Sicher, aus dem großen biopolitischen Stammzellstreit ist erstmal die Luft raus. Aber das muss nicht heißen, dass die Sache wirklich abgeschlossen ist. Im Gegenteil. So ein „Kulturkampf”, wie ihn einige Frontkämpfer der katholischen Morallehre zwecks ethischer Generalmobilmachung postuliert hatten, hinterlässt Kratzer, die schwer heilen. Da sind immer noch Wunden zu lecken, speziell bei vielen Stammzellforschern. Auf eine ganz bemerkenswerte und auch nach vielen intellektuellen Debattenrunden immer noch höchst emotionale Weise haben das jetzt die Teilnehmer des Abschluss-Symposiums des EU-Projekts „EStools” in Lissabon erfahren. Sie waren dort in den Genuss eines ganz und gar außergewöhnlichen Tanztheaters zum Thema Stammzellstreit gekommen. Unterhaltung, Selbsttherapie? Sowohl als auch, würde ich sagen. Sehenswert allemal. Und da stand dann dieser verheerende Satz auf einem Transparent, das auf der Leinwand hinter Tänzern und Schauspielerinnen auftauchte: „University equals Auschwitz”. Auschwitz in der Uni.
Mutter und Tochter, Forschung und Kirche
Die “Mutter” alias Cariddi Nardulli mit den Tänzern. Foto jom
Die Aufführung in der Lissabonner Calouste Gulbenkian-Stiftung war eine kurze, aber intensive Uraufführung des Stücks „Staminalia – a Dream and a Trial”. Die italienische Regisseurin Valeria Patera, die sich seit Jahren mit Theaterbrückenprojekten zwischen Kunst und Wissenschaft einen Namen gemacht hat (Stücke über Alan Touring, Max Perutz und Chalres Darwin), hat zwei Tänzer dafür engagiert – einen schwarzen (Patrick King) und einen weißen (Johan King Silverhult). Die beiden sind schon am norwegischen Königshaus aufgetreten, bei den Olympischen Spielen in Lillehammer, im Cirque de Soleil und diversen europäischen Theatern. Die beiden zelebrierten das gute und das schlechte Gewissen der Hauptdarstellerin: Cariddi Nardulli, „die Mutter”, schloss an der Princeton University ab, lernte die Schauspielkunst und machte anschließend als professionelle Darstellerin u.a. in Kinofilmen mit Mel Gibson und TV-Serien Karriere. Sie ist Mutter und Stammzellforscherin. Eine extrem überzeugende Darstellerin der Wissenschaftlerin, die embryonale Stammzellen züchtet und sich den sehr katholischen Verbalattacken ihrer Tochter erwehren muss. Die Tochter – Anna Elena Pepe – war vor ihrer Schauspielzeit am King’s College beschäftigt, hat sich mit kardialen Stammzellen beschäftigt und hat unter anderem während eines Gastspiels unter dem amerikanischen NIH-Stammzellpionier Ron McKay einschlägige Laborerfahrungen gemacht. In Lissabon hat die Italienerin ihren Mentor McKay wieder getroffen.
Die Albträume der Mutter
Dass ausgerechnet sie, die Insiderin, der „Mutter” mit ihren Schuldvorwürfen Albträume bescherte, gab dem Stück schon vor dem ersten Dialog eine besondere Note. Es wurde aber noch viel besser. Der Konflikt zwischen der Forscherin und ihrer christlich engagierten Tochter, die zugespielten Traumszenen mit einer Art Kreuzzug der Kirchenfürsten – nichts, das nicht auf den Tisch kommt, und das mit einer geschliffenen Rhetorik und Argumenten, die sich einem weiteren Italiener verdanken: Armando Massarenti hatte das Buch zum Stück geliefert. Um Wissenschaft, Politik, Ethik und Philosophie geht es darin. Und hier schließt sich der Kreis. Elena Cattaneo, die international geachtete Stammzellforscherin von der Universität Mailand, hatte das Buch in „Nature” rezensiert. Sie, die von Beginn an Teilnehmerin von EStools und zugleich Hauptakteurin der italienischen Version des Stammzellstreits war (der noch eine Nummer aggressiver war – und ist – als hierzulande), hat eng mit ihrer Landsfrau, Regisseurin Patera, zusammengearbeitet.
Die Kunst der inneren Konflikte
Eine einseitige Sache also, eine Hommage an die Stammzellforscher? Mitnichten. In dem Stück erfährt man auf drastische Weise, welche inneren Konflikte die eine wie die andere Seite zu bewältigen hat. Dringend empfohlen also all jenen, die der festen Überzeugung sind, die materialistischen Stammzellforscher machten es sich allzu leicht mit ihrer „Ethik des Heilens” und ließen moralische Reflexionen vermissen.
Das halbstündige englischsprachige Stück soll in einer verlängerten Version in den nächsten Monaten zuerst in einigen italienischen Städten aufgeführt – und, was zu hoffen wäre, vielleicht ja auch in anderen Städten. Dann wären die zwölf Millionen Euro für „EStools” nicht nur wissenschaftlich gut angelegt gewesen, sondern wären sogar ein gelungenes Beispiel für die Förderung der Kunst.