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New Yorker Televisionen

Wer schaut bei Oprah und Jon Stewart vorbei? Was wird in „Meet the Press“ und „Face the Nation“ verhandelt? Wen haben sich Jay Leno und David

Obamas Liebesleben und die Zukunft des Fernsehens

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Obama war an der Wall Street, um den Bankern, wenn nicht Bankstern ins Gewissen zu reden. Das war am Morgen. Aber was war das schon gegen den Abend, als die...

Obama war an der Wall Street, um den Bankern, wenn nicht Bankstern ins Gewissen zu reden. Das war am Morgen. Aber was war das schon gegen den Abend, als die Sensation des Jahres, wenn nicht des Jahrzehnts oder Jahrhunderts stattfand. Auch mit ihm. Aber vor allem mit Jay Leno. Der kehrte nach langen dreieinhalb Monaten tatsächlich auf den Bildschirm zurück. Ein Ereignis der Sonderklasse. Denn wer noch das Nachrichtenmagazin „Time“ liest oder auch nur gelegentlich auf seinen Titel schaut, wusste schon im voraus: „Jay Leno ist die Zukunft des Fernsehens.“
Nicht schlecht für einen Talkstar, der ja doch eher der Fernsehvergangenheit entstammt. Siebzehn Jahre lang gab es keinen Unterschied zwischen ihm und der „Tonight Show“, der anscheinend unverwüstlichen Institution des späten amerikanischen Fernsehabends. Während dessen war er neunundfünfzig Jahre alt geworden, wohl doch ein bisschen zu alt für die Erbsenzähler der Fernsehgesellschaft NBC, die sich viel frischeren Wind vom viel jüngeren Conan O’Brien erwarteten und ihm den Job anvertrauten.
Conan hat ihnen den Wunsch in der Tat schon halbwegs erfüllen können. Insgesamt soll das Medianalter der Zuschauer der erneuerten „Tonight Show“ um zehn Jahre, von fünfundfünfzig auf fünfundvierzig, gefallen sein. Vor allem die jungen Männer zwischen achtzehn und achtunddreißig gehören zu Conans treuesten Zuschauern. Von denen hat er insgesamt nun allerdings zwei Millionen weniger.
Da hinkt der Sechsundvierzigjährige dem alten Leno doch beträchtlich hinterher. Aber der wurde ja auch nicht abserviert. Er darf sich jetzt anderthalb Stunden früher um sein Publikum kümmern, und darin liegt die Revolution, darum ist er die Zukunft des Fernsehens. Leno in Primetime. Zum einen kann sein mit ihm gealtertes Publikum zwischen zehn und elf Uhr vielleicht noch leichter den Kampf gegen den Schlaf gewinnen. Zum andern aber spart NBC dergestalt Summen ein, die auch boniverwöhnten Bankstern imponieren müssten. Die Rechnungsführung des Senders rechnet so: Wenn wir fünfmal die Woche eine Talkshow mit vielen Comedy-Einlagen bieten, kommt uns das viel, viel billiger zu stehen, als wenn wir teure Comedy- oder Dramenserien produzieren. Von Einsparungen von achtzig Prozent ist die Rede. Das sind keine Medienmärchen, das ist vielmehr erwiesen, seit es das sehr kostengünstige Reality-TV gibt.
Und damit die Rechnung auch wirklich aufgeht, hat NBC schon mal zehn Millionen für den Werbeetat flüssig gemacht und in den letzten Wochen und Tagen die Nation nur so mit Leno-News überflutet. Ist ja alles auch viel spannender als Obamas ewige Gesundheitsreformtiraden. Überhaupt Obama. Mag sein, dass er mit Michelle vor dem Fernseher im zweiten Stock des Weißen Hauses saß und die Sensationspremiere miterlebte.
Und vielleicht haben die beiden auch hier und da mal gelacht. Wahrscheinlich aber nicht besonders über ein mäßig komisch zusammengeschnipseltes Interview, das Leno scheinbar erlaubte, dem Präsidenten Indiskretionen zu entlocken. So durfte er auf die Frage nach seinem Liebesleben irgendetwas über einen Stimulus von sich geben.
