Netzwirtschaft

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Google weicht von der Netzneutralität ab

| 4 Lesermeinungen

Ein Bericht in der New York Times hat für Aufregung gesorgt. Danach soll Google kurz vor dem Abschluss einer Vereinbarung mit Verizon stehen, Google-Daten (gegen Bezahlung) bevorzugt durch das Netz zu transportieren. Viele Berichte sahen schon das Ende der Netzneutralität gekommen. Nun dementiert Google den Bericht.

Die Vorbemerkung zur Geschichte: 

Das Internet ist die zentrale Infrastruktur der Informationsgesellschaft. Bildung, Information, Unterhaltung, aber auch Politik und die öffentliche Verwaltung verlagern sich immer mehr ins Netz. Die Netzneutralität ist bisher ein Garant für wirtschaftliche Entwicklung und Freiheit im Internet gewesen. Der Wettbewerb funktioniert prächtig; entsprechend hoch ist die Innovationskraft. Wenn jetzt die Telekomunternehmen als Betreiber der Netze den Grundsatz der Netzneutralität in Frage stellen und sogar Google in ihr Lager ziehen, ist höchste Vorsicht geboten. Dann könnte eine Allianz zahlungskräftiger Internetfirmen und Netzbetreiber den Wettbewerb und die Innovation schnell zu ihren Gunsten aushebeln. Sicher sollte es Möglichkeiten geben, zeitkritische Daten wie die Videotelefonie bevorzugt am Stau im Netz vorbeizuleiten, während die E-Mail auch mal drei Sekunden später ankommen darf. Ausnahmen müssen erlaubt sein, damit die Angebote funktionieren. Doch die Grenze zur Wettbewerbsverzerrung ist schnell überschritten. Ist es im Sinne des Wettbewerbs, wenn es schnelle Suchergebnisse künftig nur von Google gibt, weil das Unternehmen für den schnellen Datentransport zahlt – und das möglicherweise sogar nur bei einem Netzbetreiber? Jede Abkehr von der Netzneutralität birgt die Gefahr, das Internet zu schädigen, und sollte sehr gut überlegt sein. Die Formel “Grundversorgung für alle, High-Speed für die großen Konzerne” ist zu einfach, weil sie den Wettbewerb nicht schützt.  

Die Vorgeschichte: 

Ein Bericht in der New York Times sorgt für Aufregung. Danach soll Google kurz vor dem Abschluss einer Vereinbarung mit Verizon stehen, Google-Daten (gegen Bezahlung) bevorzugt durch das Netz zu transportieren. Viele Berichte sahen schon das Ende der Netzneutralität gekommen. Google hat nun ein kurzes Statement dazu abgegeben:

“The New York Times is quite simply wrong. We have not had any conversations with Verizon about paying for carriage of Google traffic. We remain as committed as we always have been to an open Internet.”

Google dementiert also, für den Transport von Google-Traffic zu bezahlen und bekennt sich zum offenen Internet. Dazu passen auch die jüngste Aussagen von Google-Chef Eric Schmidt, die er auch schon in Barcelona getroffen hat. Google möchte, dass eine Datenkategorie immer gleich behandelt wird. Zum Beispiel sollen Videos – egal von welchem Anbieter – immer gleich schnell transportiert werden, damit nicht der Netzbetreiber den Ausschlag im Wettbewerb gibt.

Auch Verizon widerspricht dem Artikel:

“The NYT article regarding conversations between Google and Verizon is mistaken.  It fundamentally misunderstands our purpose. As we said in our earlier FCC filing, our goal is an Internet policy framework that ensures openness and accountability, andincorporates specific FCC authority, while maintaining investment and innovation. To suggest this is a business arrangement between our companies is entirely incorrect. “

Völlige Klarheit bringen beide Aussagen indes nicht. Der Deal könnte darauf hinauslaufen, dass Googles Traffic (vor allem Youtube-Videos) im stationären Internet weiterhin ungebremst transportiert wird, während in den mobilen Netzen, in denen die Übertragungskapazität begrenzt ist, Videos von Verizon gebremst werden können. Sollte Google aber dafür zahlen, dass seine Videos schneller als andere Videos transportiert werden, wäre die Netzneutralität dahin. Sollte Google dafür zahlen, dass alle Videos aller Anbieter weiterhin schnell transportiert werden, wäre dies noch vereinbar mit der Netzneutralität im weiteren Sinn.  

