
Bei einem Spaziergang durch das New Yorker Einkaufsmekka Soho stößt man in diesen Tagen auf unvermutete Geschäfte. Da ist ein Laden von Piperlime, eine zum Bekleidungshändler Gap gehörende Marke, die eigentlich immer als reiner Onlinehändler galt. Keine zwei Straßen weiter hat vor wenigen Wochen der Brillenspezialist Warby Parker, der bisher ebenfalls für Internetvertrieb bekannt war, ein opulentes Geschäft eröffnet.
Etwas nördlich im West Village feilt Jason Goldberg in der Hauptverwaltung des von ihm mitgegründeten Designportals Fab.com ebenfalls an einer Offline-Strategie. Er nimmt sich dabei erst einmal Deutschland vor, den wichtigsten Auslandsmarkt für Fab. Ende April kaufte Fab das auf maßgefertigte Möbel spezialisierte Hamburger Unternehmen Massivkonzept, das einen 70 Quadratmeter großen Laden im dortigen Designzentrum Stilwerk mitbrachte. Das soll nach dem Willen von Goldberg nur der Anfang sein. Fab halte gerade Ausschau nach einem Standort in Berlin, der fünf bis sechs Mal so groß sein soll. Noch in diesem Jahr soll die Eröffnung sein. Anders als der Hamburger Standort, der im Prinzip ein Ausstellungsraum ist und lediglich Online-Bestellung vor Ort erlaubt, soll es in Berlin einen traditionellen Laden geben, in dem Waren direkt an Kunden verkauft wird. Derweil sucht der Fab-Vorstandsvorsitzende jemanden für die neu geschaffene Stelle eines „Vice President of Stores“. Dessen Aufgabe wird es sein, das neue Standbein des einstigen reinen Online-Spezialisten im stationären Handel weiter aufzubauen.
Fab und die anderen Unternehmen läuten mit ihrem Sprung in die Offline-Welt eine Art Gegenbewegung ein: Für traditionelle Einzelhändler ist es seit langem gang und gäbe, ihre Produkte auch online zu verkaufen. Nun gehen manche Unternehmen, die ihre Wurzeln im Online-Handel haben, den umgekehrten Weg. Für Fab-Chef Goldberg hat diese Entscheidung viel mit dem Sortiment zu tun: „Wer vor allem Massenware verkauft wie Amazon, braucht dazu keine eigenen Laden.“ Goldberg sieht die Produkte seines Unternehmens, die von kleinen Geschenkartikeln über Schmuck bis zu mehreren tausend Dollar teuren Möbelstücken reichen und oft von kleinen Designschmieden kommen, in einer anderen Kategorie.
Ähnlich argumentiert Etsy, ein Online-Portal für handgefertigte Waren, das ebenfalls erste Gehversuche im klassischen Einzelhandel macht. „Wenn es um spezifische Produkte geht, wollen manche Menschen die Ware gerne persönlich anfassen können, und es gibt eine größere Hemmschwelle, online einzukaufen.“ Etsy geht einen anderen Weg als Fab und macht keine eigenen Geschäfte auf, sondern schließt Allianzen mit anderen Einzelhändlern. So haben die Warenhauskette Nordstrom sowie der Möbel- und Haushaltswarenhändler West Elm in bisher jeweils rund einer Handvoll Filialen separate Etsy-Flächen eingerichtet. Dort werden Artikel von Künstlern und Handwerkern aus der jeweiligen Region angeboten, die sonst auch über Etsy verkauft werden. Dev Tandon, der die Einzelhandelsinitiativen des New Yorker Unternehmens verantwortet, sagt, er kann sich ähnliche Partnerschaften auch in Deutschland vorstellen. Auf absehbare Zeit will es Tandon bei den Partnerschaften mit anderen Händlern belassen und keine eigenen Läden eröffnen: „Wir sehen uns erst einmal in einer Lernphase, was den stationären Handel betrifft. Aber ich will langfristig nichts ausschließen.“
Analystin Sucharita Mulpuru-Kodali von Forrester Research meint, die Kooperationslösung von Etsy sei ein vergleichsweise billiger Weg, die eigene Marke zu stärken. Allgemein ist sie aber skeptisch, was große Einzelhandelsoffensiven von vormaligen reinen Online-Adressen betrifft. „Man kann gar nicht deutlich genug sagen, wie viel Geld es kostet, stationäre Läden zu eröffnen und zu betreiben. Das ist etwas völlig anderes als Internethandel.“ Mulpuru-Kodali sagt, die Problematik, dass es Verbraucher bei manchen Produkten mehr Überwindung kostet, online einzukaufen, könne besser auf andere Weise gelöst werden. Zum Beispiel mit großzügiger Umtauschpolitik, wie sie etwa der Online-Optiker Warby Parker, den es nun in den stationären Handel drängt, heute schon habe.
