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Die Wissenschaft ist ein ernstes Geschäft, aber gehört ihr deshalb das letzte Wort?

Sind Human-Medikamente für Tiere erlaubt?

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Der Titel dieses Beitrags ist als Frage formuliert, und um die Antwort soll nicht lange herumgeredet werden. Sie lautet schlicht "Ja". Nachdem die deutsche...

Der Titel dieses Beitrags ist als Frage formuliert, und um die Antwort soll nicht lange herumgeredet werden. Sie lautet schlicht “Ja”. Nachdem die deutsche Dressurreiterin Isabell Werth vor vier Wochen wegen Dopings in die Schlagzeilen geraten war, entstand allerdings ein anderes Bild. Das Antipsychotikum Fluphenazin, das sich im Blut ihres Pferdes “Whisper” befand, sei nur für Menschen, nicht aber für Tiere zugelassen, wurde immer wieder vorwurfsvoll angemerkt. “Es heißt, das Medikament sei nur für Menschen zugelassen”, konfrontierte etwa “Bunte” die Sportlerin im Interview. “Ich bin Reiterin und habe leider keine medizinischen Kenntnisse. Dafür ist mein Arzt verantwortlich – und dem habe ich vertraut”, entgegnete Werth.

In dieser Woche wurden die Dopingfälle im deutschen Reitsport neu aufgerollt. Heute gab eine eigens eingesetzte Untersuchungskommission des Deutschen Olympischen Sportbundes in Warendorf einen ersten Bericht ab. Isabell Werth wird allerdings erst im August befragt werden. 

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Isabell Werth und “Whisper” (Foto www.sport1.de)

Nach der positiven Dopingprobe hatte Werth erklärt, das Medikament aus der Humanmedizin sei zu therapeutischen Zwecken verabreicht worden, denn das Pferd leide an der Parkinson-ähnlichen “Zitterkrankheit”. Die Behandlung habe bereits Wochen vor dem Turnier stattgefunden; der Nachweis sei wohl darauf zurückzuführen, dass der Organismus von “Whisper” den Stoff langsamer abgebaut habe als erwartet. Das mag stimmen oder nicht – Werths Image bleibt schwer angeschlagen, denn Fluphenazin kann auch zu Dopingzwecken verwendet werden, es hat leistungssteigernde Wirkung. “Das Pferd wird durch das Entspannungsmittel in einen vorübergehenden Rausch versetzt. Es ist euphorisiert und geht wie auf einer Wolke. Dieser Fall ist kein Arzneimittelmissbrauch, sondern klassisches Doping”, sagte etwa Kurt Blobel, der 27 Jahre lang Mannschaftstierarzt der deutschen Reiter gewesen ist, in einem Interview mit der “Zeit”.

Werth jedoch beharrte auf der Zitterkrankheit – Linderung habe man dem Pferd verschaffen wollen, nicht Vorteile. Gekontert wurde in den meisten Berichten über die Sache mit dem Hinweis, egal, mit welchem Hintergrund die Behandlung erfolgte, Fluphenazin sei jedenfalls nur für Menschen zugelassen. Diese Information rückte den Fall in ein besonders schlechtes Licht – “nicht für Tiere zugelassen” und trotzdem bei einem Pferd angewandt? Der Laie folgert, dass es sich in jedem Fall um eine zwielichtige Sache handeln muss, Doping hin oder her.

Bei der Behandlung von Pferden, Hunden, Katzen und Heimtieren kommen allerdings regelmäßig Human-Arzneimittel zum Einsatz. Das Arzneimittelgesetz erlaubt diese sogenannte “Umwidmung” ausdrücklich. “Viele Firmen sehen einen viel zu kleinen Markt für bestimmte Medikamente, es kommt also zu keiner Zulassung für Tiere. Aber wir benötigen die Arzneimittel trotzdem”, sagt Ingo Nolte, der Leiter der Kleintierklinik der Tierärztlichen Hochschule Hannover. “Und man kann sie auch gefahrlos anwenden, denn es gibt für viele Human-Arzneimittel längst genug Daten und Studien über die Anwendung beim Tier.” Auf diese Informationen könne man sich relativ weitgehend verlassen – auch wenn das Mittel nicht ausdrücklich für den tiermedizinischen Markt produziert worden sei. “Seit etwa acht bis zehn Jahren gibt es aber Bemühungen, mehr Arzneimittel speziell für Tiere zuzulassen”, sagt Nolte. “Das Unerfreuliche dabei ist, dass die Version für das Tier teurer ist.” Dabei sind Zusammensetzung und Herstellung völlig gleich, nur der Name lautet anders. Manchmal sind die Silben “Feli-“, “Equi-” oder “Can-” hinzugefügt worden, um das Präparat als Mittel für Katzen, Pferde oder Hunde zu kennzeichnen. “Man kauft ein Stück mehr Sicherheit, denn die Verträglichkeit des Präparats für die Zielgruppe Tier ist geprüft worden”, sagt Nolte. Beispiele für Arzneimittel, die sowohl für den Menschen als auch speziell für Tiere erhältlich sind, für letztere aber teurer, sind die Narkosemittel Isofluran und Propofol oder Herzmedikamente wie etwa ACE-Hemmer. “Wegen des Preisunterschieds von zwanzig, dreißig Prozent oder mehr entscheiden sich Tierärzte manchmal doch noch für das Human-Arzneimittel, obwohl es längst ein Tierpräparat gibt”, sagt Nolte. “Das aber ist ein Verstoß gegen das Arzneimittelgesetz.” Darin sind nämlich strenge Regeln für eine Umwidmung aufgestellt. Beschrieben sind sie in Paragraph 56a. Veterinärmediziner kennen den Paragraphen als denjenigen, der die “Umwidmungskaskade” schildert. Denn nach Gutdünken einsetzen darf man Human-Arzneimittel bei Tieren nicht. Zunächst muss geprüft werden, ob es für die Krankheit eines Hundes oder Pferdes eine speziell für die Tierart zugelassene Arznei gibt. Ist das nicht der Fall, sollte nach einem Mittel gesucht werden, das für eine andere Tierart zugelassen wurde. Erst wenn auch die Suche erfolglos ist, darf auf ein Human-Arzneimittel zurückgegriffen werden. “Der Tierarzt geht immer ein höheres Risiko ein, wenn er umwidmet”, sagt Nolte. “Das heißt, er muss mehr Verantwortung übernehmen und mehr Informationen einholen, indem er etwa wissenschaftliche Studien zu Rate zieht.” Ähnlich geht es Ärzten in der Kinderheilkunde, die ein Arneimittel bei einem Kind anwenden, obwohl es nur für Erwachsene zugelassen ist.

