Einen Ultramarathon zu laufen ist eigentlich ganz einfach und hat mehr mit der inneren Einstellung zu tun als mit Muskeln. Wer sich traut, entdeckt eine schöne Sportart, die sehr viel zu bieten hat.

Im Moment lerne ich viele Leute kennen. Mein Job, meine Laufgruppe und die beginnende Workshop-Saison machen es möglich. Und wenn jemand mitbekommt, dass ich Ultraläufer bin, heißt es schnell: „Das ist nichts für mich, unmöglich“. Doch! Und Deswegen ist es Zeit, die Lanze zu brechen – Für das ultralange Laufen, für alle.
Ich verstehe schon, viele denken einen Ultramarathon zu laufen, wäre so, wie mehrere normale Marathons hintereinander abzuspulen – Stress und Strapazen eingeschlossen. Viele denken, man müsse viel härter trainieren und die Strecken aus dem Marathontraining verdoppeln oder verdreifachen. Und viele denken, für einen Ultramarathon müsse man geboren und ein krasser Typ Mensch sein. Das können nur Ausnahmeathleten und Athletinnen, die die Kilometer fressen und ständig gut gelaunt im Sprintstil über die Pisten heizen. Aber dem ist nicht so. Natürlich kann ich nur für mich sprechen, wo ich doch selbst erst einen kleinen Einblick in die große Welt der Ausdauerläufer bekommen habe. Und ja, ich bin befangen. Aber ich bin auch überzeugt, dass jeder der sich darauf einlässt, schnell zu den selben Schlüssen kommt. Aber was zeichnet Ultras denn nun aus?
Ultramarathon ist entspannend
Das klingt für Kurzstreckenläufer irrsinnig, wenn man den Stress eines Marathons, eines Halbmarathons oder eines Fünfkilometerlaufes nimmt und potenziert. Aber das wäre vermessen. Natürlich gibt es Athleten, die auch hundert Kilometer in Marathontempo laufen, aber Zeit spielt bei Ultramarathons nur eine untergeordnete Rolle – im Gegenteil. Es mutet schon fast gemütlich an, wenn sich die Starter eines 320 Kilomterlaufs wie dem WiBoLT (wieder ab 19.06.2019) in Bewegung setzen. Wer bis zu 90 Stunden unterwegs ist, weiß: ankommen ist das Wichtigste. Und so ist es nicht nur beim WiBoLT.
Okay, kämpfen musst man natürlich auch. Die Langstrecke kann hart werden und man wird sich bestimmt mehr als einmal durchbeißen müssen. Denn man hat viel Zeit, über das was man gerade tut nachzudenken. Beim Ultramarathon wird es geradezu meditativ und man kann sich sicher sein, sich selbst nochmal ganz anders kennenzulernen, manchmal auch im negativen Sinne.
Diese Ungewissheit es ins Ziel zu schaffen setzt meiner Meinung nach aber auch eine gewisse Denke voraus – eine nachhaltige, man könnte wohl auch achtsame Haltung sagen. Wem kurze Wettkämpfe zu stressig sind, sollte mal bei einem Ultra vorbeischauen. Dort wird man dann auch viele Leute treffen, die einen ausgeglichenen Eindruck machen und oft mitten im Leben stehen. Angeber sieht man höchst selten.
Ultramarathon-Training ist vielseitig
Was für Ultra-Langstreckenläufer und Läuferinnen gut ist, kann für Kurzstreckler nicht schlecht sein. Wer ein Marathontrainingsplan durchzieht, vielleicht auch aus dem gesellschaftlichen Zwang heraus „Du musst mal Marathon gelaufen sein“, denkt sicher Ultras trainieren noch mehr. Aber das stimmt nicht ganz. Sicher sind die Wochenumfänge manchmal höher, aber mit der Verdoppelung der Wettkampfdistanz verdoppeln sich nicht automatisch die Laufkilometer pro Woche. Auch die langen Läufe am Wochenende übersteigen bei mir die 40 Kilometer nicht. Auch die relativ langsamen Tempi unterscheiden sich vom Marathontraining.
Viel mehr Wert sollte man auf ein vielseitiges Training legen, das auch Stabilitäts- und Krafttraining einschließt. Und das geistige Training darf auch nicht zu kurz kommen. Mal nachts aufstehen, um Erfahrungen in der Dunkelheit zu sammeln oder sich mal absichtlich zu verlaufen, kann nicht schaden.
