
Ein angenehm fester Händedruck, eine „Macher“-Ausstrahlung und reichlich bohrende Fragen – so hat Sandra Richter den amerikanischen Präsidenten Barack Obama in Erinnerung. Im Juni war die 30 Jahre alte Deutsche im Weißen Haus zur „Maker Faire“, einer Innovationsschau für Jungunternehmer. Richter zeigte Obama die Erfindung ihres Unternehmens Changing Environments, das sie in Boston zusammen mit zwei anderen deutschen Frauen gegründet hat: eine Parkbank namens „Soofa“ mit einer integrierten Solaranlage, an der Smartphones aufgeladen werden können. Zwei Minuten habe sie nur mit Obama gehabt, erzählt Richter. Aber der Präsident habe sich in der begrenzten Zeit sehr interessiert gezeigt, kompetente Fragen gestellt und glaubhaft versichert, dass ihm die Stärkung der verarbeitenden Industrie in Amerika am Herzen liegt. „Es war ziemlich cool,“ sagt die Unternehmerin.
Die Einladung ins Weiße Haus war für Richter und ihre beiden Mitgründerinnen eine Bestätigung, dass aus ihrer Idee etwas werden könnte. Und Obama ist nicht der erste, der auf das Unternehmen aufmerksam geworden ist. Die drei Frauen haben mit der Solarbank schon den Bürgermeister von Boston begeistert und Unterstützung aus der Wirtschaft von prominenten Unternehmen wie Verizon und Cisco Systems gefunden. Weit weg von ihrer deutschen Heimat haben sie damit einen guten Start in ihre Unternehmerkarriere hingelegt. Ihre Ambitionen reichen aber noch viel weiter und sind voll von amerikanischem Optimismus. Richter sagt, ihr gehe es nicht darum, das Unternehmen soweit zu bringen, dass es vielleicht einmal wie manch anderes Start-Up von einem Technologiegiganten wie Google gekauft wird. Sie traut sich zu, eines Tages selbst in einer Liga mit Unternehmen in der Größenordnung von Google oder Facebook mitzuspielen.
Changing Environments verfolgt das Ziel, intelligente Möbel für Städte zu entwickeln – und passt damit zu einem der großen Trends der Technologiebranche, dem „Internet der Dinge“, also der Vernetzung von immer mehr Gegenständen des Alltags wie Autos, Haushaltsgeräten oder eben auch Parkbänken. Die Soofa-Bänke sind nicht nur Ladestationen, sie erfassen über Sensoren auch Informationen aus ihrer Umgebung wie Luftqualität oder Geräuschpegel, die ins Internet hochgeladen werden. Ein Dutzend Soofas hat das Unternehmen bisher von lokalen Bostoner Produktionspartnern herstellen lassen. Die Bänke stehen alle in Boston, aber eine Ausweitung auf andere Städte ist geplant. Richter sagt, derzeit werde jedes Soofa im Schnitt von 17 Personen am Tag genutzt, und es sei oft nicht leicht, einen Platz zu bekommen. Jede Bank hat einen eigenen Namen, es gibt zum Beispiel „Hedy“, „Mia“ und „Boris“. Die Bänke sehen recht robust aus, mit Füßen aus Metall und einer Sitzfläche aus Holz, die Solaranlage mit den USB-Anschlüssen zum Aufladen steckt in einer trapezförmigen Zementhülle. Richter hält die Soofas für weitgehend wetterfest und sicher vor etwaigen Vandalen: „Wir sind selbst auf den Bänken herumgesprungen und haben sie nicht kaputt gekriegt.“
Die Wege der drei deutschen Frauen haben sich erst in Boston gekreuzt. In einer Kneipe hat Richter ihre heute 29 Jahre alte Mitgründerin Nan Zhao kennengelernt, Jutta Friedrichs kam als dritte im Bunde später dazu. Richter brachte eine fast angeborene Affinität für Sonnenenergie mit. Sie stammt aus Freiburg – „der Stadt mit den meisten Sonnentagen in Deutschland“, wie sie stolz sagt – und ihre Eltern haben schon seit langer Zeit Solarzellen auf dem Dach. Richter studierte Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation in Berlin und kam dabei mit Umweltthemen in Berührung, zum Beispiel in einem Beratungsprojekt für den Energiekonzern Vattenfall, das sich um Elektroautos drehte. In Berlin knüpfte sie Kontakte zum Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge nahe Boston, und nach einiger Zeit bekam sie einen Posten als Gastwissenschaftlerin in dessen Forschungseinheit MIT Media Labs. Nan Zhao wurde in China geboren und kam nach Deutschland, als sie neun Jahre alt war. Sie studierte Elektrotechnik in Aachen, wo sie einst mit einem Kommilitonen eine Wette abschloss, wer es zuerst ans MIT schafft. Die Wette gewann sie, und sie landete wie Richter in den Media Labs. Die 34 Jahre alte Jutta Friedrichs kommt aus der Nähe von Köln und studierte Produktdesign erst in Berlin, dann in London. Danach ging sie für einige Jahre nach China, wo sie ein eigenes Designstudio für Möbel gründete. Schließlich zog es auch sie nach Amerika. Sie setzte ein Masters-Studium in Design an der Harvard-Universität in der Nähe des MIT drauf und blieb nach dessen Abschluss in Boston.

