Für Zündstoff war reichlich gesorgt, als Twitter seine externen Entwickler zu seiner erstmalig stattfindenden Konferenz „Chirp” nach San Francisco eingeladen hat. Denn Twitter hatte sich kurz vor der Konferenz mitten hinein in das Geschäftsfeld seiner Entwickler begeben und ihnen damit direkt Konkurrenz gemacht. Twitter hatte nämlich seine eigene Applikation für den Blackberry herausgebracht und auch den Entwickler Atebits gekauft, dessen populäres Twitter-Programm Tweetie in „Twitter für iPhone” umgetauft und dann begonnen, die bislang kostenpflichtige Anwendung zu verschenken. Kurz zuvor hatte Twitter-Investor Fred Wilson in einem Blogbeitrag angekündigt, dass Twitter einige Basisfunktionen künftig selbst anbieten könnte. Einen eigenen Linkverkürzer wird Twitter ebenfalls in Kürze anbieten.
In den Augen vieler Entwickler hatte Twitter damit eine Kehrtwende in seiner bisherigen Strategie eingeleitet. Der Kurznachrichtendienst versteht sich nämlich als Plattform, die anderen Entwicklern nahezu alle Daten zur Verfügung stellt, die damit eigene Applikationen bauen. Bekannte Applikationen sind der Bilderdienst Twitpic, der Linkverkürzer Bit.ly oder Tweetdeck, das viele erfahrene Twitterer lieber als die Twitter-Internetseite als tägliche Informationszentrale nutzen. Mehr als 100.000 Applikationen haben Entwickler in aller Welt auf Basis der Twitter-Daten programmiert. 60 Prozent aller Tweets werden in diesen externen Applikationen geschrieben und 75 Prozent der Nutzerzugriffe werden von den Applikationen beigesteuert, gab Twitter-Mitgründer Evan Williams auf der Konferenz bekannt.
Die Entwickler haben also wesentlich zum schnellen Wachstum von Twitter beigetragen und fühlten sich von den jüngsten Schritten vom eigenen Plattform-Betreiber bedroht. Ihre Angst: Twitter fühlt sich nun groß genug und braucht die Hilfe der externen Entwickler nicht mehr. Eigene Applikationen könnten Twitter mehr Besucher zuführen und das Geldverdienen erleichtern – allerdings auf Kosten der externen Entwickler.
Umso eifriger mussten die Twitter-Gründer Biz Stone und Evan Williams sowie ihr Plattform-Chef Ryan Sarver versichern, wie wichtig ihnen das Wohlwollen der Entwickler ist. Zum Beweis hatten sie gleich mehrere neue Produkte im Gepäck, die den Entwicklern das Leben erleichtern und neue Applikationen möglich machen. Zum Beispiel die User Streams, mit denen Twitter seinen Entwicklern einen Herzenswunsch erfüllt, nämlich den unlimitierten Echtzeit-Zugriff auf die Tweets. Bisher mussten die Applikationen die Tweets oder Retweets bei Twitter „abholen”, indem die Applikationen automatisiert bei Twitter abfragen, ob neue Tweets vorliegen. Zwar werden drei Milliarden Abfragen täglich an Twitter gestellt, doch die Zahl ist für jede einzelne Applikationen begrenzt. Deshalb tauchen die Tweets fast immer mit einer Zeitverzögerung in den Applikationen wie Tweetdeck auf – in einem Echtzeitmedium ein nicht zu unterschätzender Nachteil gegenüber der Twitter-Internetseite. Diesen Nachteil soll es bald nicht mehr geben. „Kein Tempolimit, kein Warten, kein Abholen mehr”, sagte Ryan Sarver, denn die neue Technik soll die Tweets künftig direkt und ohne Zeitverzögerung von Twitter zu den Applikationen transportieren.
Doch Twitter hatte für seine aufgeregten Entwickler noch mehr im Gepäck. Künftig sollen die Entwickler den Tweets weitere Daten anhängen können, zum Beispiel über den Ort, an dem der Tweet geschrieben wurde. „Diese Annotationen sind bei weitem das Interessante von Twitter auf der Chirp-Konferenz. Darüber werden wir noch Jahre reden”, twitterte Robert Scoble, einer der bekanntesten Technik-Blogger in den Vereinigten Staaten. Twitter will allerdings keine Vorgaben machen, welche Daten angehängt werden, sondern die Wahl den Entwicklern überlassen.
Twitter gab auf der Konferenz auch weitere Details seiner schon vorher angekündigten @Anywhere-Strategie bekannt, die – ähnlich wie Facebook Connect – Funktionen auf viele Internetseiten verteilen kann. Seitenbetreiber können Twitter-Boxen leicht integrieren, was Inhalte des Kurznachrichtendienstes auf vielen Seiten im Web auftauchen lassen könnte.
