Netzwirtschaft

Die Schrittmacher im Internet

Dass Facebook, Google und Twitter in den Ranglisten der am schnellsten wachsenden Internetunternehmen oben stehen, ist am Ende des Jahres 2009 keine Überraschung. Die drei Unternehmen sind die Schrittmacher im Web: Facebook als führendes soziales Netzwerk, Google als Internet-Plattform und nicht mehr „nur” Suchmaschine und Twitter als Erfinder des Echtzeit-Internet stehen maßgeblich für die großen Trends im Internet. 

Doch in ihren Windschatten zeigen sich in Amerika schon neue, spannende Web-Konzepte: Examiner, Demand Media, Betawave oder Netshelter sind junge Medien-Netzwerke, die offenbar gut funktionieren und in diesem Jahr ins Rampenlicht gewachsen sind. Schon dort angekommen sind das Blog Huffington Post, das auch nach der Präsidentschaftswahl in Amerika auf Wachstumskurs geblieben ist, und die Fernsehseite Hulu.com, die in diesem Jahr erstmals den Sprung in die Spitzengruppe geschafft hat. In Deutschland gibt es kaum neue Medienkonzepte, weil die Risikokapitalgeber hierzulande einen großen Bogen um das Web 2.0 machen und die klassischen Medien nur noch wenig Innovationsfreude zeigen. Einzig das importierte Frauennetzwerk Glam hat es unter die wachstumsstärksten Internetseiten in Deutschland geschafft, wie das Marktforschungsunternehmen Comscore für die FAZ errechnet hat

Gemeinsames Merkmal der schnell wachsenden Medienunternehmen: Sie setzen erfolgreich auf die grundlegende Eigenschaft des Internets, den Netzwerkeffekt. Während klassische Medien ihre Internetseiten meist nur mit Artikeln ihrer eigenen Redakteure bestücken, wenig vernetzen und hoffen, dass die Leser zu ihnen kommen, bündeln die neuen Anbieter viele verschiedene Inhaltequellen und setzen konsequent auf Verknüpfungen im Web, bringen also ihre Informationen zum Leser. 

Ein Beispiel für den Trend ist die Seite Examiner.com, die sich selbst als Insiderquelle für alles Lokale bezeichnet. Examiner fasst die Berichte von Hobby-Journalisten zusammen, die über ihr jeweiliges Fachgebiet schreiben. Erst im April 2008 an den Start gegangen, ist die Nachrichtenseite inzwischen in 162 amerikanischen Städten präsent und gerade nach Kanada expandiert. Das Unternehmen gehört zur Anschutz Company, einer Investmentgesellschaft aus Denver. Während viele traditionelle Regionalzeitungen in den Vereinigten Staaten aufgeben müssen, rücken Unternehmen wie Examiner konsequent in die entstehenden Lücken vor. In Deutschland gibt es neue lokale journalistische Angebote wie das Heddesheimblog des Journalisten Hardy Prothmann bisher nur als Einzelprojekte. Der Blogger Robert Basic will mit seinem neuen Projekt Buzzriders aber ebenfalls in diese Richtung.

Zu den schnell wachsenden Unternehmen gehören auch „Content-Farmen” wie Demand Media oder Answers.com. Die Unternehmen haben das Geschäftsmodell, so viele Inhalte so billig wie möglich zu erstellen, oft Tausende Artikel oder Videos am Tag. Diese Inhalte sollen die Fragen beantworten, die in den Suchmaschinen gestellt werden. Qualität ist dabei weniger gefragt. Für das Modell hat Richard Rosenblatt, der Gründer und Vorstandsvorsitzende von Demand Media, schon 355 Millionen Dollar Risikokapital eingesammelt. „Die meisten Medienunternehmen bemühen sich, den Wert ihrer Online-Inhalte zu steigern, bis er die Produktionskosten erreicht. Aber Rosenblatt denkt genau umgekehrt: Das Geheimnis liegt in der Senkung der Produktionskosten, bis sie den Marktwert erreicht haben”, beschreibt Daniel Roth im Magazin „Wired” das Prinzip. Rosenblatt will den Kostenfaktor aber nicht überbewerten: „Uns geht es um ein nachhaltiges Medienmodell, eine Maschine für das zu bauen, was die Welt wissen will”, sagte Rosenblatt. 

