Netzwirtschaft

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Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Wie sie sich auf Menschen und Märkte auswirkt, beleuchtet das Netzwirtschaft-Blog auf FAZ.NET.

Facebook ein Jahr nach dem Börsengang: Die Unentbehrlichkeit ist dahin

Das soziale Netzwerk versucht mit aller Macht, die Werbeumsätze zu erhöhen und riskiert, Nutzer zu vergraulen. Die begeistern sich ohnehin für neue Konkurrenten.

Vielleicht etwas kleinlauter, aber keineswegs bescheiden: So präsentiert sich das soziale Netzwerk Facebook ein Jahr nach dem verpatzten Börsengang. Facebook hat nie einen Hehl daraus gemacht, sich das Wall-Street-Debüt am 18. Mai 2012 anders vorgestellt zu haben. Man sei „natürlich enttäuscht“, und es sei eine „Lernerfahrung“ gewesen, hieß es rückblickend von Top-Managern wie Finanzvorstand David Ebersman oder Chief Operating Officer Sheryl Sandberg, die das Tagesgeschäft führt. Andererseits zeigt sich die Facebook-Spitze aber überzeugt, dass die Finanzmärkte mit ihrem Urteil falsch liegen: „Wir sind heute in besserer Verfassung als vor dem Börsengang,“ sagte Sandberg kürzlich im Interview mit der F.A.Z. Und seinen Hang zur Anmaßung, den Facebook beim Börsengang mit einem hohen Ausgabepreis der Aktien demonstrierte, hat sich das Unternehmen bis heute erhalten. Er zeigt sich im neuen Softwarepaket „Home“, dem die Annahme zugrunde liegt, dass Smartphone-Besitzer Facebook eine noch viel prominentere Rolle auf ihren Geräten geben wollen bisher schon – eine Fehlkalkulation, wie die bisherige Resonanz auf „Home“ nahelegt.

Seit den turbulenten Anfangsmonaten ist für Facebook an der Börse etwas Ruhe eingekehrt. Die Aktien kamen vor einem Jahr für 38 Dollar an die Börse, deutlich teurer als mit der ursprünglichen Preisspanne von 28 bis 35 Dollar avisiert. In der Hoffnung auf einen guten Start wurde wenige Tage vor dem Börsengang noch die Zahl der angebotenen Aktien deutlich aufgestockt. Den ersten Handelstag beendete die Facebook-Aktie dann aber nur minimal im Plus, und auch das nur dank Stützungskäufen der Konsortialbanken. Danach ging es rasant bergab. Zweifel am Geschäftsmodell und die Sorge, dass nach dem Ablauf von Haltefristen Altaktionäre ihre Anteile abstoßen, ließen den Kurs bis zum September auf weniger als 18 Dollar fallen. Seither hat sich die Aktie stabilisiert, der gegenwärtige Kurs von 26,25 Dollar ist aber noch immer weit vom Ausgabepreis entfernt. Facebook hat sich außerdem seit Jahresbeginn deutlich schlechter geschlagen als die Technologiebörse Nasdaq.

Facebook versucht, die Finanzmärkte zu überzeugen, dass die gewaltige Nutzergemeinde von mehr als einer Milliarde Mitgliedern eine Goldgrube ist. Seit dem Börsengang wurden immer neue Werbeformate auf Facebook eingeführt, und immer neue Methoden, Anzeigen möglichst zielgenau auf die einzelne Mitglieder abzustimmen. Insbesondere fing Facebook an, in großem Stil Werbung auf Smartphones und Tabletcomputern zu zeigen. Das galt zum Zeitpunkt des Börsengangs als wunder Punkt, denn bis dato wurde trotz rasant wachsender mobiler Facebook-Nutzung mit diesen Geräten kaum Geld gemacht. Allgemein hat Facebook sein äußeres Erscheinungsbild im Vergleich zu vor einem Jahr kräftig geändert. Das Design der zentralen „Neuigkeiten“-Leiste wurde überarbeitet, laut Facebook um die Seite attraktiver für Nutzer zu machen, aber sicher auch mit dem Gedanken, Anzeigen besser zur Geltung zu bringen. Zudem experimentiert Facebook auch mit ganz neuen Geschäftsfeldern wie Online-Handel und animiert dabei seine Nutzer, sich gegenseitig Geschenke zu kaufen.

