Netzwirtschaft

“Wir im Silicon Valley sind zu isoliert”

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Aaron Levie hält sich mit seiner Meinung über Donald Trump nicht zurück. „Die furchterregendste Person in Amerika,“ so nannte der Mitgründer und Vorstandsvorsitzende des kalifornischen Technologieunternehmens Box den neuen Präsidenten während des Wahlkampfs im vergangenen Jahr. Am Tag nach der Präsidentschaftswahl twitterte Levie: „Ihr kennt diese Zeiten, wenn wir andere Länder ansehen und sagen: ‚Mann seid Ihr Leute verrückt.‘ Scheiße, das sind jetzt wir.“ Und auch zu dem in vergangenen Woche von Trump verhängten Einreisestopp für Personen aus einer Reihe mehrheitlich muslimischer Länder hat der 32 Jahre alte Unternehmer eine klare Position: „In jeder Hinsicht – moralisch, humanitär, wirtschaftlich, logisch etc. – ist dieses Verbot falsch und widerstrebt völlig den Prinzipien Amerikas.“

Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten hat Unternehmer und Manager vor ungewohnte Fragen gestellt. Sollen sie die von Trump ausgelösten Kontroversen ignorieren oder Stellung beziehen? Sollen sie es riskieren, zum Ziel einer seiner berüchtigten Twitter-Attacken zu werden? Sollen sie Zugeständnisse machen, wenn Trump sie unter Druck setzt, statt im Ausland in Amerika zu investieren? Für Aaron Levie ist Schweigen jedenfalls keine Lösung. Er sagt im Gespräch mit der F.A.Z., er halte es für einen „Mythos“, dass die Chefs börsennotierter Unternehmen sich aus politischen Angelegenheiten heraushalten sollten. Er habe selbst von einer Reihe von Aktionären Beifall dafür bekommen, dass er mit seinen Meinungen an die Öffentlichkeit geht. „Viele Investoren wollen sich bei Unternehmen engagieren, die Prinzipien haben.“ Levie gibt zu, er habe bislang noch nicht die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, zur Zielscheibe eines verärgerten Tweets von Trump zu werden. Aber dieses Risiko gehe er ein.

Vielen Unternehmen ist vorgehalten worden, Trump gegenüber allzu kritiklos zu sein und sich bei ihm einzuschmeicheln, indem sie ihm Investitionen und Arbeitsplätze versprechen. Levie sagt, er wolle das niemandem zur Last legen. Aber er meint, es müsse ein Balanceakt möglich sein. Das heißt nach seiner Auffassung, einerseits den konstruktiven Dialog mit der Regierung suchen, aber andererseits auch dagegenhalten, wenn man mit ihrem Handeln nicht einverstanden ist. Den Autohersteller Ford sieht er als ein positives Beispiel. Das Unternehmen wurde schon im Wahlkampf wiederholt von Trump wegen der geplanten Ausweitung seiner Produktion in Mexiko attackiert. Die Stimmung wurde versöhnlicher, als Ford das Vorhaben aufgab, und Vorstandschef Mark Fields war seit Trumps Amtsantritt schon mehrfach im Weißen Haus. Das sah zunächst nach Unterwürfigkeit und Einknicken aus, aber in dieser Woche kritisierte Ford den Einreisestopp in sehr deutlichen Worten. „Es ist jetzt eben ein kompliziertes Umfeld,“ sagt Levie.

Deshalb findet der Unternehmer es auch gut, dass prominente Vertreter aus der Technologiebranche im Dezember zu einem Treffen mit Trump nach New York gekommen sind. In der Besprechung steckte viel Zündstoff, denn viele der versammelten Top-Manager hatten sich im Wahlkampf klar auf die Seite von Trumps Rivalin Hillary Clinton geschlagen. Aber hinterher hieß es, es habe eine produktive Atmosphäre geherrscht. Levie meint, es sei wichtig, dass die Branche eine „starke Stimme“ habe und sich damit bei der Regierung Gehör verschaffe. Insofern könne es ihr auch nur zu Gute kommen, dass Peter Thiel, der das Treffen im Dezember organisiert hat, zu den Vertrauten von Trump gehöre. Der deutschstämmige Investor, der mit seinem Engagement bei Unternehmen wie Facebook berühmt wurde, hat sich im Wahlkampf öffentlich auf Trumps Seite geschlagen, was im Silicon Valley für einige Verwunderung gesorgt hat. Auch Levie gibt zu, ihm sei schleierhaft, was Thiel motiviert habe, aber letztlich sei das eine gute Sache: „Er wird der Innovation eine Stimme geben.“

