Netzwirtschaft

Netzwirtschaft

Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Wie sie sich auf Menschen und Märkte auswirkt, beleuchtet das Netzwirtschaft-Blog auf FAZ.NET.

05. Aug. 2017
von Jonas Jansen
4 Lesermeinungen

19
21064
   

“Wir sind im Mittelalter, wenn wir an Computer denken”

Vishal Sikka hat als Entwicklungschef die Geschicke von SAP mitbestimmt. Seit drei Jahren leitet er Infosys, einen der größten IT-Konzerne der Welt. Doch seine Mission liegt woanders.

Um den Antrieb von Vishal Sikka zu verstehen, dem Chef des indischen IT-Dienstleisters Infosys, hilft es, seiner Frau Vandana zuzuhören. Sie sagt: “Computerwissenschaft ist die neue Alphabetisierung.” Und liefert gleich ein paar Zahlen mit: Im finsteren Mittelalter habe der Anteil der Menschen, die lesen und schreiben konnten, bei knapp 6 Prozent gelegen. Heute könnte weniger als 1 Prozent der Weltbevölkerung programmieren. Vishal Sikka sagt deshalb: “Das ist ein großes Problem. Wir sind im Mittelalter, wenn wir an Computer denken.” Solch eine Aussage mag auf den ersten Blick verwundern, arbeitet der 50 Jahre alte Manager mehr als sein halbes Leben mit Computern, er steht einem der größten IT-Konzerne der Welt vor, mit gut 10 Milliarden Dollar Umsatz.

Sikkas Kampf für mehr Programmierer liegt aber nicht nur in der Infosys-Stiftung begründet, die seine Frau leitet und die schon Kindern Computerwissenschaft nahebringen will. Der gebürtige Inder, der inzwischen die amerikanische Staatsbürgerschaft besitzt, will nämlich in den kommenden Jahren 10 000 amerikanische Computerwissenschaftler einstellen. “Denn unsere Art zu arbeiten, verändert sich fundamental”, sagt Sikka im Gespräch mit dieser Zeitung. Neue Ideen und Arbeitsweisen verlangten nach mehr Zusammenarbeit. “Die ganze Welt digitalisiert sich, und wir haben zu wenig Leute dafür.” Deshalb investiert Sikka auch in Universitäten. Jeder, der als Programmierer bei ihm in Indien zu arbeiten anfängt, durchläuft vorher ein dreimonatiges Training an der konzerneigenen Universität und wird in Programmiersprachen geschult.

Auch Infosys experimentiert mit selbstfahrenden Autos

Zur Präsentation der letzten Quartalszahlen ist Sikka in einem autonom fahrenden Golfcart gerollt. Zwar steigt Infosys nicht in die Produktion autonom fahrender Systeme ein, wie der Manager versichert, jedoch sollten seine Mitarbeiter verstehen, wie die Technik funktioniert, weshalb er sie so ein Gefährt hat entwickeln lassen. Sikka sagt, dass er eine innovative Kultur schaffen will: “Wenn wir die richtigen Fähigkeiten erlernen, müssen wir keine Angst haben, dass uns Maschinen die Arbeit wegnehmen. Sondern können mit ihrer Hilfe unserer Fähigkeiten verstärken.” Stattdessen lebten wir immer noch in einer Zeit, in der Unternehmertum als etwas gesehen werde, das nur wenige tun. “Dabei können wir eine Kultur des Unternehmertums schaffen, wenn wir nur die richtige Infrastruktur dafür bauen.”

Deshalb will Sikka auch nicht die einfache Erklärung dafür gelten lassen, warum das indische Unternehmen, das für die Auslagerung von Software bekannt ist und vor allem Inder beschäftigt, nun plötzlich auf Amerikaner setzt. Unternehmen wie Infosys stehen nämlich in den Vereinigten Staaten immens unter Druck. Präsident Donald Trump hatte angekündigt, die Regelungen für die sogenannten H-1B-Visa zu überarbeiten. Diese Papiere brauchen ausländische Arbeiter, um in Amerika arbeiten zu dürfen. Voraussetzung war bisher eine Mindestqualifikation und ein Mindesteinkommen.

Allein Infosys beschäftigt fast 13 000 Menschen mit H-1B-Visa in den Vereinigten Staaten, der Konkurrent TCS rund 11 000. Durch die Neuregelung der H-1B-Visaregeln würde der Mindestlohn in Zukunft bei 130 000 Dollar liegen, was mehr als einer Verdoppelung von derzeit 60 000 Dollar entspricht. “Wir halten uns natürlich an alle Visa-Vorgaben. Aber sie sind nicht der Treiber für das, was wir gerade tun”, sagt Sikka. Schon vor drei Jahren, als er neu anfing als Chef von Infosys, habe er mehr als 2000 amerikanische Informatiker eingestellt.

Von SAP zu Infosys

Sikka war früher Entwicklungsvorstand von SAP, der erste überhaupt in dem Unternehmen. Unter seiner Führung wurden große Teile der Hana genannten Entwicklungsplattform ausgetüftelt, die noch heute immens wichtig für SAP ist. Sikka wurde zeitweise nachgesagt, er könne der nächste Chef des deutschen Softwareunternehmens werden. Nach dem Wechsel von Jim Hagemann Snabe in den Aufsichtsrat wurde jedoch Bill McDermott alleiniger Chef, Sikka wechselte 2014 zu Infosys. Zu Snabe und auch SAP-Gründer Hasso Plattner verbindet ihn aber heute noch ein freundschaftliches Verhältnis. Manchmal, wenn er in Deutschland ist, was häufig als Zwischenstopp auf dem Weg von Palo Alto nach Bangalore der Fall ist, trifft er sich mit den alten Kollegen. Manch einen hat er abgeworben.

Sikka ist einer, der zwar Sakko trägt, aber ein T-Shirt statt Hemd darunter. Und er ist einer, der auch die Aufregung um Künstliche Intelligenz (KI) eher locker sieht. Das mag damit zusammenhängen, dass er in dem Thema promoviert hat. Gelernt hat er von John McCarthy, der als Vater der KI gilt, ein zweiter wichtiger Forscher in dem Feld, Marvin Minsky, schrieb Sikkas Empfehlungsschreiben. Heute sitzt der Infosys-Chef als Beirat im KI-Kreis des Weltwirtschaftsforums. “In den letzten Jahren gab es einige Durchbrüche in der KI, doch noch ist sie sehr primitiv”, sagt Sikka. Computer seien gut darin, Katzen auf Bildern zu erkennen, oder ein Gesicht aus einer Menge zu identifizieren. “Aber der leichteste Weg, ein autonomes Auto auszutricksen, ist derzeit, ein Foto von einem Kind in die Heckscheibe des voranfahrenden Autos zu kleben”, sagt Sikka und lacht. Es sei noch ein langer Weg. “Aber ich bin hoffnungsvoll.”

05. Aug. 2017
von Jonas Jansen
4 Lesermeinungen

19
21064

   

04. Aug. 2017
von Jonas Jansen

2
4425
   

Der Lieferant von nebenan

Um sie vom Internet zu überzeugen, hat Jitse Groen die ersten 700 Restaurants persönlich abgeklappert. Heute ist sein Unternehmen Takeaway.com an der Börse. Doch der Niederländer will mehr – und setzt dabei auf Lieferando.

© femme run on flickr, CC BY-ND 2.0Wenn der Hunger kommt, will Takeaway.com schon da sein.

Jitse Groen hat ein Problem mit seinem Geschäftsmodell: Er kann es nicht leiden. Aber seine Kunden mögen es, wenn sie ihr Essen auch bei Nordsee oder Vapiano bestellen können, selbst wenn sich diese Restaurants keine eigenen Lieferdienste leisten. Deshalb baut Groen in seinem Unternehmen Takeaway.com einen eigenen Lieferdienst aus, obwohl dieser ihn viel kostet. Die Fahrer, Versicherungen – und das Benzingeld. Besonders in großen Städten wie Berlin oder München sind die Fahrer mit Autos unterwegs. Sie alle auf Elektroroller oder Fahrräder umzustellen wäre eine Idee; aber die sind auch nicht umsonst.

Die Bestellung kostet die Kunden keine Liefergebühr, und daran will Groen auch festhalten. “Wir bieten das nicht an, um Geld damit zu verdienen, sondern um bekannter zu werden”, sagt der 39 Jahre alte Niederländer. So holt Groen nämlich auch Kunden von Restaurants ohne Lieferdienst auf seine Essensbestellplattform. Die Restaurants zahlen eine Gebühr.

Doch Groens Geschäftsmodell hat noch ein zweites Standbein, was er wiederum gern mag. Sein Hauptgeschäft ist eine Lieferdienstplattform. Und die ist für sein Unternehmen außerordentlich günstig – und bringt viel Geld ein. In Deutschland läuft das Geschäft unter der Marke Lieferando. Auf der Internetplattform werden Restaurants gelistet, bei denen hungrige Kunden bestellen können. Groen vermittelt Pizzerien, Sushi-Läden oder indischen Restaurants über Apps und Internetseiten die Essensbestellungen der Kunden und kassiert dafür eine Provision. Das Essen liefern die Restaurants allerdings selbst aus, weshalb Groen so Kosten ausgelagert hat.

Mehr als 11000 Restaurants in Deutschland

Damit hat es Takeaway.com zu einer gewissen Größe geschafft: Speisen aus mehr als 11 000 Restaurants vermittelt Lieferando allein in Deutschland. Angefangen hat Groen in Deutschland vor fast zehn Jahren, damals noch unter der Marke Lieferservice.de. Sie wurde vor drei Jahren mit Lieferando zusammengeschlossen, als Groen den Konkurrenten kaufte. “Damals haben wir 40 Prozent unserer Kunden verloren, weil die verwirrt wurden von anderen Logos und anderen Namen”, sagt Groen. Er muss lachen, wenn er daran denkt, weil für ihn heute kaum etwas so wichtig ist wie die Markenbekanntheit. “Wir müssen da sein, wenn die Leute hungrig sind. Nur wissen wir nicht, wann die Leute Hunger haben, deshalb müssen wir schon vorher in ihrem Kopf sein.”

Deshalb gibt Groen auch viel Geld für Werbung aus. In den ersten sechs Monaten waren das fast 59 Millionen Euro, wie der am Mittwoch veröffentlichte Halbjahresbericht zeigt. Das sind 62 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Ausgaben und weitere Investitionen fressen deshalb auch das Wachstum im Umsatz auf, der um 53 Prozent auf 77 Millionen Euro zugelegt hat. Trotzdem macht sich Groen keine Sorgen wegen der 21 Millionen Euro Verlust im ersten Halbjahr. Zum einen, weil Takeaway.com noch 108 Millionen Euro in Bargeld hält und zum anderen im niederländischen Heimatmarkt längst profitabel ist.

Delivery Hero ist der größte Konkurrent

In Deutschland, dem zweitgrößten Markt, will Groen in zwei bis drei Jahren schwarze Zahlen schreiben. Die Ausgaben will er trotzdem nicht reduzieren. “Wir haben viele Verkäufer in Deutschland eingestellt, ich will bald auf 25 000 Restaurants kommen”, sagt Groen. Zurückhaltend ist der Manager nicht, was auch damit zusammenhängen mag, wie sein Geschäft einst begann: Als er um die Jahrtausendwende in den Niederlanden begann, habe er die ersten 700 Restaurants noch selbst aufgesucht, um seine Idee vorzustellen. Essen über das Internet zu verkaufen kam damals niemandem in den Sinn. “Als ich anfing, gab es kein Breitband-Internet, und es gab kein Geld von Investoren in dem Bereich.”

Heute sieht das ganz anders aus, Bestellplattformen haben in ganz Europa von vielen Investoren Risikokapital erhalten. Auch wenn Groen Deutschland noch als Nachzüglermarkt sieht, weil die verschiedenen Anbieter erst zu spät angefangen hätten, Werbung für sich zu machen. Der größte Konkurrent von Takeaway.com heißt in Deutschland Delivery Hero, das Berliner Unternehmen, zu dem unter anderem die Marken Lieferheld und Pizza.de gehören. Die Unternehmen stehen im starken Wettbewerb und überziehen sich gerne auch mal mit einstweiligen Verfügungen. Die Geschäftsmodelle der Unternehmen gleichen sich: Auch Delivery Hero leistet sich einen eigenen Lieferdienst namens Foodora. Das Unternehmen, an dem die Internetbeteiligungsgesellschaft Rocket Internet Anteile hält, ist vor kurzem an die Börse gegangen. Groen war schneller: Takeaway.com ist seit Ende September in Amsterdam gelistet, 175 Millionen Euro hat das Unternehmen damals eingenommen. Seit dem Börsengang ist der Aktienkurs um mehr als 60 Prozent gestiegen, von 23,50 Euro auf gut 38 Euro.

04. Aug. 2017
von Jonas Jansen

2
4425

   

09. Jun. 2017
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

4
4620
   

Alibaba kämpft um Europa

Der chinesische Online-Händler kooperiert mit großen deutschen Unternehmen. Doch noch ist der Konzern hierzulande nur ein Start-up

© ReutersKein normales Unternehmen: Alibaba-Mitarbeiter auf einer Massenhochzeit

Die deutsche Wirtschaft ist nicht erst seit der geplanten neuen Seidenstraße ganz verrückt nach China. Henkel war eines der ersten internationalen Unternehmen, mit denen der chinesische Online-Händler Alibaba eine Partnerschaft unterzeichnet hat. “Heute machen wir die Hälfte des Geschäfts mit unseren Schwarzkopf-Produkten in China über deren Plattform, das sind weit über hundert Millionen Euro Umsatz”, sagte Hans van Bylen, der Chef von Henkel, kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung. “Alibaba war für uns der Eintritt nach China, wir waren damals relativ spät dran, und Alibaba war ein ganz junges Unternehmen. Das hat für uns beide gepasst.”

In Deutschland ist Alibaba noch ein ganz junges Unternehmen: In der Heimat macht der Online-Händler Milliardenumsätze, doch hierzulande arbeitet nur eine Handvoll Mitarbeiter für die Chinesen. Terry von Bibra ist ihr Chef, und er hat den Vorteil, dass er viel Freiheit hat, um für Alibaba zu ergründen, was den europäischen Markt vom chinesischen unterscheidet. Noch fragt ihn niemand aus der Zentrale, warum den Zahlungsdienst Alipay außer chinesischen Touristen in Deutschland noch kaum jemand nutzt. “Es geht nicht um Umsätze, sondern darum, zu verstehen, was ankommt”, sagt von Bibra. In China sei Alipay groß geworden, weil es im Gegensatz zu Deutschland zuvor keine guten zuverlässigen Zahlungssysteme gab. Außerdem sind die Konsumenten in China sehr schnell dabei, wenn es darum geht, etwas Neues auszuprobieren. In Deutschland setzt die Drogeriekette Rossmann Alipay ein. Auch an einigen deutschen Flughäfen ist das kontaktlose Bezahlen mit der App der Chinesen ein Umsatztreiber: Denn die Chinesen lieben es, mit ihrem Smartphone zu bezahlen. Mit 450 Millionen Nutzern in China erreicht Alipay etwa so viele Menschen, wie die Europäische Union Einwohner zählt.

Die schiere Größe des chinesischen Markts macht ihn für die großen deutschen Unternehmen interessant: Bosch machte in China im vergangenen Jahr 12,5 Milliarden Euro Umsatz, was 12 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum sind. “China ist heute der größte Markt für Bosch außerhalb Deutschlands und bleibt ein wichtiger Wachstumstreiber für unser Unternehmen”, sagte Peter Tyroller, der die Asien-Pazifik-Region für Bosch verantwortet. Auch Aldi Süd hat große Erwartungen an den chinesischen Markt und vor allem an die stetig wachsende Mittelschicht, die nach Aldi-Produkten dürstet. Auf der Tmall genannten Plattform von Alibaba verkauft seit neuestem auch dm sein Milchpulver an Chinesen.

Kontakt halten zu großen und wichtigen deutschen Unternehmen

Für Terry von Bibra bedeutet seine Aufgabe als Europachef deshalb viel mehr, als nur das eigene Geschäft auszubauen. Es geht auch darum, Kontakt zu halten zu den großen und wichtigen deutschen Partnern. “Es gibt noch viele Unternehmen, die nicht verstehen, wie E-Commerce in China funktioniert”, sagt von Bibra. Dass Alibaba inzwischen auch eine riesige Zahlungs- und Cloud-Plattform betreibt, hängt zum Beispiel vor allem damit zusammen, dass das Unternehmen seinen Handel effizienter machen wollte.

Alibaba probiert viel aus, ein Tochterunternehmen wurde einzig dafür gegründet, eSports rund um die Welt bekannter zu machen und um damit Geld zu verdienen. Solche Computerspielwettkämpfe sind vor allem in Asien ungemein beliebt, ziehen aber auch in Europa immer mehr Publikum an. Bei Meisterschaften ist auch in Frankfurt das Fußballstadion ausverkauft, die Preisgelder betragen mitunter mehrere hunderttausend Euro. Fußballvereine wie Schalke 04 haben eigene eSports-Abteilungen geschaffen. Und Alibaba mischt mit.

In der Heimat experimentiert das Unternehmen mit VR und AR, virtueller und erweiterter Realität. Smartphone-Apps erschaffen entweder ganz neue Welten in Videobrillen, oder sie projizieren Zusatzinhalte auf die Smartphone-Displays der Kunden. Wie das erfolgreich funktioniert, hatte Nintendo im vergangenen Jahr mit dem Spiel Pokémon Go vorgemacht. Doch Alibaba muss sich da nicht verstecken: Am sogenannten “Singles-Tag” hat das Unternehmen ein Handyprogramm angeboten, das Einkaufen mit Spielen verbindet. Die Kunden konnten in Geschäften eine Katze suchen, die virtuell zwischen den Regalen auftauchte. Eine Spielerei – die allerdings 6 Millionen Nutzer anzog. “Konsumenten sind viel weiter als die Unternehmen, was das Einkaufsverhalten betrifft”, sagt von Bibra. “Wir müssen da hinterherlaufen, was die Begeisterungsfähigkeit angeht.”