Auch der neue AOL-Chef Tim Armstrong setzt auf die Massenproduktion von Inhalten, vor allem in lokalen Umfeldern. Deren Produktion sei zwar teuer, aber die Entwicklung noch lange nicht abgeschlossen. „Skaleneffekte können die Produktion der Inhalte ökonomischer machen. Wenn man das Geschäft mit lokalen Inhalten im Internet von Grund auf neu startet, sehen wir gute Chancen. Wir rollen dafür die Plattform Patch.com in den Vereinigten Staaten in vielen Städten aus. Den gleichen Plan verfolgen wir auch in Europa”, sagte Armstrong, dessen Unternehmen allerdings schon lange nicht mehr zu den Wachstumsunternehmen zählt. Im November ist die Reichweite von AOL in den Vereinigten Staaten unter die Marke von 100 Millionen Nutzern gefallen. Anfang des Jahres waren es noch fast 110 Millionen Nutzer. 

Zu den schnell wachsenden Medienseiten gehört auch Betawave, ein Netzwerk, das sich auf Jugendliche und Mütter als Zielgruppen spezialisiert hat. Betawave will den Werbekunden keine Klicks verkaufen, sondern Aufmerksamkeit der Kunden. Das Unternehmen zog erstmals die Aufmerksamkeit auf sich, als Matt Freeman, damals Chef der großen Werbeagentur Tribal DDB Worldwide, zu Betawave wechselte. „Die Werbekunden fragen immer, warum zahle ich für Reichweite, wenn ich doch die Aufmerksamkeit der Menschen möchte”, sagte Freeman damals. Betawave berechnet die Werbeleistung in Verweildauer und dem Ausmaß der Interaktion mit der Marke. Das Unternehmen erreicht nach eigenen Angaben inzwischen 32 Millionen Menschen, vor allem in den Vereinigten Staaten. Einen zweistelligen Millionenbetrag haben die Risikokapitalgeber inzwischen in Betawave investiert. Zu den Aufsteigern gehört auch Netshelter. Das Netzwerk verbindet 150 Medien, die sich auf die Berichterstattung zum Thema Technologie spezialisiert haben, und hat seine Reichweite in den Vereinigten Staaten in diesem Jahr um 60 Prozent erhöht. In aller Welt hat Netshelter im Oktober die Marke von 100 Millionen Nutzern übersprungen, was bisher nur wenigen Internetunternehmen gelungen ist. 

Die Internetseite mit dem größten, in Millionen Nutzer gemessenen Zuwachs ist 2009 abermals Facebook. Zwischen Januar und November legte die Reichweite des sozialen Netzwerkes in den Vereinigten Staaten um 45 Millionen oder 80 Prozent auf 102 Millionen Nutzer zu. In Deutschland gehört Facebook mit einem Zuwachs von 6,2 Millionen Nutzern oder 199 Prozent ebenfalls zur Spitzengruppe. In den Vereinigten Staaten hatte Facebook schon 2008 die Wachstumsrangliste angeführt und Google/Youtube abgelöst, den Sieger der Jahre 2006 und 2007. Google hat es 2009 immerhin auf Rang zwei geschafft. Den drittgrößten Sprung (in absoluten Zuwächsen) und den prozentual stärksten Zuwachs hat aber Twitter geschafft, obwohl die Dynamik im zweiten Halbjahr nachgelassen hat. Haben in diesem Jahr die Medienseiten das Wachstum im Internet getrieben, wird in den kommenden Jahren wahrscheinlich das mobile Internet diese Schrittmacherrolle übernehmen. Kurznachrichten auf Twitter werden bald die Zusatzinformation enthalten, wo ein Tweet geschrieben wurde. Google wird seine Dienste wie die Kartendienste Maps und Street View, die visuelle Suche Goggles und sein Handy-Betriebssystem Android miteinander verknüpfen, wofür der amerikanische Medienprofessor Jeff Jarvis gleich den Begriff der Google Synchronicity erfand. Apple hat mit dem iPhone in diesem Wachstumsmarkt ebenfalls eine starke Präsenz. Um in diesem Wettbewerb keine Zeit zu verlieren, werden sicher viele Übernahmen zu beobachten sein. Twitters Kauf des Geo-Dienstes Mixer Labs geht ebenso in diese Richtung wie Googles Interesse an Yelp.

 

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