Europa hat in der alten analogen Medienwelt einen Anteil von 28 Prozent, an der neuen digitalen Medienwelt aber nur von 1,8 Prozent. Stefan Glänzer erklärt in einem Standpunkt, der am 2. März auch in der F.A.Z. erschienen ist, wie es soweit kommen konnte, dass Europa den Anschluss verpasst hat. Der erfahrene Unternehmensgründer und Investor, der zuletzt den Musikdienst Last.fm mit aufgebaut hat, prangert vor allem den fehlenden Mut an, Unternehmen zu gründen, eigene Ideen zu verfolgen und groß zu machen. Weil Unternehmen wie Google, Apple oder Microsoft fehlen, fließt auch nur sehr wenig Risikokapital in den Internet-Markt. Hier der Beitrag im Original.
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Berlin-Mitte ist heute wahrscheinlich die größte globale Fabrik, die digitale Ideen kopiert. Schockierend, dass sich selbst beim jüngsten Idealab, dem Gründerkongress der privaten Eliteuniversität WHU an der Otto Beisheim School of Management, alles ausschließlich darum drehte, welche Idee man kopieren und schnell nach Deutschland bringen könne. Den meisten deutschen Gründern fehlt der erkennbare Wille, auf Basis einer Kopie Dinge weiterzuentwickeln oder zu optimieren.
Doch das ist nicht unser einziges Problem. Es ist offensichtlich, dass es Deutschland und anderen europäischen Ländern in der digitalen Welt nicht gelingt, international so erfolgreich zu sein wie in vielen traditionellen Branchen. Was ist der Grund, dass der Marktanteil Europas in der digitalen Medienwelt lediglich 1,8 Prozent beträgt? Bei den traditionellen Medien liegt er immerhin bei 28 Prozent.
Um in der digitalen Welt Erfolg zu haben, sind fünf Dinge nötig: Gründer, Universitäten, Investoren, große Webfirmen und die Möglichkeit, erfolgreiche Firmen zu verkaufen. Alle diese Faktoren liegen im Silicon Valley auf wenigen Quadratkilometern dicht beieinander. Diese Nähe werden wir niemals herstellen können in Europa.
Bei uns existieren verschiedene Zentren. So ist etwa die Zahl der Start-ups in Berlin-Mitte beispiellos. Es gibt hier zwar auch eine recht gute Szene an Business Angels, die bereit sind, ein wenig eigenes Geld zu investieren. Was hier aber fehlt, ist der Faktor Risikokapital. Auch die Qualität der Universitäten in der deutschen Hauptstadt ist unterentwickelt – selbst wenn man nicht die Maßstäbe von Stanford oder Berkeley anwenden wollte.
London hat im East End ebenfalls eine sehr gute Start-up-Kultur. Doch Oxford und Cambridge sind einfach zu weit von London entfernt. Die britischen Risikokapitalisten gehören zwar zu den besten Europas. Doch das sind auch diejenigen, die schnell Kasse machen wollen. Hätten sie vielleicht stillgehalten, als Yahoo im Herbst 2006 das schnell wachsende, aber noch umsatzlose soziale Netzwerk Facebook für eine Milliarde Dollar kaufen wollte? Europäische Investoren hätten einen jungen Gründer wie den damals 20 Jahre alten Mark Zuckerberg massiv bearbeitet, das Unternehmen zu verkaufen. Doch in Amerika waren weder Zuckerberg noch seine Geldgeber daran interessiert. Sie sahen die Chance, eine wirklich relevante Firma aufzubauen, ein Unternehmen von echter Größe. Ein Jahr später wurde die Firma mit 15 Milliarden bewertet, und Microsoft durfte einen 1,6-Prozent-Anteil erwerben.
Zuckerbergs Denke ist auch der entscheidende Unterschied zu europäischen Gründern. Diese – das sieht und erlebt man immer wieder bei den viele Gründertreffen – wollen vor allem das schnelle Geld und denken kaum daran, wie man die Welt mit einem neuen Service verbessern könnte.