Die Idee für die Soofas entstand in diversen MIT-Gruppen, denen die Frauen angehörten. Als es darum ging, den Plan zu realisieren, halfen Kontakte. Ein MIT-Gruppenleiter hatte Verbindungen zum Bostoner Bürgermeister, was es möglich machte, einen ersten Prototypen installieren zu dürfen. Richter hatte Kontakte zum Telekommunikationskonzern Verizon, der als Partner an Bord geholt wurde und über dessen Netz die Soofas ans Internet angeschlossen sind. Über Verizon wiederum stieß der Netzwerkausrüster Cisco dazu, für den das Internet der Dinge ein erklärtes Zukunftsgebiet ist und der die erste Serie von Bänken finanzierte.
Wie viel die Soofas kosten, darüber hüllen sich die drei Gründerinnen in Schweigen. Und wie sie mit ihrem Unternehmen einmal Geld verdienen wollen, wissen sie selbst noch nicht so genau. Eine naheliegende Option wäre es, die bislang gratis zur Verfügung gestellten Bänke zu verkaufen. Denkbar wäre es aber auch, aus den von den Soofas gesammelten Umweltdaten ein Geschäft zu machen und sie zum Beispiel an Städte zu vermarkten. Auch Werbung wird als Umsatzquelle nicht ausgeschlossen. Richter verbreitet Zuversicht, egal welcher Weg eingeschlagen wird: „Das Internet der Dinge ist ein Riesengeschäft, und von diesem Kuchen wollen wir etwas abhaben.“ Mit dieser Einstellung gehen die Gründerinnen nun auch an die Verhandlungen mit Investoren über eine Anschubfinanzierung, die bis Ende des Jahres unter Dach und Fach gebracht werden soll.
Hätten die drei Frauen mit Changing Environments auch in Deutschland so weit kommen können wie in Amerika? „Ich fürchte nein,“ meint Richter, die von sich sagt, sie sei sehr aktiv in der Gründerszene in Berlin gewesen. Es gebe zwar viele staatliche Initiativen für Start-Ups, aber es mangele an Unterstützung aus der Wirtschaft, so wie ihr Unternehmen sie von Verizon und Cisco bekommen habe. Das gelte besonders bei industriellen Produkten. „In Deutschland ist alles sehr etabliert. Man rühmt sich seiner Ingenieurskunst und ist nicht so experimentierfreudig.“
Changing Environments fällt nicht nur auf, weil alle Gründer aus Deutschland kommen, sondern auch, weil alle weiblich sind. „Das ist schon markant,“ gibt Richter zu. Und manchmal offenbar auch von Nachteil. So sei es gerade in der Anfangszeit nicht immer leicht gewesen, ernst genommen zu werden, zum Beispiel bei Investoren. „Einer hat zu uns gesagt: Warum macht Ihr das nicht einfach als gemeinnütziges Projekt?“ Auf der anderen Seite mache das weibliche Gründertrio das Unternehmen zu einem begehrten Arbeitgeber für andere Frauen. „Es gibt viele Frauen, die zu uns kommen wollen, weil sie sich in einem von Männern dominierten Umfeld nicht so wohl fühlen.“
Im Moment hat das Unternehmen inklusive der Gründerinnen sechs Mitarbeiter, in einem Jahr sollen es 30 sein. Allein für die Solarbänke sehen die Frauen ein gewaltiges Potential. Richter sagt: „Im New Yorker Central Park gibt es 9000 Parkbänke. Unser Ziel ist es, langfristig jede gewöhnliche Bank mit Soofas zu ersetzen.“
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