Netzwirtschaft

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Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Wie sie sich auf Menschen und Märkte auswirkt, beleuchtet das Netzwirtschaft-Blog auf FAZ.NET.

Zeitenwende im Internet

| 14 Lesermeinungen

Die Nutzer ändern ihr Verhalten im Internet rapide. Die Verweildauer in soziale Netzwerken ist innerhalb eines Jahres um 50 Prozent gestiegen, während klassische Portale und E-Mail-Dienste bei vor allem bei jungen Menschen weniger populär sind.

Im Internet tobt ein Wettbewerb der großen Plattformen um die Gunst der Nutzer. Deren Vorlieben zu treffen wird allerdings immer schwieriger, ändern sie sich doch dramatisch schnell. Wie schnell, das zeigen die Verschiebungen der Zeit, die auf die Kategorien im Web entfallen. In den vergangenen 12 Monaten haben die Nutzer in Deutschland ihre Online-Zeit auf den klassischen Portalen wie T-Online um durchschnittlich 24 Prozent gesenkt, dafür aber um 49 Prozent in den sozialen Netzwerken erhöht, hat das Marktforschungsunternehmen Comscore gemessen. Besonders schnell vollzieht sich diese Zeitenwende unter jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren. Die Zeit auf den Portalen ist in diesem Zeitraum um 50 Prozent auf nur noch 923 Millionen Minuten in Deutschland gefallen, während die Aufenthaltsdauer in den sozialen Netzwerken um 64 Prozent auf 4,5 Milliarden Minuten gestiegen ist.

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Diese Tendenz ist in fast allen Altersschichten zu beobachten, jedoch mit steigendem Alter weniger deutlich. Lediglich die Nutzer über 55 Jahre sind T-Online und Co. treu geblieben, können also dem klassischen Medienmodell „Unternehmen erstellt Inhalte, Leser fragen es nach” mehr abgewinnen als zuvor. Je jünger die Nutzer, desto lieber erstellen sie ihre Inhalte selbst und legen mehr Wert auf Kommunikation. Das zeigt auch das Größenverhältnis: Die Menschen in Deutschland verbrachten im Oktober mehr als 18 Milliarden Minuten in sozialen Netzwerken, aber nur 6 Milliarden Minuten auf den Portalen und 1,4 Milliarden Minuten auf Nachrichten- oder Informationsseiten. Allerdings beschäftigen sich die Menschen natürlich auch in den sozialen Netzwerken mit Nachrichten. Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag des Bitkom informieren sich 30 Prozent der aktiven Nutzer in sozialen Netzwerke zumindest gelegentlich über das Nachrichtengeschehen. Zumindest ein Teil dieser Nutzer landet dann wieder auf den klassischen Nachrichtenangeboten im Netz.

Die starke Präsenz in den sozialen Netzwerken, vor allem auf Facebook, belastet auch die klassischen E-Mail-Dienstleister, denn die Jugend kommuniziert heute bevorzugt per Facebook-Nachricht oder mobil meist per SMS – was allerdings auch gerade im Wandel ist. Zwar meldet kaum jemand sein E-Mail-Postfach ab, weil es jetzt Facebook gibt, aber die Zeit, die junge Menschen für das Lesen und Schreiben von E-Mails verwenden, ist seit dem vergangenen Jahr um 12 Prozent auf nur noch 215 Millionen Minuten gesunken. Unter allen Internetnutzern beträgt der Rückgang allerdings nur 6 Prozent, was den E-Mail-Diensten immerhin Zeit gibt, für Ersatz zu sorgen. Diese Zeit haben die Instant-Messaging-Dienste nicht mehr, denn ihre Online-Zeit ist in nur 12 Monaten um 54 Prozent eingebrochen. In Europa sieht die Entwicklung ähnlich aus: soziale Netzwerke gewinnen, Portale verlieren. Allerdings fällt der Unterschied zwischen Jung und Alt deutlich größer aus.

Neben den sozialen Medien haben auch die Online-Spiele, andere Unterhaltungsangebote und der elektronische Handel mehr Zeit bekommen. Dagegen haben Auktionsseiten, also vor allem Ebay, Online-Zeit verloren. Eine Besonderheit in Deutschland betrifft die Nachrichten- und Informationsseiten, die in Deutschland nur auf Rang 10 der meistbenutzten Kategorien rangieren. Die Zahl der dort verbrachten Minuten ist in den vergangenen 12 Monaten nur um 1 Prozent auf 1,5 Milliarden Minuten gestiegen, während diese Kategorie in Europa 38 Prozent auf 17,4 Milliarden Minuten zugelegt hat.

Nun ist nicht jedes Geschäftsmodell darauf ausgelegt, den Nutzer möglichst lange auf den Seiten zu halten. Google hat lange Zeit versucht, den Nutzer mit dem richtigen Hinweis auf die beste Fundstelle schnell wieder wegzuschicken. Das hat sich geändert. Aus der Suchmaschine wird eine Antwortmaschine, die den Nutzern die beste Antwort und nicht den besten Link zeigen möchte. Je mehr Daten die Suchmaschine anhäuft und mehr Daten zugekauft werden, desto mehr Antworten gibt Google, um die Nutzer nicht mehr wegschicken zu müssen. Flug- und Wetterdaten oder Rechenergebnisse liefert Google schon heute, und künftig werden es mehr – was Google bei den anderen Anbietern dieser Informationen nicht beliebter macht. Auch für andere Modelle, die nicht auf Werbung ausgelegt sind, ist die Online-Zeit kein Erfolgsindikator, gibt aber dennoch ein Indiz, wer über seinen Zenit hinaus ist. Auktionen gehören ebenso wie die Portale zu dieser Kategorie der Verlierer.

