere im Internet. Folgerichtig hat Anderson Ausschnitte seines Buches und eine Hörbuchversion kostenlos ins Netz gestellt, damit alle davon erfahren. Folge: „Free” ist innerhalb kurzer Zeit das meistdiskutierte Buch im Netz geworden und in den Bestsellerlisten sehr schnell hochgeklettert.
Ähnliches sagt er den Herstellern der Computespiele voraus. „Wer nicht mehr Atome eintütet und verschickt, sondern Bits durch die Leitungen schickt, lander früher oder später bei Free. Innerhalb der nächsten zehn Jahre wird sich die Spieleindustrie in ein Online-Geschäft wandeln”, sagt Anderson voraus. Die Industrie hat den Weg dorthin schon eingeschlagen: Online-Spieleanbieter haben großen Zulauf, weil sie ihre Spiele kostenfrei anbieten. Weil die Spieler aber virtuelle Güter dazukaufen, verdienen die Spieleanbieter trotz – oder besser wegen – des Free-Modells prächtig.
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Lesetipp: Google Chefökonom Hal Varian
„Früher hatte eine Zeitung in ihrer Region eine Monopolstellung. Heute konkurrieren aber viele Medien miteinander. Wenn der Artikel im Wall Street Journal über den Iran dem Artikel in der New York Times oder der Washington Post sehr ähnlich ist, sinkt der Preis für die Nachricht wegen des Wettbewerbs auf seine Grenzkosten. Und diese Kosten für die Bereitstellung einer weiteren Einheit dieser Standard-Nachricht betragen im Internet eben null. FAZ.NET
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Auch die Musikindustrie könne im digitalen Zeitalter mit Free gut leben, wie das Beispiel China zeige. Dort sei das unerlaubte Kopieren der Musik so selbstverständlich, dass der Verkauf der digitalen Musikstücke zwecklos sei. Daraus hätten die Anbieter gelernt. Musik wird dort heute verschenkt, um sie populär zu machen. Ihr Geld verdienen die Musiker mit den Konzerten.
Ähnlich geht es seiner Meinung nach mit allgemeinen Nachrichten. „Nach einigen Jahren mit Online-Experimenten, bei denen immer wieder versucht wurde, die Nutzer für Inhalte zahlen zu lassen, wurde es fast jedem klar, dass der Kampf gegen die digitalen Gesetzmäßigkeiten einen aussichtsloses Unterfangen war. Free hatte gewonnen”, schreibt Anderson. Während Anderson aber für alle Branchen einen guten Rat hat, mit Free Geld zu verdienen, fällt ihm für die Verleger nicht viel ein. Lediglich spezialisierte Informationen, die den Lesern einen hohen Nutzwert bringen und konkurrenzlos sind, seien verkäuflich. „Die Zeitungsbranche muss sich wie die Musikbranche neu erfinden. Die Topzeitungen werden vermutlich etwas schrumpfen, während die Schicht darunter stark dezimiert werden wird”.
Andersons Buch wird viele Manager in Industrien, die jahrzehntelang gut vom Vertrieb analoger Inhalte gelebt haben, zu heftigem Widerspruch veranlassen. Doch Andersons radikale Thesen sind schon in so vielen Branchen Realität geworden, dass sie von den Managern in den Branchen, die sich Free heute nicht vorstellen können, ignoriert werden könnten. Zum Beispiel von den Verlegern der Schulbücher, deren Inhalte zum Wohle der schwer tragenden Kinder hoffentlich bald in Form eines elektronischen Buches den technischen Fortschritt in die Schulranzen bringen. Oder den Spieleherstellern, die ihr Geschäft auch in zehn Jahren noch darin sehen, Spiele auf physische Datenträger zu brennen und im Handel zu vertreiben.
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Faszinierend! Was da...
Faszinierend! Was da “draußen” zur Zeit passiert ist wirklich faszinierend! Die Märkte drehen sich um. Aufzuhalten ist diese Entwicklung nicht mehr. Das Internet scheint nach dem Buchdruck die 2. Informationsrevolution zu sein. Was sich jeden Tag für neue Chancen und Möglichkeiten ergeben ist schwer zu erfassen, aber kein Film ist spannender als das! Und wir sind dabei… Das muss man erst einmal realisieren!!
Ein weiteres Beispiel ist die...
Ein weiteres Beispiel ist die Software-Industrie, bei der kostenlose Testphasen für Vollversionen inzwischen die Regel sind. Wer wirklich ernsthaft mit einer Software arbeiten will oder einzigartige Features benötigt, erwirbt eine kostenpflichtige Lizenz.
