Nach der haushoch gewonnenen Fußball-Weltmeisterschaft können wir offenbar gar nicht mehr anders, als in jeglicher Hinsicht von diesem Beispiel zu lernen: Was für Poldi, Schweini, Sami und Jogi gut ist, kann und muss auch für Unternehmen gut sein. Und eine der kleinen Kleinigkeiten gewinnt urplötzlich Aufmerksamkeit und einen Eintrag in den Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“: Gemeint ist ein Thema, das ansonsten viele ansprechen, aber bisher eigentlich nur ganz wenige wirklich verstehen. Wie gut also, dass es den deutschen Fußball gibt, der uns auch hier auf den richtigen Weg bringt.
Das erste Indiz ist ein Sonderheft der Computerwoche. Hier prangt stolz auf dem Cover die Überschrift „Oliver Bierhoff: Mit Big Data zum WM-Titel“. Da staunt man nicht schlecht: Was früher noch handschriftlich auf dem Zettel von Jens Lehmann stand, hat SAP inzwischen mit vielen anderen Informationen in ein komplexes Datensystem gepackt. Egal, ob Laufwege von Cristiano Ronaldo oder die Raumaufteilungen von Spitzenteams: Das System weiß alles und hat aus über 7.000 Spielen der potenziellen Gegner gelernt.
Im Prinzip lassen sich Spiele vermutlich noch perfekter als auf der Playstation simulieren und eine Nationalmannschaft optimal auf einen Gegner einstellen. Der Fantasie sind hier keine Grenzen gesetzt und Spieler wie kleine Zahnräder optimierbar. Interessantes Detail: Vermutlich war das deutsche SAP-System in Brasilien ein abgeschottetes System, bei dem vermutlich nicht einmal die NSA Zugang hatte.
Das zweite Indiz ist ein Artikel im Handelsblatt: „Der gläserne Lahm – Der FC Bayern und SAP wollen die Datenkontrolle über das Fußball-Spiel. Am Ende könnte ein neuer, optimierter Spieler stehen.“ Was für die Fußball-WM gilt, wird offenbar in München noch auf neue Höhen gebracht. Alles ist möglich: von prädiktiver Analyse bis hin zum Erkennen von komplexen Mustern. Dass vermutlich in diesem System nicht nur die Daten aller Spieler vom FCB stehen, liegt nahe: Denn die Pointe von Big Data ist gerade, dass alles gesammelt wird, was man irgendwo und irgendwie bekommen kann.
Nun wird ja vermutlich kaum einer in Deutschland etwas dagegen haben, dass der FCB seine Vormachtstellung im Deutschen Fußball durch Big Data noch etwas weiter ausbaut und die internen Trainingsspiele in München weiterhin weitaus mehr Reiz versprechen als jedes Bundesligaspiel gegen den FCB. Nein, Deutschland und seine Medien stehen fest hinter dem FCB. Und auch gegen die ab jetzt feststehende Vormachtstellung der deutschen Nationalmannschaft im Weltfußball ist nichts einzuwenden.
Was aber wäre, wenn wir alles das, was wir im Fußball sehen, auf die „normale“ Arbeitswelt übertragen. Natürlich haben wir in Deutschland einen funktionierenden Datenschutz und lauter ehrliche Mitspieler. Trotzdem sind aber vielleicht einige kleinere Fragen zulässig, denn bisher scheinen sich die Personalmanager in Deutschland noch nicht einmal ansatzweise mit den perspektivischen Gefahren von Big Data auseinanderzusetzen.
Also, nachfolgend lediglich ein kleines Gedankenexperiment und eine kleine Sammlung aus fünf kleinen Fragen.
Frage 1: An welchen persönlichen Daten seiner eigenen Mitarbeiter hat ein Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse?
