Netzwirtschaft

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Jeff Jarvis: „Wir müssen im Journalismus radikal Neues probieren"

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Der Medienprofessor und bekennende Google-Fan ist ein radikaler Verfechter der Link-Ökonomie: Verlage sollten ihre Inhalte so gut wie möglich im Internet verteilen, um möglichst viele Leser auf ihre Seite zu locken. Google bringe Leser und sei daher ein Freund der Verlage, nicht ihr Feind. Das Bewahren ihres alten Geschäftsmodells in der neuen Internetwelt wird nicht funktionieren, warnt Jarvis.

Der amerikanische Medienprofessor und bekennende Google-Fan Jeff Jarvis ist ein radikaler Verfechter der Link-Ökonomie: Verlage sollten ihre Inhalte so gut wie möglich im Internet verteilen, um möglichst viele Leser auf ihre Seite zu locken. Google bringe Leser und sei daher ein Freund der Verlage, nicht ihr Feind. Das Bewahren ihres alten Geschäftsmodells in der neuen Internetwelt wird nicht funktionieren, warnt Jarvis im Interview am Rande der Burda-Digitalkonferenz DLD.

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Jeff Jarvis (Fotos: Andreas Müller)

Herr Jarvis, kürzlich hat auch die New York Times, bisher Vorzeigeverlag für die Link-Ökonomie, eine Zahlschranke für die Inhalte auf ihrer Internetseite angekündigt.

Ich bin nicht grundsätzlich gegen Bezahlinhalte. Aber es ist eine gefährliche und nicht unbedingt eine wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung. Aus mehreren Gründen: In Nachrichtengeschäft gibt es zu viele Wettbewerber. Eine Zeitung verliert mit einer Zahlschranke Leser und Anzeigen und ihren Stellenwert bei Google, also die Möglichkeit für die Leser, die eigenen Inhalte zu finden. Und das Modell der New York Times, nur einige Artikel im Monat freizugeben, schickt ausgerechnet die treuesten Leser weg. Das wirklich Wertvolle ist aber die enge Beziehung zu diesen Lesern. Aus diesen Beziehungen ergeben sich Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Zum Beispiel mit E-Commerce, Veranstaltungen, Bildung. Meine Befürchtung: Die Zahlschranke lässt die New York Times schrumpfen.

Werden nun trotzdem viele Zeitungen dem Beispiel der New York Times folgen?

Nein. Das Wall Street Journal und die New York Times sind etwas Besonderes. In vielen Lokalzeitungen stehen nationale Informationen, die die Menschen schon aus dem Fernsehen kennen und wofür sie nicht zahlen werden. Zahlschranken im Internet lösen die Probleme der Zeitungen nicht. Damit können sie ihr altes Geschäft nicht retten. Die Zeitungen müssen die Struktur ihres Geschäftes ändern und an ihren Kostenstrukturen arbeiten. Viele Dinge müssen effizienter erledigt werden.

Mehr Effizienz klingt noch recht harmlos?

Wir sehen in Amerika viele neue Nachrichtenorganisationen, vor allem auf lokaler Ebene. In vielen Städten oder Stadteilen etablieren sich lokale Blogs, die mit viel geringeren Kosten arbeiten als die lokalen Zeitungen. Ein Beispiel dafür ist Political.com, das mit 30 Leuten an den Start gegangen ist. Die Washington Post hat 1000 Mitarbeiter. Das Problem für die Washington Post ist also, auf die richtige Größe für das Internet zu schrumpfen und dabei profitabel zu sein. Das ist zu schmerzhaft. Also sehen wir den letzten Versuch der Old-Media-Unternehmen, ihr altes Modell in einer neuen Welt zu konservieren. Aber das wird nicht funktionieren. Das Internet hasst Ineffizienz, liebt direkte Verbindungen und reduziert Kosten brutal. Das trifft das Nachrichtengeschäft ganz direkt.

Hubert Burda hat sich bei der Eröffnung des DLD abermals über die “lousy Pennies” beschwert, die für die Verlage bleiben, während der Großteil bei Google lande. Welches Modell hat denn Erfolg?