Ein bekannter Risikokapitalgeber eines großen deutschen Medienkonzerns berichtete, dass sein Unternehmen als Investor häufig lieber selbst eine Firma startet (natürlich auf Basis eines in den Amerika funktionierenden Konzeptes) und sich dazu dann “Gründer” sucht. Diese Methode, 80 Prozent für den Investor, 20 für das “Gründerteam”, gibt es vornehmlich in Deutschland. Doch wie soll dabei wirklich Disruptives entstehen? Wie kann das der Nährboden für echte Innovation sein? Gründer sollten nach den ersten Finanzierungsrunden die Mehrheit haben, und Investoren sollten sich nicht einbilden, dass sie ohne echte Gründer auskommen.
Junge Gründer brauchen Vorbilder, Mentoren und echte Frühphasenfinanzierer, so wie sie das Valley seit vielen Jahren produziert. Menschen, die selber “gegen jede Chance” große Unternehmen aufgebaut und dabei viel Geld verdient haben. Sie sind später meist sehr daran interessiert, Kapital und Wissen in die nächste Generation zu investieren. Sie verstehen, dass echte Innovation ihren Ursprung in den Köpfen einiger weniger hat, und sind bereit, das Risiko einzugehen.
Junge Gründer brauchen gute Universitäten – nicht nur wegen der innovativen Impulse durch die Forschung. Dankenswerterweise mehren sich bei uns Ansätze, technische Absolventen frühzeitig mit kaufmännischen Absolventen zusammenzubringen. Es wäre begrüßenswert, wenn dieser Austausch sich intensivieren würde, wenn mehr digitale Unternehmer/Manager an die Unis gehen und für das Abenteuer des Gründens werben. Dort, wo junge Menschen noch nicht durch das Angestellten-Dasein an den regelmäßigen monatlichen Gehaltsscheck gewöhnt sind, besteht die gute Chance, dass sie ihr Schicksal in die Hand nehmen und mit Mut ihren eigenen Ideen nachgehen.
Junge Gründer brauchen etablierte Webfirmen (und nicht nur deren vorwiegend verkaufsorientierte Niederlassungen), in denen eine starke Managementebene ausgebildet wird. Solche Leute finden regelmäßig Zugang in die Gründerszene, können die dort entstehende Kreativität in die richtigen Managementprozesse einführen, ihre Erfahrung im Umgang mit Großkunden ebenso einbringen wie ihr Wissen um die Bedeutung eines guten Personalmanagements.
Junge Gründer brauchen etablierte Unternehmen aus allen Branchen. Wenn solche Firmen nicht bereit sind, sich mit Hilfe von Übernahmen oder Zusammenschlüssen in die Zukunft einzukaufen, fehlt ein wesentlicher Bestandteil des Kreislaufes. Und an dieser Bereitschaft scheint es in Europa zu fehlen. Wie könnte es sonst sein, dass eine europäische Firma wie Last.fm mit deutsch-österreichisch-englischem Gründerteam und Sitz in London in den Jahren 2006/2007 zwar von rund zehn amerikanischen Firmen wegen eines möglichen Verkaufs kontaktiert wurde, dass aber nur eine einzige europäische (französische) Firma eine solche Frage stellte.
Europa hat kein Silicon Valley, an dem die für eine Gründerszene wichtigen Faktoren zusammenkommen. Doch warum machen wir daraus nicht eine Tugend? Warum denken wir nicht europäisch? Unsere große Chance liegt in der Internationalität. Wir sind mit dem Selbstverständnis verschiedener Kulturen aufgewachsen, und dank der Politik haben wir inzwischen eine einheitliche Währung. Wäre unter diesen Voraussetzungen eine gemischteuropäische Internetfirma denkbar? Oder bleibt das gezielte Zusammenspiel, beispielsweise von Designern aus Frankreich und Italien, Technikern aus Israel, Prozessexperten aus Deutschland, Business Development und Vertrieb aus England und Gründern aus Skandinavien, gepaart mit dem Ehrgeiz und Willen von Vertretern osteuropäischer Kulturen, für immer nur ein Traum? Gerade Berlin und London sollten für solche Ideen prädestiniert sein.