In Lenos neuer Show soll nämlich nicht unbedingt live getalkt, sondern vor allem gelacht werden. Amerika, so will es die Marketingabteilung von NBC, soll seine Probleme bei Leno weglachen.
Und? Hat’s geklappt?
Der Talkmaster selbst präsentierte sich nach seiner sommerlichen Sendepause merklich verschlankt und geradezu demonstrativ entspannt. Jerry Seinfeld, der Meister der nach ihm benannten Show, in der es bekanntermaßen um nichts ging, war Lenos erster und einziger Gast bei dem Premierengroßereignis. In der sorgsam eingeübte Unterhaltung mit Seinfeld, der zur Feier des Abends im Smoking erschienen war, bestand der Clou darin, dass Oprah per Monitor einschwebte und sich von ihrem guten Freund Seinfeld über Urlaub und Fernsehpläne ausfragen ließ, während ihr angeblich weniger guter Freund Leno vergeblich versuchte, sich in das Geplauder einzuschalten. Selten so nicht gelacht.
Ganz ohne Talk ging also die Chose selbstredend nicht, aber schon mit dem fehlenden Talktisch, der das Genre durch seine gesamte Geschichte geprägt hat, war ein Zeichen gesetzt. Comedy is king! Comedy ist aber auch nicht einfach.
Wie gehabt der Auftrittsmonolog, für Leno der Augenblick, die Ereignisse des Tages durch den Kakao zu ziehen, aber bitte nie zu wild. Dann ein Videolein, in dem ein Komiker ein paar Leute draußen im wirklichen Leben veräppelt. Ganz Schluss sogar die altvertrauten „Headlines“, die es uns erlauben, über einige missratene Zeitungsüberschriften zu lachen. Damit war der Transfer von der „Tonight Show“ zur „Jay Leno Show“ vollbracht. Es gibt, alles in allem, noch ausreichend Raum für Verbesserung.
An Stars, die auf den bequemen blauen Sesseln Platz nehmen wollen, wird es gewiss nicht fehlen, denn sie können, worauf Leno schon schlau hinwies, nun eine Stunde früher als sonst für ihre Filme, CDs und Fernsehsendungen werben. Was schließlich, nach den Werbeeinahmen für die Sender, die eigentliche Raison d’être jeder lustigen Fernsehtalkrunde ist.
Und auch die demographische Zuschauerstatistik hatte Leno offenbar gleich von Anfang an im Auge. Kanye West und sein Rapper-Kollege Jay-Z waren für das musikalische Gastspiel verantwortlich, und damit die beiden die Großelterngeneration nicht gar zu sehr verschrecken, durfte Rihanna ein bisschen Melodie hinzufügen.
Zuvor aber bekam Kanye West, der sich gerade bei den MTV-Awards danebenbenommen und einer Preisträgerin bei ihrer Dankesrede das Mikrofon aus der Hand gerissen hatte, die Gelegenheit, sein Image zu reparieren. Es sei falsch und gemein gewesen, stammelte er, und er würde sich gern persönlich entschuldigen. Papa Leno reichte das aber nicht. Was wohl Kanyes Mama dazu gesagt hätte, wollte er teilnahmsvoll wissen. Worauf der liebe, böse Rapper tatsächlich mit den Tränen zu kämpfen hatten. Anschließend aber doch noch zünftig rappen konnte.
Dieses war Lenos erster Streich. In den folgenden soll unter anderem Brian Willams, der eigentlich seriöse Anchorman der „Nightly News“, regelmäßig auch sein Komikertalent unter Beweis stellen. Ein nicht ganz ungefährliches Vorhaben. Irgendwann könnten die Fernsehgewaltigen feststellen, dass sich in den Nachrichtensendungen, bei näherem Hinsehen, doch viel zu viele Probleme aneinanderreihen. Und dass auch jene Probleme am besten weggelacht werden sollten.


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