Das Silicon Valley galt als einer der größten Verlierer der Präsidentschaftswahlen. Nicht nur, weil seine prominentesten Manager für Clinton waren und weil Trumps Positionen auf Gebieten wie Einwanderung, Freihandel oder Klimapolitik völlig den dort gängigen Auffassungen widersprechen. Trumps Botschaft im Wahlkampf zielte auch auf die Wiederbelebung der klassischen verarbeitenden Industrie und gerade nicht auf das Silicon Valley mit seiner Mentalität der Disruption, die traditionelle Geschäftsmodelle in Frage stellt. Levie gibt zu, dass es dem Silicon Valley an einer gewissen Sensibilität für den Rest Amerikas fehlt. Er sieht das nicht als Zeichen von Arroganz, sondern eher von Isolation. „Das Silicon Valley ist wie eine Stadt, in der alle für die gleiche Firma arbeiten. Jeder im Freundeskreis und jeder, den man auf der Straße trifft, ist in der Tech-Industrie.“ Levie meint, diese Isolation habe sich das Silicon Valley früher auch leisten können. Heute aber sorge die Branche mit ihren Technologien dafür, dass auch immer mehr klassische Industrien sich dramatisch verändern. Sie helfe zum Beispiel dabei, autonomes Fahren zu ermöglichen, was nicht nur Autohersteller betrifft, sondern auch die Frage nach der Zukunft von Lastwagenfahrern aufwirft, von denen es in Amerika mehrere Millionen gibt. „Das Silicon Valley muss sich mehr Gedanken darüber machen, wie man dabei helfen kann, dass die Menschen auch auf dem Arbeitsmarkt von Innovation profitieren.“

Produktionskapazitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückzuholen, wie es Trump propagiert, sieht Levie dabei nicht als den besten Ansatz. Für ihn kann die Lösung nur darin liegen, an der Spitze des Fortschritts zu bleiben, denn auch das könnte „Millionen und Abermillionen“ neue Arbeitsplätze schaffen. Auf lange Sicht wird sich nach seiner Meinung der Fortschritt ohnehin nicht aufhalten lassen, auch wenn er vielleicht während der Amtszeit einer Regierung zwischenzeitlich gebremst werden kann. Denn letztlich würden Innovationen Dinge in vielen Lebensbereichen zu sehr zum Positiven verändern, ob nun in der Medizin oder im Transportwesen. „In zwanzig Jahren werden die Leute nicht mehr selbst Auto fahren, und sie werden sich fragen, wie es sein konnte, dass früher so viele Unfälle passiert sind.“

Der Einreisestopp wird womöglich nicht das letzte Dekret bleiben, mit dem Trump das Silicon Valley gegen sich aufbringt. Technologieunternehmen befürchten auch, dass es schwieriger werden könnte, Visa für gut ausgebildete Ausländer zu bekommen. Oder dass Homosexuellen Rechte wieder weggenommen werden, die sie in den vergangenen Jahren bekommen haben – ein Gebiet, auf dem sich die Technologiebranche besonders eingesetzt hat. Levie sagt: „Es gibt einfach die grundsätzliche Sorge, dass eine Rückwärtsbewegung beginnt, nachdem unser Land in den vergangenen Jahren offener und toleranter geworden ist.“ Er streitet dabei nicht ab, dass das Silicon Valley seine eigenen Herausforderungen hat, was Vielfalt angeht. Die dortigen Belegschaften sind überwiegend männlich und von weißer Hautfarbe oder asiatisch, wie aus den von Google und anderen Unternehmen vorgelegten „Diversity“-Berichten hervorgeht. Levie gibt zu, dass Box ähnliche Quoten hat. „Aber wir erkennen dieses Problem und arbeiten daran. Deshalb ist es auch keine Heuchelei, von der Regierung Toleranz einzufordern.“

Box ist auf Angebote rund um „Cloud Computing“ spezialisiert, zum Beispiel Online-Speicherung von Daten. Das 2005 gegründete Unternehmen wird an der Börse mit mehr als zwei Milliarden Dollar bewertet, wächst rasant, macht aber noch erhebliche Verluste. Sam Ghods, neben Levie einer der Mitgründer, hat seine Wurzeln im Iran, einem der von dem jetzt verhängten Einreisestopp betroffenen Länder. Seine Eltern sind einst vom Iran nach Amerika ausgewandert. Deshalb hat das Verbot für Levie auch eine persönliche Dimension: „Wären Sams Eltern damals nicht hereingelassen worden wären, gäbe es Box heute nicht.“

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