Singles-Day bricht alle Rekorde

Ohnehin stellt der “Singles-Tag”, der immer am 11. November stattfindet, alles in den Schatten, was Online-Einkäufe angeht. An diesem Tag gewähren viele Händler starke Rabatte, im vergangenen Jahr dauerte es 52 Sekunden, bis der Wert der über Alibaba verkauften Waren die Marke von 1 Milliarde Yuan (135 Millionen Euro) übersprungen hatte. Bis die Grenze von 10 Milliarden Yuan überschritten war, dauerte es sechs weitere Minuten. Zwischenzeitlich gab es 175 000 Bestellungen pro Sekunde, die alle über die Cloud von Alibaba abgewickelt wurden.

In China ist der Konzern der größte Cloud-Anbieter, im Herbst ist das Unternehmen erstmals nach Europa gekommen. In einem Rechenzentrum von Vodafone in Frankfurt hat sich Alibaba eingemietet. “Wäre Vodafone auch mit einem unbekannten Start-up aus China eine solche Partnerschaft eingegangen? Ich glaube nicht”, sagt von Bibra. In Europa habe Alibaba nun einen großen Vorteil, weil man sich durch den Heimatmarkt mit großen Datenmengen auskenne.

Der Cloud-Markt ist hart umkämpft

Hier trifft Alibaba freilich auf einen hartumkämpften Markt. Andere globale Unternehmen wie Google, Dropbox, Salesforce oder Microsoft bieten Cloud-Lösungen an, Amazon hat mit seinen Web-Services etablierten Unternehmen schon Marktanteile abgejagt. Aber der Wettbewerb in Europa könnte dem Unternehmen neuen Anschub geben. Auf dem Heimatmarkt gelten Alibaba und auch die Suchmaschine Baidu als unerreichbar für die Konkurrenz. Google ist verboten in China, deshalb durchsuchen fast alle Chinesen das Internet mit Baidu. 80 Prozent des Umsatzes von Alibaba stammten aus China, als das Unternehmen in New York an die Börse ging. Heute sind es 85 Prozent. In China hat Alibaba seinen Umsatz im kürzlich abgelaufenen vierten Quartal um 60 Prozent gesteigert – auf gut 5,6 Milliarden Dollar. 454 Millionen Käufer zählt die Einkaufsplattform, 11 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Die Expansion in neue Geschäftsfelder und steigende Investitionen im Ausland belasten allerdings das Ergebnis: Analysten hatten zuletzt höhere Gewinne erwartet.

Bevor Terry von Bibra zu Alibaba gewechselt ist, hat er für Karstadt gearbeitet, Ende der neunziger Jahre hat der Niederländer das Marketing von Amazon mit aufgebaut. Der Manager kennt sich also aus mit Zielvereinbarungen und Plänen von Unternehmen. Trotzdem wurde er von den Chinesen überrascht. Denn im ersten Gespräch mit seinem Chef ging es nicht um einen Quartalshorizont, sondern um seine Ziele für die nächsten 10 bis 15 Jahre. “Wir denken sehr langfristig, daran musste ich mich auch erst einmal gewöhnen”, sagt von Bibra. “Alibaba ist ein ungewöhnliches Unternehmen. Nur so kann man im globalen Online-Handel groß werden.”

09. Jun. 2017
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

4
4620

   

08. Mai. 2017
von Jonas Jansen

4
1669
   

Mit dieser Suchmaschine können Sie Videos durchforsten

Die Suchmaschine Spaactor aus Bremen macht Radiosendungen und Youtubevideos durchsuchbar. Doch es gibt auch noch andere smarte Start-ups.

Angenommen, auf dem Weg zur Arbeit wäre kürzlich eine Sendung im Autoradio über unbemannte Fahrzeuge, die sogenannten Drohnen, gelaufen. Die Sendung wäre interessant gewesen, so sehr, dass man sie gerne noch einmal nachhören wollte – doch wie war noch gleich der Titel? Oder der Name des Programms? Oder der Sender? Schwierig, sich so etwas zu merken, wenn man sich aufs Autofahren konzentriert. Wie gut wäre da eine Suchmaschine für gesprochene Wörter in Radiosendungen, Podcasts oder Videos. Christian Schrumpf und Thorsten Schoop haben solch eine Suchmaschine entwickelt, die Sprache erkennt und sie in Text umwandelt und somit durchsuchbar macht. Spaactor nennen die beiden das, doch noch kennt kaum jemand ihre Technologie. Dabei haben die Deutschen etwas entwickelt, was nicht nur bislang einzigartig ist, sondern in Zukunft die Art verändern könnte, wie wir Medien konsumieren.

Mit steigender Nutzung von mobilen Geräten wie Smartphones oder Tablets und der sich – wenn auch nur langsam – verbessernden mobilen Internetverbindung werden Videos immer beliebter. In sozialen Netzwerken wie Facebook machen sie schon einen großen Anteil aller geteilten Inhalte aus, nicht nur die Unternehmen setzen darauf, sondern auch die Werber. Da erscheint es nur logisch, Videos und gesprochene Wörter durchsuchbar zu machen. Was wie ferne Zukunftsmusik klingt, ist eigentlich schon eine alte Idee: In seiner Diplomarbeit am Fraunhofer-Institut hatte der Informatiker Schrumpf die Idee schon entwickelt, das war im Jahr 2004.

Das war ein Jahr bevor Youtube gegründet wurde, Videoplattformen im Internet waren noch alles andere als selbstverständlich und die Technik noch nicht bereit. Ganz zu schweigen vom rechtlichen Rahmen: Erst mit einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs im Jahr 2014, welches das sogenannte Video-Embedding erlaubte, also das Einbinden fremder Inhalte auf der eigenen Internetseite, ergab sich die Möglichkeit, Spaactor als eigene Internetseite und als Unternehmen zu gründen.

Die Suchmaschine springt an die gewünschte Stelle

Denn der Clou der Suchmaschine ist: Sie zeigt nicht nur die gefundenen Podcasts oder Videos an, sondern springt auch direkt an die Stelle, an der der gesuchte Inhalt vorkommt. Die dahinterliegende Spracherkennung hat nach Angaben der Unternehmer schon eine Genauigkeit von 80 bis 85 Prozent. “Bei der Tagesschau sind es nahezu 100 Prozent. Die geben sich Mühe”, sagt Schoop. Schwieriger seien derzeit noch Dialekte oder wenn in Talkshows kreuz und quer durcheinandergesprochen werde. Doch daran arbeiten die Gründer.

Derzeit durchsucht Spaactor 250 Kanäle, Mediatheken der öffentlich-rechtlichen Sender genauso wie etwa Youtube-Kanäle von Fußballvereinen oder bekannten Youtube-Stars. Nutzer können Vorschläge für weitere Sender machen, welche die Gründer dann redaktionell prüfen. So wollen sie anstößige und gewaltverherrlichende Inhalte von ihrer Plattform fernhalten. Derzeit liegen rund 1 Million Dokumente in der Datenbank, jeden Tag kommen 2000 bis 3000 dazu. Aus der ARD-Mediathek zieht sich der Algorithmus alle 15 Minuten neue Inhalte und macht sie durchsuchbar. Derzeit arbeiten die Gründer an einer englischsprachigen Variante der Suchmaschine.

Dafür suchen sie noch Investoren, und deshalb hatte Spaactor auch einen Stand in Halle 11 auf der Computermesse Cebit in Hannover. Gemeinsam mit rund 400 anderen Start-ups präsentierte sich das Jungunternehmen aus Bremen an kleinen Ständen in dem “Scale 11” genannten Forum, bei dem diese Zeitung Medienpartner ist. Die Suche nach Risikokapitalgebern ist inzwischen abgeschlossen. Schoop und Schrumpf sind zufrieden mit dem Interesse an ihrem Produkt. Das sei in der Woche auf der Cebit deutlich zu spüren gewesen.

Geld mit Anzeigen verdienen

Geld verdient Spaactor derzeit über Anzeigen, außerdem bietet das Unternehmen eine kostenpflichtige Suchabfrage an extra für Unternehmen, die bestimmte Suchbegriffe über einen längeren Zeitraum überwachen wollen. Denkbar wäre auch, dass Unternehmen oder Parteien im Wahlkampf Videoanzeigen schalten, die ähnlich wie bei Google über den normalen Suchtreffern angezeigt werden. So könnte etwa Angela Merkel ihre Parteitagsrede besonders prominent plazieren lassen, wenn man in Spaactor nach ihr sucht.

Die Perspektiven für das junge Unternehmen sind rosig, denn die Infrastruktur für seine Technologie steht bereits. Mit der Azure-Cloud von Microsoft im Hintergrund ist das Geschäftsmodell auch gut skalierbar, das bedeutet, dass Spaactor den benötigten Speicherplatz und die Server für die Suche schnell dazubuchen könnte, falls das Interesse deutlich steigt. Und das Unternehmen hat den Vorteil, Erster zu sein, doch die Konkurrenz schläft nicht: “Google oder Facebook könnten so etwas sicher auch entwickeln, aber offenbar liegen ihre Prioritäten derzeit woanders”, sagt Schrumpf. Gut 150 000 Euro würde es kosten, so eine Spracherkennungssoftware zu entwickeln, sagt der Informatiker. Und vielleicht klopfen die großen Unternehmen aus dem Silicon Valley ja irgendwann an, um die Spaactor-Technik zu kaufen – es wäre nicht das erste Mal, dass einem Start-up so etwas passiert.

Auf den Geldregen durch einen Exit hofften in der Halle 11 natürlich viele der jungen Unternehmen. Die Bandbreite der Ideen ist groß und die Interessen der Besucher grundverschieden. Während manche Start-ups die meiste Zeit allein an ihrem Stand herumsitzen und darauf warten, dass sich jemand für ihre App interessiert, strömen an anderen Ständen die Interessierten gleich in Gruppen herbei.

3D-Druck wird günstiger – und schneller

So wie bei Triditive, einem spanischen Unternehmen, das einen neuartigen 3D-Drucker präsentiert. Mariel Diaz, Gründerin und Chefin des Unternehmens, kommt eigentlich aus Kolumbien, doch sie forscht seit einiger Zeit an der Universität Oviedo zu 3D-Druck. Gut 3000 Euro kostet der Drucker, der gut 1000 Teile pro Woche produzieren kann. Das Gerät soll eine Lücke füllen zwischen industrieller Großproduktion und der Spielerei von Technik-Nerds, die einfach nur ein bisschen mit 3D-Druck experimentieren wollen, um Prototypen zu bauen. “So wie wir druckt kein anderer”, sagt Diaz.

Was dafür viele andere Start-ups machen, sind Apps, also Programme für Smartphones. “Daily Dress” ist so eine, die Kleidungsstücke für jeden Tag empfehlen soll, individuell auf den Kleiderschrank der Kundin abgestimmt. Frauen brauchten jeden Tag mindestens 16 Minuten, bis sie sich für ein Outfit entschieden hätten, wirbt das Start-up. 40 Prozent aller Kleidungsstücke einer Frau würden selten oder nie getragen. Der selbstlernende Algorithmus des Start-ups soll das ändern und wie die Mutter früher die Kleidung herauslegen – zumindest digital. Oder wenigstens eine Empfehlung abgeben. Die Gründungsidee ist auf der Cebit mit einem Innovationspreis ausgezeichnet worden.

Empfehlungen gibt auch “Drivo” ab, eine App aus Bremen, die das Fahrverhalten im Auto mit Hilfe der im Smartphone eingebauten Sensoren analysiert und Tipps gibt für eine bessere Fahrweise. Für normale Nutzer soll es Ansporn sein, bewusster zu fahren. Geld verdienen will das Start-up mit Flottenmanagement, also Unternehmen davon überzeugen, ihre Fahrer zu überwachen, damit die Autos länger in gutem Zustand bleiben. Die App ist gerade erst herausgekommen. Schon auf der Cebit zeigt sich, wie hart der Kampf um Aufmerksamkeit ist. Für “Drivo” folgt nun noch mehr als für die anderen Start-ups eine Fahrt ins Ungewisse.

Dieser Text ist am 26. März in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erschienen

08. Mai. 2017
von Jonas Jansen

4
1669

   

05. Mai. 2017
von Jonas Jansen

3
2629
   

Die Klassik entdeckt das Musikstreaming

Mit unzähligen Werken, Komponisten und Solisten ist die Datenpflege kompliziert – dafür gibt es solide Geschäftsmodelle

© Foto IdagioDIe Idagio-Gründer Till Janczukowicz (links) und Christoph Lange

Eine der bekanntesten Werbekampagnen der Welt ist das Motiv von Apple mit den weißen Kopfhörern. Der Konzern hat zuerst mit dem iPod und später mit dem iPhone die Art verändert, wie viele Leute Musik hören. Wer sich heute umschaut, sieht fast zu jedem Smartphone einen passenden Kopfhörer. Nicht mehr unbedingt mit Kabel verbunden, aber es scheint schon fast zum guten Ton in der Öffentlichkeit zu gehören, sich von ihr möglichst abzukapseln.

Wer heute Musik hört, macht das zunehmend über das sogenannte Streaming. Der Anteil dieser über die Cloud auf das Gerät gespielte Musik am gesamten Konsum steigt stetig. Und wird zunehmend zum wichtigen Wirtschaftsfaktor (siehe Grafik). Nach Schätzungen des Bundesverbands Musikwirtschaft dürften in diesem Jahr 135 Millionen Menschen rund um die Welt für digitale Musik zahlen, in drei Jahren soll sich die Zahl mehr als verdoppelt haben. Statista rechnet damit, dass in Deutschland in diesem Jahr gut 480 Millionen Euro mit Streaming umgesetzt werden.

Klassische Musik macht 5 Prozent des Marktes aus

Klassische Musik macht etwa fünf Prozent des gesamten Musikmarktes aus, im Streaming ist nach Angaben des Musikverbandes die Hörerschaft klassischer Musik zuletzt um 88 Prozent gestiegen. Allerdings kommt die auch von einem sehr niedrigen Niveau: Der Klassikhörer kauft noch am meisten CDs oder Schallplatten, er gilt nicht als digitalaffin. Und weil sich die großen Streamingdienste wie Spotify, Apple Music oder Deezer vor allem auf Popmusik konzentrieren, hat sich daran bislang auch nicht viel geändert. Allerdings drängen nun einige Start-ups oder Digitalangebote von Orchestern und Verlagen auf den Markt. So hat die Plattenfirma Naxos einen Streamingdienst gestartet, die Berliner Philharmoniker bieten eine “digitale Konzerthalle” an, außerdem gibt es neue Jungunternehmen wie Henry, Grammofy oder Idagio.

Die Struktur eines Streamingdienstes für Klassikmusik ist nicht von Songtiteln oder Albumnamen geprägt, sondern mehr von Komponisten und Werken, deren Interpretationen die Hörer vergleichen. Bislang gab es für diese anspruchsvollen Klassikfreunde allerdings ein Problem: Weder bei den Musiklabels, noch auf den Streamingplattformen ist die Struktur der dahinterliegenden Daten auf die Klassik abgestimmt. “Was die Klassik so interessant macht, ist die Frage, wie der Dirigent, das Orchester oder die Solistin das Stück interpretiert haben”, sagt Till Janczukowicz, einer der zwei Gründer von Idagio. Da wird die Suche schnell unheimlich kompliziert.

Idagio hat deshalb eine Werkdatenbank angelegt, die von Musikwissenschaftlern aktuell gehalten wird. Momentan liegen dort 40 000 Aufnahmen, jede Woche kommen 4000 dazu. Das Wichtigste für die Mitarbeiter ist zunächst, alle Daten sauber zu erfassen: Welche Stimmen gibt es, welche Solisten sind vertreten, und wer dirigiert? Ein Vorteil für das Unternehmen sind seine Kunden: Denn Klassikhörer sind nicht besonders preissensitiv und häufig bereit, für Qualität zu zahlen. Konzertkarten für Klavierkonzerte oder Sinfonieorchester leistet sich nicht jeder, und wer zu Hause oder unterwegs auf klassische Werke nicht verzichten will, gibt dafür auch gerne Geld aus.

Kampf um Aufmerksamkeit mit Spotify

Gleichzeitig sind die Hörer anspruchsvoll, weshalb die Gründer an einer App arbeiten, die extra auf Sonos-Musikanlagen abgestimmt ist. Das werde häufig nachgefragt, weil viele Klassikliebhaber zu Hause eine hochwertige Anlage haben, um etwa auch in einem großen Orchester einzelne Stimmen raushören zu können. Die eigene Zielgruppe haben die Idagio-Gründer eng gefasst: “Wir wenden uns an den Klassikhörer, der schon Musik im Internet hört. Wir glauben an die neuen Hörgewohnheiten und daran, dass sich Streaming durchsetzen wird”, sagt Christoph Lange, der zweite Idagio-Gründer.

Solch ein spezialisierter Dienst kämpft allerdings auch um Aufmerksamkeit im Wettbewerb mit den Konkurrenten wie Spotify und darum, wem die Kunden einen monatlichen Beitrag zahlen. Ähnlich wie bei vergleichbaren Diensten wie Apple Music oder Deezer kostet die Premium-Variante von Idagio 8 Euro, dafür gibt es als Zusatzinhalte eine bessere Tonqualität, eigens kuratierte Playlisten und eine größere Musikbibliothek.

Der größte Unterschied zu anderen Streamingdiensten ist die Abrechnung: Die Berechnung nach angespielten Stücken – 15 Sekunden Spielzeit sind es meist – funktioniert in der Klassik kaum, wo Lieder keine dreieinhalb Minuten, sondern auch mal eine Stunde dauern. Deshalb rechnet Idagio nach gehörten Sekunden ab, Künstler bekommen bis zu 90 Prozent der Streaming-Einnahmen. Wenn ein Nutzer nun im Monat ausschließlich die Wiener Philharmoniker hört, fließt das Geld an sie. So würde es sich auch für experimentelle Musiker lohnen, in Idagio gelistet zu sein – die hätten zwar wenige, aber dafür treue Hörer, die Künstler mit regelmäßigen Einnahmen versorgen, weil sie etwa besonders häufig peruanische Panflötenduette hören. Während es sich früher für Musiker oder Komponisten nicht gelohnt hat, einzelne Lieder herauszubringen, kann man inzwischen sogar nach einzelnen Sätzen einer Sinfonie suchen – das gibt Kunden und Künstlern mehr Flexibilität.

