Netzwirtschaft

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Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Wie sie sich auf Menschen und Märkte auswirkt, beleuchtet das Netzwirtschaft-Blog auf FAZ.NET.

Wie Big-Data-Analysen die Unternehmen verändern

| 3 Lesermeinungen

Mit Sensoren auf Maschinen und Kundenerkennung können Unternehmen heute große Datenmengen sammeln. Die Frage ist nur: Wollen sie das auch nutzen?

9276962702_57d9bfddd4_o© Jeremy Keith on Flickr (CC BY 2.0)By Jeremy Keith on Flickr (CC BY 2.0)

Wer Filialen der St. George Bank in Sydney betritt, wird schon am Eingang erkannt. Über sogenannte iBeacons, kleine Sender, bekommen Kunden eine Nachricht über die Beratung auf ihr Smartphone geschickt. So weiß die Bank schneller, was der Kunde will. Konsequent weitergedacht – und vorausgesetzt, die Kunden stimmen der Datenverwendung zu – bedeutet das: Wenn die Bank schon vorher weiß, wofür sich die Kunden interessieren und was sie für Produkte brauchen könnten, kann Beratung in Zukunft schneller und effizienter werden. Oder sogar schon jetzt wissen, was die Kunden morgen gerne haben möchten.

Das mag beängstigend klingen, funktioniert aber mit der richtigen Datenmenge schon heute vergleichsweise zuverlässig: Dinge vorhersagen. Der Zukunftsforscher Lars Thomsen sagt: “Ein guter Verkäufer weiß: Ich gebe noch einen guten Tipp, er wird Sie auf etwas hinweisen, was Sie noch brauchen.” Diese Intelligenz eines Fachverkäufers müssten Unternehmen heute übertragen, damit Maschinen es verstehen und lernen. Wer heute eine Fotokamera kauft, bekommt häufig danach im OnlineHandel noch eine Empfehlung für 97 andere Kameras. Dabei fordern Kunden eine Weiterentwicklung. Thomsens Erfahrung ist: Menschen gewöhnen sich unglaublich schnell an Innovationen, vor allem, wenn sie ihnen einen Mehrwert bringen. Gerade die vielgescholtenen mittelständischen Unternehmen seien bei der technologischen Entwicklung innovativ, bemerkt Thomsen.

Darauf setzen auch Unternehmen wie der amerikanische Softwarehersteller SAS, das sich auf Big-Data-Analysen spezialisiert hat und sich selbst als Marktführer in dem Bereich “Business Analytics” bezeichnet. Andere, große Unternehmen wie SAP bieten solche Services freilich auch an. Sie nutzen die technologischen Möglichkeiten der Echtzeitüberwachung – und müssen gerade in Deutschland darauf setzen, dass sich die Vorbehalte gegenüber Datenanalyse zerstreuen.

Daten zu sammeln wird immer leichter

Daten zu sammeln ist in den vergangenen Jahren immer leichter geworden: Denn Datenzugriff und Speicherung sind deutlich günstiger als früher, vor allem getrieben durch die Entwicklungen im Online-Handel und durch Sozialen Medien. Analytische Modelle, die sich aus großen Datenmengen berechnen, werden heutzutage nicht mehr von einer Festplatte gelesen, sondern mit sogenannten Memory-Techniken in Echtzeit an die Unternehmen ausgeliefert. So kann eine Bank sehen, wie sich die Kunden entscheiden, oder ein Autozulieferer eine Diagnose seiner Fertigungsstraße überwachen.

In der Produktion sollen die Big-Data-Analysen vor allem dabei helfen, dass Maschinen selbst lernen können und Algorithmen entwickeln, um etwa nötige Reparaturen früher zu erkennen. Noch funktioniert in der Industrie vieles nach dem Prinzip des Ingenieurswissens: Wenn der Druck über einen gewissen Wert steigt, wird ein Ventil ausgelöst. Doch die an den Maschinen angebrachte Sensoren können nicht nur Daten sammeln für Wartungsberichte, sondern sie auch gleichzeitig auswerten.

Für Dienstleister wie Banken geht es vor allem um Kommunikation: Die Kunden kommunizieren heute über alle Kanäle gleichzeitig, ob über das Telefon, die Website, per E-Mail oder in sozialen Netzwerken. Die Informationen über Kunden kann man theoretisch über alle diese Kanäle verknüpfen, um so mehr Informationen darüber zu haben, welches Konto oder welcher Kredit nun passend wäre. Oder es im Extremfall machen wie die australische Bank. “Wir helfen dabei, Intelligenz zu entwickeln”, sagt Christoph Sporleder, der seit Jahren für SAS in Deutschland die Analyse betreut und das Unternehmen berät. “Entscheidung beruht auf Erfahrung. Da hat sich jemand hingesetzt und gesagt: ,Wenn A, dann B.’ Doch alle Entscheidungsregeln müssen eigentlich analytisch getrieben sein, am besten durch selbstlernende Algorithmen”, sagt Sporleder. Je mehr Daten ein Unternehmen allerdings sammeln will, desto komplizierter ist deren Aufbereitung. Jedes analytische Modell altert ab dem Zeitpunkt, ab dem man es verwendet, weshalb es beobachtet und quasi “neu trainiert” werden muss.

