Zunächst einmal als kleine Erinnerung: In dem noch nicht allzu lang verloschenen Jahr 2007, dessen Nachhall im Universum immer noch einige Lichtjahre entfernt zu hören ist, hat sich der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ schon einmal mit dem Thema „gesetzlicher Mindestlohn“ beschäftigt und die Transformation von Deutschland in eine gewerkschaftsfreie Zone prognostiziert. Diese Diskussion wurde durch den damaligen Arbeitsminister Franz Müntefering initiiert; ihm folgt jetzt eine wahre Prozession aus so ziemlich allen Akteuren, die damit glauben, in Zukunft eine Bundestagswahl gewinnen zu können.
An dieser Stelle fällt der Blick des Autors dieses Reiseführers auf den Rubik-Würfel, der – obwohl man angeblich immer maximal 20 Drehungen braucht – für ihn unlösbar bleibt, aber Inspiration für eine Definition bietet.
Deshalb zunächst eine kleine, aber flächendeckende und bald gesetzliche Startdefinition: „Mindestlohn ist eine Fragestellung, die (1) wie ein Rubik-Würfel permanent gedreht wird, bei der allerdings (2) die Anforderungen an die Lösung klar definiert und trotzdem (3) scheinbar unmöglich realisierbar sind, was (4) Politiker als pragmatische Populisten dazu bringt, einen Würfel dann als gelöst anzusehen, wenn alle Seiten möglichst bunt ausfallen.
Dass damit die ursprüngliche Idee dieses Würfels pervertiert und somit auch das eigentliche Ziel nicht erreicht wird, merkt aber niemand. Wie kann ein bunter Würfel die Lösung sein? Das ist nach den universalen Gesetzen der Arbeitswelt nicht zulässig. Doch dafür gibt es Politiker: Sie lösen weder den Würfel noch den Mindestlohn, sondern definieren einfach die Frage um, wodurch aber trotzdem die Antwort „42“ nicht entsteht. Dabei übersehen sie das, was ganz groß, aber trotzdem für sie unsichtbar, vor ihrer Nase liegt.
Doch der Reihe nach, denn im Prinzip ist diese ganze Sache mit dem Mindestlohn ungefähr so einfach wie das Versenken eines Teebeutels in heißem Wasser und damit überhaupt nicht zu vergleichen mit wirklichen Problemen wie dem Kochen eines traditionellen japanischen Tees. Und wie bei der Zubereitung von Tee bietet sich auch hier ein Blick in die Vergangenheit an, als „Mindestlohn“ kein Thema war.
Denn letztlich finden wir im gesamten Universum nur vier Varianten:
Die einfachste Entlohnung ergibt sich, wenn man selber entscheidet: „Als Mindestlohn 0.0 legen Politiker mittelalterlich-feudalistisch im Bundestag ihr eigenes Mindesteinkommen fest.“
Politiker definieren also ihren persönlichen Mindestlohn für sich, wobei es sich dabei tatsächlich um einen Mindestlohn handelt: Man denke nur an das Zubrot von Peer Steinbrück durch seine Vortragshonorare. Da aber diverse Politiker ihre Einkommensverbesserungen nicht nur als Redner, sondern auch als Juristen verdienen, regelt der Bundestag auch Anwaltshonorare. Sie wurden im Mai 2013 zuletzt um rund zwölf Prozent erhöht.
Ein anderes Modell stammt ebenfalls aus der Vergangenheit: „Im frühindustriellen Kapitalismus legte der Arbeitgeber als Mindestlohn 1.0 den Lohn für seine Arbeiter fest.“
Dieser Mindestlohn konnte bei guter Führung und guter Leistung überschritten werden. Er lag unter der Produktivität (sonst würde es sich für den Kapitalisten nicht rechnen), aber zumindest pro Familie über dem Existenzminimum (sonst könnten die Arbeiter davon nicht leben).
Jetzt eine kleine Geschichtsstunde: Wie Pilze im Sonnenschein nach dem Regentag tauchten dann plötzlich Gewerkschaften auf und es gab eine Gewerkschaftsbewegung. Das Ergebnis waren Verhandlungen zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer (also Gewerkschaften) und Vertretern der Arbeitgeber.
Plötzlich war alles anders: „Beim Mindestlohn 2.0 ergibt sich dieser aus einer machtausgeglichenen Verhandlung zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden.“
Hätte dieses System doch funktioniert. Wir bräuchten dann keine Politiker mit Allmachtsphantasien, die glauben, irgendwie die Welt mit ihrem Mindestlohn beglücken zu müssen.
Nur – und das ist die traurige Geschichte – hat es eben offenbar nicht funktioniert. Zum einen machten Unternehmen teilweise einfach nicht mehr mit. Zum anderen wurden manche Gewerkschaftsvertreter – ähnlich wie ein bekannter Bischof aus Limburg – mehr mit Flügen in der ersten Klasse assoziiert als mit den Problemen der „Werktätigen“.
Deshalb arbeiten immer noch Menschen – von der vielzitierten Haarschneidefachkraft bis zum Gebäudereiniger – für ein Einkommen, von dem man nicht leben kann. Also muss etwas passieren und der Reiseführer durch die Arbeitswelt sucht nach Lösungen, über die er voller Zufriedenheit berichten kann.