Zum Beispiel Glam. Das Netzwerk fasst die Inhalte vieler kleinerer und mittlerer Blogs zusammen und ermöglicht ihnen, Erfolg zu haben. Das wäre auch ein Modell für Zeitungen: Die Reporter, die nicht mehr fest angestellt sind, könnten Blogs schreiben, die in ein Zeitungsnetzwerk eingebunden und gemeinsam vermarktet werden. Der Journalist wäre dann ein Gründer. Das wäre ein Modell, das man ausprobieren muss. Wir müssen im Journalismus radikal Neues probieren. Der Wandel ist jedoch intern kaum zu schaffen,  wie ich aus meiner Erfahrung sagen kann. Deshalb rate ich Medienhäusern, Start-ups außerhalb zu generieren. Intern sind die Widerstände zu groß.

Journalisten sollen gute Geschichten schreiben, auf Twitter und Facebook selbst für die Verbreitung sorgen, ihre eigenen Untenehmen gründen und am besten auch noch programmieren können. Ist dieses Berufsbild realistisch?

Nun, der technische Fortschritt hilft ihnen dabei. Zum Beispiel hat die Flip-Kamera den Journalisten eine sehr einfache Möglichkeit gegeben, eigene Videos zu drehen. Man kann vieles erlernen.

In Amerika haben sich sogenannte Content-Farmen wie Demand Media und Answers.com etabliert, die sehr viele Inhalte so billig wie möglich produzieren. Wie wirkt sich diese Art der Inhalteproduktion auf das Nachrichtengeschäft aus?

Das Modell hat viele Faceetten. Auf der guten Seite: Senkung der Produktionskosten für Inhalte und bessere Ausrichtung an den wirklich nachgefragten Inhalten. Auf der schlechten Seite: Wovon werden die Autoren bezahlt?

Wo liegt künftig die Wertschöpfung, wenn Content-Farmen zu sehr geringen Kosten Inhalte produzieren?

Es gibt zwei Arten der Wertschöpfung: den Inhalt zu erstellen und die Inhalte zu filtern. Das Angebot an Inhalten im Internet wächst sehr schnell. Die Herausforderung besteht daher darin, die guten Inhalte zu finden. In aller Welt überbordender Inhalte verlagert sich die Wertschöpfung also zu Demjenigen, der die Nachrichten filtern, die guten Inhalte finden und in einen Kontext einordnen kann.

Wer wird das Filtern übernehmen? Menschen oder Maschinen?

Sie haben andere Menschen, deren Informationen Sie vertrauen, als ich. Es gibt keine Nachrichtenseite mehr, die für alle passt. Marissa Mayer von Google spricht von einem hyper-personalisiertem Nachrichtenstrom, der von Maschinen produziert wird. Ich glaube aber, es wird eine Kombination aus Algorithmen und Menschen geben, die Nachrichten bewerten und individuell zuschneiden.

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Sie sagen, Google sei ein Freund der Verlage. Deutsche Verlage haben sich aber gerade beim Kartellamt über Google beschwert.

Das Verhalten der deutschen Verleger ist bedauerlich. Sie möchten jemanden die Schuld an ihren eigenen Problemen geben. Google sendet ihnen Leser und sie wissen nicht, was sie damit anfangen sollen. Es ist doch nicht die Aufgabe von Google, mit diesen Lesern Geld zu verdienen; es ist die Aufgabe der Verlage. Dieses Verhalten wird kein Problem lösen und den Verlagen langfristig schaden.

Werden die amerikanischen Verleger ähnliches tun?

Nein, dazu sind sie zu schlau. Sie wissen: Je mehr sie sich aus dem Internet zurückziehe­n, desto mehr Gelegenheiten schaffen sie neuen Nachrichtenorganisationen, ihren Platz einzunehmen. Jede Tag entstehen diese neuen Nachrichtenorganisationen. Entweder auf lokaler Ebene oder hochspezialisiert wie Techcrunch.

Wie sollten lokale Zeitungen mit den neuen Nachrichtenorganisationen umgehen?

Sie sollten kooperieren. Die Zeitungen können Leser zu den Blogs leiten, ihre Inhalte dort präsentieren und dann Werbung dort verkaufen. Im Gegenzug bringt das lokale Blog neue, meist junge Leser zur Zeitung.