Anfang 2015 haben die beiden Gründer angefangen, ihre Plattform aufzubauen, und Investoren dazugeholt. Seit etwas mehr als einem Jahr gibt es ein Programm im Netz und als App für iOS-Geräte. Das nun laufende Geschäftsjahr steht im Zeichen der Expansion, aus den bislang 25 000 Kunden sollen deutlich mehr werden. Zum Vergleich: Spotify hat kürzlich die Marke von 100 Millionen angemeldeten Nutzern überschritten, der schwedische Musikdienst spielt also in einer anderen Liga. Trotzdem geben sich die Idagio-Gründer selbstbewusst: “Unsere Nutzer haben wir immerhin erreicht, ohne einen Euro für Marketing investiert zu haben”, sagt Lange. Die Gründer sehen ihr Geschäft mit dem Markt wachsen. Und gehen davon aus, dass bald auch die Kassen klingeln.

05. Mai. 2017
von Jonas Jansen

3
2629

   

24. Feb. 2017
von Jonas Jansen

9
3921
   

Was ein Prada-Geschäft über die Sicherheit aussagt

© NASA/GSFC (CC BY 2.0)Wo passiert etwas in der Welt?

Ein Start-up will mit allerhand Daten Risiken und Gefahren abschätzen – muss das sein?

Sich sicher zu sein, in Sicherheit zu sein, kann durch Daten gestützt werden. Davon ist das junge deutsche Unternehmen Ava überzeugt. Es entwickelt mit Hilfe von riesigen Datenmengen und ihrer Verknüpfung ein Programm, das mit Statistiken aktuelle und künftige Gefahren abschätzt, um Sicherheitsentscheidungen zu erleichtern. Was nach Zukunftsmusik klingt, könnte schneller Realität werden, als man denkt – und schneller, als manchem lieb sein wird. Denn das Start-up arbeitet schon mit zwei Dax- und drei M-Dax-Unternehmen sowie einigen Behörden zusammen. Die Technik hinter Ava lebt davon, so viele Daten wie möglich zu sammeln, zu strukturieren und zu verarbeiten. Alles, was auswertbar ist, wird ausgewertet.

Aleksandar Stojanovic wollte eigentlich eine Art Gefahrenradar für die Westentasche entwickeln. Gemeinsam mit seinem Ko-Gründer hat er sich überlegt, was eine Smartphone-App können müsste. Also haben sie verschiedene Schichten von Daten aufgeschlüsselt: Auf der untersten Eben liegen statistische Informationen von Städten oder Landkreisen, Kriminalitätsrate, Einbruchsstatistiken und Unfälle. Mit jedem zusätzlichen Datensatz soll der Algorithmus schlauer werden. Ava wird gefüttert mit Veröffentlichungen unter anderem aus dem CIA Factbook, Tabellen der Weltgesundheitsorganisation, Daten von Klimaforschern zu Unwetterrisiken und auch Häuserpreisen. Dort, wo der Quadratmeter 10 000 Euro kostet, ist die Sicherheit meist eingepreist. Auch ein Prada-Geschäft sagt etwas über Sicherheit aus. Denn in einer unsicheren Straße läge kein Prada-Laden.

Die Polizei genießt ein höheres Vertrauen

Über alle gesammelten Daten wird eine Echtzeitebene gestülpt, durch aktuelle Ereignisse kann der errechnete Score angepasst werden. Das können aktuelle Polizeimeldungen sein, Zeitungsnachrichten und Twitter-Meldungen. Um dort keinen Fälschungen aufzusitzen, gibt es Vertrauensabstufungen: Die Polizei genießt ein höheres Vertrauen als ein profilbildloser Account. Die einzelne Nachricht “Schießerei am Brandenburger Tor” würde ohnehin keine Warnung auslösen, weil dahinter noch weitere Schritte zur Verifikation geschaltet sind.

Von einer App für jedermann haben sich die Ava-Gründer trotzdem schnell verabschiedet, dort gibt es zu viele Fallstricke. “Wir wollen keine Informationen bereitstellen, die keine Relevanz und damit Panik oder Angst schaffen”, sagt Stojanovic. Stattdessen soll ihre Maschine Grundlage sein etwa für Sicherheits-Apps für Touristen in großen Städten oder das situative Lagebild verfeinern, das die Polizei für jede Stadt entwickelt. Ava kooperiert mit den Behörden in New York und London. “Die Behörden, die sich unsere Systeme angeschaut haben, sagen, dass es weit über das hinausgeht, was derzeit benutzt wird.” Manche Polizeistellen sehen das freilich kritisch und fürchten, das Ava in ihre hoheitlichen Aufgaben eindringen will.

Doch auch Unternehmen testen es für die Risikoeinschätzung. Große Konzerne, die Mitarbeiter ins Ausland schicken, haben die Pflicht, ihre Sicherheit zu gewährleisten. Das fängt an bei Auslandsreisekrankenversicherungen und geht weiter über die Frage, zu welchem Arzt man gehen kann, wenn man Bauchschmerzen hat – und in welchem Viertel der dann sitzt. Oder in welchem Stadtteil man eine Niederlassung plant. Auch der Rückversicherer Munich Re und das Digital Lab der Tochtergesellschaft Ergo haben ein Auge auf die Software geworfen – freilich ohne darüber zu sprechen, wie sie sich eine Nutzung vorstellen könnten. Jens Washausen, der das Bonner Sicherheitsunternehmen Geos leitet, kümmert sich seit mehr als 18 Jahren um Unternehmenssicherheit und Krisenmanagement. Er leuchtet aus, was kritische Prozesse sind und was passiert, wenn die ausfallen. Washausen und seine Mitarbeiter sammeln ununterbrochen Informationen aus Dutzenden Quellen, offiziellen wie inoffiziellen. “Als Berater muss ich selbstkritisch sagen: Mit der Qualität der Information sind wir nie zufrieden. Wenn wir sogenannte Global Risk Maps erstellen, ist das eine gnadenlose Simplifizierung der Welt.” Man suche sich fünf Farben aus und färbe die Welt von sicher bis unsicher.

Stärke aus der jetztigen Schwäche ziehen

Deshalb sieht Washausen die größte Chance von Ava in der Schwäche des jetzigen Systems: Denn das ist statisch und blickt nur in die Vergangenheit. Risiko-Analysten überprüften im Grunde nur ihre Einschätzung vom Vortag. Und sie personalisieren das Risiko gar nicht, obwohl kaum etwas so unterschiedlich ist wie das persönliche Sicherheitsempfinden. Wenn ein deutscher Mittelständler eine von der Zentrale verfasste Risk Map für Nairobi verschickt, in der ganz Kenia orange markiert ist, fragen sich die kenianischen Mitarbeiter mitunter, warum sie besonders gefährdet sein sollen – sie haben sich angepasst.

Doch darf Ava das alles überhaupt? “Wenn die Software nur auf das zugreift, was öffentlich zugänglich ist, ist das datenschutzrechtlich erlaubt”, sagt Marc Störing, auf Datenschutz spezialisierter Rechtsanwalt und Partner der Kanzlei Osborne Clarke. Doch er zweifelt an der Sinnhaftigkeit. Im Datenschutzrecht sei er täglich mit der Frage konfrontiert, was passiert, wenn man alles Mögliche an Daten kombiniert. “Das sind erst einmal nur empirische Daten, wie viele Unfälle es gibt zum Beispiel. Doch welche Erkenntnisse will ich daraus ziehen?” Da stellten sich gesellschaftliche Fragen. Zudem könnte die von Mai 2018 an geltende neue EU-Datenschutzgrundverordnung es dem Start-up schwermachen. Die Verordnung stärkt die Rechte der Verbraucher, die dann leichter widersprechen können und stärkere Rechte bekommen. Sie haben ein Recht auf Löschung und können nachfragen bei Unternehmen, welche Daten sie gesammelt haben. “Das könnte dazu führen, dass so ein Dienst rechtlich betrachtet die Sinnhaftigkeit verliert”, sagt Störing.

Update: Stellungnahme von Ava zum Datenschutz von Gründer Aleksandar Stojanovic:

“Unser System erfüllt schon jetzt durchgängig alle sich aus der in 2018 in Kraft tretenden GDPR Richtlinie der EU. Wir haben unsere Systeme auch von Beginn an darauf ausgelegt, hier nicht in Konflikte zu geraten. Um das sicherzustellen, haben wir zudem den Ex-MDB Jimmy Schulz bei uns im Board, der als Netzpolitiker stets eine klare Position pro Datenschutz und Privatssphäre bezieht, auch bei uns intern. Ein weiteres Mitglied ist Christian Riis-Madsen, geschäftsführender Partner der Großkanzlei O’Melveny in Brüssel. Er unterstützt uns laufend dabei, unsere Strategie und Technologien mit den regulatorischen Anforderungen der EU in Einklang zu halten.”

24. Feb. 2017
von Jonas Jansen

9
3921

   

22. Feb. 2017
von Jonas Jansen

3
787
   

China baut den nächsten Supercomputer

© Barcelona Supercomputing Center - National Supercomputing Center (BSC-CNS)Nimmt viel Platz weg: Supercomputer, hier von IBM in Barcelona

Im Wettrennen um die schnellsten Rechner der Welt liegen die Asiaten vorne – und rüsten auf / Von Julian Freitag und Jonas Jansen

China entwickelt einen Supercomputer, der zehnmal schneller sein soll als der leistungsfähigste Rechner der Welt. Der erste Exaflop-Rechner überhaupt soll eine Trillion Rechenoperationen pro Sekunde ausführen, der Prototyp von Tianhe 3 soll im Frühjahr des nächsten Jahres fertig sein. Exaflop steht für ein System, das 10 hoch 18 sogenannte Fließkommaoperationen pro Sekunde, Flops genannt, berechnen kann.

Das ist ein Schritt, an dem Forscher schon lange arbeiten und der alles andere als leicht zu erreichen ist – nur mit technischem Fortschritt. Denn um die Rechenkraft dieser Supercomputer zu steigern, reicht es nicht, noch mehr Chips hintereinanderzuschalten. Zwar werden die Prozessoren immer schneller, doch auch sie stoßen an Grenzen. Gleichzeitig verbrauchen diese riesigen Maschinen Unmengen Energie. Wo ein Supercomputer rechnet, sind Dutzende Maschinen zugeschaltet: Manche dienen nur dazu, bei einem Stromausfall die Zeit zu überbrücken, bis das System wieder hochgefahren ist. Die Supercomputer saugen zur Kühlung in Sekunden Hektoliter an Wasser auf, damit Glasfaserkabel, die dick sind wie die Arme von Bauarbeitern, Zehntausende Chips miteinander koppeln können.

Die schnellsten Rechner stehen in China

Bislang messen die Supercomputer-Forscher in Petaflops, der aktuell leistungsfähigste Computer Sunway Taihu Light schafft 93 davon. Der steht auch in China, im Nationalen Zentrum für Supercomputer in Wuxi und ist schon deutlich schneller als der zweitschnellste Rechner Tianhe 2, ebenfalls ein chinesisches Modell. Heutige Alltagsrechner liegen normalerweise im Bereich von Gigaflops, sie schaffen also Milliarden an Rechenaufgaben pro Sekunde. Der derzeit schnellste Supercomputer ist ungefähr eine Million Mal leistungsfähiger als handelsübliche Computer. Um eine Stunde Rechenarbeit dieser Maschine zu bewältigen, müsste die gesamte Erdbevölkerung 538 Jahre lang jede Sekunde eine Rechnung in einen Taschenrechner tippen. Doch die Rechnungen von Supercomputern sind nicht vergleichbar mit normaler Computernutzung. Sie erfüllen nationale Aufgaben, Universitäten buchen sich Rechenzeit, um komplizierte Modelle etwa zur Wetterbestimmung, zur Simulation von Naturkatastrophen oder der Smog-Entwicklung zu erstellen.

So hat sich der Supercomputer Tianhe 1, der in den Räumen von Chinas nationaler Wetterbehörde in Peking steht, bei der Smog-Vorhersage bislang als “nutzlos erwiesen”, wie die Forscher hinter vorgehaltener Hand berichten. Der neue Supercomputer soll die Smog-Verteilung sogar für das ganze Land simulieren können. Verglichen mit seinen Nachfolgern, ist Tianhe 1 mit seinen 2,56 Billiarden Rechenoperationen pro Sekunde ohnehin schon lange abgehängt, was die Geschwindigkeit betrifft. Allerdings ist seine Rechenkapazität gut ausgelastet: Mehr als 1400 Aufträge erledigt der Computer jeden Tag.

Wettlauf zwischen China und den Vereinigten Staaten

Um die Vorherrschaft der Supercomputer liefern sich die Vereinigten Staaten und China ein Rennen. Beide Nationen stellen derzeit 171 der 500 leistungsfähigsten Rechner auf der Welt. Barack Obama hatte in seiner Amtszeit als amerikanischer Präsident eine Art obersten Befehl für eine nationale Supercomputer-Strategie ausgegeben. Denn die Amerikaner liegen nur auf Platz drei der Rangliste, der von ihnen geplante Exaflop-Rechner soll frühestens im Jahr 2020 fertig werden. Der Wettlauf um die schnellste Rechenkraft hat auch politische Bedeutung: So haben die Chinesen den derzeit schnellsten Computer komplett aus im Land gefertigten Komponenten hergestellt, während der vorige Spitzenreiter Tianhe 2 noch mit Hilfe von Chips und Grafikkarten der amerikanischen Unternehmen Intel und Nvidia rechnete. Doch im Frühjahr 2015 blockierte die Regierung in Washington die Lieferung Zehntausender neuer Intel-Prozessoren nach China, mit denen der Supercomputer aufgerüstet werden sollte. Die Amerikaner begründeten das damit, dass Peking mit seinem Großrechner auch Tests von Nuklearwaffen modellieren und simulieren könnte, was die Sicherheit der Vereinigten Staaten bedrohe. Seit diesem Vorfall setzen die Chinesen verstärkt auf die eigene Produktion; auch der neue Rechner Tianhe 3 soll komplett chinesisch sein.

Wenn man die Leistung der 500 schnellsten Supercomputer zusammennimmt, kommt man auf eine Rechenleistung von 0,627 Exaflops, also nur etwas mehr als die Hälfte von dem, was der neue Rechner leisten soll. Entsprechend selbstbewusst sind seine Entwickler: “Die Computer-Leistung wird die führende Rolle Chinas bei Supercomputern zementieren”, sagte Meng Xiangfei, Direktor für Anwendungen am Nationalen Supercomputer-Zentrum in Tianjin. Meng soll die Rechenkraft später verkaufen, wenn der Supercomputer ab dem Jahr 2020 unter voller Last arbeitet. Nach Plänen der Forscher bringt Tianhe 3 jedes Jahr 1,49 Milliarden Dollar an wirtschaftlichen Vorteilen ein.

22. Feb. 2017
von Jonas Jansen

3
787

   

17. Feb. 2017
von Jonas Jansen

8
912
   

Cybersicherheitspersonal gesucht

© Donnie Ray Jones, CC-BY-SA 2.0Früh übt sich: Hacker oder Cybersecurity-Nachwuchs?

Mit zunehmender Vernetzung steigt die Bedrohungslage. Hacker-Attacken auf Unternehmen und Privatpersonen nehmen zu. Ob Firmennetze oder Smartphones im Visier stehen, vernetzte Überwachungskameras, Laptops oder gleich der gesamte Zugriff aufs Internet – die Angreifer werden geschickter. Und sie fechten einen ungleichen Kampf aus: Wer ein System schützen will, muss versuchen, jede Schwachstelle auszumerzen. Wer angreift, braucht nur eine zu finden. Und der Wettlauf zwischen Gut und Böse wird bedeutsamer.

Marktforscher wie Gartner prognostizieren ein exponentielles Wachstum vernetzter Geräte aus dem Internet der Dinge. Nicht nur in der Industrie 4.0 kommunizieren Sensoren miteinander, die Vernetzung durchzieht die gesamte Gesellschaft, autonom fahrende Autos sind ein Beispiel. Sicherheitsfachleuten sind sich einig: Jedes technische Gerät ist angreifbar, wer etwas anderes behauptet, lügt.
Noch sind viele Unternehmen angesichts der Risiken überfordert. Cyberkriminalität hat die globale Wirtschaft allein im vergangenen Jahr 416 Milliarden Euro gekostet. Innerhalb der nächsten zwei Jahre sollen die Kosten von Sicherheitslücken in Unternehmen auf 2,4 Billionen Euro wachsen. Das geht aus einem Bericht von Samsung hervor, der am Donnerstag veröffentlicht worden ist.

Zwei von drei Unternehmen in Deutschland halten die IT-Sicherheit für den wichtigsten Faktor für die Technologiesparte in diesem Jahr. Das ergibt die jährliche Trendumfrage des Digitalverbandes Bitkom, die ebenfalls am Donnerstag herauskam. „Mit den normalen Sicherheits-Tools wie Virenscannern oder Firewalls kommen die Unternehmen oft nicht mehr aus“, sagt der Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder. Fast drei Viertel (74%) der deutschen IT-Verantwortlichen sagen, dass ihre Sicherheitsarchitektur dringend erneuert werden muss. Fast zwei Drittel kritisieren an ihrem eigenen Unternehmen veraltete Sicherheitslösungen, mit denen weder Angreifer abgewehrt noch Compliance-Vorgaben eingehalten werden können. Das ergibt eine aktuelle Studie des Ponemon Institutes in Zusammenarbeit mit Citrix, für die mehr als 4000 Sicherheitsfachleute rund um die Welt befragt wurden.