Twitter kündigte auf der Konferenz auch die Funktion „Places” an, die ebenfalls Tweets mit dem Ort verknüpft. Vermutungen, Twitter wolle mit dieser Funktion die ortsbezogenen Dienste Foursquare oder Gowalla angreifen, wies Williams zurück. „Wir duplizieren nicht die Funktionen von Foursquare oder Gowalla. Wenn jemand über einen Ort twittert, ist das zwar eine Art des Eincheckens, aber wir sind mehr am Inhalte über den Ort interessiert”, sagte Williams. Auf Foursquare und Gowalla teilen die Nutzer ihren Freunden ihren Aufenthaltsort mit, indem sie dort „einchecken” und Informationen über diesen Ort hinterlassen.
Williams gab auf der Konferenz auch Zahlen zur Größe von Twitter bekannt. Die bisher bekannten Nutzungszahlen der Seite Twitter.com sagen wenig über die Gesamtnutzung aus, da 75 Prozent der Nutzung in den Applikationen stattfindet. Auf Twitter haben sich nach Angaben von Williams bisher 106 Millionen Menschen registriert. Twitter.com habe 180 Millionen Besucher im Monat, was Rang 11 in der Weltrangliste der Internetseiten bedeutet würde. 300.000 Nutzer registrieren sich täglich neu.
Watch live video from Twitter Chirp Conference on Justin.tv
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Hallo,
wer Twitter selbst...
Hallo,
wer Twitter selbst nutzt, wird festgestellt haben, dass wichtige Kennzahlen (Zuwachs der aktiven User, Klickrate, RT-Rate usw.) zumindest in Deutschland eher stagnieren. Einfach ausgedrückt, twittern immer mehr Leute aneinander vorbei…
Um Twitter insbesondere für nicht businessorientierte Nutzer interessant zu halten, müssen `feste´ Beziehungen zwischen den Nutzern hergestellt werden. Eine ist die beschriebene regionale Beziehung, eine andere wäre z.B. die Einführung von Themengruppen.
Grüße
Gretus
@Gretus:
Ich habe aber, wie...
@Gretus:
Ich habe aber, wie die allermeisten Twitter-Nutzer, nicht das geringste Interesse daran, mir irgendwelche vorgefertigten “festen” Beziehungen zu anderen Nutzern aufdrücken zu lassen, die ich mir nicht selbst ausgesucht habe. Das widerspricht völlig dem Funktionsprinzip von Twitter.
Gretus hat tendenziell Recht...
Gretus hat tendenziell Recht – wobei viele User eben auch keine aktiven Nutzer, oder nur zu Beginn frequent sind, eben weil es gar teilweise garnicht um die Möglichkeiten oder die sinnvolle Anwendung Twitters geht, sondern nur um die einfache Teilnahme daran weil “andere auch dabei sind”. Analog zu Newsletterangeboten bei denen man sich eintragen kann, die aber niemals versandt werden.
Wenn beim Twitter-Angebot dann kein User-Nutzen vorliegt ist ein solches Angebot natürlich so sinnvoll wie eine reine, ungepflegte, informationsleere Visitenkarte einer Firma im Netz, und es gibt dann folgerichtig auch kein Wachstum, geschweige denn Erweiterungen der Dienste, oder die Nachfrage danach.
Hallo Lars,
ohne beschriebene...
Hallo Lars,
ohne beschriebene `Einstiegshilfen´ werden immer mehr normale User die Lust am twittern verlieren. Der eigentliche Sinn von Twitter, nämlich die gemeinschaftliche Filterung von aktuellen Nachrichten, wir einem User mit 20 Followern bzw. Freunden nur schwer ersichtlich.
Auch im realen Leben gibt es `Einstiegshilfen´ (Dorfkneipe, Disco usw.) mit denen man leichter und damit, wenn man denn möchte, Kontakte knüpfen kann. Warum wollen immer alle diese Strukturen aufgeben und im Internet ganz allein unterwegs sein?
Grüße
Gretus
Hallo! ich finde, man muss...
Hallo! ich finde, man muss sich nur die 10 größten deutschen Tageszeitungen ansehen und es gibt auf jeder einen Facebook und Twitter Link. Somit wurde Twitter unglaublich bekannt gemacht und dieser Bekanntheit folgen jetzt nach und nach die Nutzer nach. Das finde ich super, denn Twitter ist ein geniales Produkt. lg Sebastian
Über Twitter werden...
Über Twitter werden mittlerweile mehr als 50 Millionen Nachrichten pro Tag ausgetauscht. Die Tendenz ist weiter stark steigend.