Die Cleveland Clinic in Ohio erhielt bereits vor mehr als vier Jahren die Genehmigung, Gesichtstransplantationen durchführen zu dürfen. Bis aber der erste Patient alle Voraussetzungen erfüllte, kamen französische Kollegen dem Team aus Cleveland zuvor: Die Operation der schwer entstellten Isabelle Dinoire, der von ihrem Hund die untere Hälfte des Gesichtes abgebissen worden war, erhielt 2005 monatelang große mediale Aufmerksamkeit.
Auf der jährlichen Tagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Chicago berichtete Maria Siemionow jetzt über die zweite Gesichtstransplantation weltweit, die Anfang Dezember 2008 in Cleveland unter ihrer Leitung stattfand. Siemionow ist Chirurgieprofessorin an der Cleveland Clinic. Sie leitet die Abteilung für plastische Chirurgie. Die Operation im Dezember ist die bisher größte Gesichtstransplantation: das Transplantat maß 535 Quadratzentimeter. Die Medien berichteten zwar über den Eingriff, jedoch nicht annähernd so ausführlich und lange wie im Fall Dinoire. Ein Grund dafür mag sein, dass die amerikanische Patientin anonym bleiben will und die Klinik deshalb nur sehr wenig über sie bekannt gegeben hat. Die Chirurgin Siemionow gab jetzt vor einem Fachpublikum zumindest medizinische Details preis und berichtete auch über den gegenwärtigen Gesundheitszustand der Patientin, die vor wenigen Tagen entlassen wurde. Die Frau hatte durch einen Unfall den mittleren Teil ihres Gesichtes verloren. Ihr fehlten unter anderem die unteren Augenlider, die Nase, die Oberlippe und der Gaumen. Die Übertragung eines Spendergesichtes dauerte 22 Stunden; beteiligt waren zehn Chirurgen, vier Anästhesisten und mehr als 30 Krankenschwestern. “Es war die bisher umfangreichste und komplexeste Gesichtstransplantation der Welt”, fasste Siemionow zusammen.
Den amerikanischen Chirurgen war klar, dass sie mit einer ähnlichen Skepsis rechnen mussten wie sie die französischen Mediziner getroffen hatte. Vor allem wegen der großen Gefahr einer Abstoßungsreaktion ist die Methode umstritten. “Ich werde Ihnen eine kurze Zusammenfassung unserer Forschung vorstellen, damit Sie sehen, dass uns die Idee, ein Gesicht zu transplantieren, nicht über Nacht gekommen ist”, sagte Siemionow in Chicago. Ihr Team nahm zwischen 2000 und 2008 mehr als 1000 experimentelle Gesichtstransplantationen an Mäusen vor. Außerdem zeigten die Mediziner in zwei Studien anhand von Untersuchungen an menschlichen Leichen, dass die Hautlappen von anderen Körperteilen wie dem Rücken oder Bauch bei großflächigen Verbrennungen oder anderen Verletzungen im Gesicht nicht ausreichen, um den gesamten Bereich nach der konventionellen Methode zu bedecken.
Die Patientin, die im Dezember operiert wurde, konnte zwei Monate nach der Operation entlassen werden. “Es geht ihr gut und sie hat Selbstvertrauen zurückgewonnen”, sagte Siemionow. Auch die Funktionen des transplantierten Gesichtsteils kehrten mittlerweile zurück: Die Patientin kann wieder durch die Nase atmen, riechen und festes Essen zu sich nehmen, schmecken und aus einer Tasse trinken. Sie trete noch nicht wieder der Öffentlichkeit entgegen, aber der Familie und Freunden. “Wenn die Menschen kein Gesicht haben, dann haben sie kein Leben”, sagte Siemionow. “Für sehr spezielle Patienten ist ein solcher Eingriff deshalb gerechtfertigt.” Es gelte der Satz: You need a face to face the world. Man braucht ein Gesicht, um der Welt entgegenzutreten.