Viele Sicherheitslücken

Doch guten Schutz kann man nur mit fähigen Mitarbeitern erreichen. Laut Samsung-Bericht geben fast 70 Prozent der Millennials offen zu, IT-Richtlinien zu umgehen und Apps zu verwenden, die von ihren Arbeitgebern nicht genehmigt wurden. Doch gibt es schließlich extra Sicherheitsfachleute in Unternehmen, die ein Auge auf mögliche Lücken haben sollten.

Allein: Auch dort sieht es schlecht aus. Eine Befragung unter 19000 Fachleuten zur Cybersicherheit hat nun ergeben, dass der Fachkräftemangel in dem Berufsfeld in den nächsten fünf Jahren mehr als 1,8 Millionen betragen wird. Das wäre eine Steigerung zum Vorjahr von mehr als 20 Prozent. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt fast die Hälfte der befragten Unternehmen an, dass der Personalmangel „erhebliche Konsequenzen“ für die Kunden habe. Besonders kleine und mittlere Unternehmen sehen schwarz. Nur jeder vierte Befragte arbeitet für deutsche Mittelständler, fast zwei Drittel bei großen Organisationen. Die Unternehmen müssen sich beeilen: Von Mai 2018 an müssen sie Datenschutzverletzungen innerhalb von 48 Stunden melden, das verlangt die EU-Datenschutzgrundverordnung. Heute sagt noch fast jedes vierte Unternehmen im deutschsprachigem Raum, das es bis zu acht Tage für die Schadensbehebung braucht.

17. Feb. 2017
von Jonas Jansen

8
912

   

08. Feb. 2017
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

20
3586
   

Warum Sie immer skeptisch sein sollten

Lügen ist leicht im Internet. Auf Seiten wie “Lemmetweetthatforyou” kann man in wenigen Sekunden einen gefälschten Tweet erstellen, man könnte Donald Trump den Krieg gegen Nordkorea erklären lassen oder den Regierungssprecher Steffen Seibert einen abermaligen Skiunfall der Bundeskanzlerin. Solche gefälschten oder mit Photoshop bearbeiteten Beiträge werden in dem Kurznachrichtendienst immer wieder geteilt und als Screenshot herumgereicht mit dem Hinweis, dass das Original schon gelöscht wurde.

Irgendwann fällt das auf, wenn keine wirklich Quelle dahintersteht. Je mehr Menschen davon wissen, wie leicht solche Fälschungen erstellt werden können, desto weniger wirksam sind sie. Schon heute fragen viele Nutzer im Netz zuerst nach einer Quelle oder einer zweiten Meinung, die Gesellschaft ist dafür sensibilisiert.

Keine echte Respektsbekundung. SAD!© Screenshot faketweet.comKeine echte Respektsbekundung. SAD!

Viel problematischer könnte es werden, wenn echte Beiträge gekapert werden. Und das ist viel einfacher möglich, als es Ihnen bewusst sein wird.

Ein Hacker, der offenbar in Brüssel wohnt und im Internet unter den Namen @MisterCh0c firmiert, hat ein simples Skript in der Programmiersprache Python geschrieben, um alte Tweets von Prominenten unter seine Kontrolle zu bringen. Dabei bedient er sich einer immer wieder im Netz vorkommenden Tatsache: Wer sich für ein bestimmtes Projekt eine Domain einer Internetseite kauft, mietet sie im Grunde nur für eine gewisse Zeit. Irgendwann werden sie wieder neu vergeben und jeder kann sie für wenig Geld erwerben.  Mister Ch0c hat also von den 100 beliebtesten Accounts auf Twitter automatisiert so viele Nachrichten wie möglich nach abgelaufenen Adressen durchsuchen lassen. Und dann etwa eine von der Popsängerin Shakira getwitterte Adresse so umgeleitet, dass sie auf ein Youtube-Video führt.

Der Hacker macht das aus Spaß und hat einen Beitrag dazu veröffentlicht, der nicht nur die Anleitung detailliert darlegt, sondern auch das dahinterliegende Skript zeigt. Allein: Solche veränderten Nachrichten könnten schnell wirklichen Schaden anrichten. Denn anders als bei gefälschten Beiträgen kapert man so echte Statements von wirklichen Personen.

Auch wenn diese im schnelllebigen Netz eigentlich im Grundrauschen schon verschwunden sind, können sie mit Hilfe von ein paar Accounts und fleißigem Teilen schnell wieder Aufmerksamkeit bekommen. Das merkt etwa der amerikanische Präsident, dessen alte Nachrichten von vor drei oder vier Jahren regelmäßig von seinen Gegnern ausgegraben werden – weil sie häufig dem widersprechen, was er nun behauptet.

Gerade Prominente mit vielen Followern bekommen jeden Tag Tausende Benachrichtigungen. Bis ihnen auffällt, dass sie selbst plötzlich Spam verschicken oder ihren Ruf gefährden indem sie etwa zwielichtige Personen loben oder auf Seiten verlinken, die ihren Überzeugen widersprechen, können Stunden vergehen. Bis das Problem behoben ist, kann dadurch der Ruf schnell beschädigt sein – und leider bringen es Soziale Netzwerke wie Twitter häufig mit sich, dass die Klarstellung eines Fehlers viel weniger Aufmerksamkeit bekommt, als der Fehler und die damit einhergehende Häme.

Erstaunlich an diesem Fall ist, dass für den “Hack” eigentlich gar kein richtiger Hack nötig ist. Der Angreifer verschafft sich überhaupt keinen Zugriff auf ein Konto – und kann trotzdem maximale Verwirrung stiften.

Was lernt man also daraus? Immer skeptisch bleiben.

 

08. Feb. 2017
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

20
3586

   

08. Feb. 2017
von Roland Lindner
1 Lesermeinung

2
232
   

“Wir im Silicon Valley sind zu isoliert”

Aaron Levie_Headshotsmall

Aaron Levie hält sich mit seiner Meinung über Donald Trump nicht zurück. „Die furchterregendste Person in Amerika,“ so nannte der Mitgründer und Vorstandsvorsitzende des kalifornischen Technologieunternehmens Box den neuen Präsidenten während des Wahlkampfs im vergangenen Jahr. Am Tag nach der Präsidentschaftswahl twitterte Levie: „Ihr kennt diese Zeiten, wenn wir andere Länder ansehen und sagen: ‚Mann seid Ihr Leute verrückt.‘ Scheiße, das sind jetzt wir.“ Und auch zu dem in vergangenen Woche von Trump verhängten Einreisestopp für Personen aus einer Reihe mehrheitlich muslimischer Länder hat der 32 Jahre alte Unternehmer eine klare Position: „In jeder Hinsicht – moralisch, humanitär, wirtschaftlich, logisch etc. – ist dieses Verbot falsch und widerstrebt völlig den Prinzipien Amerikas.“

Die Wahl von Donald Trump zum Präsidenten hat Unternehmer und Manager vor ungewohnte Fragen gestellt. Sollen sie die von Trump ausgelösten Kontroversen ignorieren oder Stellung beziehen? Sollen sie es riskieren, zum Ziel einer seiner berüchtigten Twitter-Attacken zu werden? Sollen sie Zugeständnisse machen, wenn Trump sie unter Druck setzt, statt im Ausland in Amerika zu investieren? Für Aaron Levie ist Schweigen jedenfalls keine Lösung. Er sagt im Gespräch mit der F.A.Z., er halte es für einen „Mythos“, dass die Chefs börsennotierter Unternehmen sich aus politischen Angelegenheiten heraushalten sollten. Er habe selbst von einer Reihe von Aktionären Beifall dafür bekommen, dass er mit seinen Meinungen an die Öffentlichkeit geht. „Viele Investoren wollen sich bei Unternehmen engagieren, die Prinzipien haben.“ Levie gibt zu, er habe bislang noch nicht die Erfahrung gemacht, wie es sich anfühlt, zur Zielscheibe eines verärgerten Tweets von Trump zu werden. Aber dieses Risiko gehe er ein.

Vielen Unternehmen ist vorgehalten worden, Trump gegenüber allzu kritiklos zu sein und sich bei ihm einzuschmeicheln, indem sie ihm Investitionen und Arbeitsplätze versprechen. Levie sagt, er wolle das niemandem zur Last legen. Aber er meint, es müsse ein Balanceakt möglich sein. Das heißt nach seiner Auffassung, einerseits den konstruktiven Dialog mit der Regierung suchen, aber andererseits auch dagegenhalten, wenn man mit ihrem Handeln nicht einverstanden ist. Den Autohersteller Ford sieht er als ein positives Beispiel. Das Unternehmen wurde schon im Wahlkampf wiederholt von Trump wegen der geplanten Ausweitung seiner Produktion in Mexiko attackiert. Die Stimmung wurde versöhnlicher, als Ford das Vorhaben aufgab, und Vorstandschef Mark Fields war seit Trumps Amtsantritt schon mehrfach im Weißen Haus. Das sah zunächst nach Unterwürfigkeit und Einknicken aus, aber in dieser Woche kritisierte Ford den Einreisestopp in sehr deutlichen Worten. „Es ist jetzt eben ein kompliziertes Umfeld,“ sagt Levie.

Deshalb findet der Unternehmer es auch gut, dass prominente Vertreter aus der Technologiebranche im Dezember zu einem Treffen mit Trump nach New York gekommen sind. In der Besprechung steckte viel Zündstoff, denn viele der versammelten Top-Manager hatten sich im Wahlkampf klar auf die Seite von Trumps Rivalin Hillary Clinton geschlagen. Aber hinterher hieß es, es habe eine produktive Atmosphäre geherrscht. Levie meint, es sei wichtig, dass die Branche eine „starke Stimme“ habe und sich damit bei der Regierung Gehör verschaffe. Insofern könne es ihr auch nur zu Gute kommen, dass Peter Thiel, der das Treffen im Dezember organisiert hat, zu den Vertrauten von Trump gehöre. Der deutschstämmige Investor, der mit seinem Engagement bei Unternehmen wie Facebook berühmt wurde, hat sich im Wahlkampf öffentlich auf Trumps Seite geschlagen, was im Silicon Valley für einige Verwunderung gesorgt hat. Auch Levie gibt zu, ihm sei schleierhaft, was Thiel motiviert habe, aber letztlich sei das eine gute Sache: „Er wird der Innovation eine Stimme geben.“

Das Silicon Valley galt als einer der größten Verlierer der Präsidentschaftswahlen. Nicht nur, weil seine prominentesten Manager für Clinton waren und weil Trumps Positionen auf Gebieten wie Einwanderung, Freihandel oder Klimapolitik völlig den dort gängigen Auffassungen widersprechen. Trumps Botschaft im Wahlkampf zielte auch auf die Wiederbelebung der klassischen verarbeitenden Industrie und gerade nicht auf das Silicon Valley mit seiner Mentalität der Disruption, die traditionelle Geschäftsmodelle in Frage stellt. Levie gibt zu, dass es dem Silicon Valley an einer gewissen Sensibilität für den Rest Amerikas fehlt. Er sieht das nicht als Zeichen von Arroganz, sondern eher von Isolation. „Das Silicon Valley ist wie eine Stadt, in der alle für die gleiche Firma arbeiten. Jeder im Freundeskreis und jeder, den man auf der Straße trifft, ist in der Tech-Industrie.“ Levie meint, diese Isolation habe sich das Silicon Valley früher auch leisten können. Heute aber sorge die Branche mit ihren Technologien dafür, dass auch immer mehr klassische Industrien sich dramatisch verändern. Sie helfe zum Beispiel dabei, autonomes Fahren zu ermöglichen, was nicht nur Autohersteller betrifft, sondern auch die Frage nach der Zukunft von Lastwagenfahrern aufwirft, von denen es in Amerika mehrere Millionen gibt. „Das Silicon Valley muss sich mehr Gedanken darüber machen, wie man dabei helfen kann, dass die Menschen auch auf dem Arbeitsmarkt von Innovation profitieren.“

Produktionskapazitäten aus dem Ausland nach Amerika zurückzuholen, wie es Trump propagiert, sieht Levie dabei nicht als den besten Ansatz. Für ihn kann die Lösung nur darin liegen, an der Spitze des Fortschritts zu bleiben, denn auch das könnte „Millionen und Abermillionen“ neue Arbeitsplätze schaffen. Auf lange Sicht wird sich nach seiner Meinung der Fortschritt ohnehin nicht aufhalten lassen, auch wenn er vielleicht während der Amtszeit einer Regierung zwischenzeitlich gebremst werden kann. Denn letztlich würden Innovationen Dinge in vielen Lebensbereichen zu sehr zum Positiven verändern, ob nun in der Medizin oder im Transportwesen. „In zwanzig Jahren werden die Leute nicht mehr selbst Auto fahren, und sie werden sich fragen, wie es sein konnte, dass früher so viele Unfälle passiert sind.“

Der Einreisestopp wird womöglich nicht das letzte Dekret bleiben, mit dem Trump das Silicon Valley gegen sich aufbringt. Technologieunternehmen befürchten auch, dass es schwieriger werden könnte, Visa für gut ausgebildete Ausländer zu bekommen. Oder dass Homosexuellen Rechte wieder weggenommen werden, die sie in den vergangenen Jahren bekommen haben – ein Gebiet, auf dem sich die Technologiebranche besonders eingesetzt hat. Levie sagt: „Es gibt einfach die grundsätzliche Sorge, dass eine Rückwärtsbewegung beginnt, nachdem unser Land in den vergangenen Jahren offener und toleranter geworden ist.“ Er streitet dabei nicht ab, dass das Silicon Valley seine eigenen Herausforderungen hat, was Vielfalt angeht. Die dortigen Belegschaften sind überwiegend männlich und von weißer Hautfarbe oder asiatisch, wie aus den von Google und anderen Unternehmen vorgelegten „Diversity“-Berichten hervorgeht. Levie gibt zu, dass Box ähnliche Quoten hat. „Aber wir erkennen dieses Problem und arbeiten daran. Deshalb ist es auch keine Heuchelei, von der Regierung Toleranz einzufordern.“

Box ist auf Angebote rund um „Cloud Computing“ spezialisiert, zum Beispiel Online-Speicherung von Daten. Das 2005 gegründete Unternehmen wird an der Börse mit mehr als zwei Milliarden Dollar bewertet, wächst rasant, macht aber noch erhebliche Verluste. Sam Ghods, neben Levie einer der Mitgründer, hat seine Wurzeln im Iran, einem der von dem jetzt verhängten Einreisestopp betroffenen Länder. Seine Eltern sind einst vom Iran nach Amerika ausgewandert. Deshalb hat das Verbot für Levie auch eine persönliche Dimension: „Wären Sams Eltern damals nicht hereingelassen worden wären, gäbe es Box heute nicht.“

Folgen Sie mir auf Twitter

08. Feb. 2017
von Roland Lindner
1 Lesermeinung

2
232

   

16. Nov. 2016
von Jonas Jansen

5
2170
   

Hacker-Attacken auf das Internet der Dinge verschrecken Nutzer

Je vernetzter die Häuser sind, desto größer ist die Gefahr von Angriffen. Ein deutscher Anbieter sieht darin eine Chance.

Als die Gründer von Smartfrog in China zu Gast waren, um nach Lieferanten für ihre Überwachungskameras zu suchen, sind sie auf ein Problem gestoßen: Einigen Unternehmen war das Wort “Verschlüsselung” gänzlich unbekannt. Für das Start-up aus Berlin war diese Begegnung das wichtigste Zeichen dafür, dass es die Sicherheit seiner Produkte stark kontrollieren muss – und selbst immer wieder überprüfen.

Für ein Unternehmen, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, ein Gefühl von Sicherheit zu verkaufen, ist Vertrauen essentiell. Gerade jetzt stehen Hersteller, die sich im sogenannten “Internet der Dinge” auf vernetzte Geräte spezialisiert haben, unter Druck. Als kürzlich in den Vereinigten Staaten viele Internetseiten wie Amazon oder Netflix für Stunden nicht erreichbar waren, hat das viele potentielle Nutzer des Internets der Dinge verschreckt. Denn Hunderttausende mit dem Internet vernetzte Alltagsgegenstände wie Haushaltsgeräte und Babyphones wurden durch einen Schadcode von Hackern übernommen und stellten millionenfach Anfragen an die Server des Unternehmens Dyn, das mit seinem sogenannten Domain Name System (DNS) eine Art Schaltstelle für die Kommunikation im Internet ist.

DDoS-Attacken heißen diese massenhaften Anfragen, von denen es im Schnitt 124000 jede Woche gibt, Tendenz steigend. Diese Zahl hat das Cybersicherheitsunternehmen Arbor Networks jüngst ermittelt. Durch die vernetzten Geräte im Internet der Dinge (IoT) steigt die Gefahr. David Emm, Sicherheitsforscher für Kaspersky, sagt: “Diese Geräte sind ein attraktives Ziel für Hacker, weil sie viele Schwachstellen haben und sie oft rund um die Uhr mit dem Internet verbunden sind.” Der Angriff, der mit dem Botnetz Mirai ausgeführt wurde, ist da nur der Anfang: Sein Nachfolger namens Linux/IRCTelnet vereint alle Gemeinheiten früherer Schadprogramme und ist dadurch noch gefährlicher. In nur fünf Tagen wurden 3500 Geräte infiziert.

Das Problem im Internet der Dinge ist, dass viele Geräte nicht nachgerüstet werden können. Einmal ausgeliefert, sind die Produkte kaum nachträglich zu schützen. Für Unternehmen gab es bislang wenig Anreize, besonders auf Sicherheit zu achten, weil Nutzer eher auf Ausrüstung, wie die Kameraauflösung, oder die Reichweite des Funknetzes achten. Jan-Peter Kleinhans, der den Bereich IT-Sicherheit im Internet der Dinge beim Berliner Thinktank “Stiftung Neue Verantwortung” leitet, schrieb jüngst in einem Beitrag für diese Zeitung; “Wir vernetzen immer mehr Geräte mit dem Internet, kümmern uns jedoch wenig um deren Sicherheit – weder in den Fabriketagen noch zu Hause.” Zu oft seien Aufwand und Kosten zu hoch, smarte Geräte vernünftig abzusichern. Doch das ändert sich gerade.

