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Karma, Drama, Racheakt: O.J. Simpson hinter Gittern

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War das jetzt der endgültig letzte Akt? Wir Zuschauer sind doch, seien wir ehrlich, alle sehr ermattet. Nicht nur von der Dauer des Dramas, sondern auch seinen...

War das jetzt der endgültig letzte Akt? Wir Zuschauer sind doch, seien wir ehrlich, alle sehr ermattet. Nicht nur von der Dauer des Dramas, sondern auch seinen Verwicklungen, Umschwüngen und schwachsinnigen Handlungssträngen. No more O.J. Simpson, please!

Sogar die Talkshows und Nachrichtenprogramme, die einst nicht genug kriegen konnten vom gewalttätigen Footballstar und dem Theater, das die Welt um ihn machte, wollen nun, da er mindestens neun Jahre hinter Gittern verbringen muss, kaum mehr in Triumph oder Empörung schwelgen. Larry King raffte sich gerade zu sechs Minuten auf, um in seiner Plauderstunde die neueste Wendung des Falls Simpsons zu beleuchten. Den Rest der Sendung widmete er der amerikanischen Wirtschaft und ihren neuesten Horrorstatistiken. Sendungstitel: Ein Blutbad! Die Arbeitslosenzahlen schnellen in die Höhe, Firmen schrumpfen. Das bewegt Amerika. Wen sollten da noch O. J. Simpson, seine Bluttat und ihre endlosen Nachspiele schocken?

Fox News versuchte zwar wacker, mit den alten Protagonisten Stimmung zu machen und die alten Leidenschaften zu schüren. Vergeblich. All die Aufregung, wie sie vor dreizehn Jahren der zum Mordfall des Jahrhunderts ausgerufene Prozess hervorrief, ist verpufft. Selbst Bill O’Reilly, Hauptscharfmacher bei Fox, konnte nicht richtig in Fahrt kommen. Sein kärgliches Fazit: That’s karma.

Simpson, so hieß es dereinst, halte Amerika den Spiegel vor. Waren es nicht die Obsessionen des Landes, die er bündelte? Die Gier nach Gewalt, nach Leben als TV-Reality-Show, nach nie versiegendem Klatsch um banale Berühmtheiten? Und dann die Rassenfrage. Über Simpsons Freispruch entrüsteten sich die Weißen, frohlockten die Schwarzen, auch wenn sie ihn für schuldig hielten. Schnee von gestern. Ins Weiße Haus wird nächsten Monat ein schwarzer Präsident einziehen. Ein schwarzer Held. Wozu soll da noch ein Anti-Held wie O. J. Simpson taugen.

Absurd ist es dennoch, dass der Mann, der erst vom Mord an seiner Ex-Frau Nicole Brown Simpson und deren Freund Ronald L. Goldman freigesprochen, dann von einem Zivilgericht für schuldig befunden und zu einer achtstelligen Millionenstrafe verurteilt wurde, aber auf freiem Fuß blieb und seitdem seine Tat mehr oder weniger eingestand, dass also dieser Mann nun wegen eines bewaffneten Überfalls, eines im Grunde schnöden Einbruchs in ein Hotelzimmer in Las Vegas, den Rest seines Lebens in Haft verbringen könnte.

Das Urteil sei nicht als Rache für den notorischen Freispruch zu verstehen, sagte die Richterin. Es war Rache, versicherten dagegen die Gäste von Chris Matthews, den das in seiner lautstarken Sendung „Hardball“ aber kaum störte. David Lettermans Witzeschreiber brauchten sich keine Pointe auszudenken, denn wie ihr Boss haben auch sie Freitagabend frei, und Jay Leno beschränkte sich auf das Allernötigste. Ein lauer Witz (O. J. Simpson: Was? Fünfzehn Jahre? Diesmal habe ich doch nicht einmal jemand umgebracht!), und schon kam die Wirtschaftskrise dran.

Sic transit O.J.

Halt! Wer wird uns vor der Berufungsverhandlung retten? Was, wenn sie den Vorhang über dem leidigen Schauspiel wieder hochgehen ließe? Karma, hilf!


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