Per Anhalter durch die Arbeitswelt

Per Anhalter durch die Arbeitswelt

Wir sehen uns zunehmend einer neuen, unbekannten und durchaus rätselhaften Arbeitswelt gegenüber.

Statt Handtuch: Revolution der Regenschirme

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Es geht um gelbe Regenschirme in Hongkong. Anders als die Generation Z bei uns, demonstrieren dort Studenten. Nicht laut oder gewalttätig. Aber mit asiatischer Beharrlichkeit und vielen bunten Zelten.

Auch der Berichterstatter des Reiseführers „Per Anhalter durch die Arbeitswelt“ kommt manchmal raus aus seinem Arbeitszimmer und sitzt gerade im Flug LH 797 von Hongkong nach Frankfurt. Nach dem „Peak“ (einem kleinen Berg mit großem Rundum-Blick) gab es als zweiten Stopp die „Umbrella Revolution“ … und dann wurde es spannend.

Was man bei uns in Deutschland nicht so mitbekommt: die riesige Zahl der Zelte, die durchdachte Struktur (fast nach Farbe sortiert ordentlich aufgereiht) und die perfekte Organisation (einschließlich Mülltrennung und Rauchverbot). Und dann natürlich die strategische Relevanz der „Locations“. Im Financial District sind großflächig Zufahrtsstraßen einschließlich Straßenbahnen unterbrochen, in Mong Kok gibt es Zeltstädte auf den Straßen vor den prunkvollen Geschäftslokalen für Schmuck und Edel-Uhren, deren zur Schaugestellter Reichtum alle Grenzen sprengt. Dass (auch unsere Medien) diese Einkaufshallen für Top-Manager, Unternehmensberater, Investment-Experten und andere Multi-Millionäre verniedlichend „Small Business Owners“ bezeichnen, ist deshalb fast schon etwas irreführend.

Definition: Regenschirm ist (1) das Symbol für eine bemerkenswerte Revolution in Asien und (2) etwas, das nie da ist, wenn man es braucht, und (3) das logische Gegenstück zu einem Rettungsschirm.

Die Studenten streiken seit Ende September für ein Mehr an Demokratie in Hongkong und zwar nicht an der Universität (deren präsidialer Feudalismus ist durchaus mit Beispielen aus Deutschland vergleichbar). Ihnen geht es um eine generelle Hinwendung zu demokratischen Grundmustern des menschlichen Miteinanders, wie sie sich beispielsweise in einer demokratischen Wahl manifestieren, bei der nicht bereits durch die Kandidatenaufstellung das Ergebnis präjudiziert ist oder – weil nur ein Kandidat zugelassen wird – letztlich keine wirkliche Wahl stattfindet.

Faszinierend: Studenten als Massenphänomen interessieren sich für Demokratie.

Hongkong ist extrem: Vermutlich gibt es auf keinem Punkt der Welt einen stärker ausgeprägten Unterschied zwischen unvorstellbar arm und unvorstellbar reich. Während die einen im Apple Store anstehen, um sich das neue iPhone 6 zu kaufen, gibt es die für Fremde nicht unmittelbar sichtbaren Zonen der Armut.

Diese protestierenden Studenten kennen Deutschland und vermutlich nicht nur, weil gerade die Berichterstattung über die deutsche Wiedervereinigung bei CNN läuft (im Übrigen soweit erkennbar nicht wie sonst in China zensiert): „Auch Ihr in Deutschland habt gestreikt und damit die Mauer zu Fall gebracht“ hebt eine junge Studentin hervor, bevor sie dem Berichterstatter dieses Reiseführers – wie passend! – einen Regenschirm schenkt.

Zum Glück wissen sie in Hongkong offenbar wenig bis nichts über die praktisch ausgebliebenen Studentenproteste in Deutschland angesichts des Bologna-Fiaskos und angesichts der Hochschulgesetze zur absoluten Zentralisation von Macht und Planungshoheit.

Auch wenn diese Phase der Revolution der Regenschirme in Hongkong angesichts des Endes der Vorlesungszeit und der beginnenden Klausuren bald ihr Ende finden dürfte: Hier entstand ein Gemeinschaftsgefühl und es wurden kollektiv Werte geprägt. Auch von den Universitäten wurde aktiv mitgemacht: von Versorgungspaketen bis zu einem die ganze Problematik aufgreifenden campusTV.

Stark: In Hongkong hat eine Generation von Studenten das „Leben von Demokratie“ erlebt. Das wird in ihrem kollektiven Gedächtnis bleiben.

Und wie sieht es bei uns aus? Wenn man nur bedenkt, was an deutschen Hochschulen in den letzten Jahren alles passiert ist und immer noch passiert, wo wir verordnete Ausbildung statt kritisch reflektierter Bildung bekommen haben, wo Studenten wie Dozenten nur noch im Hamsterrad nach irgendwelchen Credits oder Leistungspunkten für eine gute Note beziehungsweise für leistungsorientierte Vergütung strampeln, dann ist es erstaunlich, wie brav alle das alles akzeptieren. Oder wenn universitäre Entscheidungsfindung bedeutet, dass eine Handvoll Personen hinter verschlossenen Türen beispielsweise die Auflösung von Fakultäten festlegen? Wo akademische Selbstverwaltung zum pflichtschuldigen Ausfüllen von Excel-Rechenblättern degeneriert ist?