Der Weg wird gerade bereitet. Business Angels wie etwa Christophe Meire (Gründer von Gate5), Michael Brehm (Co-Gründer studiVZ), Klaus Hommels, Lukasz Gadowski (Gründer von Spreadshirt) sind europaweit unterwegs. Aus London heraus arbeitet beispielsweise Seedcamp. Business Angels, Venture-Kapitalisten, Gründer und Berater sind hier zusammengekommen und veranstalten europaweit Mini-Seedcamps, bei denen junge Teams ihre Ideen vorstellen und sogleich Feedback und Mentoring bekommen. Doch auch solche Gelegenheiten bieten sich nur dem, der Mut hat. Und Mut ist es, was wir eigentlich brauchen. Mut zur originären Kreativität, zur wirklichen Innovation. Den Mut, groß zu denken. Den Mut zur ersten Finanzierung. Den Mut zur 100-Prozent-Motivation. Den Mut, nicht das schnelle Geld zu jagen, sondern die Welt verbessern zu helfen. Den Mut gestandener Digitalmanager, ihr Knowhow für Gründer einzusetzen. Den Mut, Risikokapital bereitzustellen. Den Mut, trotz Versuchungen durchzuhalten, und den Mut etablierter Firmen, sich an neuem Geschäft zu beteiligen.
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Gute, aber auch traurige...
Gute, aber auch traurige Einsichten… Bis auf wahre Ingenieursleistungen (im Auftrag mutiger ausländischer Investoren/Auftraggeber) wird sich der deutsche Beitrag für den Fortschritt im 21. Jahrhundert wohl im überschaubaren Rahmen halten…
Ich finde es merkwürdig, dass...
Ich finde es merkwürdig, dass man es schockierend findet, dass Gründer Ideen aus Amerika nach Deutschland holen wollen und dann in einen 1:1 Klon wie dailydeal.de investiert
Die Ausführungen kann ich nur...
Die Ausführungen kann ich nur unterschreiben habe in direktem Umfeld gerade erfahren müssen, dass einige vielversprechende Gründungen sowohl an fehlender Finanzierung als auch am fehlenden Mut der Unternehmer gescheitert sind.
Kopieren ist nicht...
Kopieren ist nicht schockierend! Das beste Beispiel ist der chinesische Internet-Konzern Baidu, dem es bis jetzt gut gelungen ist, Google in seinem Land klein zu halten.
Was ist daran falsch? Ich habe als Gründer und Vorstand des Markt&Technik Verlages erfahren (ich lebe seit 12 Jahren in USA) dass Business – insbesondere wenn man mit Amerikanern zu tun hat – Krieg ist. Baidu führt auch Krieg mit Google.
Ja, um zu gewinnen wird in Amerika nicht immer sportlich gekämpft, sondern oft Krieg geführt! Mit allen Mitteln. Wer mit Amerikanern im Wettbewerb steht, benötigt deswegen eine gesunde Portion “kriegerischer” Energie, um zu gewinnen.
Ich sehe heute aus amerikanischer Sicht viele gute Internet-Technologien, die aus Deutschland kommt. Oft besser als das was in Silicon Valley produziert wird. Wir Deutschen sind gründlicher, intelligenter und strebsamer, das zahlt sich auch im Technologieerfinden aus. Wenige wissen, dass viele geniale Erfinder in Silicon Valley Ausländer sind.
Sie haben recht, es fehlt der Mut in deutschen Finanzkreisen, wenn eine Sache in Deutschland gut läuft, wo man vielleicht 5 Mio angefasst hat, für eine Expansion in den USA 50 Mio anzufassen, um dort erfolgreich zu werden. Aber nur so gehts.
Eine europäische Zusammenarbeit kann da sicher mehr bewegen.
Noch etwas fehlt: Mut zum Fehler machen.
Unsere deutsche Kultur stempelt jeden, der Fehler begeht, als Versager. Insbesondere die Medien schreiben genüsslich über jeden Fehlgriff eines Gründers oder Managers.
Das ist tödlich in einer digitalen Welt.
Fehler muss man erfahren, ausprobieren und daraus lernen, um zur richtigen Lösung zu finden, die Erfolg hat. Diesen Mechanismus beherrschen die Amerikaner aus dem eff eff. Schon im Kindergarten lernt man: Don’t hurt my feelings”. Ob deutsche Journalisten dies lernen können?
Deswegen, was junge Gründer brauchen, sind Mentoren, die Fehler begrüssen und zur besseren Lösung animieren können. Mentoren, die Gründer durch schwere Zeiten bringen, wenn sie angegriffen werden.