Ultramarathoner sind (fast) normal
Das schöne bei Ultramarathons ist die Vielseitigkeit seiner Teilnehmer, die eines gemeinsam haben: Sie haben sich für eine große Herausforderung entschieden. Ja, die meisten machen sogar krasse Sachen, nur zeigen es die wenigstens äußerlich. Und selbst 24-Stunden-Weltmeister Florian Reus oder 6-Stunden-Weltrekorläuferin Nele Alder-Baerens, die auf der Strecke abgehen, haben sich ihre bescheidene Art bewahrt.
Ein schönes Erlebnis war dann auch die Begegnung mit einer älteren Teilnehmerin eines 100-Kilometerlaufes. Sie erzählte von ihren Lauferlebnissen, die ich innerlich als Erinnerung an längst vergangene Tage abtat. Als sie mich dann nach circa 75 Kilometern überholte und am Ende auf dem zweiten Platz des Laufes landete, wusste ich, bei den Ultras läuft es anders. Da ist es egal, wie jung oder alt man ist. In der Tat entscheiden sich viele aber erst im mittleren Lebensalter für einen Ultralauf. Aber die Zahl der jungen Läufer wächst.
Und jetzt sollen alle Ultramarathoner werden?
Bloß nicht. Das würde ja auch den familiären Charakter zerstören. Ich wollte nur eine Lanze brechen, für diejenigen, die das Laufen lieben, aber sich noch nicht sicher sind, wohin die Reise geht. Die sich vielleicht nicht so ganz wohl fühlen in der Welt einer triumphgetriebenen Schnelllaufgesellschaft oder nach Jahren des Laufens neue Wege gehen wollen. Und sicher ist auch: Nicht jeder ist für Ultraläufe gemacht. Aber wer Spaß daran hat, sich selbst großen Herausforderungen zu stellen, ohne sich selbst zu ernst zu nehmen, muss es unbedingt probieren.
Wenn Du Fragen oder Anmerkungen hast, nutze das Kontaktformular oder schreibe mir auf Instagram: @nils_laeuft.
Und nun, eine schöne Ultramarathonvorbereitung!
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jedoch gebe ich zu bedenken, wenn jemand etwas kann,….nehmen wir mal den Eiskunstläufer,….der sagt (und dabei lügt er nicht mal) “das es nichts einfacheres auf der Welt gibt wie Eiskunstlaufen”. Ich bin der Auffassung das alle Extrem Sportarten nicht gesund sind,…..auch wenn der eine, oder andere damit, sein größtes Glück finden mag. Mir hatte mal ein Extrem Sportler gesagt,……laufen sei für ihn wie eine Droge, er wäre sogar süchtig danach. Man sollte sich darüber Gedanken machen
Hallo Thomas,
Ja, das mit der Suchttheorie kenne ich. Aber ich denke nicht das es stimmt. Für mich ist es eher das machen einer schönen Sache. Oder würde jemand Eiskunstlaufen als Sucht anerkennen? Oder Eis essen? Vielleicht ist es aber auch nur eine einfache Erklärung für etwas, dass man sich selbst ausreden will. Herzliche Grüße
Danke, schön geschrieben
Hallo Niels (ich hoffe, das “D” ist auch in einer PM ok),
danke für diese Ermunterung, wirklich schön geschrieben.
Ich bin auch so einer: seit Jahren Freizeitläufer auf Strecken zwischen 8 und 15km, keine große Leidenschaft für Wettkämpfe und wenn Du mich fragst, ob ich einen Ultra laufen wollte: ne, pack ich nicht … wahrscheinlich … oder?
Und doch: das ist die eine Form des Laufens, die mich wirklich neugierig macht! Ich laufe vor allem für meinen Kopf, nicht so sehr wegen der Kondition, liebe dabei besonders das Meditative des Laufens, am besten mit Musik (in gehörschädigender Lautstärke :-)) und wenn ich mir vorstelle, dass ich das über Stunden mache, kriege ich jetzt schon einen Endorphin-Ausstoß ;-)
Ich bin nicht bei Insta, gibt es auch einen Twitter-Account, wo man Dir folgen kann? Oder einen antiquierten Newsletter?
Danke und viele Grüße
Matthias aus München.
Hallo Matthias,
Danke. Wenn du schon beim Denken denkst es sei etwas für dich und ein Kribbeln spürst, dann solltest du es wirklich probieren. Dran bleiben lohnt sich jedenfalls. Schreib ruhig wenn du mehr Tipps benötigst.
Bei Twitter gibt es mich auch, unter Nils Thies. Herzliche Grüße, Nils