Insgesamt ist die Internetzeit der Menschen in Deutschland in diesem Jahr um ein Zehntel auf 80 Milliarden Minuten gestiegen. Neben den älteren Menschen, die das Netz für sich entdecken, treiben die Jugendlichen die Netznutzung voran. „Die Zeit, die Jugendliche nach eigener Einschätzung an einem durchschnittlichen Werktag im Internet verbringen, ist mit 134 Minuten inzwischen deutlich höher als die tägliche Fernsehnutzung mit 113 Minuten”, hat die aktuelle Jugendstudie JIM ergeben. Schon die 12- und 13-Jährigen verbringen 80 Minuten am Tag im Netz, hat die Umfrage ergeben. Vor allem die mobile Nutzung wirkt hier als Wachstumstreiber für die Zeit, wenn die Jugendlichen unterwegs sind oder als Parallelnutzung vor dem Fernseher. 29 Prozent der Befragten gehen auch mobil ins Internet.

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Mehr als 80 Prozent der Jugendlichen nutzen täglich oder mehrmals in der Woche soziale Netzwerke, um sich mit ihren Freunden auszutauschen. Die E-Mail-Nutzung ist deutlich geringer; 6 Prozent der Jugendlichen haben schon keine E-Mail-Adresse mehr. Informationsseiten wie die Portale der Zugangsdienstleister werden nur von 16 Prozent der Jugendlichen angesteuert, während die Angebote der Verlage noch 14 Prozent der Jugendlichen regelmäßig anlocken.

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14 Lesermeinungen

  1. Jan sagt:

    <p>Zahlen, die für sich...
    Zahlen, die für sich sprechen! Vielen Dank für die Aufbereitung!

  2. <p>Da kann was nicht stimmen:...
    Da kann was nicht stimmen:
    die beiden Grafiken unter dem Titel “Änderung der Internet-Tätigkeiten gegenüber dem Vorjahr in Prozent” sind BEIDE überschrieben mit “Milliarden Minuten im Oktober 2011”.

  3. FAZ-ht sagt:

    @Claudia Klinger: Doch, die...
    @Claudia Klinger: Doch, die Grafik stimmt, denn links sind die Zahlen für Deutschland, rechts für Europa. Die Balken zeigen die Änderung der Online-Zeit gegenüber dem Vorjahr in Prozent.

  4. Martin sagt:

    <p>Liebe Holger...
    Liebe Holger Schmidt
    Mit großer Begeisterung lese ich regelmäßig das Blog “Netzökonom”. Mich würde eine statistische Kennziffer aber noch interessieren: Wieviele Menschen waren es denn im Oktober in Deutschland insgesamt? Nur dann kann ich ja sinnvoll, auf den einzelnen Nutzer runterbrechen für die nachfolgende Statistik:
    “Die Menschen in Deutschland verbrachten im Oktober mehr als 18 Milliarden Minuten in sozialen Netzwerken, aber nur 6 Milliarden Minuten auf den Portalen und 1,4 Milliarden Minuten auf Nachrichten- oder Informationsseiten.”

  5. Amalia sagt:

    Bei der Internetnutzung wurde...
    Bei der Internetnutzung wurde doch ein Bereich komplett weggelassen ^^

  6. Raoul sagt:

    <p>Vielen Dank für die...
    Vielen Dank für die Interpretation der Daten! Wobei die Frage noch ist, wie die “Absteiger” mit der Situation umgehen. Trotz der Rückgänge ist ja immer noch ausreichend Inventar vorhanden um die Werbekunden zu bedienen. Nur ob es für die Werbetreibenen dann noch die Attrktivität hat bleibt abzuwarten. Eine Änderung des Geschäftsmodells halte ich für schwierig, da die Plätze bereits besetzt sind und ein erhebliocher finanzieller Aufwand notwendig wäre hier einen Marktanteil zu erwerben.Es wird spannend, wie die Anbieterwelt im Netz in 1-2 Jahren aussehen wird.

  7. Hartmut sagt:

    Gehören zu den " klassischen...
    Gehören zu den ” klassischen Portalen ” auch klassische News-Portale wie faz.net und spiegel.de? Die Begriffe sind etwas unscharf in dieser Analyse.

  8. FAZ-ht sagt:

    @Hartmut: Zu den Portalen...
    @Hartmut: Zu den Portalen gehören die Klassiker wie T-Online oder Yahoo, die viele Dienste umfassen. FAZ.NET oder andere Newssites gehören zur Kategorie Nachrichten/Information.

  9. FAZ-ht sagt:

    @Martin: Rund 50 Millionen....
    @Martin: Rund 50 Millionen.

  10. Hans Bayartz sagt:

    <p>DANKE für diese...
    DANKE für diese Zusammenstellung.
    Sie hilft in kommenden Gesprächen zum Thema “Eigenes Soziales Netzwerk gründen”.

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