Einfache Installation vs. Sicherheit

Nach außen wirbt Smartfrog vor allem damit, wie leicht das Überwachungssystem zu installieren sei – damit spricht man freilich immer noch mehr Kunden an als mit Sicherheitsaspekten. Trotzdem setzen die Berliner stark auf Security: Smartfrog verkauft seine Überwachungskameras in einem Abonnement-Modell. Wer knapp sechs Euro im Monat zahlt, bekommt die Kamera und kann 24 Stunden Videomaterial speichern und damit etwa nachschauen, ob die Katzen die Vase auf der Fensterbank stehen lassen, die Kinder nicht schlafwandeln oder ob sich Einbrecher an den Rollladen zu schaffen machen.

Wer mehr bezahlt, kann länger aufzeichnen, bis zu 30 Tage. Spätestens dann werden die Videodaten gelöscht, die ohnehin verschlüsselt übertragen werden. Die Daten seiner deutschen Kunden speichert Smartfrog nur auf Servern hierzulande, von außen kann niemand auf die Kamera zugreifen, weil die sogenannten Ports alle gesperrt sind. So verspricht es das Unternehmen. Produzieren lässt Smartfrog aus Kostengründen trotzdem in China, eine Software überprüft allerdings, ob im Werk etwas verändert wurde.

Charles Fränkl hat früher die Gigaset AG geleitet und war Chef des Zahlungsanbieters Clickandbuy, den die Telekom zuerst gekauft und in diesem Jahr eingestellt hat. Bei Clickandbuy hat er auch Andreas Rudyk kennengelernt, einen der späteren Gründer von Smartfrog. Nun hat Fränkl die Leitung des Berliner Start-ups übernommen. “Solche Attacken erhöhen die Achtsamkeit von Nutzern und Unternehmen. Das zeigt, dass IoT kein Spielzeug ist, und bietet Chancen gerade für die Unternehmen, die ihre Hausaufgaben machen”, sagt Fränkl. Anbieter für solche Sicherheitskameras, wie sie Smartfrog verkauft, gibt es zuhauf. Bekannte Hersteller wie das von Google gekaufte Unternehmen Nest gehören dazu, genauso etablierte deutsche Familienunternehmen wie der Schlosshersteller Burg-Wächter. Genauso gibt es Hunderte No-Name-Hersteller, auf der Suche nach Überwachungskameras kann man sich im Dickicht der Anbieter ganz schön verirren.

Umsatzpotential von 23 Milliarden Euro

Die Anzahl der Geräte im Internet der Dinge steigt rasant. Eine bislang unveröffentlichte Studie von der Unternehmensberatung McKinsey, die dieser Zeitung vorliegt, prognostiziert allein für Deutschland ein Umsatzpotential von rund 23 Milliarden Euro für das Jahr 2020. Den größten Teil macht mit fast 9 Milliarden die Industrie 4.0, also die vernetzte Produktion aus, für den gesamten Bereich der vernetzten Häuser (“Smart Homes”) rechnet McKinsey mit etwas weniger als einer Milliarde Euro. In Zukunft sei neben der Heimautomatisierung mit intelligenten Stromzählern oder Überwachungstechnik noch viel mehr denkbar: Fernwartung von unterwegs, intelligente Thermostate oder Türschlösser.

Das starke Wachstum der Sensoren im Internet der Dinge hängt laut den Studienautoren auch damit zusammen, dass die Attraktivität steigt: Sensoren und Komponenten würden billiger, mit einer zunehmenden Anzahl von Produkten interessierten sich auch mehr Entwickler für die IoT-Plattformen. Und je mehr Anwendungen und Apps programmiert werden, desto normaler wird es, sie zu benutzen. Noch vor wenigen Jahren gab es keine App-Stores, heute gibt es Milliarden Programme für Apples iOS und für das Android-System des Internetkonzerns Google. Goldman Sachs sieht im Internet der Dinge schon für das kommende Jahr ein Marktvolumen von 18 Milliarden Dollar, allerdings global gerechnet. Die Marktforscher von Deloitte haben ermittelt, dass besonders im Bereich der vernetzten Häuser noch Zurückhaltung herrscht. Der Grund dafür sind bislang die häufig hohen Preise für die Technik und Vorbehalte wegen des Datenschutzes. Unsicherheiten in der Hardware, also den verkauften Produkten im Internet der Dinge, sieht auch McKinsey als Risiko. Während die Autoindustrie in der Sicherheit schon recht fortgeschritten sei – gleichwohl man immer wieder von Hackerattacken auch auf vernetzte Autos hört -, seien gerade die Kommunikationswege der klugen Babyphones, Kameras oder Thermostate mit der Außenwelt, also Servern, Modems oder Netzwerkkarten, noch zu anfällig für Angriffe.

Smartfrog will sich nicht nur mit seinem Sicherheitskonzept, sondern vor allem mit seinem Abo-Modell von vergleichbaren Anbietern abheben. Die Berliner haben unter anderen mit Amazon, Otto, Mediamarkt oder Conrad ein gutes Jahr nach Marktstart ein Vertriebsnetz aufgebaut. Offenbar sehen die Partner Potential in dem Geschäftsmodell hinter der Heimüberwachung: Smartfrog hat kürzlich ein Investment von 20 Millionen Euro bekanntgegeben. Dahinter stehen vor allem die Versandhändler.

16. Nov. 2016
von Jonas Jansen

5
2170

   

15. Nov. 2016
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

2
1046
   

Welche Gefahr droht, wenn alles mit allem vernetzt ist

Das Internet der Dinge macht das Leben leichter. Doch viele billige Geräte sind leicht angreifbar

Von Jonas Jansen und Marcus Jung

Es gibt zwei Arten von Unternehmen: Jene, die schon gehackt wurden. Und solche, die gehackt wurden, und es noch nicht wissen. Die Weisheit kursiert unter Sicherheitsexperten in der IT-Branche, und sie steht auch dafür, dass alles, was vernetzt wird, von Hackern angegriffen werden kann. Mit zunehmender Vernetzung aller Geräte werden allerdings nicht nur Konzerne, sondern auch Smartphone-Nutzer und vor allem Verbraucher, die ihre Häuser mit allerlei Technik zu klugen Gebäuden hochrüsten wollen, immer gefährdeter.

Der jüngste Fall in den Vereinigten Staaten, als viele Internetseiten wie Amazon oder Netflix für Stunden nicht erreichbar waren, zeigt das eindrucksvoll. Über Hunderttausende mit dem Internet vernetzte Alltagsgegenstände wie Haushaltsgeräte und Babyphones wurden durch einen Schadcode von Hackern übernommen und stellten millionenfach Anfragen an die Server des Unternehmen Dyn, das mit seinem sogenannten Domain Name System (DNS) eine Art Schaltstelle für die Kommunikation im Internet ist.

DDoS-Attacken heißen diese massenhaften Anfragen, und sie sind keine Neuheit. Global gibt es im Schnitt 124 000 solcher Angriffe – jede Woche, Tendenz steigend. Das hat das Cybersicherheitsunternehmen Arbor Networks jüngst ermittelt. Durch die vernetzten Geräte im Internet der Dinge (IoT) steigt die Gefahr. David Emm, Sicherheitsforscher für Kaspersky, sagt: “Diese Geräte sind ein attraktives Ziel für Hacker, weil sie viele Schwachstellen haben und sie oft rund um die Uhr mit dem Internet verbunden sind.”

Mike Murray leitet die Sicherheits-Forschung von Lookout, dessen Mitarbeiter nicht nur den Pegasus-Hack, eine schwerwiegende Sicherheitslücke in iPhones, vor einigen Monaten entdeckt haben (F.A.Z. vom 27. August), sondern auch die ersten waren, die einen Tesla übernommen und ferngesteuert haben. Murray sagt: “Das ist der Beginn einer sehr anderen Welt.” Viele dieser Geräte würden über alte Versionen des Android-Betriebssystems laufen, die viele Schwachstellen haben.

Immer nach Updates schauen

Die wichtigste Regel für Nutzer, immer nach Updates zu schauen und jedes mitgelieferte Standard-Passwort zu ändern, wird damit ausgehebelt, weil schlicht keine Updates verfügbar sind oder die Technik noch viel zu kompliziert ist, damit Nutzer sie nachträglich sicherer machen können. Dass sie das überhaupt tun müssen, ist schon fatal genug: Zu viele Hersteller setzen noch auf einfache Benutzbarkeit und vernachlässigen die Sicherheit. Zwar ist die Komplettvernetzung vor allem hierzulande noch nicht sehr weit fortgeschritten, doch schon jetzt gibt es viele billige Geräte, die leicht angreifbar sind.

Ein Großteil der im jüngsten Hack verwendeten Produkte sollen alle von einem einzigen chinesischen Händler gekommen sein. Und es werden mehr: Nach Prognosen des Netzwerkausrüsters Ericsson werden im Jahr 2018 mehr IoT-Geräte als Smartphones vernetzt sein. Heute gibt es etwa 15 Milliarden vernetzter mobiler Geräte, in wenigen Jahren sollen es doppelt so viele sein, miteinander kommunizierende Wasserkocher, Toaster oder Kameras sind dann in der Überzahl.

Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und das Fraunhofer-Institut für Angewandte und Integrierte Sicherheit informieren regelmäßig über Sicherheitslücken und wie sich Unternehmen und Verbraucher schützen können. Einen Hebel, um gegen Kriminelle vorzugehen, gibt es häufig nicht: Wer Schaden anrichten will, findet schnell eine Anleitung im Netz, DDoS-Attacken kosten dort 50 Dollar. Murray sieht die zunehmenden Attacken als eine Parallele zu den häufig auftretenden Computerwürmern Anfang des Jahrtausends. Auch damals waren viele überrascht von der Durchschlagskraft der Angriffe. Im Internet der Dinge müssten Hersteller und Sicherheitsunternehmen nun zusammenarbeiten, um wie damals die Gefahr der Angriffe zu senken.

Was Kunden tun können

Nun sind aber viele der bedrohten Geräte noch am Netz, und nach den jüngsten Hackerattacken dürften Verbraucher verunsichert sein und sich fragen: Wer haftet, wenn sensible Informationen entwendet werden und ein Schaden entsteht? Der Händler, bei dem man das Produkt gekauft hat, oder der Hersteller des Geräts? Bei Cyberattacken ist der Verkäufer der falsche Ansprechpartner. Stehen Ansprüche gegen den Hersteller einer Kamera oder eines Babyphones im Raum, ist die Frage, ob schon beim Kauf ein Fehler vorgelegen hat. Nur dann liegt eine Produkthaftung vor. Haftungsexperten sind sich einig, dass ein Unternehmen nicht bei einem Angriff über das Internet haftet. Die Manipulation komme gezielt und vorsätzlich durch den Hacker, sagt Thomas Klindt, Experte für Produkthaftungsfälle bei der Kanzlei Noerr: “Die Industrie ist in solchen Fällen nicht der Täter, sondern das Opfer.” Schadensersatzansprüche des Kunden scheiden demnach ebenfalls aus.

Jedoch müssen sich nach Änderungen im Telemediengesetz inzwischen auch App-Entwickler und Programmierer fragen, inwieweit ihr Produkt sicher gegen Angriffe von außen ist. Marc Störing, IT- und Datenschutzexperte bei der Kanzlei Osborne Clarke, geht daher von einer stetigen Markbeobachtungspflicht für Produkthersteller und Softwareentwickler aus: “Treten Risiken auf, muss ich Kunden einen Warnhinweis geben oder ein Update anbieten.” Viele Produkte, berichtet Störing, hätten sich aber so entwickelt, dass ein Update nicht mehr möglich sei. Dann gibt es für Kunden nur zwei Optionen: Das alte Gerät abschalten oder ein neues kaufen.

15. Nov. 2016
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

2
1046

   

14. Nov. 2016
von Jonas Jansen

3
724
   

Wo die Online-Werbung hinwill

Facebook und Google dominieren den Werbemarkt im Internet – wird sich das noch ändern?

Das britische Supermodel Cara Delevingne weiß nicht, wo Cuxhaven und wo Kaiserslautern liegt, aber sie war schon da. In einer Werbekampagne des Online-Versandhändlers Zalando tauchte sie sogar an 60 000 Orten gleichzeitig auf, nicht in den Weltmetropolen, sondern kleineren Städten in acht europäischen Ländern. Möglich wurde das durch Computerstimmen – niemals würde ein Supermodel so viele Städtenamen aufzählen – und durch zielgenaue Werbung im sozialen Netzwerk Facebook. Durch große Datenmengen und dadurch, dass Facebook sehr viel über seine Nutzer weiß, konnten die Werbefilmchen, in denen das Model eine Zalando-Lieferung in der Nähe bewarb, genau dort ausgespielt werden, wo die potentiellen Kunden wohnten. Die Werbung wirkte: Die Verkäufe der beworbenen Marke Topshop stiegen um 63 Prozent, 79 Millionen Euro an Umsatzwachstum kamen allein durch die Kampagne zustande.

Sehr viel Werbung, auf die man im Internet stößt, nehmen Nutzer auf Facebook oder in Diensten von Google wahr. Die beiden amerikanischen Tech-Unternehmen sind zwei der größten Spieler im Markt mit Online-Werbung. Hierzulande wächst der Markt aber für alle stark: Umsätze mit Online-Werbung in Deutschland sind im vergangenen Jahr um 27 Prozent gestiegen. Das zeigt der kürzlich veröffentlichte Report “Wirtschaft Digital” des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Der Anteil des Internetumsatzes am Werbemarkt steigt. Werbekonzerne wie Ströer aus Köln haben die Online-Werbung als Wachstumsmotor identifiziert. Bei Ströer macht die Online-Sparte schon mehr als ein Drittel des Umsatzes aus.

Die Analysten von PwC rechnen noch für dieses Jahr damit, dass die Internetwerbung die Fernsehwerbung überholt (siehe Grafik). In der Studie vom Vorjahr war PwC noch davon ausgegangen, dass das erst im Jahr 2019 passiert. Vor allem die sogenannte Programmatische Werbung, in der vollautomatisch um Werbeplätze geboten wird und nicht mehr Menschen miteinander Verträge aushandeln, könnte ein Wachstumsmotor werden. Allein in Deutschland könnte das Marktvolumen bis zum Jahr 2019 auf 2,8 Milliarden Euro steigen. Das prognostiziert die Unternehmensberatung Deloitte in einer noch unveröffentlichten Untersuchung, die dieser Zeitung vorliegt. Im Vergleich etwa mit Großbritannien holt Deutschland allerdings nur langsam auf. Vom Algorithmus gebuchte Werbung ist im Ausland schon etablierter. Google und Facebook nutzen sie längst.

Eine Plattform wie Facebook mit mehr als 1,7 Milliarden Nutzern und noch Milliarden mehr Daten passt sich schnell an Trends an: Der zu Facebook gehörende Fotodienst Instagram hat allein in den vergangenen sechs Monaten für seine Videos ein Wachstum von 150 Prozent gezählt – für Videowerbung kann man höhere Preise verlangen. Günstigere Bandbreiten, schnellere Smartphones und veränderte Sehgewohnheiten treiben die Vermarkter vor sich her. Google und Facebook ziehen bei Trends mit und befördern sie zugleich. Google verdient 90 Prozent seines Umsatzes, der im letzten Quartal bei 21,5 Milliarden Dollar lag, mit Werbung. Bei Facebook sieht das ähnlich aus, erst kürzlich hat das Unternehmen mit seinem “Marketplace” eine Art Flohmarkt auf seiner Plattform vorgestellt, mit der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nun ins Revier von Ebay vordringen will.

grafik

Freilich läuft auch für das soziale Netzwerk nicht alles rund: Im September musste es zugeben, die Sehdauer von Videos um 60 bis 80 Prozent überschätzt zu haben. Und der Marketingvorstand von Procter & Gamble, mit einem Werbeetat von 8 Milliarden Dollar im Jahr kein kleiner Marktteilnehmer, beschwerte sich in diesem Jahr über das zu eng geknüpfte Targeting, also eine zu starke Fokussierung auf kleine Zielgruppen. Trotzdem sei Procter & Gamble auch jetzt noch einer von Facebooks wichtigsten Partnern, wie die Marketingchefin von Facebook für Europa, Asien und den Nahen Osten, Nicola Mendelsohn, gegenüber dieser Zeitung versichert. Gerade in sozialen Medien konkurriert Werbung mit vielen anderen Inhalten. “Wir müssen die Art verändern, wie wir Geschichten erzählen”, sagt Mendelsohn. Klassische Fernsehwerbung oder Bannerwerbung auf Internetseiten werde nicht verschwinden. Aber wenn die Nutzer immer mehr unterwegs Videos schauen, müssen Werber um die Aufmerksamkeit der Zielgruppe kämpfen. Klassische Bannerwerbung im Netz wird kaum angeklickt, die Rate liegt bei 0,02 Prozent. Targeting, wie es Zalando über Facebook versucht hat, kann funktionieren, ist aber längst nicht der Weisheit letzter Schluss, wie Procter & Gamble gezeigt hat.

14. Nov. 2016
von Jonas Jansen

3
724

   

11. Okt. 2016
von Jonas Jansen

31
6972
   

Der Feind in meinem Herzschrittmacher

Wenn alles vernetzt ist, ist auch alles angreifbar: Besonders die Medizintechnik ist in Gefahr und rüstet sich nun gegen Attacken. Ein deutsches Unternehmen tut sich besonders hervor.

Die zunehmende Vernetzung aller Lebensbereiche durch das Internet fasziniert Verbraucher nicht nur, sondern macht ihnen auch Angst. Immer, wenn Sicherheitslücken bekanntwerden, werden Nutzer daran erinnert, dass Technik fehlerhaft ist. Wer behauptet, ein System sei nicht angreifbar oder nicht zu überlisten, der irrt. Entwickler stehen ständig vor der Frage, wie sie die Wahrscheinlichkeit minimieren, dass ihre Software attackiert werden kann. Cybersicherheit muss sich immer weiterentwickeln, weil immer neue Angriffsmöglichkeiten entstehen. Je mehr Geräte vernetzt sind, desto mehr potentielle Schwachstellen gibt es.

