New Yorker Televisionen

Mitternachtsrevolution: Weniger Kinn, mehr Haartolle

Wachablösung in der „Tonight Show“. Jay Leno geht, Conan O’Brien kommt. Das heißt: Weniger Kinn, mehr Haartolle. Das heißt auch: Epochenwechsel!

Die „Tonight Show“ ist ja nicht irgendeine Fernsehsendung. Seit ihrer Geburt vor mehr als einem halben Jahrhundert gibt sie den Ton an im spätabendlichen Unterhaltungsprogramm. Selbst ein Dave Letterman, der sich auch einmal Hoffnung machte, dort als Talkmaster inthronisiert zu werden, konnte von seiner „Late Show“ aus an ihrer Vormachtsstellung wenig ändern.

Jay Leno, der Mann mit dem ausgeprägten Kinn, hat im Quotenrennen regelmäßig Letterman hinter sich gelassen. Mit dem weiteren Resultat, dass die „Tonight Show“ ein sagenhaftes Profitzentrum für die Fernsehgesellschaft NBC geblieben ist. Von hundert Millionen Dollar an jährlichen Einnahmen wird gemunkelt. Soviel Erfolg und Tradition gehen natürlich nicht spurlos am Talkmaster vorüber. In seiner letzten Sendung schien Leno manchmal den Tränen nahe. Gut, Witze machte er auch, und einer davon ging so: Als er vor siebzehn Jahren den Job übernahm, waren seine Haare noch schwarz. Jetzt sind sie weiß, und der Präsident ist schwarz.

Nett, lustig, ohne Widerhaken. Im Gegensatz zu Lettermans existentieller Grantigkeit ist Leno immer freundlich und gefällig. Aber so gezielt glanzlos, so sentimental wie zum Abschied war er selten. Zum Schlusstableau versammelte er alle Kinder, die sich die Mitarbeiter der „Tonight Show“ während seiner Amtszeit zulegten. Eine Familiensendung eben. Auch noch um Mitternacht.

Sein einziger Gast war Conan, der Nachfolger. Du bist die perfekte Wahl, versicherte er ihm. Trotzdem sah Conan ziemlich müde aus. Seine Haartolle drohte zu welken. Er verabschiedete sich dann auch, bevor James Taylor nostalgisch zur Gitarre griff. Conan, erfuhren wir, musste sich zurückziehen, weil noch viel zu proben war.

Das war Freitagnacht. Dass die Proben offensichtlich genützt haben, war Montagnacht festzustellen. Conan, die Haartolle kühn aufgesprayt, hat einen einigermaßen respektablen Erstauftritt hingelegt. In seiner selbstironischen Gaudi ging es vor allem um den Umzug von New York nach Los Angeles. Nein, Leno hatte er sich nicht eingeladen. Sein Gast war der Komiker Will Ferrell, der einen neuen Film zu verkaufen hatte und zu Conans Einstand ein Abschiedslied anstimmte. Wer das nicht sonderlich aufregend fand, konnte auf Pearl Jam warten. Die Rocker hatten einen neuen Song mitgebracht. Zumindest Conan war hin und weg.

Keine Frage, in seinen sechzehn Jahren als Talkmaster der „Late Night Show“, die der „Tonight Show“ unmittelbar folgt, hat er enorm dazugelernt. Aus dem schlaksigen, linkischen Jungen, aus dem Witzeschreiber, den keiner kannte, ist ein Unterhaltungsprofi geworden, der zwar auch noch zwischen infantiler und adoleszenter Heiterkeit pendelt, aber damit genau die Befindlichkeit seines Publikums zu treffen weiß. Als fünfter Herrscher der „Tonight Show“ reiht er sich schon mal fachkundig in die sehr überschaubare Reihe seiner TV-Ahnen ein: Steve Allen, Jack Paar, Johnny Carson, Jay Leno, das war’s schon.

Und was wird jetzt aus Leno? Der verschwindet nicht etwa in der Versenkung, sondern wird ab September talken wie eh und je, nur anderthalb Stunden früher, also in Primetime. Was allgemein als Revolution angesehen wird. NBC braucht nämlich keine teuren Dramen und Sitcoms mehr zu produzieren, wenn für ein Fünftel der Kosten Leno und Gäste fünfmal in der Woche zu Wort kommen dürfen.

Ob das gut geht? Ob die Zuschauer das wollen? Ob sie womöglich lieber zu den Dramen in den Kabelsendern hinüberschalten? Ob die anderen traditionsreichen Fernsehgesellschaften dem Beispiel von NBC folgen? Ob nicht ohnehin das Internet den späten Abend neu organisiert?

Wir werden’s buchstäblich sehen.

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