Warum nicht, lieber Stefan Glänzer eine Online-Mentoren-Community für Gründer ins Leben rufen?
Die Community könnte an allen Stellen wirken, die Sie als “fünf Dinge zum digitalen Erfolg” genannt haben. Ich wäre mit dabei.
Gruß aus California
Otmar Cürten (früher als Otmar Weber bekannt)
keshoo.com
...perfekt auf den Punkt...
…perfekt auf den Punkt gebracht…
Toller Artikel und trifft auch...
Toller Artikel und trifft auch meine eigenen Erfahrungen. Also nicht nur diskutieren, sondern ändern. Ich bin gerne der erste Teilnehmer der “Online-Mentoren-Community” von Otmar Cürten…
Die Copycat-Diskussion ist ein...
Die Copycat-Diskussion ist ein alter Hut. Lassen Sie uns das bitte so nicht diskutieren. Es ist für die Ausgangsfrage nicht wichtig. Wichtig ist, ob es wirklich innovative Nicht-Copycats gibt, die das Zeug dazu haben, Marktführer zu werden.
In diesem Zusammenhang noch zwei Anmerkungen:
1. Zum ganzen Komplex gehört auch der Umgang mit ausländischen Knowhowträgern. Stichwort reicht von Einwanderungspolitik bis Akzeptanz.
2. Zum Thema “Mut”, das S.G. oben anspricht, noch das Beispiel Semantic Search. Ich höre hier öfter, das sei zu spät. Ist es wohl inzwischen auch. Aber warum startet dann mit kngine.com ausgerechnet ein Startup in Kairo eine beachtliche Suchmaschine? Während hier die Reanimation von fireball nicht gelingt, das 2002 immerhin 22% Marktanteil hatte, infoseek stirbt, keiner metager kennt etc.? Auf diesem Gebiet wird in D gute Forschungsarbeit gemacht, aber grössere und gut durchfinanzierte Startups, wo sind sie?
@Stephan, @Max: Vielen...
@Stephan, @Max: Vielen Dank
@Robert: Ja, da gebe ich Dir recht, das ist auf den ersten Blick merkwuerdig, dass ich in http://www.dailydeal.de investiert habe. Aber so wie ich die beiden Brueder kennengelernt haben, die Energie, diese Passion, da konnte ich nicht anders, die musste ich unterstuetzen. Ausserdem traue ich ihnen eine gewisse Portion ‘Kaizen’ zu. Mal ganz davon ab dass ich seit p2p Marktplaetzen kein so bestechendes Business Modell mehr gesehen habe.
@Ottmar – agree, hab ich vergessen, der Mut zum fehler machen gehoert wesentlich dazu.
Generell: Mir ist bewusst dass zur Innovation auch immer Kopieren gehoert und viele gute Sachen wie zB Metro heute sind nichts anderes als Kopien (Cash&Carry). Ich moechte nur nicht ausschliessen, dass echte Innovation im Schumpeterschen Sinne (kreative Zerstoerung) nicht ganz unter den Tisch faellt.
Sehr guter Artikel...hat mich...
Sehr guter Artikel…hat mich irgendwie berührt…vielleicht kriegen wir´s ja auch irgendwann mal mit ein bissel mehr Flexibilität umgesetzt…die Hoffnung stirbt zuletzt
Wo ich schon dabei bin -...
Wo ich schon dabei bin – dieser Absatz ist dem Print-Platzmangel zum Opfer gefallen. Wie schoen dass es Platzmangel nicht wirklich gibt in der digitalen Realitaet:
“Oder liegt es vielleicht daran, dass Deutsche und Europäer sich zunehmend seltener über ihre Arbeit definieren und mehr als die Amerikaner nach der ausgeglichen Work-Life-Balance suchen?
Nein, in amerikanischen Startups wird nicht härter gearbeitet als hier. Und ein gutes Gründerteam schafft es hier wie dort, echte 100% Motivation bei allen Mitarbeitern zu schaffen. Dann macht es einfach Spaß an einem großen Ganzen zu arbeiten und alles dafür zu geben. In einem solchen Klima erleben alle die wahrscheinlich schönste (Arbeits-) Zeit ihres Lebens und selbst in Deutschland spricht dabei niemand von Ausbeutung.”