Netzwirtschaft

Medien, hört die Signale

Über Twitter laufen (fast) alle Nachrichten dieser Welt. Medien, Blogger, Unternehmen, Wissenschaftler oder Organisationen speisen ihre Informationen auf Twitter ein – in der Hoffnung, dass möglichst viele Leser auf die verbreiteten Links klicken oder zumindest die Informationen weiterleiten. Auf diese Weise können Medien ihre Nachrichten heute blitzschnell im Internet verbreiten. Was aber noch wichtiger ist: Medien können mit der Analyse der Signale aus den sozialen Medien, also zum Beispiel Retweets auf Twitter oder Likes auf Facebook, auch die Interessen ihrer Leser herausfinden. Die Analyse, welche Nachrichten empfohlen, retweetet oder kommentiert werden, zeigt Medien heute sogar in Echtzeit, was ihre Leser wirklich wollen.

Das amerikanische Marktforschungsunternehmen Socialflow hat zu diesem Zweck die Tweets der Printmedien New York Times und The Economist sowie der Nachrichtensender CNN, BBC, Fox und der englisch-sprachigen Ausgabe von Al Jazeera verfolgt und analysiert, mit welchen Themen sich 7 Millionen Follower dieser Medien in 20 Millionen Tweets beschäftigt haben. (PDF der Studie)

Ein besonders engagiertes Publikum weist nach dieser Studie die Zeitschrift Economist auf, deren Leser überdurchschnittlich häufig dem Link zurück auf die Internetseite folgen als auch die Informationen weiterleiten. Beides ist für Medienunternehmen wichtig: „Während der Klick auf den Link einen unmittelbaren Ertrag in Form von Lesern bringt, stärkt der Retweet das Vertrauen und die Bekanntheit der Medienmarke”, folgern die Socialflow-Forscher. Die Retweets spielen eine entscheidende Rolle für die Verbreitung einer Nachricht. In einer Studie hat die Forschungsabteilung von Yahoo herausgefunden, dass die Mehrzahl der Leser eines Medientweets diese Information als Retweet erhält, auf die Information also ansonsten gar nicht aufmerksam geworden wäre.

Eine große Zahl an Followern muss aber nicht zwangsläufig ein besonders hohes Engagement der Nutzer zur Folge haben. Die New York Times hat zum Beispiel die meisten Follower auf Twitter, aber im Durchschnitt klicken die wenigsten Nutzer auf ein Link oder leiten die Nachricht weiter, hat Socialflow herausgefunden.

Diese Interessen der Nutzer waren auffallend unterschiedlich. Während die Follower der New York Times besonders häufig auf Sport- und Bildungsthemen klickten, interessierten sich die Fox-Leser besonders für ein Gerichtsverfahren. Überlappende Themen waren die Ermittlungen gegen den ehemaligen IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn und eine Rede des amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Die Leser des Economist interessierten sich dagegen für ganze andere Themen wie die Weltpolitik oder den Ölpreis.

Die Nachrichten des konservativen Fernsehsenders Fox News kamen erwartungsgemäß bei einem auch konservativen Publikum gut an. Allerdings verlagerte sich die Diskussion über die Fox-Nachrichten schnell von den Themen auf ebenfalls konservative, gut vernetzte Twitterer, die ebenfalls viel Aufmerksamkeit der Fox-Follower bekamen. Diese Nutzer führten die Diskussion dann oft fort. „Das Hinzufügen eines passenden Hashtags zum richtigen Zeitpunkt bringt das Medium zurück in die Diskussion und erhöht die Sichtbarkeit eines Tweets in einem zusätzlichen Publikum”, lautet der Rat der Forscher.