Die Geschichte: 

Inzwischen ist die Vereinbarung zwischen Google und Verizon veröffentlicht. Es handelt es sich um einen Vorschlag für die künftige Regelung der Netzneutralität, nicht um einen Vertrag zwischen den beiden Unternehmen. Danach wollen die beiden Unternehmen zwar das offene Internet beibehalten, aber auch die Möglichkeit schaffen, bezahlte Zusatzdienste einzuführen. Die FCC soll darüber wachen, dass der Zugang zum Netz weiterhin offen bleibt. Das gilt aber nur für das Festnetz. Im Mobilfunk, in dem die Konkurrenz um die knappen Kapazitäten besonders groß ist, sollen die Anbieter lediglich darüber informieren, wenn sie Daten priorisieren. Die Vereinbarung zwischen Google und Verizon ist nur ein Vorschlag an die FCC, die seit Monaten ebenfalls in Gesprächen mit Internetunternehmen und Telekommunikationsunternehmen um einen Kompromiss ringt, aber bisher keine gemeinsame Linie gefunden hat. Die Behörde zeigte sich in einer ersten Reaktion kritisch. “Einige werden nun behaupten, diese Ankündigung werde die Diskussion weiterbringen. Das ist eine ihrer vielen Probleme. Es ist Zeit, dass eine Entscheidung getroffen wird, welche die Autorität der FCC über Breitband-Anbieter hervorhebt, die das freie Internet jetzt und für immer garantiert und die Interessen der Verbraucher vor die Interessen gigantischer Unternehmen stellt”, sagte Michael Copps, der Chef der FCC. Matthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, warnte in einem Interview daher vor einer Diskriminierung von Inhalten. „Ich halte es für bedenklich oder sogar für unzulässig nach dem jetzigen Recht, wenn bestimmte Inhalte diskriminiert werden. Unternehmen wie Google oder Youtube, die viel Verkehr im Netz produzieren, müssen genauso behandelt werden wie jeder andere Dienst auch”, sagte Kurth dem Deutschlandradio Kultur.

Der Hintergrund der Geschichte: 

Die Debatte um die Netzneutralität berührt eine Grundsatzfrage im Internet: Sollen alle Daten im Internet gleich behandelt werden, oder dürfen Daten bevorzugt, schneller oder möglicherweise gar nicht transportiert werden? Und wenn ja, wer darf das entscheiden? Netzbetreiber wie die Deutsche Telekom reklamieren dieses Recht für sich – mit der Begründung, dass sie die Netze schließlich gebaut hätten. Netzpolitiker und wohl auch die meisten Internetunternehmen wollen dagegen die Netzneutralität am liebsten gesetzlich garantiert sehen. Denn nur wenn alle Daten gleich schnell und ohne Diskriminierung zum Nutzer transportiert werden, seien faire Wettbewerbsbedingungen garantiert und damit technischer Fortschritt möglich.

Die Befürworter haben mit der EU-Kommission einen wichtigen Verbündeten. Sie möchte die Netzneutralität gerne gesetzlich festschreiben, doch die Mitgliedsländer sollen diese wichtige Frage nun selbst entscheiden. Viele Lobbyisten sind nun am Werk, um die gesetzliche Festschreibung doch noch zu verhindern. Die Zeit drängt, denn gegen die Netzneutralität wird bereits täglich verstoßen. Die Netzbetreiber können heute in den Datenverkehr hereinschauen, den Datenpaketen Prioritäten zuweisen und unliebsame Anwendungen ganz verbieten (siehe Deep Packet Inspection: Verlockender Blick ins Datenpaket). Und von diesen Möglichkeiten machen sie ausgiebig Gebrauch. Wenn Mobilfunknetzbetreiber den Internet-Telefoniedienst Skype in ihren Netzen verbieten, weil Skype ihr Kerngeschäft bedroht, verstoßen sie gegen die Netzneutralität. Ähnlich liegt der Fall, wenn die Datenströme aus Tauschbörsen nur verzögert oder gar nicht beim Empfänger ankommen. 