Im Fußball gilt, dass der FCB natürlich wissen muss, wie es um die Gesundheitswerte aller seiner Spieler steht, wo und wie sich die Spieler auf dem Spielfeld und dem Trainingsgelände bewegen, auf welche Impulse die Spieler mehr oder weniger reagieren und welche Leistungsverläufe wahrscheinlich sind. Vielleicht sind auch psychische Daten interessant. Das alles hilft beim Training, bei der Mannschaftsaufstellung und letztlich auch bei Beantwortung der Frage, wann sich der FCB am besten von einem Spieler trennen sollte.
Auch wenn Fußball etwas anderes ist als das normale Leben: Können Unternehmen nicht genauso argumentieren? Ist ein Top-Manager nicht genauso ein „kritischer“ Faktor wie ein Philip Lahm? Was passiert, wenn wie im Fußball die Personalabteilungen von den Mitarbeitern die Freistellung von allen datenschutzrechtlichen Verpflichtungen verlangen? Warum sollten Personalabteilungen nicht auch wie der allseits verehrte FC Bayern München agieren?
Frage 2: Wem gehören die Daten, beispielsweise bei Vereinswechsel?
Der Reiz an Big Data liegt darin, dass unglaublich große Mengen von Daten gemeinsam ausgewertet werden. So stecken beispielsweise die Daten von Manuel Neuer in diesem großen Datenberg. Was aber, wenn Manuel Neuer zu Real Madrid wechseln würde? Würden seine Daten dann gelöscht? Oder bekommen Robert Lewandowski und Mario Götze dann sofort die Schwachstellen ihres neuen Gegenspielers? Und kann Marco Reuss Daten mitbringen, wenn Borussia Dortmund zumindest eine kleine Version des FCB-Supercomputers bekommt, bevor er zum FCB wechselt? Oder gehören seine Daten dem BVB?
Das Entscheidende an Big Data ist, dass Daten gesammelt, auf alle Ewigkeit gespeichert und immer wieder auf unterschiedliche Weisen ausgewertet werden, bis immer wieder etwas mehr oder weniger Interessantes gefunden ist. In diesem Big Data ist das Löschen von Daten ebenso undenkbar wie irgendein Anonymisieren oder Aggregieren.
Frage 3: Dürfen Unternehmen beliebige Daten von anderen Personen sammeln?
Sicherlich hat der FCB in Deutschland keine Gegner auf dem Spielfeld. Aber genauso wie die überlegene Nationalmannschaft Interesse an Cristiano Ronaldo hat, könnte der FCB die Daten seiner Gegenspieler sammeln wollen – zumindest um zu wissen, welche Spieler er zu welchem Zeitpunkt kaufen sollte. Also scheint nichts dagegen zu sprechen, dass der FCB derartige Datenpools anlegt.
Die Analogie zur Arbeitswelt liegt wieder auf der Hand: Im „War for Talent“ tut man gut daran, die gegnerischen Truppen gut zu kennen, letztlich um vielleicht einzelne Krieger zum Überlaufen überreden zu können. Auch der Pool an Bewerbern und an Akteuren auf Social Media Plattformen wie Facebook, Xing oder LinkedIN eignen sich zur Komplettierung der Big Data Datenbasis. Warum also diesen Wettbewerbsvorteil ausschlagen?
Frage 4: Wenn ein einziger Anbieter die fußballerische Big Data Welt dominiert, wer profitiert dann von diesem Monopol?
Wenn SAP in Deutschland für den DFB und für den FCB arbeitet, dann werden zwangsläufig erst einmal alle Daten nach München gehen und der FCB den ersten Zugriff auf die Daten bekommen. Auch wenn das vermutlich in keiner Presseerklärung steht, scheint das durchaus wahrscheinlich – und wenn es nur deshalb der Fall ist, weil der FCB am meisten zahlen kann. Damit könnten zumindest die Daten von Nationalspielern, die nicht im Dienste des FCB stehen (ja, so etwas gibt es noch) in München landen. Oder von Per Mertesacker, falls der FCB einmal gegen Arsenal spielen sollte.