Mulpuru-Kodali meint, letztlich werden sich die Offline-Initiativen der Internethändler auf eine überschaubare Zahl von Flaggschiff-Filialen in großen Städten beschränken. „Ich würde darauf wetten, dass Fab nicht Hunderte von Läden eröffnen wird.“ Fab-Chef Goldberg will sich da nicht festlegen lassen: „Ich kann nicht sagen wo wir in fünf Jahren stehen. Vielleicht werden wir zehn Geschäfte haben, vielleicht hundert – oder auch gar keines mehr.“ Sowohl Goldberg als auch Etsy-Manager Tandon sagen aber, die erste Priorität ihrer Unternehmen werde der Online-Handel bleiben.
Vom Online-Giganten Amazon kann sich Mulpuru-Kodali indessen gut eine größere Offensive im stationären Handel vorstellen. Wohl nicht mit einem breiten Sortiment wie auf der Internetseite, sondern eher mit einem Schwerpunkt auf den elektronischen Geräten, die Amazon mittlerweile selbst im Programm hat, also dem Tabletcomputer Kindle Fire und dem Kindle-Lesegerät. Auch ein Amazon-Smartphone wird in naher Zukunft in der Branche erwartet. Eine eigene Präsenz würde nach Meinung von Mulpuru-Kodali schon deshalb naheliegen, weil Amazon einige Großkunden im Einzelhandel verloren hat. Die Discountketten Wal-Mart und Target haben im vergangenen Jahr Kindle-Geräte aus dem Sortiment gestrichen. In der Branche wurde das als eine Art Vergeltungsschlag interpretiert. Traditionelle Händler beklagen, dass Amazon Verbraucher zum sogenannten „Showrooming“ ermuntert. Das heißt, viele Menschen kommen zwar in Geschäfte, um sich Ware anzusehen, kaufen dann aber bei Amazon.
Vorstandsvorsitzender Jeff Bezos ist der Vorstellung eines Einstiegs in den stationären Handel offenbar nicht abgeneigt. In einem Fernsehinterview vor einem halben Jahr sagte er: „Wir würden gerne Geschäfte aufmachen, aber nur, wenn wir eine Idee haben, mit der wir uns wirklich differenzieren können.“ Bislang gebe es diese Idee aber noch nicht.
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Die sogenannten "Pop-Up Shops"
Die bleiben normalerweise nur ein paar Wochen offen – z.B. an einer Strasse im Zentrum einer Stadt, wo ein leerer Laden billig für ein paar Wochen zu mieten angeboten wird.
3D Visitenkarte
mit ganz großem Interesse habe ich Ihren o.g.. Artikel gelesen.
“3D Visitenkarte” nenne ich meine Agentur und Ladengalerie für europäisches Kunsthandwerk und Design, die ich seit 2004 in Hamburg betreibe.
Von Anfang an wurde der reale Ort untrennbar mit der virtuellen Online-Präsenz gedacht und betrieben – das eine wäre ohne das andere nicht lebensfähig.
Auch von Anbeginn begleitete uns der Zweifel aller Beobachter, dass Unikate und Kleinserien, also sehr Spezielles und Individuelles, via Internet erfolgreich vertrieben werden kann. Dass sich nun auch Unternehmen wie z.B. “Fab” und “Etsy” real etablieren möchten kann ich sehr gut nachvollziehen.
Ihre Produkte sind, wie die unseren, sozusagen “no name” Autorenprodukte, denen die Kunden über das rein virtuelle Medium vielleicht zögern zu trauen – was sich in einem realen Ladengeschäft durchaus ändern könnte, wo sie persönlich die Dinge in Augenschein nehmen dürfen.
Unsere Erfahrung der letzten Jahre zeigt, dass man das Kundenvertrauen für Hand- und Maßgefertigtes nur über fachkundige, freundliche Beratung und die Vermittlung
wahrhaftiger Zusammenhänge gewinnen kann. Überzeugen muss die Präsentation am realen Ort, die Qualität der Produkte, das ausführliche Telefonat, die individuelle Email.
Schön wenn Magazine die Einzigartigkeit des Sortiments erkennen und durch ihre Publikationen “hoffähig” machen. Ist das gelungen gewinnt man die treuesten Kunden überhaupt.
Dann wird der online Kauf zur echten Option, denn die Produkte sind ja einzigartig und zumeist nur exklusiv erhältlich – in unserem Fall in Hamburg weltweit.
Für alle, die mit sehr individuellen Produkten handeln, halte ich solch eine “3D Visitenkarte” für eine viel versprechende Ergänzung zum online-Portal – solange man real halten kann
was man virtuell verspricht: vollmundig angepriesene Produktfreisteller müssen nämlich dann beweisen was sie wirklich können.