Worüber er nicht zufrieden berichten kann, ist der durch Politiker fixierte „gesetzliche, flächendeckende Mindestlohn“. Dieser ist in seiner Wirkung eindrucksvoll unklar und zur Zeit eine reine Rätselstunde: Bei wie vielen Personen wird der tatsächliche Lohn steigen? Bei wie vielen wird der Arbeitsplatz ganz wegfallen? Bei wie vielen wird es zusätzliche unbezahlte Mehrarbeit geben, die den Mindestlohn zunichte macht?
Der Berichterstatter des Reiseführers „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ ist frustriert, denn das was kommt, ist letztlich ein zum Wahlgeschenk mutierter Mindestlohn 1.0, wo irgendeine privilegierte Schicht für die Arbeiter am unteren Ende der gesellschaftlichen Skala das Einkommen definiert.
Wäre der Autor dieses kleinen Textes ein Politiker, würde er jetzt an dieser Stelle Schluss machen und laut rufen: „Das darf alles nicht sein“. Nur wo könnte es hingehen?
Wir brauchen keine Lösung mit permanenten Regelungseingriffen der Politiker, die lustig am Rubik-Würfel drehen und der Lösung keinen Schritt näher kommen. Wir brauchen vielmehr eine Lösung, die zum einen die Tarifautonomie forciert, gleichzeitig aber ein Sicherheitsnetz dort spannt, wo Menschen zu nicht zumutbaren Bedingungen arbeiten müssen.
Daher – und hier versucht der Reiseführer zur Abwechslung zumindest ein klein wenig konstruktiv zu sein – an dieser Stelle für den Anfang ein kleines Denkmodell: „Der Mindestlohn 3.0 ergibt sich aus nicht-flächendeckenden Verhandlungen zwischen (1) Arbeitgeberverbänden und (2) Gewerkschaften, wobei (3) die dadurch nicht abgedeckten Flächen automatisch als bindenden Mindestlohn den niedrigsten Betrag aus allen gültigen Tarifabschlüssen erhalten. Dieser Mindestlohn darf weder durch Tarifabschlüsse noch durch andere Verträge unterschritten werden.“
An diesem simplen Modell, das auf den vielzitieren Bierdeckel passt und das so einfach wie ein Teebeutel ist, könnte man ansetzen. Vor allem: Ein derartiger Mindestlohn 3.0 wäre definitiv flächendeckend und definitiv gesetzlich – und die Politik bliebe bei der Lohnfestsetzung vollkommen außen vor. Und deshalb wird die Politik nicht zustimmen.
Auch andere Modelle wird es nicht geben, die man sich eigentlich genauso vorstellen könnte wie die aktuellen Politikentwürfe. So könnte man verlangen, dass der Mindestlohn nie unter eine Grenze sinken darf, die sich unternehmensspezifisch aus dem Gehalt des Vorstandsvorsitzenden ergibt und die mit diesem automatisch steigt. Würde man eine Gehaltsspanne zwischen „Unten“ und „Oben“ im Faktor 30 akzeptieren, so ergibt dies bei Volkswagen folgende Berechnung:
Mindestlohn Volkswagen = 14 Millionen Winterkorn / (52 Wochen * 35 Wochenstunden * 30 Gehaltsspanne) =
256.40 Euro.
Auch das wird es nicht geben und so liegt die Zukunft klar vor uns: In Nachfolge von Franz Müntefering werden die Gewerkschaften faktisch überflüssig gemacht und zukünftige Bundestagswahlkämpfe auf ein „Wer bietet mehr“ beim Mindestlohn reduziert. Spätestens dann haben wir ein System der Lohnfindung, das einmalig im Universum ist.
P.S.: Douglas Adams diskutiert natürlich in seinem Reiseführer „Per Anhalter durch die Galaxis“ die Herausforderung, dass sich Lohn auch lohnen muss, kommt aber eher zu einem deprimierenden Schluss: „Abgesehen von der Tatsache, dass sie alle meinen, dass alle vollkommen plemplem sind, war das einzige, worin sich alle einig waren, dass wir alle mehr über Delphine wissen als über Menschen.“
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Der Mindestlohn wird vor allem den Osten treffen und die Unqualifizierten. Auf eine fiktive Person gebracht, dem Jugendlichen mit Migrationshintergrund in strukturschwacher Region. Da das den CDU Politikern bekannt ist, hoffen sie, dass wenn erst 2016 der Mindestlohn eingeführt wird, die negativen Folgen 2017 bei der nächsten Wahl noch nicht eintreffen.
https://aktuellednachrichten.wordpress.com/2013/11/20/der-mindestlohn-pro-oder-contra/
De facto ist eine gesetzliche Mindestlohnsetzung die Abschaffung der Tarifautonomie, aber
das passt hervorragend in die deutsche Gesamtlandschaft, in der immer mehr biologisch Erwachsene die Selbstentmündigung durch einen hoffentlich grosszügigen Fürsten herbesehnen und ihren Arbeitgeber und/oder ihren Staat als vollwertigen Ersatz für Mami und Papi betrachten.
In einer solchen Landschaft ist die Forderung nach einem gesetzlich festgelgten Mindestlohn so selbstverständlich, dass Ihr vernünftiger Vorschlag eines Branchen-Kompromisses zwischen den Tarifparteien, den man auch gesetzlich erzwingen könnte, chancenlos ist.
Was auch daran liegen mag, dass die meisten öffentlichen Befürworter eines Mindestlohnes diesen nach ihrer Erwartung jmals erhalten werden noch damit rechnen müssen, als Folge eines gesetzlich falsch gesetzten Mindestlohnes statt demselben plötzlich Hartz IV zu erhalten.
Gruss,
Thorsten Haupts