Netzwirtschaft

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Matthias Kurth: Wettbewerb ist der Garant für Netzneutralität

| 3 Lesermeinungen

Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur, plädiert in einem Standpunkt für die F.A.Z., dass der Wettbewerb auf dem Telekommunikationsmarkt der Garant für die Wahrung der Netzneutralität ist. Qualitätsdifferenzierungen und Netzneutralität müssen keine unversöhnlichen Gegensätze sein, solange Transparenz besteht, eine Mindestqualität für alle Nutzer und faire Wettbewerbsbedingungen gewährleistet sind.

Bild zu: Matthias Kurth: Wettbewerb ist der Garant für NetzneutralitätMatthias Kurth, der Präsident der Bundesnetzagentur, nimmt Stellung zur Netzneutralität, der vielleicht wichtigsten Debatte, die im Internet geführt wird. Es geht um die zentrale Frage, ob alle Daten gleich behandelt und transportiert werden, oder ob die Betreiber der Netze das Recht haben, Daten unterschiedlich zu behandeln. Dürfen zum Beispiel die Daten zahlungskräftiger Internetunternehmen schneller transportiert werden als die Daten eines Start-ups? Leiden Wettbewerb und Innovation, wenn die großen Unternehmen und die Netzbetreiber ein Zwei-Klassen-Internet schaffen? Ein Vorschlag von Google und Verizon, die lange gewahrte Netzneutralität in den Mobilfunknetzen aufzuweichen, hat die Diskussion auch in Deutschland in Gang gebracht, zum Beispiel mit der Gründung der Initiative Pro Netzneutralität. Matthias Kurth plädiert in seinem Gastbeitrag, der in dieser Form auch in der Printausgabe der F.A.Z. erschienen ist, für einen Weg, der Wettbewerb garantieren soll.

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Spätestens mit dem gemeinsamen Vorschlag von Google und Verizon und der Kommentierung durch die Telekom, den Breko und Kabelunternehmen hat die Debatte zur zukünftigen Behandlung der Netzneutralität auch Deutschland erreicht. Im Kern geht es bei dieser Diskussion darum, ob und inwieweit Datenpakete im Internet abhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel unterschiedlich behandelt werden dürfen. In Europa war die Diskussion verhaltener, und die EU-Kommission hat erst vor kurzem dieses Thema mit einer Konsultation aufgegriffen.

Doch warum ist die Netzneutralität jetzt überhaupt umstritten? Die Netzbetreiber sehen sich mit einem dramatisch steigenden Datenverkehr konfrontiert. Das Verkehrsvolumen im Breitbandbereich liegt in Deutschland inzwischen bei 2,6 Milliarden Gigabyte. Es wird auch weiterhin signifikant steigen. Im Festnetz ist dies auf datenintensive Anwendungen wie hochauflösendes Fernsehen (IPTV) und Videoabrufe (Video on Demand) oder auch Streaming-Dienste wie Youtube zurückzuführen; im Mobilfunk lassen Verbreitung und Nutzung von Smartphones den Verkehr rasant steigen. All dies kann zu Verkehrsstauungen führen. Die Netzbetreiber fordern vor diesem Hintergrund einen Beitrag der Inhalteanbieter zur Finanzierung des erforderlichen Netzausbaus. Zugleich erwägen sie die Einführung unterschiedlicher Verkehrsklassen. Dass die Netzbetreiber ihre Kosten für den Netzausbau decken müssen, ist offenkundig, entscheidender ist die Frage, ob und in welcher Form neben den Endkunden auch die Inhalte- oder Diensteanbieter herangezogen werden.

Solange keine Engpässe in den Netzen entstehen, kann das auf dem Netzneutralitätsprinzip basierende Internet den Verkehr ohne Qualitätseinbußen abwickeln. Durch die Zunahme von kapazitätsintensiven Diensten können aber tendenziell immer öfter Überlastsituationen im Netz auftreten. Damit wird die Qualität der Datenübertragung schlechter. Will man weiterhin hohe Qualität für einzelne Dienste anbieten, sind als Lösungen Verkehrspriorisierung oder -reservierung denkbar.