Nicht zu knacken: Das Roth-Dräger-Narkosegerät aus dem Jahr 1902, dass den Ruf des Medizintechnikherstellers begründet hat.© Dräger AG/dpaNicht zu knacken:
Das Roth-Dräger-Narkosegerät aus dem Jahr 1902, dass den Ruf des Medizintechnikherstellers begründet hat.

Manche Fälle wiegen in der Wahrnehmung besonders schwer: Immer dann, wenn Menschenleben in Gefahr sind. Wenn ein iPhone von Hackern übernommen wird, gehen sehr persönliche Daten verloren. Wenn Kriminelle aber ein vernetztes Auto unter ihre Kontrolle bringen oder wie im jüngsten Fall eine Insulinpumpe des Medizintechnikherstellers Johnson&Johnson ferngesteuert werden kann, werden Sicherheitslücken lebensbedrohlich. Die gute Nachricht für Kunden: Unternehmen lernen gerade mehr und mehr sich zu wehren.

Daniel Busch hat früher für das Sicherheitsunternehmen IOActive gearbeitet, das Geld damit verdient, Schwachstellen in der Software oder den Systemen großer Unternehmen zu finden. Busch hat dabei auch medizinische Geräte untersucht. Heute ist er Teil eines losen Zusammenschlusses von Entwicklern, die Hersteller für Sicherheitsrisiken sensibilisieren wollen. “I am the Cavalry” heißt der Verbund, in dem sich IT-Sicherheitsleute, professionelle Hacker und Entwickler zusammengeschlossen haben, um eine Art Kavallerie für Sicherheit aufzubauen. Sie fokussieren sich vor allem auf vernetzte Autos und Medizintechnik.

“Wir sehen die Bedrohung, die von den Devices ausgeht und dass davon Menschenleben bedroht sind”, sagt Busch. Mit einem ferngesteuerten Herzschrittmacher könnte ein Krimineller dem Opfer nicht nur einen tödlichen Stromstoß verpassen, sondern den Code, mit dem er das Gerät unter seine Kontrolle gebracht hat, sogar wieder löschen. Keinerlei Spuren bleiben. Wenn eine Insulinpumpe manipuliert ist und der Sender an die Pumpe funkt, dass sie mehr Insulin ausschütten soll, als ein Diabetiker verträgt, ist das lebensgefährlich. In der vergangenen Woche hatte Johnson&Johnson Briefe an Ärzte und 11 4000 Patienten geschickt und gewarnt, dass eine vernetzte Insulinpumpe gehackt werden könnte. Zwar sei das Risiko eines unautorisierten Zugangs extrem gering, weil die Pumpe nicht über das Internet mit dem Sender verbunden ist, sondern über Radiofrequenz-Technik kommuniziert. Allerdings werden die Befehle nicht verschlüsselt übertragen und sind somit leichter angreifbar. Das Unternehmen erklärt in dem Brief, wie Patienten die automatisierte Steuerung ausschalten können, um sich vor einem Angriff zu schützen. Es ist das erste Mal, dass ein Hersteller von Medizintechnik solch einen Brief mit Warnhinweisen verschickt hat.

Deshalb ist Jay Radcliffe, der die Sicherheitslücke entdeckt hat, voll des Lobes für den amerikanischen Medizintechnikhersteller. (Link zum Blog mit Fehlererklärung) Radcliffe arbeitet für das IT-Sicherheitsunternehmen Rapid7, er ist selbst Diabetiker. Das Eingeständnis, einen Fehler gemacht zu haben, und seine Patienten zu warnen sei ein gutes Zeichen , sagt Radcliffe. “Nur mit Transparenz können wir Patienten schützen, damit sie verstehen, welche Risiken es gibt.”

Risiken und Nebenwirkungen

Besonders in der Medizintechnik müssen Risiken und Nebenwirkungen ständig abgewogen werden. Umso erstaunlicher mag es zunächst erscheinen, dass J&J sogar von der Konkurrenz gelobt wird. “Wie J&J über seine Schwachstelle informiert hat, ist eigentlich kein Grund zum Aufregen, sondern zum Feiern”, sagt Hannes Molsen. Der Informatiker kümmert sich für den deutschen Medizintechnikhersteller Dräger um Sicherheit aller Produkte. Denn jeder Hersteller, der ein Risikobewusstsein und den Willen habe, seine Sicherheitssysteme jederzeit anzupassen und weiterzuentwickeln, sei ein Gewinn für die Branche. Dräger wird von “I am the Cavalry” gelobt, dass es eines der vorbildlichsten Unternehmen sei, wenn es um Produktsicherheit gehe. So folgt der Konzern aus Lübeck etwa dem speziellen Hippokratischen Eid für Medizingeräte, den das Sicherheitsnetzwerk entwickelt hat. Dieser gibt Empfehlungen für den Umgang mit Software und Sicherheitslücken in einer digital vernetzten Welt.

“Alle Hersteller haben damit zu kämpfen, dass es Systeme gibt, die 30 Jahre alt sind”, sagt Molsen. Gerade medizinische Geräte sind so komplex und dadurch teuer, dass sie – anders als Smartphones – nicht alle zwei Jahre ausgewechselt werden. Dieses Geräte sind heute von Sicherheitsrisiken bedroht, von denen früher noch niemand Ahnung hatte. Technischer Fortschritt bringt nicht nur bessere Geräte mit sich, sondern macht es auch leichter, sie zu hacken. Radcliffe etwa hat die Befehle seiner Insulinpumpe mit Technik auslesen können, die sich heute jeder für wenig Geld im Internet bestellen kann. Als die Pumpe im Jahr 2008 auf den Markt kam, gab es Vergleichbares noch nicht. Das lernen auch die Regulatoren: Die FDA, die amerikanische Lebens- und Arzneimittelbehörde, hat Anfang des Jahres ein Dokument mit Empfehlungen herausgegeben, wie Medizintechnikhersteller Risikomanagement betreiben sollten, wenn ein Produkt auf dem Markt ist.

Technik, die heute sicher ist, wird in Zukunft leicht zu entschlüsseln sein

Trotzdem stehen die Unternehmen vor einem Dilemma: Auch Technik, die heute entwickelt wird und auf dem neuesten Stand der Sicherheit ist, wird in Zukunft vielleicht leicht zu entschlüsseln sein. Doch immerhin hat sich das Problembewusstsein verbessert. Während früher vor allem Autohersteller schnell geklagt haben, wenn Hacker sie auf Sicherheitslücken in vernetzten Autos hinwiesen, ermuntern Konzerne wie Tesla heute sogar dazu, nach Schwachstellen zu suchen, damit Systeme sicherer werden. “Früher oder später wird jedes Unternehmen von einer Sicherheitslücke betroffen sein”, sagt Molsen. Wichtig sei, wie die Hersteller damit umgingen. J&J habe es mit dem transparenten Brief vorbildlich gemacht, lobt der Dräger-Sicherheitsexperte. Natürlich ist es für jedes Unternehmen weniger peinlich, wenn sie Schwachstellen selbst finden und nicht darauf hingewiesen werden. Deshalb bezahlen alle großen Unternehmen professionelle Hacker dafür, dass sie die Systeme angreifen. Penetrationstests gehören zur Entwicklung dazu.

Die zunehmende Vernetzung auch der Medizintechnik bringe neben größeren Risiken allerdings auch Nutzen. “Hersteller digitalisieren ja nicht, weil es so unglaublich cool ist, sondern weil es Anwendungsmodelle gibt”, sagt Molsen. Etwa wenn Ärzte nicht ständig Quarantänezimmer betreten müssten, um die Daten von fünf Maschinen abzulesen, weil sie auf einem Gerät zusammengefasst werden. Helfen kann Vernetzung auch bei der sogenannten Alarmmüdigkeit. In Krankenhäusern piepst und schellt es ständig, Ärzte nehmen wichtige Alarme mitunter nicht mehr wahr. Wenn Maschinen nun miteinander kommunizieren und sich absprechen, dass nur ein Gerät klingelt, dafür aber laut, könnten Leben gerettet werden. Dass solch eine Vernetzung mehr Sicherheit braucht, kommt im Problembewusstsein der Hersteller langsam an. Und das ist, bei allem Risiko, doch ein gutes Zeichen für die Patienten.

11. Okt. 2016
von Jonas Jansen

31
6972

   

25. Aug. 2016
von Jonas Jansen

5
2011
   

Der Herr der Sprachen

Luis von Ahn hat das Captcha erfunden und damit Millionen Menschen Zeit geraubt. Nun macht er Maschinen klüger – und hilft uns mit Duolingo, Sprachen zu lernen.

Irgendwann beschlich den Zeitdieb Luis von Ahn das schlechte Gewissen. Der Informatiker aus Guatemala hatte vor 16 Jahren das sogenannte Captcha erfunden, das jeder kennt, der sich schon einmal im Internet bewegt hat. Diese kleinen Fenster, in die man verzerrte Zahlen und Buchstabenreihen einträgt, um zu beweisen, dass auf die Seite gerade ein Mensch und keine Maschine zugreifen will. Captcha (“Completely Automated Public Turing test to tell Computers and Humans Apart”) nannte er es, auf die Idee kam von Ahn durch einen Yahoo-Mitarbeiter, der sich darüber beklagte, dass Computer-Bots automatisiert Millionen Mail-Accounts anlegten, der Yahoo-Mann fragte, ob man das nicht irgendwie stoppen könnte.

Luis von Ahn© Foto DuolingoLuis von Ahn

Konnte man, denn Menschen erkennen solche Zeichen besser als Computer. Millionen Internetnutzer tippten daraufhin ständig Captchas, worauf von Ahn zunächst einmal stolz war, weil seine universitäre Forschung plötzlich Gewicht hatte. Bis ihm diese Zahl übermittelt wurde, die ihm das schlechte Gewissen einpflanzte. 200 Millionen Captchas wurden nämlich seinerzeit täglich getippt, bei einer durchschnittlichen Zeit von 10 Sekunden, die man zum Tippen braucht, gingen der Menschheit durch von Ahns Erfindung 500 000 Stunden an möglicher Produktivität verloren – jeden Tag.

Von Ahns Lösung hieß Recaptcha und sie war so gut, dass Google sie ihm abkaufte. Denn Menschen digitalisieren mit Hilfe des Recaptchas ganze Bücher. Computer, die Texte scannen, erkennen Wörter in alten Büchern ziemlich schlecht, im Gegensatz zu Menschen. Internetnutzer helfen beim Eintippen somit dabei, die Wörter zu entziffern. Wenn zehn Personen sich einig sind, wie etwas heißt, dann ist das Wort erfolgreich erkannt – aus einer Zeitverschwendung wurde also eine Hilfe, zumindest für diejenigen, die Bücher digitalisieren. Wer heute Captchas erkennen muss, sieht immer öfter Zahlen.

Das liegt daran, dass Google sich von Menschen dabei helfen lässt, Hausnummern zu erkennen, die Googles Street-View-Autos fotografiert haben. Von Ahn findet das nützlich, er ist ohnehin einer der Begründer von Crowdsourcing, also dem Erlangen von Wissen durch die Masse – und Google hat auf seinem Forschungsweg, der durch viele Universitäten führte, immer eine wichtige Rolle gespielt. In seiner Doktorarbeit beschäftigte sich der heute 37 Jahre alte Informatikprofessor etwa mit sogenannten “Games with a purpose”, Spielen mit Sinn also. In seinem Online-Spiel ESP beschrieben zwei zufällig ausgewählte Internetnutzer ein Bild – auch hier konnten das zumindest früher Menschen noch besser als Computer. Fand Google auch, weshalb es Teil zur Verbesserung der Bildersuche wurde, bevor das gesamte Projekt gemeinsam mit dem zuständigen Google Labs vor fünf Jahren eingestellt wurde.

Duolingo hat rund um die Welt mehr als 120 Millionen Nutzer

Von Ahn bastelte da aber schon an anderen Spielen. Eines davon hieß Babble: Darin wurden englisch sprechenden Spielern Sätze in einer fremden Sprache gezeigt und darunter mögliche Übersetzungen – wenn sich wieder genügend Menschen auf eine mögliche Übersetzung einigen, ist dies meist die korrekte. So konnte mit Hilfe der Ideen des Informatikers Text übersetzt werden. Kein Wunder also, dass sich von Ahn immer noch mit Sprache beschäftigt, er hat nämlich die App Duolingo gegründet. Die soll dabei helfen, Sprachen zu lernen. Sie hat rund um die Welt mehr als 120 Millionen Nutzer. Es ist die größte Plattform der Welt für solche Zwecke. “Als wir 100 000 Nutzer hatten, dachte ich, das wäre das Größte”, sagt von Ahn dieser Zeitung. “Doch was mich jetzt besonders stolz macht, ist die Diversität. Schulen in Costa Rica und Kolumbien nutzen Duolingo genauso wie der reichste Mann der Welt.” Bill Gates hat tatsächlich einmal zugegeben, die App zu nutzen, wenngleich weniger erfolgreich, als er sich das ursprünglich vorgenommen hatte.

Von Ahns Plan mit Duolingo hat sich auch etwas verändert. Wollte er anfangs auch mit der Sprachlern-App gleichzeitig noch Texte übersetzen – so etwa die englische Seite des Nachrichtensenders CNN ins Spanische – so setzt er heute nur noch auf die Wirkung durch Lernen. “Ich komme aus Guatemala, dort bringt Bildung Ungleichheit für die Menschen. Nur wer Geld hat, bekommt eine gute Ausbildung. Ich wollte jedem Bildung ermöglichen”, sagt von Ahn. Die meisten Nutzer lernen mit Duolingo allein, mal für fünf Minuten an der Bushaltestelle oder im Wartezimmer vom Arzt. Nach Angaben von Duolingo benutzen es die meisten Menschen, um sich auf Reisen vorzubereiten oder sich in einem neuen Beruf in einem fremden Land zurechtzufinden. In Europa, den Vereinigten Staaten und Lateinamerika hat die App die meisten Nutzer, am häufigsten lernen sie Englisch, Spanisch, Französisch und Deutsch. Von Ahn selbst sagt, er spreche zweieinhalb Sprachen: Englisch, Spanisch und ein “kleines bisschen Portugiesisch”.

Rund um die Welt nutzen nach Angaben von Duolingo allerdings auch 100 000 Lehrer die App – Studien haben gezeigt, dass gerade schwächere Schüler, die im Unterricht nicht gut mitkommen, im Einzeltraining mit der Sprachlernfunktion zu Hause große Fortschritte machen. Ein weiterer Vorteil für die Lehrer: Sie können mit verschiedenen Aufgaben auf den unterschiedlichen Lernstand der Schüler eingehen und die Hausaufgaben digital besser prüfen. Geld verdient die App mit Gebühren für Zertifikate wie etwa Toefl-Tests, die App selbst ist kostenlos. Mehr als 83 Millionen Dollar ist das Risikokapitalgebern inzwischen wert, seitdem von Ahn Duolingo vor fünf Jahren gegründet hat. Mehr als die Hälfte des Geldes kommt von – Überraschung: Google. Nicht ohne Grund: Rund 80 Mitarbeiter hat Duolingo, fast alle arbeiten an dem System selbst, denn durch die vielen Nutzer kann die App inzwischen sogar lernen zu lehren.

25. Aug. 2016
von Jonas Jansen

5
2011

   

23. Aug. 2016
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

9
5110
   

Moderne Mineure

Das Münchener Start-up Celonis macht Unternehmen schlauer – und Berater vielleicht bald überflüssig

Wer seine Gesundheit verbessern will, geht ins Fitnessstudio oder engagiert einen Personal Trainer. Wenn Unternehmen das erreichen wollen, heuern sie Berater an, etwa von McKinsey oder Roland Berger. Doch so wie es heute Apps für Smartphones gibt, die einen dabei unterstützen, fit zu werden, gibt es auch digitale Prozesse, um permanent zu analysieren, was sich in einem Unternehmen tut.

Haben gut lachen: Martin Klenk, Bastian Nominacher und Alexander Rinke - die Gründer von Celonis© Foto Jan RoederHaben gut lachen: Martin Klenk, Bastian Nominacher und Alexander Rinke – die Gründer von Celonis

Process Mining heißt das im Fachjargon, und ein Münchener Start-up schickt sich an, damit die Unternehmenswelt zu verändern. Denn noch gibt es nur sehr wenige Unternehmen, die eine Software anbieten, die sich durch ungenutzte Datenberge wühlt und Wissen fördert über entgangenes Potential: Wo stockt die Produktion, wo hakt es in der Lieferkette, wo bricht der Kunde im Bestellprozess auf der Internetseite ab, weil ihm etwas sauer aufstößt? All das kann man mit Datenanalyse herausfinden, und Celonis gräbt sich schon für über 200 Kunden durch Daten. Vor fünf Jahren gegründet, macht Celonis heute mehr als 10 Millionen Euro Umsatz, die rund 80 Mitarbeiter arbeiten jetzt schon profitabel. Und seine drei Gründer freuen sich schon auf das, was kommt.

Bastian Nominacher, Martin Klenk und Alexander Rinke haben sich im Studium an der TU München kennengelernt und zuerst einmal ihren eigenen Beruf überflüssig gemacht. Die drei haben nämlich eine studentische Unternehmensberatung geführt, so wie es sie an jeder größeren Universität gibt. Der Bayerische Rundfunk wollte sich von ihnen seine Prozesse verbessern lassen, in der Fernsehanstalt hatten sie das Gefühl, dass es noch Optimierungspotential gäbe. “Wir haben alle möglichen Verfahren ausprobiert und uns drei Monate durch Daten gewühlt ohne richtige Ergebnisse”, sagt Alexander Rinke. Irgendwann sind sie auf Process Mining gestoßen, das vor nicht allzu langer Zeit an der TU Eindhoven erfunden wurde. Heute gibt es Hunderte wissenschaftliche Arbeiten zu dem Thema, vor fünf Jahren waren es gerade mal eine Handvoll.

