Darwin und die Theologie haben ein Problem miteinander, heißt es zuweilen. Das wirkliche Problem scheint aber bereits beim Thema Darwin und die Philosophie zu liegen. Der Vater der Evolutionstheorie war so ehrlich zuzugeben, daß er kein begnadeter Philosoph war, aber geärgert hat ihn dieses Defizit vielleicht schon etwas. „Einen Pavian zu verstehen, brächte mehr als die nächsten 2000 Jahre Philosophie“ zitierte Robin Dunbar von der University of Oxford am Mittwochabend einen Notizbucheintrag Darwins sinngemäß. Bei den an einer Universität der Jesuiten doch sicher zahlreich anwesenden Philosophen entschuldigte sich der britische Anthropologe sogleich – doch nicht ohne das Geständnis, daß dieses Zitat ihn selber davon abgehalten habe, Philosoph zu werden.
Hat Dunbar den Pavian verstanden? Nun, wenn man die Verständnisziele entsprechend bescheiden ansetzt, hat er das durchaus – und nicht nur den Pavian. Zu bescheiden waren diese Ziele allerdings auch wieder nicht. Dunbars Vortrag gehörte zu den kurzweiligsten dieses zweiten Tages der Darwin-Konferenz an der päpstlichen Universität Gregoriana. Er spürte den Gründen dafür nach, wozu die Primaten – und schließlich der Mensch – sich so ein riesiges Gehirn zugelegt hätten. Es scheint etwas mit den Anforderungen zu tun zu haben, die komplexe soziale Interaktionen an das Oberstübchen stellen. Die Daten, die Dunbar präsentierte, weisen jedenfalls darauf hin: Zusammenhänge zwischen der Größe des Neocortex einerseits und Gruppengröße, Intensität sozialer Interaktion (etwa das Lausen bei Schimpansen) und Stabilität von Partnerbeziehungen andererseits. Tatsächlich: monogame Spezies tendieren schon bei Vögeln zu einem deutlich größeren Gehirn. Treue macht schlau. Der Gruppengröße schein Primaten ein besonders wichtiger Faktor zu sein, es gibt sogar eine Korrelation zwischen Hirngröße und der Zahl der Clanmitglieder. Extrapoliert man sie auf dem Menschen, kommt man auf etwa 150 – und tatsächlich findet sich genau diese Zahl in etlichen Statistiken wieder: von der Einwohnerschaft der Amish-communities in Nordamerika bis zur der Obergrenze, welche der Hersteller von Goretex mit gutem Erfolg für die Belegschaft seiner Produktionsstätten eingeführt hat. Schief geht die Extrapolation auf den Menschen allerdings bei der Zeit, die Primaten für die soziale Interaktionen aufwenden: der Mensch bringt bei weitem nicht die seiner Hirngröße entsprechenden 40 Prozent Lebenszeit mit Interaktionen zu, die dem Lausen äquivalent wären. Um diese Lücke, den „Bonding Gap“ zu schließen, tue der Mensch nun mehrere Dinge, glaubt Robin Dunbar: er lacht, er macht Musik, er erzählt Geschichten – und feiert religiöse Riten. Zumindest beim Lachen sei nämlich experimentell erwiesen, daß es Glückshormone freisetze, wie sie auch lausende Affen happy machen – und Dunbar erwartet, daß so ein chemischer Trick auch hinter den drei anderen genannten kulturellen Aktivitäten steckt.
Ob aber die These, das sei es schon gewesen, so ganz zu einer anderen von Dunbar referierten Beobachtung paßt? Es sind Hinweise darauf, daß seine Hirngröße dem Menschen auch ermöglicht, zumindest bei sozialen Interaktionen bis zu fünf Reflexionsebenen beherrschen (also zu wissen, daß jemand anders weiß, daß man selber weiß, daß er, weiß, daß man weiß)? Neue Messungen mit bildgebenden Verfahren zeigen, wie extrem anstrengend so etwas für das Gehirn ist. Auch wenn’s anschließend, wenn man so einen Satz verstanden hat, Glückshormone dafür gibt – fragt man sich doch, warum unsere Ahnen sich das antaten, wenn man sich den inneren Joint auch dadurch anstecken kann, daß man singt, oder sich Witze erzählt. Ist es vielleicht nicht so, daß Nachdenken am Ende deswegen so viel Spaß macht, weil man dabei Einsichten hat, die man anschließend nicht missen möchte (während das Lied irgendwann vorbei ist)? Kann man konsistent einsehen, das Wohlgefühl darüber, etwas eingesehen zu haben, sei das Ziel des Einsehen-wollens – und nicht die Einsicht selber?
Das dürfte das sein, was man eine philosophische Frage nennt. Der Nichtphilosoph Dunbar ließ, ganz in Darwins Fußstapfen, tunlichst die Finger davon. Aber man kann der Meinung sein, daß es so menschlich ist wie irgend etwas, solche Fragen zu stellen, die dann auch irgendwann an das rühren, was Dunbars Vorredner, der Paläoanthropologe Fiorenzo Facchini von der Universität Bologna, als erster unter den Referenten mit der sprachlichen Formel „spirituelle Dimension“ ansprach: zumindest das Verlangen, wenn nicht sogar die Fähigkeit den Menschen zur Einsicht in das Absolute. Sie trenne den Menschen von allem Vormenschlichen, aber man müsse die Idee aufgeben, so Facchini, daß der Punkt, an dem sich diese Dimension unseren Vorfahren zuerst eröffnete, empirisch zu finden sei. Aus Fossilien und archäologischen Befunden ergäbe sich immer nur ein „terminus post quem“, wie Altertumsforscher das nennen, ein Punkt, an dem es schon passiert ist – etwa wenn man auf eine absichtliche Bestattung stößt, die zeigt, daß sich hier wohl jemand Gedanken über die Endlichkeit des irdischen Daseins gemacht haben muß.
Man kann vielleicht gute Gründe dafür angeben, warum hier von einer „ontologischen Lücke“ gesprochen werden muß und warum es sich, anders als bei vielem anderen in der Naturgeschichte, nicht um einen langen kontinuierlichen Übergang gehandelt haben kann. Aber es war nicht besonders glücklich, daß Facchini, statt diese Gründe weiter auszuführen, nur Johannes Paul II und den klugen Thomisten Jacques Maritain zitierte. Facchini ist zwar nebenbei Priester aber, wie auch er betonte, selber kein Philosoph. Aber wer zuvor so glasklaren Vorträgen wie dem des Systembiologen Stuart Kauffman gelauscht hatte (der den Zuhöhern sogar recht anspruchsvolle mathematische Konzepte nahezubringen verstand), dem mußte Facchinis Zitatenlitanei wie ein Schock getroffen haben. Tatsächlich war es ein Kulturschock, der dadurch nicht gerade gemildert wurde, daß die Englischkenntnisse des angesehenen Frühmenschenforschers aus Bologna praktisch keine Diskussion zuließen. Sehr schade – aber den Disputationsstil der Scholastik, in denen das Zitieren von Autoritäten eine konstruktive, vor allem oft illustrative Funktion hatte – kann man eben in der scientific community von heute nicht mehr so ohne weiteres pflegen. Hier hat man heute Powerpoint. (Fortsetzung folgt)