Heute bieten IP-Netze der neueren Generation genau die erforderlichen technischen Möglichkeiten, knappe Kapazität zu managen, etwa durch Einführung unterschiedlicher Verkehrsklassen. Dies ist einerseits ein Fortschritt. Öffnet man hiermit aber die Büchse der Pandora? Denn so wird auch die Möglichkeit unfairer Diskriminierungen eröffnet. Eine missbräuchliche Blockierung oder ungerechtfertigte Diskriminierung bestimmter Dienste würde zu Lasten der Verbraucher sowie einzelner Inhalte- und Diensteanbieter gehen und somit den Wettbewerb beeinträchtigen. Hier werden die Bundesnetzagentur sowie das Bundeskartellamt sehr sorgfältig darauf achten, dass es nicht zu derartigen missbräuchlichen Diskriminierungen kommt.

Doch wann liegen sie vor? Aus ökonomischer Sicht kann eine Differenzierung unter bestimmten Bedingungen durchaus wohlfahrtssteigernd sein. Sie bietet Spielräume für Innovationen oder neue Geschäftsmodelle. Auch bei Briefen und Paketen kann ein Kunde wählen, ob er eine herkömmliche oder – gegen ein höheres Entgelt – eine Expresszustellung wählt. Im Grundsatz sollte auch im Internet der Nutzer souverän entscheiden können, ob er den Standard oder eine höhere Qualität wählt oder auch welche Dienste er nutzt.

Die zentrale Herausforderung für die Bundesnetzagentur wird es daher sein, die Grenze zwischen wohlfahrtssteigernder Differenzierung und wettbewerbsbehindernder Diskriminierung zu ziehen.

Zugangsdifferenzierung in Abhängigkeit von der Zahlungsbereitschaft von Inhalte- und Diensteanbietern könnte den Wettbewerb zwischen den Netzen verringern. Vor allem würde auch das Entstehen von Diensteinnovationen an den Rändern des Netzes deutlich erschwert. Viele Dienste müssten erst eine kritische Masse erreichen, um sich durchsetzen zu können. Bislang war dieses Innovationspotential aber kennzeichnend für das Internet. Dieses Potential darf daher nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden.

Eindeutig als wettbewerbs- und verbraucherschädlich einzustufen ist in diesem Zusammenhang auch die Blockade bestimmter Dienste und Inhalte. Qualitätsdifferenzierung wird insbesondere dann problematisch, wenn ein Netzbetreiber Anreize hat, gezielt die Qualität des allgemeinen Internetzugangs zu verschlechtern, um so eine Zahlungsbereitschaft für das eigene Premium-Angebot zu wecken. Hier wird dem Aspekt der Mindestqualität im Rahmen des neuen Telekommunikationsgesetzes eine besondere Rolle zukommen.

Der beste Garant für die Gewährleistung von Netzneutralität ist aus meiner Sicht aber die Existenz ausreichenden Wettbewerbs auf der Netzebene. Wenn Kunden Wechselmöglichkeiten haben und nutzen, können bestimmte Verhaltensweisen von Netzbetreibern effektiv sanktioniert oder belohnt werden. Daher sind erweiterte Transparenz- und Informationspflichten für Unternehmen zentral, etwa darüber, ob der Zugang oder die Nutzung von Diensten und Anwendungen eingeschränkt ist. Dabei ist wichtig, dass der Betreiberwechsel problemlos und unterbrechungsfrei verläuft. Die Bundesnetzagentur setzt sich in der anstehenden Novellierung des Telekommunikationsgesetzes mit Nachdruck dafür ein, dass diese Vorschriften möglichst verbraucherfreundlich formuliert sind.