Natürlich hängt vieles auch an Studentenvertretungen: Ohne genau zu wissen, wie sie in Hongkong organisiert sind, scheint es sich dort um ein besseres System zu handeln. Bei uns bekommen Studentenvertretungen Geld und ECTS-Punkte. Das ist vielleicht auch gut so. Trotzdem bleibt das historische Gedächtnis: Studentenvertreter und AStA haben diejenigen aggressiv bekämpft, die vor miserablen und gesellschaftspolitisch nicht verträglichen Bologna-Implementationen gewarnt haben. Das ist sicherlich nicht gut. Wenn dann noch die Studentenvertretung stolz an einem Verfahren mitwirkt, in dem ein Universitätspräsident ohne Gegenkandidat wiedergewählt wird, dann wünscht man sich Studenten aus Hongkong als Studentenvertreter.

Traurig: Bei uns ist das kollektive Studentenbewusstsein geprägt von passiver Akzeptanz der Studenten und einer aktiven Unterwürfigkeit der Studentenvertretungen.

Das jetzt alles nur auf die äußeren Umstände (Politik- und Medienverfall) zu schieben, mit denen sich die aktuelle Generation Z konfrontiert sieht, greift zu kurz. Natürlich wird es bei uns schwer möglich sein, wochenlang mit Zelten irgendetwas zu blockieren. Und natürlich wird der eine oder andere Universitätspräsident sofort die Polizei rufen, falls Studenten auch nur einen Quadratmeter „öffentliche“ Fläche „zweckentfremden“ – obwohl eine Besetzung des Hörsaals die eigentliche Nutzung des Regenschirms nicht benötigt.

An dieser Stelle eine Idee, die sich allen erschließt, die Douglas Adams Originalquelle kennen – und die andere nicht verstehen werden:

Warum macht man nicht eine neue Revolution, mit einem Handtuch statt mit einem Regenschirm?

Auch bei uns ist Gefahr im Verzug, denn wie die Studenten in Hongkong haben auch wir viel zu verlieren: Universitäten ihr akademisches Leben und Deutschland seine Rolle als Wissenswirtschaft.

Ähnlich wie die Demokratie in Hongkong geht es bei uns nicht nur abstrakt um die Freiheit von Forschung und Lehre, sondern um grundsätzlich demokratische Strukturen, bei denen nicht Hochschulautonomie gleichgesetzt wird mit einem Machtmonopol des Universitätspräsidenten. Es geht um echte Mitwirkungsrechte aller relevanten Gruppen an „ihren“ Universitäten, damit sie wieder zum intellektuellen und innovativen Motor unserer Gesellschaft werden.

In Hongkong hängt über den Zelten im Financial District erstaunlicherweise ein Plakat mit der Aufschrift „You may say I’m a dreamer but I’m not the only one“: Diesen Satz von John Lennon kennen in Deutschland Babyboomer. Kennt ihn auch die Generation Z?

Für die aktuelle „brave“ Generation von Studenten ist „klausurrelevant“ leider wichtiger als „gesellschaftlich relevant“, sind Buchungssätze in Bilanzen faszinierender als Menschen und erweisen sich Casting-Shows aufregender als Politikmagazine, die darauf hinweisen, wie ein bekannter deutscher Automobilhersteller die Polizei in Hongkong offenbar mit Fahrzeugen ausstattet, die dort gegen Studenten eingesetzt werden. Themen wie Leiharbeit, Bologna, Vorstandsvergütung, Politikversagen bis hin zu Einkommensungerechtigkeit gelten für unsere Generation Z als langweilig.

Vorschlag: Vielleicht sollten wir als Entwicklungshelfer in Sachen Demokratie Studenten aus Hongkong einfliegen?

PS Die Originalquelle von Douglas Adams befasst sich substanziell mit der oben angesprochenen Alternative zum Regenschirm: „Ein Handtuch ist so ungefähr das Nützlichste, was der interstellare Anhalter besitzen kann. Einmal ist es von großem praktischen Wert, denn als Nahkampfwaffe kann man es sich vors Gesicht binden, um sich gegen schädliche Gase zu schützen oder dem Blick des Gefräßigen Plapperkäfers zu entgehen. Was jedoch noch wichtiger ist: Ein Handtuch hat einen immensen psychologischen Wert. Wenn zum Beispiel ein Strag (also ein Nicht-Anhalter) merkt, dass ein Mann, der kreuz und quer durch die Galaxis trampt, ein hartes Leben führt, aber trotzdem noch weiß, wo sein Handtuch ist, dann ist dem Strag klar, dass dies ein Anhalter sein muss, auf den man sich verlassen kann.”


1 Lesermeinung

  1. hessebub2 sagt:

    Seufz
    Ich weiß auch nicht. Was 1968 ein Fanal für Veränderung gewesen wäre, endete heute auf youtube als Meme. Ist es denkbar, dass dieses System einfach alles assimiliert? Was hätte der Anhalter getan, wenn er den Borg begegnet wäre?

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