Der in dieser Woche 29 Jahre alt gewordene Vorstandsvorsitzende Mark Zuckerberg kann auf einige zählbare Erfolge seit dem Börsengang verweisen: Facebook hat wiederholt solide, wenn auch nicht spektakuläre Quartalsergebnisse vorgelegt. Das Geschäft auf mobilen Geräten macht Fortschritte und stand zuletzt schon für 30 Prozent des gesamten Werbeumsatzes.

Aber es bleiben genug Zweifel an den Wachstumsperspektiven: So stellt sich die Frage, wie viel zusätzliche Werbung Facebook seinen Nutzern noch zumuten kann, ohne sie zu vergraulen. Facebook kontert, die Kunst liege darin, die Anzeigen so relevant zu machen, dass sie aus Nutzersicht auf der Seite genauso willkommen sind wie Fotos und andere Inhalte aus dem Freundeskreis. Kritiker wie Analyst Richard Greenfield von der Investmentbank BTIG meinen indessen, Facebook schlage genau den entgegengesetzten Weg ein, und die Qualität der Werbung verschlechtere sich. So fehlt nach Beobachtung von Greenfield heute in den Anzeigen immer häufiger ein Bezug zum Kontaktnetz, also zum Beispiel ein Verweis, dass einem Freund ein bestimmtes Produkt gefällt. Facebook hat Anzeigen mit solchem sozialen Kontext vor einiger Zeit noch als „Eckpfeiler“ in seiner Werbestrategie beschrieben.

Neue Einnahmequellen jenseits von Werbung sind indes auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. So sagte Sandberg in dem Interview, sie halte das Potential anderer Initiativen wie Online-Handel im Vergleich mit Werbung im Moment für begrenzt.

Über all dem schwebt die fundamentale Sorge, ob Facebook seinen Reiz verlieren und aus der Mode kommen könnte. Facebook konnte sich lange auf eine gewisse Unentbehrlichkeit verlassen: Es fällt schwer, Facebook fernzubleiben, wenn der ganze Freundeskreis ständig auf der Seite ist. Aber mittlerweile sorgen immer mehr andere, spezialisiertere Dienste von Whatsapp (Kurznachrichten) über Snapchat (Fotos) bis Tumblr (Blogs) gerade bei einem jüngeren Publikum für Furore. Facebook kann heute froh sein, den immens populären Fotodienst Instagram gekauft zu haben, und das Unternehmen ist offenbar weiter auf Einkaufstour, wie das angebliche Interesse an der Übernahme des Navigationsspezialisten Waze nahelegt. Facebook gibt sich demonstrativ gelassen und sagt, die Konkurrenz sei kein Nullsummenspiel, und es gebe Platz für verschiedene soziale Netzwerke. Jüngere Mitglieder gehörten weiter zu den aktivsten auf Facebook. Das Unternehmen meldete außerdem bis zuletzt insgesamt steigende Nutzerzahlen.

Der offenbar laue Zuspruch für „Home“ lässt freilich vermuten, dass viele Nutzer Facebook auf Distanz halten wollen. „Home“ ist eine Software, die dafür sorgt, dass Facebook-Dienste den Bildschirm von Smartphones mit dem Google-Programm Android beherrschen und die gewohnten Anwendungen dafür in den Hintergrund fallen. Seit dem Start vor gut einem Monat wurde „Home“ rund eine Million Mal heruntergeladen, verglichen mit der Größe der Facebook-Gemeinde eine überschaubare Zahl. In Amerika und auch in Deutschland findet sich „Home“ heute nicht einmal mehr unter den 300 am häufigsten heruntergeladenen Anwendungen der Android-Vertriebsplattform „Google Play“. Und die Kritiken sind vernichtend: In mehr als der Hälfte aller Einträge bekommt „Home“ die schlechtestmögliche Bewertung von einem Stern. Ein typischer Kommentar: „Wenn Du ein Facebook-Junkie bist, ist das Deine Anwendung. Normalen Menschen geht es extrem auf die Nerven.“

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