Justin ist gnadenlos. Mit gebellten Befehlen treibt der Fitnesstrainer an diesem Mittag 16 Menschen durch den Rincon Park am Ufer der Bucht von San Francisco. „Fünf, sechs, sieben, acht, hopp, hopp!“, ruft Justin, und seine Kursteilnehmer reißen Arme und Beine hoch. Schnell noch eine Runde um die Mülltonne, und weiter geht es mit Seilspringen. „Seid ihr bereit?“, brüllt Justin wie ein Militärausbilder. „Ja!“, schreien die Trainierenden. Der Schweiß fließt weiter.
Auch Raj Kapoor schwitzt, dass es von den Ohrläppchen auf sein T-Shirt tropft. Der 44 Jahre alte Internetunternehmer ist verantwortlich dafür, dass Justin heute ihn und die anderen Kursteilnehmer zu sportlichen Hochleistungen peitscht. Kapoor ist Gründer und Geschäftsführer von Fitmob. Die Plattform verbindet Trainer mit Freizeitsportlern, die sich gemeinsam in Parks, umfunktionierten Nachtclubs oder Fitnessstudios verausgaben. Umgerechnet 80 Euro zahlen die Kunden im Monat, dafür können sie an so vielen Angeboten teilnehmen, wie sie wollen. „Spaß trifft Fitness“ lautet das Motto. Das sollen auch Kursnamen wie „Weapons of Ass Reduction“ ausdrücken. Statt um die angespielten Massenvernichtungswaffen dreht sich alles darum, überflüssige Fettpolster an Hinterteilen und anderswo auszulöschen.

Fitmob ist eines von mehreren amerikanischen Unternehmen, die sich selbst als nächste Welle der „Sharing Economy“ sehen. In der ersten Welle der Ökonomie des Teilens entstanden Marktplätze, über die Nutzer zeitweise brachliegende Ressourcen wie Autos oder Wohnungen miteinander teilten. Nun arbeiten Unternehmer daran, Dienstleistungen zu vermitteln und wie zum Beispiel Raj Kapoor den Markt für Freizeitsport zu verändern.
„Vor dem Internet und den damit verbundenen Netzwerkeffekten gab es eine Menge Ineffizienzen“, sagt Kapoor in einer Pause vor einer Gruppe internationaler Journalisten, die das „Washington Foreign Press Center“ des amerikanischen Außenministeriums nach San Francisco eingeladen hat. In seinem Fall soll das auch eine sehr große Summe verdeutlichen. Rund 60 Milliarden Euro schwer sei der globale Markt der Fitnessstudios. Aber mehr als die Hälfte der Abonnenten gehe überhaupt nicht zu den dort angebotenen Kursen, obwohl sie dafür zahlten.
Kapoors Lösung: Anstatt sich an ein Studio mit einem womöglich begrenzten Angebot zu binden, sollen seine Kunden im besten Fall irgendwann Zugriff auf zahllose Trainer und verschiedenste Kurse haben – und so immer das machen können, worauf sie gerade Lust und wofür sie gerade Zeit haben. „Es wird Laufmobs, Fahrradmobs oder Surfmobs geben.“ Noch ist das aber Zukunftsmusik. Außer in San Francisco ist Fitmob erst in zwei weiteren amerikanischen Städten vertreten. „Der Plan ist, schnell zu wachsen, erst in Amerika, dann global“, sagt Kapoor, jetzt wieder ganz Geschäftsmann, obwohl er gerade kurze graue Sporthosen trägt. Schließlich gebe es nicht mehr so viele Multi-Milliarden-Branchen zu erobern.