Die Skepsis ist groß

Unternehmen wie SAS wollen ihre Beratung allerdings auch verkaufen, weshalb sie Studien beauftragen, die das Potential zeigen. Ein Ergebnis: Ganz vorne im Bezug auf Analysen in Echtzeit sind in Deutschland nur zwei Prozent der Unternehmen. Die geben an, mehr als 75 Prozent der verfügbaren Daten zu erschließen. Und die Skepsis ist groß: Immerhin ein Fünftel der Befragten nutzt weniger als ein Fünftel der verfügbaren Daten. Das hat der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government der Universität Potsdam herausgefunden bei einer Befragung von Managern mittelständischer und großer Unternehmen. Allerdings gebe es eine sukzessive Bewegung weg von reinen Berichten hin zur Vorhersage.

Wird also der Kunde in Zukunft mit seiner Gläsernheit zufrieden sein, wenn es ihm nur genügend Vorteile bietet? Und Unternehmen alle ihre Daten auswerten, wenn sie ihnen helfen, Kosten zu sparen? Die Antwort lautet vermutlich: ja. Zukunftsforscher Thomsen ist jedenfalls davon überzeugt, dass wir vor einer neuen industriellen Revolution stehen, von der man in 100 Jahren sprechen wird: “Wir erleben das Ende der Dummheit: Maschinen werden schlauer, können sich verändern und modernisieren.”

Neue Definitionen seien nötig, wie die Beantwortung der Frage, wie wir unsere Arbeit in Zukunft sinnvoll gestalten, wenn uns Maschinen mehr und mehr davon abnehmen. “Sitzen wir nur noch vor dem Fernseher, oder finden wir neue Wege für Kreativität?” Denn Kreativität könnte schließlich auch daraus entstehen, dass man mehr Zeit hat.


3 Lesermeinungen

  1. tecci76 sagt:

    Sozialabgaben für Roboter - neue Chance für ein Grundeinkommen?
    Ich denke gegen mehr Zeit hat niemand etwas einzuwenden. Besonders Kindererziehung, sowie Entwicklung menschlicher Kultur kann davon profitieren. Allerdings steht die große Frage im Raum: Wer bezahlt das alles? Müssen Roboter, Chat-Bots und anderer Softwaretools Sozialabgaben zahlen?

    Die Idee Unternehmen deren Geschäftsmodelle auf Digitalisierung setzen in ein Grundeinkommen für Arbeitsplatzverluste einzuzahlen, hatten ja auch schon die Chefs von Telekom und SAP.

    Vielleicht ist es an der Zeit das Thema Grundeinkommen aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Nicht ob es sinnvoll ist, sondern wie gestalten wir es im Zuge der Digitalisierung.

    Christian Fischer, Geschäftsführer TecArt

    • Jonas Jansen sagt:

      Lieber Herr Fischer,

      Stimmt, interessante Idee mit den Sozialabgaben. Aber Sie haben Recht, Telekom und SAP (die ich hier mal verlinkt habe), sind da schon vorgestoßen.

      Allerdings hat das Veto der Schweizer dem ganzen noch einmal ein wenig den Drive genommen. Und jetzt ist ja sogar Obamas Chefökonom dagegen.

      Andererseits: Die Finnen sind ja auch da vorne mit dabei, wie Wirtschaftsminister Olli Rehn einem Kollegen auch persönlich mal mitteilte (LINK). Und von denen kann man ja einiges lernen, siehe den vorigen Blogeintrag ;)

  2. JoachimvonKienitz sagt:

    Big-Data ist nicht das Non-Plus-Ultra
    Man sollte sich nicht zu sehr auf BIG-DATA verlassen, weil sie prinzipiell nur die vorhandenen Trends extrapoliert.
    Es gibt aber Produkte und Dienstleistungen, die wie aus dem Nichts plötzlich da sind und einen riesen Erfolg produzieren.
    Das Smartphone z.B. hat sich durch keinen Trend angekündigt. Kein Big-Data hätte es erahnen können. Wenn Steve Jobs nur auf Big-Data vertraut hätte, gäbe es heute kein iPhone!

    Big-Data wird auch dazu verwendet, herauszubekommen wie es zu schaffen ist, dass ich möglichst lange im Laden bleibe. Ich soll mich am Besten verlaufen. Ich habe es satt. Ich kauf lieber gleich beim ALDI. Ohne Irrgarten. Die Kunden, die erst gar nicht in den Laden kommen, bleiben total unberücksichtigt.

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