Qualitätsdifferenzierungen und Netzneutralität müssen keine unversöhnlichen Gegensätze sein, solange Transparenz besteht, eine Mindestqualität für alle Nutzer und faire Wettbewerbsbedingungen gewährleistet sind. Als Regulierer können wir einen Beitrag zur Erhaltung der Netzneutralität leisten, wenn wir Wettbewerb ermöglichen, Investitionsanreize setzen und sicherstellen, dass die Innovationskraft des Internet nicht durch schädliche Verhaltensweisen beschränkt wird.

Die jetzige Diskussion um die Netzneutralität ist eine Chance, um rechtzeitig die Vorteile und gleichzeitig die potentiellen Gefahren offen anzusprechen und klare Rahmenbedingungen zu schaffen.

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3 Lesermeinungen

  1. Wenn ich Herrn Kurth richtig...
    Wenn ich Herrn Kurth richtig verstehe, dann darf man seine Ausführungen wohl so deuten, dass er und seine Behörde Netzneutralität zwar grundsätzlich befürwortet, aber selbst nichts proaktiv zu dessen Sicherstellung unternehmen möchte – sieht man einmal von wenig praktikablen Transparenzvorgaben ab. Das Konzept, der Wettbewerb mit dem (fiktiven) Ziel möglichst hoher Netzneutralität werde es schon regeln, wird jedenfalls nicht aufgehen. Erstens ist die Koplexität der Netzneutralität für Otto-Normalverbraucher kaum greifbar, so dass der evidente aber abstrakte Zusammenhang zwischen dann vorgegebenen Diensten und der Ausdünnung von Netzinnovationen für die meisten schleichend und damit kaum sichtbar verlaufen wird. Und Zweitens ist das Missverhältnis zwischen der Anzahl an Telkos und der dann ausfasernernden Regeldichte im Bereich der Zugangsbeschränkungen der Telkos dann so hoch, dass es zu einer Quasizementierung bestehender Marktverhältnisse kommen wird. Man kann heute schon im Bereich des Mobilfunks beobachten, dass sich Vertragsbestimmungen wie das Vorschreiben des zu benutzenden Endgerätes (Handy v. Surfstick v. Tethering) schleichend etabliert, ohne dass solche Klauseln der Sache nach gerechtfertigt wären. Wie hanebüchen und willkürlich werden solche Klauseln erst werden, wenn die BNetzA die Netzneutralität de facto ganz fallen lassen wird? Es ist schon etwas naiv zu glauben einige Telkos würden dann noch die Netzneutralität als Wettbewerbsvorteil verteidigen. Vielmehr werden wir es statt mit klaren verständlichen Regelungen, mit einem Gestrüpp etwa gleich schlechter Klauseln über den Netzzutritt zu tun bekommen. Schlechtestenfalls, aber wohl am wahrscheinlichsten, wird es zu einem Mautsystem kommen, an dem jeder Diensteanbieter zunächst seinen Bakschisch an die Telkos zu entrichten hat. Wie Innovationsfreundlich muss man sich das vorstellen?

  2. Flo sagt:

    Ich kann dem Ruf nach mehr...
    Ich kann dem Ruf nach mehr Wettbewerb von Matthias Kurth nur befürworten. Dies würde dem Kunden mehr Macht geben und die Unternehmen zwingen sich an den Wünsche der Bürger zu orientieren. Inwieweit dies realistisch ist, muss mit einem großen Fragezeichen versehen werden. Die großen Internet-Konzerne wie Google haben solche monopolistischen Stellungen, dass es für den Staat äußerst schwierig wird mehr Wettbewerb zu schaffen.

  3. Horst sagt:

    Grundsätzlich sorgt das...
    Grundsätzlich sorgt das Internet alleine durch die Nutzung der User für eine Neutralität. Preisvergleiche, Bewertungen, Foren usw. artikulieren doch sehr deutlich welche Bedürfnisse das Internet bedienen soll / muß. Das es immer wieder dominante Trends geben wird, die kurzfristig die Neutralität beeinflussen halte ich im Sinne der Evolution des Internets für unausweichlich.

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