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Tägliche Infos zur Netzökonomie:

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49 Lesermeinungen

  1. <p>Qualitativ hochwertige...
    Qualitativ hochwertige Inhalte werde in der Zukunft gebührenplfichtig. Ob nun von Zeitungen oder technischen Informationsportalen. WEB 3.0

  2. tim sagt:

    " Das wäre auch ein Modell...
    ” Das wäre auch ein Modell für Zeitungen: Die Reporter, die nicht mehr fest angestellt sind, könnten Blogs schreiben, die in ein Zeitungsnetzwerk eingebunden und gemeinsam vermarktet werden. Der Journalist wäre dann ein Gründer.” Dazu gibt es auch in Deutschland schon gute Blog-Konzepte von Journalisten! z.B. magda.de und mucbook.de

  3. Querdenk sagt:

    Während Jeff Jarvis: „Wir...
    Während Jeff Jarvis: „Wir müssen im Journalismus radikal Neues probieren”
    sich Zukunftsvisionen hingibt, gab sich Frank Schirrmacher seiner
    Google-Bookle-Schriftstellerei-Sucht dermaßen hin, dass er nach eigenem
    Eingeständnis psychisch völlig zerfahren kurz davor war, ein Fall für den
    Psychotherapeuten zu werden.
    Statt im Journalismus radikal was Neues auszuprobieren, gibt sich
    die FAZ in diversen Kommentar-Verfügungssites (u.a. Dasletztewort von
    Joachim Jahn) der besonders radikalen Net-Pressezensur der effizienten
    Gegenmeinungs-Unterdrückungs-Press-Kultur hin.
    Um die schriftlich-digitalen Meinungs-Kundgebungen so für eigene
    Geistesprodukte abfischen zu können unter der Austricksung des
    Urheberrechts durch die Verwendung fremden geistigen Eigentums wegen
    des Daniederliegens eigenen Einfallsreichtums etwa ?

  4. Gerd Sparen sagt:

    "Deshalb rate ich...
    “Deshalb rate ich Medienhäusern, Start-ups außerhalb zu generieren. Intern sind die Widerstände zu groß.” – Nun, die Medienhäuser machen das doch schon ganz gut. Sie setzen in rauhen Mengen Angestellte frei. Nur vergessen sie, ihnen zu sagen, dass sie jetzt Start-ups sind.

  5. lieber wolf! freue mich immer...
    lieber wolf! freue mich immer über deine ausführungen .jounalismus muß frei bleiben!!!da ich mit lesungen gegen gewalt und krieg unterwegs bin, weiß ich ,wovon du redest! in persien werden journalisten hingeschlachtet. hier brauchte es mehr informationen und gespräche! suchmaschinen bringen zu wenig!grüße aus dem verschneiten bayern! inifrau

  6. Passend zum Thema möchte ich...
    Passend zum Thema möchte ich den französischen Dokumentarfilm “Wer hat Angst vor Google?” empfehlen. Der Film lässt Fans und Kritiker gleichermaßen zu Wort kommen, sodass sich am Ende jeder sein eigenen Bild machen kann, ob und inwiefern Google heute oder in der Zukunft ein Problem darstellt oder eben einfach ein hinzunehmendes Phänomen des modernen Internetzeitalters ist.

  7. Äußerst interessanter...
    Äußerst interessanter Artikel für uns. Hatten ein ähnliches Thema vor kurzem auf unserer Presse Seite behandelt. Nützliche Infos, die man durchaus auch auf seine eigenen Texte anwenden sollte.

  8. Also generell finde ich den...
    Also generell finde ich den Artikel super!
    Er trifft es auf den Punkt und macht klar, dass es nun an der Zeit ist was zu tun!
    Klasse!
    Weiter so!

  9. Herrn Jarvis stimme ich...
    Herrn Jarvis stimme ich 100%tig überein.
    Der Journalismus muss sich weiter entwickeln und mit der Zeit gehen.

  10. Mellaly sagt:

    Das Problem von Herrn Jarvis...
    Das Problem von Herrn Jarvis ist, dass er nicht das geringste Interesse an Qualität hat. Für ihn zählt ausschließlich Quantität. Seine Vorstellung eines perfekten Restaurants besteht übrigens darin, dass auf den Tischen Schälchen mit M&Ms stehen.

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