Große Unternehmen nutzen inzwischen die Celonis-Software

Weil es damals keine ordentlichen Programme gab, die eine Analyse der BR-Daten hergaben, haben sich der Mathematiker, der Wirtschaftsinformatiker und der Informatiker hingesetzt und selbst eine Software geschrieben. Am Schluss haben sie der Fernsehanstalt 300 Röntgenbilder des Unternehmens an die Wand gehängt, auf denen ganz genau verzeichnet war, was alles noch schiefläuft. Mit den Rundfunkanstalten kamen dann auch größere Kunden, zuerst Siemens, dann auch Bayer. Große Unternehmen wie Nestlé, Edeka, Vodafone oder UBS nutzen inzwischen die Software von Celonis.

RWE muss zum Beispiel Millionen Kundenanfragen pro Jahr bearbeiten, die kommen über verschiedene Kanäle, am Telefon oder in E-Mails und Faxen. Das System von Celonis meldet dann: In fünf Millionen Fällen läuft das gut, in 2 Millionen zu langsam, und bei 300 000 Anfragen dreht der Kundenservice drei Schleifen und ist ineffizient. Die ständige Überwachung ist dabei losgelöst von einzelnen Personen, es geht nicht darum, Mitarbeiter zu diskreditieren, sondern Abläufe in den Unternehmen effizienter zu machen. In Unternehmen wie Siemens oder Nestlé werden Millionen Lieferungen beschafft, verpackt, verschickt. In einem Riesenprozess, an dem viele Mitarbeiter beteiligt sind, kann deshalb schnell etwas schieflaufen.

Nun lernt das System vergleichsweise schnell: Wo gibt es Probleme? Warum laufen die so ab, wie sie ablaufen? Ist ein Produkt schuld daran oder ein Lieferant oder ein Kunde? Die erste Version, die die Studenten damals entwickelten, hatte noch sehr wenige Funktionen, mit wachsender Mitarbeiter- und Kundenzahl wurde auch die Celonis-Software schlauer. “Es ist für uns sehr wertvoll gewesen, dass wir uns nur aus unseren Einnahmen finanziert haben”, sagt Rinke heute. “Dadurch waren wir immer gezwungen, ein Produkt abzuliefern, das auch richtig funktioniert.” Der 27 Jahre alte Mathematiker ist manchmal selbst davon überrascht, wie schnell sein Unternehmen gewachsen ist. Schon in der Schule hatte Rinke eine Nachhilfeagentur gegründet, die ihnen anscheinend eingepflanzte Risikobereitschaft hat ihm und seinen beiden Mitgründern dabei geholfen, es mit einem eigenen Unternehmen zu versuchen, statt sich nach dem Studium mit gutdotierten Verträgen bei Großkonzernen anstellen zu lassen.

27,5 Millionen Dollar von Risikokapitalgebern

Im vergangenen Jahr haben sich die Gründer, die allesamt um die 30 Jahre alt sind, das erste Mal Eigenkapital ins Unternehmen geholt. Mit Accel Partners und 83 North sind zwei Risikokapitalgeber eingestiegen, die auch bei anderen Technologieunternehmen wie Facebook, Slack oder Dropbox investiert sind. 27,5 Millionen Dollar haben sie investiert, eine Minderheitenbeteiligung, wie Rinke versichert. Die Investoren haben sich reizen lassen von dem Marktpotential, das in der Datengraberei liegt.

Die Gründer haben den fachlichen Hintergrund, um Stochastiken und Statistiken zu verstehen und auszuwerten. Und eine ambitionierte Vision: Sie wollen eine Art “deutscher Weltmarktführer” werden. In dem zugegebenermaßen noch sehr kleinen Bereich Process Mining sind sie jetzt schon die Größten. Was Rinke nicht vom Träumen abhält: In vier Jahren wollen sie eins der Einhörner-Unternehmen sein, also mit mehr als 1 Milliarde Dollar bewertet werden – und außerdem an der Börse sein.

So wie Celonis seine Software im eigenen kleinen Unternehmen nutzt, um Reisekostenanträge, Kundenanfragen oder den Vertrieb zu optimieren, so testen sie mit den großen Kunden neue Funktionen ihrer Software. “Einen Echtdatensatz aus einem Lagerinformationssystem von Siemens kann man sich nicht ausdenken. Damit zu arbeiten bringt wahnsinnig viel”, sagt Rinke. Falls das Geschäftsmodell, das derzeit nur in Richtung Wachstum strebt, irgendwann stockt, will Gründer Rinke nichts missen. “Man muss gleichzeitig lernen und schon können und stößt ständig an Grenzen, ich hätte nie woanders mehr lernen können.” Plötzlich musste er als Mathematiker Mitarbeiter führen, Strategien entwickeln und verkaufen. Was den Gründern an Erfahrung fehlte, haben sie mit Leidenschaft wettgemacht. Und mit einer Vision für das Fachgebiet – dessen Ende noch nicht abzusehen ist.

23. Aug. 2016
von Jonas Jansen
1 Lesermeinung

9
5110

   

09. Aug. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Soziale Verwechselwerke

1
1380
   

Soziale Verwechselwerke

Instagram möchte so aussehen wie Snapchat, das Erinnerungen schaffen will wie Facebook. Warum?

Snapchat oder Instagram? Sieht alles gleich aus.© dpaSnapchat oder Instagram? Sieht alles gleich aus.

Seit einigen Tagen hat die Fotografie-App Instagram neue Funktionen: Wer in dem Bereich “Instagram Stories” Fotos und Videos veröffentlicht, stellt damit sicher, dass sie sich nach 24 Stunden wieder selbst zerstören. Außerdem können Nutzer die Fotos noch verzieren, mit den Emoji-Gesichtern, die man aus Chat-Nachrichten kennt oder mit eigenen Texten oder Zeichnungen. Normalerweise ist für die Nutzer des Fotodienstes der sogenannte “Like”, also die Gefällt-mir-Bekundung, essentiell wichtig. In den “Instagram Stories” gibt es sie nicht, genauso wenig wie Kommentare. Wer eine Rückmeldung geben will, kann dies nur in einer persönlichen Nachricht machen. Statt wie früher also vor allem stark inszenierte Fotos zu teilen, sollen die Nutzer nun auch flüchtige Momente hochladen. Instagram bekommt so mehr Inhalte, eine längere Verweildauer der Nutzer in der App und damit bessere Argumente im Gespräch mit Werbern.

Wem das jetzt bekannt vorkommt, der hat vielleicht schon einmal von der App Snapchat gehört und wie sie funktioniert. Dort gibt es sogenannte “Snapchat Stories”, die sich nach 24 Stunden löschen, Nachrichten und Kommentare gibt es nur persönlich, lustige Grafiken aber für alle sichtbar. Bis zum Namen hin hat Instagram also das Konzept von Snapchat kopiert. Die Neuausrichtung von Instagram ist symptomatisch für eine Entwicklung in den sozialen Medien: Sie sehen alle gleich aus. Was erfolgreich ist, wird schamlos kopiert. Was den Nutzern der einen App gefällt, müsste den eigenen Nutzern schließlich auch gefallen, so die Logik dahinter.

Durchblick zu behalten, wird schwieriger

Die Liste solcher Angleichungen ist lang: Nachdem Facebook 2011 das sogenannte Cover-Foto einführte, also das große querformatige Bild über dem Profil, ging das soziale Netzwerk damit stärker auf den Wunsch seiner Nutzer nach großformatigen Selbstdarstellungsmöglichkeiten ein. Der Suchmaschinenkonzern Google zog 2013 nach mit seinem sozialen Netzwerk Google Plus. Inzwischen ähneln selbst Karrierenetzwerke wie Linkedin mit ihren Nachrichtenfunktionen den eher aufs private Vergnügen ausgerichteten Netzwerken. Die Verwechslungsgefahr für die Nutzer wird immer größer, mit jeder neuen Änderung stellt sich die Frage, was eine App oder eine Plattform nun noch für Mehrwert oder Einzigartigkeit bietet.

Der Kurznachrichtendienst Twitter versucht seiner chronischen Geldverluststrategie mit immer neuen Funktionen entgegenzutreten, was die Nutzer regelmäßig verärgert. Selbst zehn Jahre nach Gründung schreibt Twitter rote Zahlen. Um für Werbekunden attraktiver zu werden und die Nutzer länger in den Apps zu halten, denken sich die Marketingverantwortlichen Funktionen wie 10 000 Zeichen umfassende private Nachrichten, längere Videoformate oder mehr Bilderfunktionen aus – und entfernen sich dabei immer mehr von ihrem Kern. Selbst der Wortteil Kurz im Kurznachrichtendienst droht zu verschwinden, es gerüchtet immer wieder, dass die 140-Zeichen-Begrenzung fallen soll. Schon jetzt werden Links zu anderen Medien nicht mehr dazugezählt, wer sich nicht kurzfassen kann, muss es inzwischen nicht mehr tun.

Snapchat verändert sich auch

Selbst Snapchat, die vor allem bei Jugendlichen beliebte App, ist sich nicht treu geblieben. Diente das Programm früher einzig dazu, besondere Momente festzuhalten ohne sie eben wie auf Netzwerken wie Instagram zu inszenieren, kann man inzwischen auch früher geschossene Fotos in seine Geschichten einfügen oder ganze Momente für später speichern und in eigenen Ordnern auf Snapchats Servern speichern. Schon früher konnte man einzelne Fotos herunterladen – jetzt können etwa Ordner mit einem Passwort geschützt werden, wenn also die Eltern nicht Fotos von der ausgearteten Abiturfeier sehen sollen. Damit näherte sich Snapchat vor einigen Wochen an die Welt von Facebook an – und an dessen Fotodienst Instagram.

Facebook dominiertFacebook dominiert

Die Kanäle sind erbitterte Konkurrenten: Auf Snapchat werden jeden Tag rund 700 Millionen Fotos hochgeladen, das sind zehnmal so viele wie bei Instagram. Unter amerikanischen Jugendlichen wird Snapchat auch von 28 Prozent als liebstes soziales Netzwerk genannt, wie eine Umfrage der amerikanischen Investmentbank Piper Jaffray unter 6500 Jugendlichen ergeben hat. Früher führte Instagram diese Liste immer an. Betrachtet man die monatlichen Nutzer, liegt Instagram aber noch vor Snapchat (siehe Grafik). Grundsätzlich beherrscht Facebook mit seinen Diensten den Markt mit sozialen Netzwerken und Messengern: Zählt man Facebook, den Facebook Messenger, Instagram und Whatsapp zusammen, kommt man auf gut vier Milliarden Nutzer – freilich sind das nicht alles verschiedene Menschen, die meisten Nutzer haben schließlich gleich mehrere Profile. Facebook hatte Instagram im Jahr 2011 für 1 Milliarde Dollar gekauft, für Whatsapp hat Zuckerberg sogar 19 Milliarden Dollar bezahlt. Alles, was Erfolg verspricht, verleibt sich Facebook ein. Google ist zwar ein großer Konkurrent auf dem Werbemarkt, aber nicht im Bereich der Messenger und sozialen Netzwerke – nur Snapchat gilt als hartnäckig.

Dahinter steht eine lange Geschichte, die sich zwischen Facebook-Chef Mark Zuckerberg und Evan Spiegel, dem Snapchat-Gründer, vor vier Jahren entwickelt hat. Am 28. November 2012 erreichte Spiegel eine E-Mail von Zuckerberg mit dem Vorschlag eines Treffens, um über Snapchat zu sprechen. In der Konferenz zeigte sich offenbar die Kaufabsicht Zuckerbergs, der sich Snapchat als Partner vorstellte und angeblich drei Milliarden Dollar bot. Spiegel lehnte ab und bestellte für sich und seine damals nur sechs Mitarbeiter das Buch “Die Kunst des Krieges” von Sun Tzu. Denn Zuckerberg drohte, mit der App Poke genau das Geschäft von Spiegel anzugreifen. Poke kam, stieg in den App-Stores kurz auf Platz 1 – und verschwand im Jahr 2014 wieder. Die Veränderung von Instagram ist eine abermalige Kampfansage an Snapchat, die mehr Erfolg verspricht: Einer bestehenden App Funktionen hinzuzufügen ist leichter, als Nutzer für eine neue App zu gewinnen.

Das merken auch alle Konkurrenten, die versuchen, sich abzugrenzen. So wollte die App “Beme” die Flüchtigkeit der Momente auf die Spitze treiben: Momente aufnehmen konnte nur, wer seinen Smartphonebildschirm verdeckt. Das sollte dazu führen, dass nichts inszeniert wird. Die Aufregung um die App verschwand so schnell, wie sie gekommen war. Das zeigt sich auch, wenn man auf andere Länder blickt. Erfolg haben dort nur Netzwerke wie Sina Weibo oder VKontakte – also klassische Klone.

09. Aug. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Soziale Verwechselwerke

1
1380

   

05. Aug. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Viele Wege führen in die Cloud

1
1087
   

Viele Wege führen in die Cloud

In Deutschland entstehen immer mehr Internetplattformen, die den deutschen Mittelstand von amerikanischen Anbietern unabhängig machen. Drei Beispiele.

Foto: Blue Coat Photos© Blue Coat PhotosWolkig mit Aussicht auf Spargel

Früher musste Bauer Funck immer 40 Kilometer zu seinen Feldern fahren, heute reicht ein Blick auf sein Smartphone. Das zeigt ihm nämlich an, wie warm es unter den Planen ist, wie sich die Temperatur im Laufe der vergangenen Tage verändert hat und wie die Wettervorhersage aussieht. Peter Funck baut Erdbeeren und Spargel an – und während ihm für die Früchte seine normalen Thermometer reichen, setzt er beim Spargel voll auf die Cloud. Jetzt, da die Spargelsaison vorbei ist, kann der Bauer aus Eisenberg in der Pfalz gut abschätzen, was seine Temperatur-Sensoren in den vergangenen Monaten geleistet haben. “Also eine Rekordernte war’s nicht”, sagt Funck, dafür sei es allerdings auch zu kalt gewesen. Zufrieden mit der Ausbeute ist der Bauer trotzdem. Denn die Köpfe sind nicht aufgegangen oder rot geworden – was schlecht für den Verkauf gewesen wäre. Manchmal hat der Bauer nicht auf seine App gehört und statt der weißen, die Sonne reflektierende Folie die schwarze draufgelassen, damit es darunter wärmer bleibt und der Spargel schneller wächst. Da gewinnt die in mehr als 20 Jahren angesammelte Landwirtschafts-Erfahrung über die Technik. Und trotzdem möchte er sie nicht mehr missen.

Funck benutzt die Cloud von Bosch, das Unternehmen hat extra für Spargelbauern eine App-Umgebung entwickelt. Sensoren messen im Boden die Temperatur und senden die Daten über die Cloud an die App. Der recht überschaubare Kundenstamm der Spargelbauern soll dabei nur der Beginn des größeren Geschäftsfeldes Landwirtschaft sein. Doch schon dieses Angebot werde stark nachgefragt, heißt es bei Bosch. Auch Bauer Funck zeigt sich vom Potential der Datenwolke begeistert. Allerdings ist er auch ein Symptom für die Entwicklung der Cloud in Deutschland: Denn von allein hätte er sich nicht dafür entschieden, Bosch ist in einer Testphase auf ihn zugekommen. Wenn das nicht passiert wäre, würde Funck vielleicht heute noch jeden Tag 40 Kilometer zu seinen Feldern fahren, um unter den Planen abzulesen, wie es seinem Gemüse geht.

Funck ist kein Digitalskeptiker, inzwischen schaut er jeden Morgen zuerst auf sein Smartphone. Doch von der Cloud hat er lange die Finger gelassen, weil er schlicht nicht wusste, dass es solch eine technische Erleichterung für den Anbau gibt. Big Data hat zwar schon viele Bauernhöfe erreicht, doch noch lange nicht alle. Zaghaft sind übrigens nicht nur Bauern, auch viele Mittelständler zögern – ein wichtiger Grund ist vor allem Skepsis gegenüber amerikanischen Anbietern. Namen wie Amazon Web Service oder General Electric sind zwar allen ein Begriff. Doch hatte der amerikanische SAP-Rivale Salesforce nicht ohne Grund auf der Cebit gleich mehrere Hallen gesponsert: Was deutsche Kunden angeht, bietet der Cloud-Markt noch großes Wachstumspotential, und auf Veranstaltungen wie der Hannover-Messe oder eben der Cebit kommt man gut ins Gespräch.

Der Bauer schaut jeden Morgen zuerst auf sein Smartphone

Das bestätigen auch deutsche Unternehmen – die vielfach von der Skepsis gegenüber den Amerikanern profitieren. Beispiel Bosch: “Viele Unternehmen und Verbraucher nennen Sicherheitsbedenken als Hindernis für die Nutzung von Cloud-Technologien und Vernetzungslösungen”, sagt Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung bei Bosch. Deshalb landen die Daten von Peter Funck auch nur in einem Rechenzentrum in der Nähe von Stuttgart.

Den Wettbewerbsvorteil “Sicherheit durch den richtigen Standort” haben auch andere Unternehmen erkannt: Siemens bietet seit ein paar Monaten seine offene Industrie-Cloud namens Mindsphere an. Auf der Hannover-Messe hat das Unternehmen damit außergewöhnlich viele Kundenanfragen bekommen. “Das ist fast schon verblüffend, wie etwas, das noch so jung ist, ein so großes Interesse hervorruft”, sagt Ralf Wagner, der das Segment “Plant Data Services” bei Siemens leitet. Die Idee hinter der Cloud: Nichts stört Industriekunden so sehr wie ein Ausfall von Maschinen, immer geht es um Verfügbarkeit. Durch maschinelles Lernen über die Cloud sollen etwa Haarrisse in Maschinen früher erkannt werden, soll schon jetzt vorausgesagt werden, warum die Produktion in drei Monaten stillstehen könnte. Siemens richtet sich dabei an die produzierende Industrie, also etwa an Maschinenbauer, die Flaschenabfüllanlagen für einen Getränkehersteller liefern. Den interessiert nur, dass seine Flaschen voll werden, der Zulieferer will, dass seine verkaufte Maschine tadellos funktioniert. Wenn nun die Maschine an die Siemens-Cloud funkt, dass sich der Stromverbrauch erhöht hat, kann dort eine Warnung rausgehen, dass eine Wartung vielleicht vor den geplanten 1000 Betriebsstunden nötig wäre.

