Luis von Ahn hat das Captcha erfunden und damit Millionen Menschen Zeit geraubt. Nun macht er Maschinen klüger – und hilft uns mit Duolingo, Sprachen zu lernen.
Irgendwann beschlich den Zeitdieb Luis von Ahn das schlechte Gewissen. Der Informatiker aus Guatemala hatte vor 16 Jahren das sogenannte Captcha erfunden, das jeder kennt, der sich schon einmal im Internet bewegt hat. Diese kleinen Fenster, in die man verzerrte Zahlen und Buchstabenreihen einträgt, um zu beweisen, dass auf die Seite gerade ein Mensch und keine Maschine zugreifen will. Captcha (“Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart”) nannte er es, auf die Idee kam von Ahn durch einen Yahoo-Mitarbeiter, der sich darüber beklagte, dass Computer-Bots automatisiert Millionen Mail-Accounts anlegten, der Yahoo-Mann fragte, ob man das nicht irgendwie stoppen könnte.

Konnte man, denn Menschen erkennen solche Zeichen besser als Computer. Millionen Internetnutzer tippten daraufhin ständig Captchas, worauf von Ahn zunächst einmal stolz war, weil seine universitäre Forschung plötzlich Gewicht hatte. Bis ihm diese Zahl übermittelt wurde, die ihm das schlechte Gewissen einpflanzte. 200 Millionen Captchas wurden nämlich seinerzeit täglich getippt, bei einer durchschnittlichen Zeit von 10 Sekunden, die man zum Tippen braucht, gingen der Menschheit durch von Ahns Erfindung 500 000 Stunden an möglicher Produktivität verloren – jeden Tag.
Von Ahns Lösung hieß Recaptcha und sie war so gut, dass Google sie ihm abkaufte. Denn Menschen digitalisieren mit Hilfe des Recaptchas ganze Bücher. Computer, die Texte scannen, erkennen Wörter in alten Büchern ziemlich schlecht, im Gegensatz zu Menschen. Internetnutzer helfen beim Eintippen somit dabei, die Wörter zu entziffern. Wenn zehn Personen sich einig sind, wie etwas heißt, dann ist das Wort erfolgreich erkannt – aus einer Zeitverschwendung wurde also eine Hilfe, zumindest für diejenigen, die Bücher digitalisieren. Wer heute Captchas erkennen muss, sieht immer öfter Zahlen.
Das liegt daran, dass Google sich von Menschen dabei helfen lässt, Hausnummern zu erkennen, die Googles Street-View-Autos fotografiert haben. Von Ahn findet das nützlich, er ist ohnehin einer der Begründer von Crowdsourcing, also dem Erlangen von Wissen durch die Masse – und Google hat auf seinem Forschungsweg, der durch viele Universitäten führte, immer eine wichtige Rolle gespielt. In seiner Doktorarbeit beschäftigte sich der heute 37 Jahre alte Informatikprofessor etwa mit sogenannten “Games with a purpose”, Spielen mit Sinn also. In seinem Online-Spiel ESP beschrieben zwei zufällig ausgewählte Internetnutzer ein Bild – auch hier konnten das zumindest früher Menschen noch besser als Computer. Fand Google auch, weshalb es Teil zur Verbesserung der Bildersuche wurde, bevor das gesamte Projekt gemeinsam mit dem zuständigen Google Labs vor fünf Jahren eingestellt wurde.
Duolingo hat rund um die Welt mehr als 120 Millionen Nutzer
Von Ahn bastelte da aber schon an anderen Spielen. Eines davon hieß Babble: Darin wurden englisch sprechenden Spielern Sätze in einer fremden Sprache gezeigt und darunter mögliche Übersetzungen – wenn sich wieder genügend Menschen auf eine mögliche Übersetzung einigen, ist dies meist die korrekte. So konnte mit Hilfe der Ideen des Informatikers Text übersetzt werden. Kein Wunder also, dass sich von Ahn immer noch mit Sprache beschäftigt, er hat nämlich die App Duolingo gegründet. Die soll dabei helfen, Sprachen zu lernen. Sie hat rund um die Welt mehr als 120 Millionen Nutzer. Es ist die größte Plattform der Welt für solche Zwecke. “Als wir 100 000 Nutzer hatten, dachte ich, das wäre das Größte”, sagt von Ahn dieser Zeitung. “Doch was mich jetzt besonders stolz macht, ist die Diversität. Schulen in Costa Rica und Kolumbien nutzen Duolingo genauso wie der reichste Mann der Welt.” Bill Gates hat tatsächlich einmal zugegeben, die App zu nutzen, wenngleich weniger erfolgreich, als er sich das ursprünglich vorgenommen hatte.
Von Ahns Plan mit Duolingo hat sich auch etwas verändert. Wollte er anfangs auch mit der Sprachlern-App gleichzeitig noch Texte übersetzen – so etwa die englische Seite des Nachrichtensenders CNN ins Spanische – so setzt er heute nur noch auf die Wirkung durch Lernen. “Ich komme aus Guatemala, dort bringt Bildung Ungleichheit für die Menschen. Nur wer Geld hat, bekommt eine gute Ausbildung. Ich wollte jedem Bildung ermöglichen”, sagt von Ahn. Die meisten Nutzer lernen mit Duolingo allein, mal für fünf Minuten an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer vom Arzt. Nach Angaben von Duolingo benutzen es die meisten Menschen, um sich auf Reisen vorzubereiten oder sich in einem neuen Beruf in einem fremden Land zurechtzufinden. In Europa, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika hat die App die meisten Nutzer, am häufigsten lernen sie Englisch, Spanisch, Französisch und Deutsch. Von Ahn selbst sagt, er spreche zweieinhalb Sprachen: Englisch, Spanisch und ein “kleines bisschen Portugiesisch”.
Rund um die Welt nutzen nach Angaben von Duolingo allerdings auch 100 000 Lehrer die App – Studien haben gezeigt, dass gerade schwächere Schüler, die im Unterricht nicht gut mitkommen, im Einzeltraining mit der Sprachlernfunktion zu Hause große Fortschritte machen. Ein weiterer Vorteil für die Lehrer: Sie können mit verschiedenen Aufgaben auf den unterschiedlichen Lernstand der Schüler eingehen und die Hausaufgaben digital besser prüfen. Geld verdient die App mit Gebühren für Zertifikate wie etwa Toefl-Tests, die App selbst ist kostenlos. Mehr als 83 Millionen Dollar ist das Risikokapitalgebern inzwischen wert, seitdem von Ahn Duolingo vor fünf Jahren gegründet hat. Mehr als die Hälfte des Geldes kommt von – Überraschung: Google. Nicht ohne Grund: Rund 80 Mitarbeiter hat Duolingo, fast alle arbeiten an dem System selbst, denn durch die vielen Nutzer kann die App inzwischen sogar lernen zu lehren.