Manche Krankheiten sind bei Tieren so selten, dass es sich nicht lohnt, ein spezifisches Tierpräparat auf den Markt zu bringen. Dazu gehören etwa bestimmte Bluterkrankheiten, die Nebennierenrindeninsuffizienz Morbus Addison oder auch Tumore. Bei solchen Erkrankungen werden regelmäßig Human-Medikamente “umgewidmet”. Die Bluter unter den Hunden erhalten für Menschen gedachten Gerinnungsfaktor VIII, tierische Morbus Addison-Patienten ein Hormonpräparat aus der Humanmedizin, und wenn eine Tumorerkrankung bei einem Tier mit Chemotherapie behandelt wird – was längst keine Seltenheit mehr ist – dann stammt das Chemotherapeutikum, das speziell für diese Tumorform vorgesehen ist, aus der Human-Onkologie.

Auch psychiatrische Erkrankungen bei Tieren erfordern manchmal eine Umwidmung. “Allerdings gibt es mittlerweile schon speziell für Kleintiere zugelassene trizyklische Antidepressiva”, sagt Nolte. Die Verhaltensstörungen bei Tieren werden inzwischen so differenziert betrachtet – man unterscheidet etwa Angststörungen, Zwangsstörungen, Depression, Phobien, posstraumatisches Stress-Syndrom und verschiedene Persönlichkeitsstörungen -, dass trotzdem immer wieder Umwidmungen aus der Humanmedizin erforderlich sind. Ob ein solcher Fall bei Isabell Werths Pferd “Whisper” vorlag, ist aus der Ferne nicht zu beurteilen. Fluphenazin, der Wirkstoff, der in Whispers Blut gefunden wurde, wird in der Humanmedizin bei der Behandlung chronisch-schizophrener Psychosen eingesetzt. Es wirkt bei akuten psychotischen Syndromen mit Wahn, Halluzinationen, Denkstörungen, Denkzerfahrenheit und Ich-Störungen. “Whisper” soll unter der sogenannten Zitterkrankheit leiden und deshalb motorische Schwierigkeiten haben. “Zur Beruhigung eines Pferdes ist der Wirkstoff Acepromazin zugelassen”, sagt Henry Ottilie, Veterinär-Pharmakologe an der Universität Leipzig. Das Neuroleptikum liegt unter den Handelsnamen Sedalin (für Hunde) und Vetranquil (für Pferde, Hunde und Katzen) vor. Falls “Whispers” Tierarzt allerdings der Meinung gewesen sei, für die Therapie der Erkrankung sei nur ein Medikament mit dem Wirkstoff Fluphenazin sinnvoll, so hätte er zumindest auf das in Deutschland zugelassene Human-Präparat zurückgreifen müssen, sagt Ottilie. In Deutschland ist ein Fluphenazin-haltiges Humanarzneimittel unter dem Handelsnamen “Lyogen” auf dem Markt. Bei Werths Pferd wurde aber das nur in anderen Ländern erhältliche Fluphenazin-Präparat “Modecate” gefunden. “Man müsste dann die Frage stellen, ob das Pferd eventuell im Ausland behandelt wurde”, sagt Ottilie. Die Arzneimittelgesetzgebung ist eben ein weites Feld. Und die Regeln im Sport sind wieder eine andere Sache. Ob man einem Tier den Alltag mit Psychopharmaka erleichtern möchte, ist keine Privatangelegenheit mehr, wenn es um internationale Reitwettbewerbe geht und sich durch das Medikament auch die Leistungsfähigkeit verändert. Ähnlich streng sind die Regeln nur, wenn Tiere Lebensmittel liefern sollen. Bei Kühen, Schweinen oder für die Schlachtung bestimmten Pferden darf deshalb auch nicht nach Lust und Laune umgewidmet werden – selbst wenn dadurch Therapiemöglichkeiten wegfallen. 


2 Lesermeinungen

  1. plazebo sagt:

    guck mal und wieder was...
    guck mal und wieder was gelernt über die Veterinärmedizin.

  2. rhauck sagt:

    Eine auch für den...
    Eine auch für den Nicht-Fachmann sehr verständliche Zusammenfassung der Situation, vielen Dank dafür! Allerdings hätten Sie unter der Überschrift auch der Frage der Behandlung von lebensmittelliefernden Tieren einen Absatz widmen können. Denn für solche sind, im Gegensatz zu den Haustieren, die allermeisten Wirkstoffe im Namen des Verbraucherschutzes explizit verboten. Pferde nehmen hier übrigens eine Zwischenstellung ein, bei ihnen kann der Besitzer entscheiden ob sie zur Schlachtung bestimmt sind, oder ob nicht.

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