Sicherlich wird es irgendwann einmal zur Adidas-SAP-Welt eine Nike-Welt geben, die vielleicht mit Oracle arbeitet. Aber mit zwei Monopolanbietern wird die Sache nicht viel besser und übertrifft bei weitem die vergleichbar harmlose Machtposition einzelner Headhunter auf dem Markt für Führungskräfte. Was also, wenn sich in HR das Big Data von SAP genauso verhält wie es sich beim Fußball zumindest prinzipiell verhalten könnte? Sind nicht da auch die großen, starken und zahlungskräftigen Unternehmen die geborenen Gewinner?
Der Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ ist bekannt für seine einfache Sprache, wie man an der abschließenden Frage erkennen kann.
Frage 5: Im deutschen Spitzenfußball gibt es ein ausgeprägtes und erfolgreiches System zur Verarbeitung von Big Data, das sofort auf die Unternehmenslandschaft übertragbar ist. Warum sollte man das aber nicht tun?
Sicherlich gibt es Antworten, die etwas mit Ethik oder mit Datenschutz zu tun haben. Oder aber man verweist auf verschlafene Personalabteilungen oder verschlafene HR-Forscher, die bis heute Big Data nicht verstanden und es deshalb auch nicht in die Arbeitswelt übertragen haben. Aber vielleicht passiert auch jetzt schon vieles, was wir nicht wissen, und was vielleicht irgendwie ausgelagert ist?
Ob das deutsche Datenschutzrecht hier weiter hilft, muss offen bleiben, kann aber angesichts seiner faktisch noch immer basierenden Verankerung in der Welt der Lochkarte bezweifelt werden.
Deshalb ein konkreter Vorschlag: Unternehmen sollten auf ihrer Webseite eine Policy für den Umgang mit Big Data für HR veröffentlichen, auf der sie konkret angeben, was sie in personalwirtschaftlicher Hinsicht mit Big Data machen.
Damit gibt es Fragen über Fragen und nur eine kleine Antwort. Aber vielleicht sind die kleinen Fragen ja sogar noch wertvoller als die kleine Antwort.
PS Im „Hitchhiker’s Guide to the Galaxy“ von Douglas Adams, der ja bekanntlich das große Vorbild für den kleinen Reiseführer „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ ist, gibt es einen tröstlichen Hinweis darauf, dass Big Data doch nicht die Welt regiert: „Ganz wenige Leute wissen, dass Präsident und Regierung eigentlich gar keine Macht haben, und von diesen wenigen wissen nur sechs, von wem die allerhöchste politische Macht ausgeht. Fast alle anderen glauben im Stillen, die letzten Entscheidungsbefugnisse habe ein Computer inne. Sie könnten nicht falscher liegen.”
Man korrigiere mich, wenn ich etwas falsch sehe: Sind die Fussballer nicht Arbeitnehmer?
Wenn auch mit astronomisch hohen Gehältern? Und ist ein guter Teil der Datensammlung dieser Arbeitnehmer in normalen Unternehmen nicht schlichtweg verboten, ob mit oder ohne Zustimmung des Arbeitnehmers?
Die Datensammlung über Fussballer, samt Trainingseinsatz, Laufwegen, Schussgenauigkeit etc. entspräche im Arbeitsleben der Hundertprozentsammlung der täglichen Arbeit eines Arbeitnehmers samt deren Auswertung. Soweit ich das deutsche Arbeits- und Datenschutzrecht zu kennen glaube, wäre das in einem Konzern ein Fall für den Staatsanwalt?
Gruss,
Thorsten Haupts
Ja.
Herr Haupts, ich denke, Sie dürften richtig liegen: Eigentlich sind Fussballer auch Arbeitnehmer …. und genau damit wird/ist das ganze nicht uninteressant. Mal sehen, ob sich noch jemand dazu äußert.
mfGr
christian scholz