2009 – jetzt sind wir also tatsächlich (und keineswegs etwa verspätet) im Darwin-Jahr angekommen. Der zweihundertste Geburtstag des einflußreichen Evolutionsbiologen am 12. Februar und der 150. Jahrestag der Originalveröffentlichung seines „The Origin of Species” vom 24. November 1859 werden uns dieses Jahr sicher noch mächtig beschäftigen. Und zwar weniger der kulturkritischen Bemerkungen wegen, die so sicher kommen wie das Amen in der Kirche, als vielmehr aus dem einfachen Grund, dass die Biologie – und nicht nur sie – mit einigem Erfolg auf den Spuren Darwins wandelt. Das schlägt sich natürlich auch in den Zeitungen nieder.
Die F.A.S. wird ihre Leser kommenden Sonntag einige der wichtigsten Mechanismen und Hintergründe der Evolution erklären, und in der von nun an erweiterten Wissenschaftsbeilage der F.A.Z., in „Natur und Wissenschaft”, wird insbesondere unsere langjährige Biologie-Autorin Diemut Klärner regelmäßig über die frischesten Ergebnisse moderner Evolutionsforschung auf dem Laufenden halten.
Grob geschätzt könnten wir jede Woche zwei, drei interessante Publikationen vorstellen. Sicher, nicht alle können so hochkarätig sein wie die „15 Evolutionary Gems“, wie sie „Nature” von heute an auf ihrer Website präsentiert. Das sind immerhin Funde (hauptsächlich aus dem eigenen Paper-Fundus) aus den vergangenen zehn Jahren. Manche Resultate werden einfach nur lesenswert und viele sicher auch ausgesprochen diskussionswürdig sein. Für uns ist das dennoch kein Grund, sie unbesprochen zu lassen.
Eine solche Veröffentlichung ist gerade als Open-Access-Artikel in den „Proceedings” der amerikanischen Nationalen Akademie der Wissenschaften erschienen. Jonathan Payne von der Stanford University ist mit seinen Kollegen der spannenden Frage nachgegangen, wie Evolution und Körpergröße zusammenhängen. Mit anderen Worten: Wieso und in welcher Sequenz ist es zu dem Größenwachstum der Lebewesen gekommen. Immerhin: Mit den „Augen” der ersten primitivsten, mikroskopisch kleinen Organismen gesehen, haben die Lebewesen bis zum Mammutbaum oder Blauwal um 16 Größenordnungen oder um das Billiardenfache zugelegt, seitdem das Leben vor 3,5 Milliarden Jahre auf der Erde Fuß faßte. Das spannendste Ergebnis an Paynes Superlativen-Forschungen, die im wesentlichen auf den Recherchen bei den verschiedensten paläontologischen Experten beruhen, ist eine Grafik, die zwei Riesensprünge zeigt.
Zweimal ist es in – geologisch vergleichsweise kurzer Zeit – zu einer millionenfachen Vergrößerung gekommen: Das erste Mal vor etwa 1,9 Milliarden Jahre, der Geburtsstunde der eukaryotischen und damit wesentlich komplexeren Zelle als es die bis dahin dominierenden prokaryotischen, bakterienähnlichen Zellen waren. Und zum Zweiten in der Zeit zwischen dem ausgehenden Proterozoikum, als die berühmte Ediacara-Fauna auftauchte, und dem Ende des Ordoviziums, also zwischen rund 600 bis 450 Millionen Jahre vor heute. Das ist die Phase, in der die Vielzeller ihren Siegeszug begannen. Drei Viertel des Größenwachstums in der gesamten Evolution, so haben Payne und seine Leute aus der Begutachtung der jeweiligen „Riesen” unter den Fossilien geschlossen, fallen in diese beiden Epochen, die nicht einmal ein Fünftel der gesamten biologischen Evolution einnahmen. Und die Gründe? Die Wissenschaftler glauben, dass der in beiden Riesenwachstumsphasen vorausgegangene Anstieg des Sauerstoffgehaltes eine wichtige Rolle gespielt haben könnte. Plötzlich war es gewissermaßen möglich, das evolutionär im Laufe von Jahrmillionen durch Mutation und Selektion aufgebaute „Potential” durch eine einzige Umweltveränderung – das reiche Angebot an Sauerstoff und damit die aerobe Energiegewinnung – voll auszuschöpfen. ´
Das ist natürlich reine Spekulation. Echte Ursachenforschung ist da kaum möglich bei solch langen und weit zurückliegenden Prozessen und Zeitreihen. Zumal man sich auf nicht einmal hundert „Riesen” in der fossilen Galerie stützen muß. Der erste „Riesen-Sprung” von den Prokaryoten zu den Eukaryoten etwa stützt sich zum großen Teil auf Beobachtungen von Fossilien der Art Grypania spiralis, einem knapp einen Zentimeter langen Organismus, den Payne und viele andere Paläontologen als die frühesten bekannten algenähnlichen Lebewesen betrachten. Hier ein Foto solcher Fossilien.
Andere sehen die länglichen Kreaturen allerdings weiter als ein Konglomerat von prokaryotischen Einzelzellen an und finden in den Überresten keinerlei Hinweise auf komplexere Zellen. Wie gesagt: Darüber wird sicher weiter gestritten. Und die Evolution der „Riesen” wird mit der Erhebung der amerikanischen Forscher sicher nicht abgeschlossen sein. Aber ist das nicht das eigentlich faszinierende an der Evolutionsforschung: Dass jeder Zweifel neue Fragen und Ideen kreiert? Viel Spaß mit den kommenden Darwin-Forschungen.
Schön, dass man zum...
Schön, dass man zum DARWIN-Jahr 2009 Feuilleton-Artikel kommentieren kann
Dass F.A.Z. & F.A.S. sich mit vielen lesenswerten Beiträgen vor und nach dem Start ins DARWINjahr befassen, ist lobenswert. Gut ist, dass Online durch Nutzer Kommentare zu den oft informativen Artikeln abgegeben werden können; z. T. nur 14 Tage lang – FAZ.Net. In der erweiterten Wissenschaftsbeilage „Natur und Wissenschaft” wird man sich über „moderne Evolutionsforschung“ wohl „auf dem Laufenden halten“ können; gegebenenfalls dazu kritisch kommentieren „dürfen“; „unzensiert“. Apropos Größenwachstum: Bei Mutationen von Schneeglöckchen z.B. habe ich durch Mikroskopieren festgestellt, dass eine Variante mit breiten Blättern dadurch entstanden ist, dass die Zellen (mit Spaltöffnungen) einfach größer (breiter, dicker) transformiert wurden. Meine Hypothese: Das abermillionenfache Vergrößern der Organismen hat PRIMÄR mit dem Mechanismus der sog. „Sekundär-Asymmetrisationen“ zu tun. Transformationen hat Gestaltforscher Albrecht DÜRER und (später) W. d’Arcy THOMPSON als Methode zu Gestaltwandlungs-Experimenten benutzt; ich in der ARS EVOLUTORIA. Eine dynamische Morphologie verknüpft die Transformations-Methode mit den Termini positive bzw. negative Allometrien (Allomorphosen). (Literatur: „Evolutionäre Symmetrietheorie (…)“; S. 257-284.)