Cloud-Plattformen als “erhebliches Investment”

 “Offen” ist die Cloud deshalb, weil Siemens in Zukunft eine vernetzte Plattform aufbauen will, auf die auch andere Hersteller ihre Apps aufsetzen können – gegen eine Gebühr, versteht sich. Je mehr Anwendungen und vernetzte Maschinen dann verbunden sind, desto attraktiver wird die Plattform. Dass so eine Cloud von einem großen Unternehmen wie Siemens aufgebaut wird, ist für Wagner nur logisch: “So innovativ unser Maschinenbau-Mittelstand ist, so sehr scheuen noch viele davor zurück. Solch eine Plattform bereitzustellen ist ein erhebliches Investment.”

Doch gerade die Maschinenbauer vertrauen gerne ihresgleichen: Das merkt vor allem Trumpf. Deren erste Cloud wurde sogar schon vor acht Jahren entwickelt und heißt Telepräsenzportal. “Ich glaube, der Name ist einer der Erfolgsfaktoren, weil anders als bei der Cloud nicht jeder direkt an die NSA denkt”, sagt Softwarechef Stephan Fischer. Das Telepräsenzportal hilft den Kunden dabei, wenn sie an der Maschine stehen und nicht mehr weiterkommen. Mehr als 10 000 Maschinen sind dort angeschlossen. Die melden sich bei Trumpf, wenn es ein Problem gibt. Das ist das Konzept des Maschinenbauers: die Wartungsprognose als Auftragsprogramm.

Für die Prozessvernetzung in der Industrie 4.0 – bei der die gesamte Wertschöpfungskette von der Auftragsverwaltung bis zur Auslieferung abgedeckt wird – hat Trumpf eine zweite Cloud installiert, die auch wirklich so heißt und von der Tochterfirma Axoom betrieben wird. Stephan Fischer hat früher bei SAP gearbeitet, der IT-Fachmann glaubt, dass der Maschinenbau in der Digitalisierung große Chancen hat. “Das Potential einer Maschine zu verstehen, ist viel komplizierter als das Potential der IT”, sagt Fischer. Soll heißen: Google würde sich eher nicht in das Feld mit komplizierten Fertigungsmaschinen begeben. Allerdings ändert sich mit der Digitalisierung die Geschwindigkeit. Allein die Cloud habe sich in den vergangenen zwei Jahren schon schneller entwickelt, als es der normale Maschinenbauer gewöhnt sei, sagt Fischer. Deshalb ist für die deutschen Anbieter neben dem Datenschutz nichts so wichtig wie Bedienung: Alles muss möglichst einfach und vorkonfektioniert sein.

Wenn alles so einfach bedienbar bleibt wie jetzt, kann sich auch Bauer Funck vorstellen, seinen Hof weiter zu digitalisieren: Irgendwann will er seine Traktoren und Lieferfahrzeuge vernetzen, um immer zu wissen, wo die Fahrer sind. Damit nicht nur die Ernte reicher, sondern auch die Wege effizienter werden.

Dieser Text ist zuerst am 6. Juli in der Redaktionsbeilage “Die 100 Größten” erschienen. Die 58. Ausgabe über die 100 Größten Unternehmen in Deutschland, Europa und der Welt.

05. Aug. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Viele Wege führen in die Cloud

1
1087

   

03. Aug. 2016
von Jonas Jansen
3 Lesermeinungen

2
1536
   

Wie Big-Data-Analysen die Unternehmen verändern

Mit Sensoren auf Maschinen und Kundenerkennung können Unternehmen heute große Datenmengen sammeln. Die Frage ist nur: Wollen sie das auch nutzen?

9276962702_57d9bfddd4_o© Jeremy Keith on Flickr (CC BY 2.0)By Jeremy Keith on Flickr (CC BY 2.0)

Wer Filialen der St. George Bank in Sydney betritt, wird schon am Eingang erkannt. Über sogenannte iBeacons, kleine Sender, bekommen Kunden eine Nachricht über die Beratung auf ihr Smartphone geschickt. So weiß die Bank schneller, was der Kunde will. Konsequent weitergedacht – und vorausgesetzt, die Kunden stimmen der Datenverwendung zu – bedeutet das: Wenn die Bank schon vorher weiß, wofür sich die Kunden interessieren und was sie für Produkte brauchen könnten, kann Beratung in Zukunft schneller und effizienter werden. Oder sogar schon jetzt wissen, was die Kunden morgen gerne haben möchten.

Das mag beängstigend klingen, funktioniert aber mit der richtigen Datenmenge schon heute vergleichsweise zuverlässig: Dinge vorhersagen. Der Zukunftsforscher Lars Thomsen sagt: “Ein guter Verkäufer weiß: Ich gebe noch einen guten Tipp, er wird Sie auf etwas hinweisen, was Sie noch brauchen.” Diese Intelligenz eines Fachverkäufers müssten Unternehmen heute übertragen, damit Maschinen es verstehen und lernen. Wer heute eine Fotokamera kauft, bekommt häufig danach im OnlineHandel noch eine Empfehlung für 97 andere Kameras. Dabei fordern Kunden eine Weiterentwicklung. Thomsens Erfahrung ist: Menschen gewöhnen sich unglaublich schnell an Innovationen, vor allem, wenn sie ihnen einen Mehrwert bringen. Gerade die vielgescholtenen mittelständischen Unternehmen seien bei der technologischen Entwicklung innovativ, bemerkt Thomsen.

Darauf setzen auch Unternehmen wie der amerikanische Softwarehersteller SAS, das sich auf Big-Data-Analysen spezialisiert hat und sich selbst als Marktführer in dem Bereich “Business Analytics” bezeichnet. Andere, große Unternehmen wie SAP bieten solche Services freilich auch an. Sie nutzen die technologischen Möglichkeiten der Echtzeitüberwachung – und müssen gerade in Deutschland darauf setzen, dass sich die Vorbehalte gegenüber Datenanalyse zerstreuen.

Daten zu sammeln wird immer leichter

Daten zu sammeln ist in den vergangenen Jahren immer leichter geworden: Denn Datenzugriff und Speicherung sind deutlich günstiger als früher, vor allem getrieben durch die Entwicklungen im Online-Handel und durch Sozialen Medien. Analytische Modelle, die sich aus großen Datenmengen berechnen, werden heutzutage nicht mehr von einer Festplatte gelesen, sondern mit sogenannten Memory-Techniken in Echtzeit an die Unternehmen ausgeliefert. So kann eine Bank sehen, wie sich die Kunden entscheiden, oder ein Autozulieferer eine Diagnose seiner Fertigungsstraße überwachen.

In der Produktion sollen die Big-Data-Analysen vor allem dabei helfen, dass Maschinen selbst lernen können und Algorithmen entwickeln, um etwa nötige Reparaturen früher zu erkennen. Noch funktioniert in der Industrie vieles nach dem Prinzip des Ingenieurswissens: Wenn der Druck über einen gewissen Wert steigt, wird ein Ventil ausgelöst. Doch die an den Maschinen angebrachte Sensoren können nicht nur Daten sammeln für Wartungsberichte, sondern sie auch gleichzeitig auswerten.

Für Dienstleister wie Banken geht es vor allem um Kommunikation: Die Kunden kommunizieren heute über alle Kanäle gleichzeitig, ob über das Telefon, die Website, per E-Mail oder in sozialen Netzwerken. Die Informationen über Kunden kann man theoretisch über alle diese Kanäle verknüpfen, um so mehr Informationen darüber zu haben, welches Konto oder welcher Kredit nun passend wäre. Oder es im Extremfall machen wie die australische Bank. “Wir helfen dabei, Intelligenz zu entwickeln”, sagt Christoph Sporleder, der seit Jahren für SAS in Deutschland die Analyse betreut und das Unternehmen berät. “Entscheidung beruht auf Erfahrung. Da hat sich jemand hingesetzt und gesagt: ,Wenn A, dann B.’ Doch alle Entscheidungsregeln müssen eigentlich analytisch getrieben sein, am besten durch selbstlernende Algorithmen”, sagt Sporleder. Je mehr Daten ein Unternehmen allerdings sammeln will, desto komplizierter ist deren Aufbereitung. Jedes analytische Modell altert ab dem Zeitpunkt, ab dem man es verwendet, weshalb es beobachtet und quasi “neu trainiert” werden muss.

Die Skepsis ist groß

Unternehmen wie SAS wollen ihre Beratung allerdings auch verkaufen, weshalb sie Studien beauftragen, die das Potential zeigen. Ein Ergebnis: Ganz vorne im Bezug auf Analysen in Echtzeit sind in Deutschland nur zwei Prozent der Unternehmen. Die geben an, mehr als 75 Prozent der verfügbaren Daten zu erschließen. Und die Skepsis ist groß: Immerhin ein Fünftel der Befragten nutzt weniger als ein Fünftel der verfügbaren Daten. Das hat der Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Electronic Government der Universität Potsdam herausgefunden bei einer Befragung von Managern mittelständischer und großer Unternehmen. Allerdings gebe es eine sukzessive Bewegung weg von reinen Berichten hin zur Vorhersage.

Wird also der Kunde in Zukunft mit seiner Gläsernheit zufrieden sein, wenn es ihm nur genügend Vorteile bietet? Und Unternehmen alle ihre Daten auswerten, wenn sie ihnen helfen, Kosten zu sparen? Die Antwort lautet vermutlich: ja. Zukunftsforscher Thomsen ist jedenfalls davon überzeugt, dass wir vor einer neuen industriellen Revolution stehen, von der man in 100 Jahren sprechen wird: “Wir erleben das Ende der Dummheit: Maschinen werden schlauer, können sich verändern und modernisieren.”

Neue Definitionen seien nötig, wie die Beantwortung der Frage, wie wir unsere Arbeit in Zukunft sinnvoll gestalten, wenn uns Maschinen mehr und mehr davon abnehmen. “Sitzen wir nur noch vor dem Fernseher, oder finden wir neue Wege für Kreativität?” Denn Kreativität könnte schließlich auch daraus entstehen, dass man mehr Zeit hat.

03. Aug. 2016
von Jonas Jansen
3 Lesermeinungen

2
1536

   

21. Jul. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Selbst der Abfall wird nun digital

7
3387
   

Selbst der Abfall wird nun digital

Mülldaten statt Datenmüll produziert das finnische Start-up Enevo.  Kluge Routen sollen Effizienz schaffen, doch Konkurrenz und Vorbehalte sind groß.

Ger Vervoorn sammelt seit 32 Jahren Müll ein, er kennt sich also aus damit. Doch seit kurzem hat der Niederländer in seinem Müllwagen ein Tablet hängen, das ihm sagt, welche Strecke er fahren soll und wo es sich gerade am meisten lohnt, die Papiertonne zu leeren. Statt wie früher wöchentlich dieselbe Route zu fahren, führt sein Weg nun nur zu den Abfalleimern, die auch wirklich voll oder bald voll sind. enevo 3“Ich möchte nicht mehr zurück zu dem alten System”, sagt der 57 Jahre alte Mann von der Müllabfuhr. Rotterdam hat 4800 unterirdische Müllcontainer, noch einmal jeweils 650 für Papier und Glas, der Verwaltung der 600 000-Einwohner-Stadt ist es sehr wichtig, dass das Stadtbild sauber ist. Deshalb setzt Rotterdam auf das Start-up Enevo aus Finnland, das Sensoren entwickelt, die mit der Technik eines Sonars messen, wie weit gefüllt Mülltonnen sind.

Wer heute von intelligenten Städten und dem Internet der Dinge spricht, kommt auch an Abfall nicht vorbei: die Städte werden immer größer, mehr Menschen konsumieren immer mehr, und trotz Recycling und Bio-Trend steigt auch der Verpackungsmüll. Während vor zwei Jahren noch 1,5 Milliarden Tonnen Abfall produziert wurde, rechnet man schon in sieben Jahren mit 2,2 Milliarden Tonnen. Nach Berechnungen der Beratungsfirma Navigant Consulting bedeutet das ein Marktpotential für Abfallwirtschaftsbetriebe von 6,5 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2023 – und das alleine für den Bereich der “smarten” Müllverarbeitung.

In diesen Markt drängt Enevo. Das Start-up ist eine dieser zahlreichen Gründungen, die von den Nokia-Entlassungen profitiert haben, weil sie technik-affine Mitarbeiter werben konnten, Tausende von ihnen wurden entlassen, Tausende fanden neue Arbeit bei aufstrebenden Start-ups in der Region.

In Espoo, unweit von Helsinki, sind die 50 Mitarbeiter von Enovo allerdings derzeit noch die einzigen Mieter in dem Haus, an dessen Eingang noch die alten Nokia-Schilder verstauben. Von hier aus entwickelt das 2010 gegründete Unternehmen seine faustgroßen, orangenen Sensoren, die in Mülltonnen geklebt werden und dann Daten funken. Hauptabnehmer sind bislang die Benelux-Staaten, gerade die Niederländer sind ganz wild auf die kluge Technik. Doch auch nach Deutschland drängt der Gründer Fredrik Kekäläinen. “Die Deutschen mögen Effizienz, das ist gut für uns”, sagt Kekäläinen.

Ein Enevo-Sensor im Einsatz© Jonas JansenEin Enevo-Sensor im Einsatz

Risikokapital hat Enevo daher auch vom deutschen Investor Earlybird Ventures bekommen, genauso vom taiwanischen Apple-Zulieferer Foxconn, auf 26 Millionen Euro beläuft sich das Fremdkapital bereits. 20 000 Sensoren hat Enevo bereits verkauft, für dieses Jahr peilen sie 100 000 an. Das Start-up hat ehrgeizige Wachstumsziele, Kekäläinen hat sich bei der EU-Kommission auf eine Förderung beworben, will in fünf Jahren 916 Millionen Euro Umsatz machen und 1500 Mitarbeiter eingestellt haben. Derzeit sind es allerdings erst 80. Doch die Aufträge würden täglich mehr, erzählt Kekäläinen in seinem Besprechungsraum in Espoo. Zu der Reise nach Finnland hat die Stadt Helsinki eingeladen.

Konkurrenten gibt es aber reichlich. Der Marktführer für kluge Abfallwirtschaft verkauft seine Sensoren bereits seit zehn Jahren, Big Belly kommt aus den Vereinigten Staaten und ist vor allem dort präsent, hat aber auch in Hamburg einige Mülleimer mit seinen Sensoren ausgestattet. Andere Start-ups wie die irische Firma Smart Bin drängen genauso in den Markt wie große Spieler wie IBM. Und dann war da noch ein Skandal aus London, der zwar schon drei Jahre her ist, aber der ganzen Branche noch heute anhängt: Eine Werbefirma hatte Mülleimer mit W-Lan und Displays ausgestattet, aber gleichzeitig über die sogenannte Mac-Adresse Handy- und Ortungsdaten von all den Leuten abgegriffen, die an den öffentlichen Mülltonnen vorbeigelaufen sind. Die spionierenden Mülleimer wurden sogleich entfernt, doch die Angst vor dem Missbrauch der Daten schwingt noch bei jedem “smarten” Gerät mit.

So sehen die faustgroßen Sensoren aus© Jonas JansenSo sehen die faustgroßen Sensoren aus

Kekäläinen versichert zwar, dass seine Sensoren nichts aus der Umgebung aufzeichnen, aber klar ist, dass die enthaltene Sim-Karte und die Internetverbindung genauso eine Technik ist, die wie in einem Handy theoretisch gehackt werden könnte. Gleichzeitig legt Enevo Wert darauf, eine intelligentere Technik zu verwenden als die Konkurrenz. Während die Mülltonnen dort E-Mails ans System schicken, wenn sie voll sind, kommunizieren die Enevo-Sensoren ständig mit den Servern. Auf Twitter kann man das unter @trashcanlife verfolgen, dort senden die Mülleimer Füllstände, Temperaturen oder Signalstärke in das soziale Netzwerk. Das Datensystem, das hinter den Sensoren liegt, erkennt nicht nur, welche Mülltonnen wie voll sind, und empfiehlt auf dieser Basis die Routen: Es lernt sogar dazu, welche Mülleimer sich besonders schnell oder langsam füllen, und entwickelt so Prognosen für künftige Routen. Das soll Sprit sparen, Zeit und natürlich irgendwann auch Personal. Wer weniger und effizienter fährt, braucht weniger Fahrer.

Eine Beispielroute des Unternehmens.© Jonas JansenEine Beispielroute des Unternehmens.

Auf einer Karte kann man sehen, wie das funktioniert. So sind an diesem Morgen die Müllwagen in Rotterdam um halb sieben Uhr morgens losgefahren, sechs Stunden und 52 Minuten später ist das Tagwerk vollbracht, im Vergleich zu früher hat der Wagen 64 Kilometer gespart. Auf einer Liste zeigt das System an, wie viel Müll im Monat abgeholt wurde, so waren es im Januar 117 Tonnen, im März 127. Geld verdient das Start-up übrigens nicht in erster Linie mit den Sensoren, deren Batterie hält nämlich zehn Jahre und wird deshalb kaum ausgetauscht. Doch die Datenanalyse verkauft Enevo in einem Abonnement-Modell – und da die Städte trotzdem noch Geld damit sparen, wird Ger Vervoorn, der erfahrene Abfallabholer aus Rotterdam, wohl noch lange nicht sein neues Tablet auf die Mülldeponie fahren müssen.

21. Jul. 2016
von Jonas Jansen
Kommentare deaktiviert für Selbst der Abfall wird nun digital

7
3387