Eine derart wissenschaftliche Leseranalyse könnte die Medien ein großes Stück voranbringen. „Ein Publikum besteht aus vielen Menschen, die zu jeder Zeit ganz verschiedene Diskussionen führen. Die Fähigkeit, diese Diskussionen in Echtzeit zu erkennen, schafft Möglichkeit für eine bessere Interaktion mit dem Publikum”, schreiben die Socialflow-Forscher. Während die Medien bisher eher intuitiv Vermutungen über die Interessen ihrer Leser angestellt hätten, könne mit Hilfe der Daten aus den sozialen Medien nun genau und in Echtzeit ermittelt werden, worauf die Leser geklickt haben, was sie weitergeleitet haben und was sie selbst veröffentlicht haben. „Statt simpler Messmethoden wie die Größe des Publikums und deren mögliche Interessen zu nutzen, können nun Echtzeitsignal aus dem Social Web die prominenten Diskussionsthemen identifizieren”, schreiben die Forscher. Wie wichtig diese Signale schon sein, zeigt eine aktuelle Repräsentativ-Umfrage von TNS Infratest. Danach gehören Empfehlungen ihrer Freunde und Bekannten in den sozialen Netzwerken schon für 40 Prozent der Internetnutzer in Deutschland zu den wichtigsten Online-Informationsquellen.

Quelle: TNS Infrastest

Die ersten Medien nutzen diese Art der Analyse, um mehr über ihr Publikum zu erfahren. Besonders weit ist die New York Times mit ihrem Projekt Cascade. Die Zeitung kann mit dem Instrument die Reaktionen ihrer Leser auf ihre Tweets verfolgen und die Retweets analysieren. Eine Paradebeispiel dafür war die Verbreitung der Nachricht, dass die Vereinigten Staaten Osama Bin Laden aufgespürt hatten. Der Tweet von Keith Urbahn, einem Mitarbeiter des ehemaligen amerikanischen Verteidigungsministers Donald Rumsfeld, über die Ergreifung Bin Ladens machte in gut einer Stunde die Runde im Internet – lange bevor der amerikanische Präsident die Nachricht verkünden wollte. Angefacht wurde die Verbreitung vom Brian Stelter, einem Journalisten der New York Times, der die Geschichte früh mit einem eigenen Tweet bestätigte.

Die Methode eines sozialen Nachrichtenfilters könnte mit Twitter besonders gut funktionieren, weil der Kurznachrichtendienst viele der notwendigen Informationen über Schnittstellen (API) frei zur Verfügung stellt. Das soziale Netzwerk Facebook bietet eine ähnliche Schnittstelle an und auch der neue Dienst Google+ wird wohl noch in diesem Jahr eine solche Schnittstelle zur Verfügung stellen, damit die Signale, wie häufig ein Beitrag weitergeleitet („geteilt”) oder empfohlen („+1″) auf anderen Diensten zur Verfügung stehen. Da inzwischen rund zwei Drittel aller Internetnutzer in sozialen Netzwerken unterwegs sind, kann die Analyse der Signale aller drei Netzwerke Erkenntnisse über einen großen Teil der Leserschaft bringen.

Die drei Netzwerke wissen allerdings auch selbst, dass sie auf einem Schatz an stets aktuellen Nutzerempfehlungen sitzen, den sie bisher nicht ansatzweise für die Filterung der Nachrichten einsetzen. Das könnte sich aber schon bald ändern. Nach einem Bericht das Magazins Forbes plant Facebook sogenannte Facebook Editions. Damit können die Medienseiten eigene Apps mit ihren Inhalten bauen, die dann auf Facebook angeschaut werden können. In einem ersten Schritt seien rund ein Dutzend Medienseiten am Start, heißt es. Erst einmal nicht mit dabei ist die New York Times, da die Vereinbarkeit mit der Zahlstrategie der Zeitung erst geklärt werden muss. Aus dem selben Grund gibt die Qualitätszeitung auch nicht alle Inhalte an den Nachrichtenaggregator Ongo weiter, obwohl die Zeitung daran selbst beteiligt ist. Auch Google arbeitet wohl an einem ähnlichen Plan, um die Inhalte der Nachrichtenseiten auf Google+ zu ziehen. Twitter sitzt zwar auf dem größten Schatz, weil dort Nachrichten einen weit höheren Stellenwert als auf Facebook haben, zeigt sich bisher aber technisch nicht in der Lage, daraus Kapital zu schlagen. 

Social Media und die Medien – der Einfluss von Facebook, Twitter und Google+ auf Nachrichtenströme und Medien

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