
Beim Gala-Dinner der Washingtoner Presse am vergangenen Samstag gab es wieder einmal viel zu lachen. Stargast Barack Obama hielt die übliche launige Rede und riss reihenweise Witze über sich selbst und seine politischen Widersacher. Besonders amüsiert dürfte Reed Hastings gewesen sein, der Mitgründer und Vorstandsvorsitzende des amerikanischen Filmverleihers Netflix. Denn der Abend begann mit einer Parodie der Netflix-Serie „House of Cards“, in der Kevin Spacey einen skrupellosen Politiker spielt. Zu sehen war neben Spacey ein ganzer Aufmarsch amerikanischer Politgrößen von John McCain bis Michael Bloomberg. Für Netflix war das ein Ritterschlag, denn was als Stoff für Parodien taugt, ist offenbar Gesprächsthema. Das ist nicht selbstverständlich, denn „House of Cards“ ist ein gewagtes und teures Experiment. Eine Hochglanzserie, die alle Eigenschaften einer großen Fernsehproduktion hat, aber nicht auf klassischen Sendern zu sehen ist, sondern nur online bei Netflix. Mit „House of Cards“ will Hastings eine neue strategische Richtung einschlagen: hin zu exklusiven und eigenen Produktionen, jenseits von Allerweltsinhalten, die es auch anderswo gibt.
Für den 52 Jahre alten Hastings war der Abend in Washington die Krönung einer großartigen Woche. Denn wenige Tage vorher hatte die Netflix-Aktie nach der Vorlage von Quartalszahlen zu einem abermaligen Höhenflug angesetzt. Um fast 25 Prozent sprang der Kurs innerhalb eines Tages. Seit Jahresanfang hat die Netflix-Aktie mehr als 130 Prozent zugelegt und ist damit Spitzenreiter im Börsenindex S&P 500.
Hastings erlebt nun das Kontrastprogramm zu den trüben Monaten des Jahres 2011, als er zum Buhmann wurde und sich zu einer öffentlichen Entschuldigung gezwungen sah, die anfing mit dem Satz: „Ich hab’s vermasselt.“ Damals schien die zuvor atemberaubende Erfolgsgeschichte seines Unternehmens, das in Amerika den Filmverleih revolutioniert hatte, abrupt zu enden. Netflix schockte seine Kunden mit einem radikal veränderten Gebührenmodell, das den Dienst unter dem Strich für viele Nutzer deutlich teurer machte. Etliche Hunderttausend Abonnenten kündigten. „Der Erfolg hat mich arrogant werden lassen,“ schrieb Hastings reumütig.
Tatsächlich kann der gebürtige Bostoner Hastings auf mehrere unternehmerische Erfolgsgeschichten zurückblicken – und auf einige ungewöhnliche Karrierestationen. Nach seiner Schulzeit begann er nicht gleich mit dem Studium, sondern zog erst einmal ein Jahr lang als Staubsaugervertreter von Haustür zu Haustür. Als er seinen ersten Studienabschluss in Mathematik in der Tasche hatte, ging er für drei Jahre nach Swasiland und arbeitete als Mathematiklehrer. Er ließ dann ein zweites Studium in Computerwissenschaften folgen. 1991 gründete er sein erstes Unternehmen, den Softwarespezialisten Pure. Nach sechs Jahren verkaufte er Pure für mehr als 500 Millionen Dollar an den später von IBM übernommenen Wettbewerber Rational Software.
Die Idee für Netflix entstand aus einem Alltagsärgernis. Hastings musste 40 Dollar Säumnisgebühr zahlen, weil er den Film „Apollo 13“ zu spät in eine Videothek zurückgebracht hatte. Er fragte sich, ob es kundenfreundlichere Wege des Filmverleihs geben könnte. 1997 rief er Netflix zunächst als Versanddienst ins Leben, der Kunden gegen monatliche Gebühr DVDs per Post nach Hause lieferte, die sie beliebig lange behalten konnten – Porto inklusive, ohne jegliche Strafgebühren. Das Konzept schlug ein, und die Abonnentenzahlen wuchsen rasant. Seit einigen Jahren verlagert sich das Gewicht von Netflix zunehmend ins Internet. Die DVDs per Post gibt es noch immer, aber die meisten Abonnenten nutzen Netflix heute als Online-Dienst auf ihren Fernsehern, Computern und Smartphones. Der Dämpfer kam 2011 mit der Entscheidung, dieses „Streaming“ nicht mehr als kostenlose Dreingabe zum DVD-Versand bereitzustellen, stattdessen sollten beide Dienste separate gebührenpflichtige Angebote werden. Es folgten ein Sturm der Entrüstung unter Netflix-Nutzern, ein Absturz des Aktienkurses – und das „Mea Culpa“ von Hastings. Der Netflix-Chef entschuldigte sich dabei aber vor allem für mangelhafte Kommunikation und ließ die neue Gebührenstruktur im Grundsatz intakt. Die Aufregung legte sich nach einiger Zeit wieder, und Netflix konnte den Kundenschwund stoppen.
Es dauerte länger, bis Hastings auch die Wall Street versöhnt hatte. Im vergangenen Herbst schienen sogar neue Turbulenzen zu drohen, als der Investor Carl Icahn einen Anteil von knapp 10 Prozent an Netflix kaufte und gleichzeitig Spekulationen schürte, er könnte das Unternehmen zu einem Verkauf drängen. Zu Icahns Ärger ließ Hastings eine sogenannte Giftpille einführen, um eine Übernahme zu erschweren. Seit Januar geht es mit dem Aktienkurs steil nach oben, neben guten Geschäftszahlen dürfte dabei auch die positive Resonanz auf „House of Cards“ geholfen haben und die Aussicht auf weitere solche Eigenproduktionen. Hastings hofft, sich mit seiner Strategie von der immer härter werdenden Konkurrenz abzusetzen – nicht zuletzt dem Online-Händler Amazon, der einen ähnlichen Weg geht und ebenfalls eigene Serien produzieren lässt. Für den Moment hat Investor Icahn jedenfalls keinen Grund, sich über Hastings zu beklagen: Der Wert seines Aktienpakets hat sich seit dem Einstieg mehr als verdreifacht.
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