In der Tat gibt es gute technische Gründe, von der ursprünglichen Idee der Gleichbehandlung abzurücken. Zeitkritische Anwendungen wie das Internet-Fernsehen oder die Internet-Telefonie haben schon heute Vorfahrt im Netz, damit das Bild nicht ruckelt und die Gespräche nicht abreißen. Dagegen ist es unerheblich, wenn eine E-Mail drei Sekunden später ankommt. Doch schon dieses einfache technische Argument birgt die Gefahr, dass die Verkehrsregelung auch den Wettbewerb ausbremsen kann. Der Netzbetreiber könnte den eigenen Internet-Telefonverkehr schneller befördern als Gespräche des Konkurrenten

Ökonomen finden ebenfalls gute Argumente für die Abkehr von der Netzneutralität. Wer eine schnellere Verbindung will, soll eben mehr zahlen. Das wäre dann vergleichbar mit einer Autobahn, auf der die linke Spur für zahlungskräftige Besitzer der Luxuslimousinen reserviert wird. Zu Ende gedacht, wäre dies der Abschied von der Flatrate. An ihre Stelle würden dann Tarife treten, die Volumen oder Übertragungstempo limitieren. Doch auch eine tempoabhängige Internet-Maut hat ihre Tücken, wenn sich mit der Mangelverwaltung voller Netze mehr Geld verdienen lässt als mit dem Ausbau der Netze. Dann fehlt der Anreiz für die Investitionen, um den Datenverkehr bewältigen zu können.

Als ob die Diskussion um die Netzneutralität noch nicht kompliziert genug wäre, ist in jüngster Zeit noch eine zweite Facette hinzugekommen. Die Netzbetreiber fürchten, dass ihre Investitionen in neue Mobilfunknetze wegen des harten Wettbewerbs nicht allein von den Nutzern bezahlt werden. Deshalb fordern sie Geld von Unternehmen wie Google, die mit mobilen Anwendungen viel Geld verdienen. 

Ein weiteres Argument dagegen ist die Sicherung des Wettbewerbs im Netz. Wenn nur große Internetunternehmen genügend Geld für den bevorzugten Transport ihrer Daten zahlen können, sind die kleinen Start-Ups im Nachteil, selbst wenn sie die besseren Ideen haben. Hätte es Netzneutralität in der Vergangenheit nicht gegeben, gäbe es vielleicht Google oder Facebook nicht, weil Altavista oder MySpace bevorzugte Partner der Netzbetreiber gewesen wären. Das Innovationstempo im Internet wäre schlagartig gefährdet, da Risikokapitalgeber weniger in junge Unternehmen investieren.

Das Ende der Geschichte: 

Schwer zu sagen. Sollten Google und Verizon mit ihrem Vorschlag Erfolg haben, würde sich das Internet verändern. Es käme zu unzähligen Verträgen zwischen Internetunternehmen und Netzbetreibern, wer welche Daten wie schnell transportiert. Davon profitieren in erster Linie die Netzbetreiber, vielleicht auch die großen Internetunternehmen. Ganz sicher nicht die kleinen, jungen Unternehmen und wahrscheinlich auch nicht die Nutzer. Und das Internet als Ganzes sicher auch nicht.

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Tägliche Infos zur Netzökonomie:

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4 Lesermeinungen

  1. Uwe sagt:

    Denen von Google vertraue ich...
    Denen von Google vertraue ich mehr als allen Regierungen und “Medien” der Welt zusammen. Ich befürworte die Google-Partei!

  2. Edward sagt:

    Nein, da muss ich Uwe...
    Nein, da muss ich Uwe wiedersprechen!
    Google glaube ich so schnell schon mal gar nichts..
    Erst Recht nicht, bei so einem schlechten PR-Artikel.
    Wo ist der Link zur Quelle?
    Von wem soll diese Aussage stammen?
    Langsam, aber sicher, verliere ich den Glauben an Googles Gutartigkeit – vor allem seit Google mit dem CIA gemeinsame Schnüffel-Unternehmen gründet!

  3. Dominik sagt:

    Soweit ich das bisher...
    Soweit ich das bisher verstanden habe, scheint es aber auf eine “komische” Unterscheidung zwischen fix-line und mobile web hinauszulaufen, in der die beschriebene “Neutralität” für Kabel besteht, für das mobile web (=Zukunft) aber wohl “geregelt” werden soll. Dies bezüglich hält sich der Google-Chef Herr Schmidt ja auch in der obigen Quelle bedeckt…

  4. Jens sagt:

    <p>Es gibt durchaus auch gute...
    Es gibt durchaus auch gute Argumente für Netzneutralität aus ökonomischer Sicht. Wenn die ISPs schnelle Bandbreiten an große Unternehmen verkaufen, dann lohnt es sich evt. sogar, den Netzausbau zu verzögern. Denn wie jeder weiß, steigt bei einem geringeren Angebot der erzielbare Preis. Nachzulesen in “Net neutrality and investment incentives”, RAND Journal of Economics, Autumn2010, Vol. 41 Issue 3, p446-471, 26p. Auf die geringere Innovationsfähigkeit von Start-Ups haben bspw. auch viele Ökonomen bereits hingewiesen.

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