Ein schnelles Marktwachstum sieht auch der New Yorker Wirtschaftswissenschaftler Arun Sundararajan als ein Wesensmerkmal der Teilwirtschaft an. „Die Sharing Economy als neue kapitalistische Wirtschaftsform kann schnell einen großem Maßstab erreichen. Die möglichen Märkte wachsen durch das Internet dramatisch“, sagt Sundararajan, der an der New York University lehrt und forscht, wie die Digitalisierung die Wirtschaft verändert.
Dabei gebe es durchaus Grenzen. Nicht alles sei teilbar, vor allem wenn einzelne Güter keinen großen Wert haben. „In entwickelten Ländern würde wohl niemand einen Staubsauger mieten.“ Dass zuerst Carsharing-Angebote, Mitwohnplattformen wie Airbnb oder der Privattaxidienst Uber so schnell gewachsen sind, habe einen Grund. „Autos und eine Wohnung sind die wertvollsten Dinge, die ein Mensch üblicherweise besitzt.“ Doch seien Obdach und Fortbewegung auch menschliche Bedürfnisse. Sundararajan hält es für möglich, dass Internetmarktplätze auch andere Bedürfnisse effizienter befriedigen können.
Wenn Neugier und der Drang nach Weiterbildung auch dazu zählen, ist das eine gute Nachricht für Dennis Yang. Yang führt das Unternehmen Udemy. Die Plattform aus San Francisco hat es sich zum Ziel gesetzt, die Idee des lebenslangen Lernens ins Internet zu holen und über das Netz Lernende mit Lehrern zu verbinden. Es gehe dabei darum, dass viele Menschen das Wissen von einigen Experten gleichzeitig anzapften, sagt Yang. „In der Sharing Economy wurden erst Güter miteinander geteilt, dann Dienstleistungen, jetzt sind es die speziellen Kenntnisse, die andere Menschen haben.“ Das sei auch notwendig, weil sich die Anforderungen an die Berufstätigen immer schneller erhöhten. 65 Prozent der amerikanischen Grundschulkinder von heute würden irgendwann einen Arbeitsplatz haben, der heute so noch nicht existiere.

Mehr als vier Millionen Menschen haben nach Angaben von Udemy inzwischen an mehr als 20 000 Kursen teilgenommen. Die Dozenten, die nicht unbedingt eine spezielle Ausbildung oder gar einen Hochschulabschluss brauchen, können dabei viel Geld verdienen. Der durchschnittliche Kursleiter verdiene mehr als 5600 Euro im Jahr, sagt Yang. Die zehn bestbezahlten Lehrer haben über die Plattform zusammen etwas mehr als 8 Millionen Euro erlöst. Und so auch für den Erfolg der Plattform gesorgt. Schreiben sich dort Nutzer direkt über die aufgelisteten Angebote in einen Kurs ein, behält das Unternehmen die Hälfte des Erlöses. Wenn der Lehrer selbst für Teilnehmer sorgt, behält er die gesamten Einnahmen für sich. Abgezogen wird lediglich eine Gebühr für die Zahlungsabwicklung.
Die Spannbreite des Angebots auf Udemy ist groß, es reicht von Sprachkursen über Kochklassen bis zu Gitarrenunterricht. Besonders gefragt sind aber schon jetzt Fachkenntnisse. Das zeigt auch die Nachfrage nach Kursen in Deutschland. Zu den beliebtesten Kursen der 65 000 Teilnehmer hierzulande gehörten solche, die Programmiersprachen wie Java, PHP oder Swift vermitteln.
Das hat Udemy auch mit dem Netzwerk Meetup aus New York gemein. Über die Internetseite des Unternehmens finden zwar Liebhaber aller möglichen Aktivitäten in lokalen Gruppen zueinander, um etwas zusammen zu unternehmen – vom Bergwandern über Joggen bis hin zum Skifahren. In Deutschland sammeln sich die derzeit rund 100 000 Mitglieder aber besonders häufig in Gruppen, um Programmieren zu lernen oder sich über Unternehmensgründung auszutauschen. Zu den beliebtesten Gruppen hierzulande gehören die Berliner Gruppen „Lean Startup“ oder „Tech Meetup“. Die größte Meetup-Gruppe überhaupt ist das „New York Tech Meetup“ mit 40 000 Mitgliedern, ins Leben gerufen vom Meetup-Chef Scott Heiferman.
Die Geschäftsidee, Erlebnisse mit Fremden zu teilen, kam dem Mitgründer des heute fast 20 Millionen Mitglieder starken Netzwerks nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Nachdem in New York Terroristen das World Trade Center mit Passagierflugzeugen zum Einsturz gebracht hatten, faszinierte Heiferman, wie völlig Unbekannte plötzlich zueinanderfanden, um einander zu helfen und den Schock der Anschläge zu verarbeiten. Solche Erfahrungen wollte er anderen zugänglich machen. Dabei sieht er das Internet bis heute nur als Mittel zum Zweck an: um die Menschen am Ende vom Bildschirm wegzulocken und den Austausch in der realen Welt anzustoßen.
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