Bei nachrichtenorientierten Inhalten kann das jedoch nicht funktionieren – die Nachricht von gestern ist heute nichts mehr wert, fast alles ist im größten Meta-Archiv der Welt recherchierbar.
Doch niemand zwingt tausende Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehsender und spezielle Online-Angebote dazu, im Internet immer wieder die gleichen Nachrichten zu erzeugen – eine handvoll Original-Quellen reichen doch, der Rest muss eben Mehrwert erzeugen, Hintergründe beleuchten, Analysen verfassen, Meinungen einholen, Vielfalt ermöglichen.
Das ist Journalismus.
Ob die Großzahl der Verlagserben dazu überhaupt in der Lage ist ?
Klingt nach einem sehr...
Klingt nach einem sehr spannenden Buch, das den aktuellen Wandel und den Einfluss des Internets auf klassische Geschäftsmodelle betrifft.
Es ist in der Tat so, dass Unternehmen zunehmend vor die Herausforderung gestellt werden, neue Verdienstquellen anzuzapfen und bisherige Mittels plötzlich kostenfrei bereit zu stellen, da Konsumenten nicht mehr bereit sind, Geld dafür zu zahlen.
Besonders stark ist dies natürlich vom Nutzerverhalten im Internet beeinflusst – Konsumenten wissen, dass viele Dinge heute als sog. open-source-ware also kostenfrei verfügbar sind. Hier heißt es für viele Unternehmen somit “umdenken”
<p>Im Satz "Free wandelt...
Im Satz “Free wandelt milliardenschwere Branchen in millionenschwere um” schwingt mit, dass diejenigen, die traditionell auf einem Markt glänzend verdient haben, ein Anrecht haben, dass das immer so weitergehen möge. Craigslist ist dafür ein gutes Beispiel. Die US-Verleger beklagen, das Craigslist einen dreistelligen Millionen-Dollar-Markt für Kleinanzeigen vernichtet habe. Das Geld ist aber noch da – nur ist es jetzt in den Taschen der Verbraucher, die früher auf einem Monopolmarkt mit überhöhten Gebühren abkassiert wurden. Das Monopol ist zerstört. Ich weiß nicht, was daran schlecht sein soll.
Ebenso vernichtet die digitale ”Free” Kultur nicht per se den Journalismus. Sie macht allerdings das Geschäftsmodell zunichte, mit Allerweltsnachrichten Geld zu verdienen. Das Geld, das früher für Zeitungsabos ausgegeben wurde, hat sich ebenfalls nicht in Luft aufgelöst. Die Verbraucher werden andere Wege finden, es innerhalb ihres Medienbudgets auszugeben. Marketer werden auch weiterhin auf Produkte und Dienstleistungen aufmerksam machen, auch wenn sie das nicht mehr in Form von gedruckten Anzeigen tun. Ich bin sicher, dass gute Journalisten auf diesem neuen Markt bestehen werden und auch weiterhin vom Medienbudget der Nutzer und von Werbung profitieren können. Nur Verlage als Mittler vielleicht nicht. Was ich nicht per se bedauernswert finde, wenn guter Journalismus sich dafür einen anderen Weg bahnt.
@ Ulrike Langer: "Auf einem...
@ Ulrike Langer: “Auf einem Monopolmarkt mit überhöhten Gebühren abkassiert” – das sehe ich anders. Werbeplätze waren in der analogen Welt knapp und die Preise entsprechend hoch. Die Zeiten der Knappheit sind jetzt vorbei und die Anzeigenmärkte auf einen Bruchteil ihres Wertes geschrumpft. Dass die Anzeigenkunden von früher das Geld noch in der Tasche haben, ändert nichts daran, dass dieser Markt praktisch nicht mehr existiert. Das ist weder gut noch schlecht, sondern einfach das Ergebnis technischen Fortschritts. Und dass “Free” den Journalismus vernichtet, habe ich doch nicht geschrieben; ist auch gar nicht meine Meinung.
Spannend finde ich die...
Spannend finde ich die Entwicklung auch, nur lässt es sich nicht leugnen, dass das journalistische Niveau auch in traditionell hochwertigen Medien online oft in den Keller geht. Spiegel.de finde ich dafür ein gutes Beispiel. Hier sind mittlerweile so viele harte Satzbaufehler in den Artikeln, dass hier der Ruf des Magazins schon sehr leidet. Auch werden Konventionen wie der Pressekodex online so gut wie nicht ernst genommen. Gerade bei Portalen wie GMX oder Yahoo gehen Advertorials und wirklich redaktionelle Beiträge stark ineinander über.
Schade, dass der Blog so wenig...
Schade, dass der Blog so wenig Links enthält (z.B. zum Download des Hörbuchs). Es soll doch mehr sein, als eine Bildschirm-Version einer Zeitung, oder?